Reusch als Leiter der Intensivtäterabteilung noch die Ausrichtung der Arbeit der gesamten Abteilung 47 kritisiert – im Gegenteil: Ich habe diese Arbeit in meiner gesamten bisherigen Amtszeit im Parlament und gegenüber der Presse immer wieder ausdrücklich als erfolgreich und effektiv beurteilt und politisch ausdrücklich unterstützt – Sie, meine Damen und Herren von der CDU, im Übrigen auch. Nicht zuletzt wegen dieser erfolgreichen Arbeit ist die Anzahl der Verurteilungen jugendlicher Intensivtäter deutlich gestiegen, das wurde schon erwähnt. Darüber hinaus sind die positiven Erfahrungen der Abteilung 47 genutzt worden und haben dazu geführt, dass die Staatsanwaltschaft Berlin – dies übrigens mit meiner ausdrücklichen Billigung – die intensive täterorientierte Strafverfolgung auch auf solche jugendlichen Straftäter ausgedehnt hat, die sich noch auf dem Weg oder an der Schwelle zum Intensivtäter befinden.
Die Arbeit der Intensivtäterabteilung war und ist so erfolgreich, dass sie – natürlich – das Interesse der Öffentlichkeit und der Medien gefunden hat. Und als der „Spiegel“ mit Herrn Oberstaatsanwalt Reusch ein Interview führen wollte, hat die Staatsanwaltschaft in Berlin ihm das selbstverständlich genehmigt – allerdings ausdrücklich darauf beschränkt, dass es konkret die Arbeitsweise der Abteilung 47 zum Gegenstand haben sollte.
Die Äußerungen, die Herr Oberstaatsanwalt Reusch dann im „Spiegel“ hinsichtlich seiner Position zur Untersuchungshaft als Erziehungsmittel getätigt hat, wurden hinlänglich zitiert. Aber er sagt weiter:
Die Jugendlichen betrachten die Polizei als fremde Besatzungsmacht, wie die Iraker in Bagdad die Amerikaner.
Es gibt nun mal Extremfälle, die sind brandgefährlich für die Mitmenschen. Solange uns nicht die medizinische Wissenschaft eine Möglichkeit gibt, diese ungefährlich zu machen, hilft halt nur eines – sie so lange wegzuschließen, wie es nötig ist.
In Teilen der Stadt besteht die Bevölkerung fast nur aus Problemfällen. Wir haben schlicht und ergreifend zu viel von der falschen Sorte. Knapp 80 Prozent meiner Täter haben einen Migrationshintergrund. Jeder einzelne dieser ausländischen Täter hat in diesem Land nicht das Geringste verloren. Jeder, der sich in dieser Weise aufführt, verdient es, dieses Landes verwiesen zu werden. Wir sollten alles tun, um diese Kriminalität von hier wieder zu entfernen.
Dieses sind Teile eines Interviews mit rechtspolitischen, teilweise polemischen Aussagen zur Strafverfolgung von Jugendlichen, die von mir nicht unkommentiert bleiben durften.
Sie durften es deshalb nicht, da sie sonst sowohl mir als auch dem Senat von Berlin insgesamt als politische Aussage hätten zugerechnet werden können.
Wenn sich ein weisungsgebundener Staatsanwalt öffentlich darüber verbreitet, welcher rechtspolitische Kurs der richtige sei, darf die Justizsenatorin nicht schweigen, im Gegenteil, sie muss klarmachen, wer die Deutungshoheit darüber hat.
So ist es! – Ich frage in diesem Zusammenhang: Wie hätte wohl ein Justizsenator Volker Ratzmann reagiert?
Ich muss auf ein weiteres Missverständnis eingehen, das es auszuräumen gilt. Es ist keine Ermessensentscheidung, ob ein Disziplinarverfahren durchzuführen ist oder nicht. Das Disziplinargesetz, das dieses Haus im Jahr 2004 verabschiedet hat, regelt in seinem § 17 Absatz 1 Satz 1 eindeutig:
Liegen zureichende tatsächliche Anhaltspunkte vor, die den Verdacht eines Dienstvergehens rechtfertigen, hat der oder die Dienstvorgesetzte die Dienstpflicht, ein Disziplinarverfahren einzuleiten.
Frau Senatorin, entschuldigen Sie bitte! Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Ratzmann?
Dafür bin ich Ihnen sehr dankbar, Herr Ratzmann, aber ich würde in dieser ernsten Angelegenheit meinen Redefluss nicht gern unterbrechen.
Ich komme nun zu den Inhalten der Äußerungen von Herrn Oberstaatsanwalt Reusch. Mich wundert nicht, dass die CDU heute in ihrem Antrag zur Aktuellen Stunde vom „Maulkorb statt schonungsloser Problemanalyse in der Berliner Justiz“ spricht. Dass Sie, meine Damen und Herren von der CDU, nicht verstehen, dass rechtspoliti
sche Aussagen der Art, wie sie im „Spiegel“ getroffen wurden, ein Problem sind, das es schonungslos zu analysieren gilt, das verwundert nicht. Erstaunlich ist aber, meine Damen und Herren von den Grünen, dass Sie sich zu der heutigen Aktuellen Stunde mit dem Titel „ständiger Kleinkrieg in der Justiz“ hergegeben haben.
Sie sagen, Herr Behrendt, das eigene Personal öffentlich zu kritisieren, sei schlechter Stil. Darf ich daraus schließen, dass gerade Sie von den Grünen, die sich doch gern als besonders demokratisch und rechtsstaatlich geben, sich nicht an den Äußerungen von Herrn Oberstaatsanwalt Reusch gestoßen hätten?
[Dr. Martin Lindner (FDP): Es geht um das Disziplinarverfahren! – Zuruf von Dr. Klaus Lederer (Linksfraktion)]
Teilen Sie die Auffassung, man könne das Recht so weit überdehnen und die U-Haft als Erziehungsmittel nutzen? Finden Sie es in Ordnung, dass man jugendliche Straftäter wegsperren muss, „solange es keine medizinische Wissenschaft gibt, diese ungefährlich zu machen“?
Wenn das kein Grund für die Einleitung eines Disziplinarverfahren ist, das keinem Ermessen unterliegt, frage ich mich, was sonst.
Zur Frage der Zulässigkeit der Untersuchungshaft ist genügend ausgeführt worden. Das kann ich mir an dieser Stelle sparen.
Aber, meine Damen und Herren, ein kleines Repetitorium im Ausländerrecht schadet vielleicht auch nicht. Mit der pauschalen politischen Forderung nach Abschiebung ausländischer oder ausländischstämmiger Bürger wird einfach die Rechtslage ausgeblendet. Diese besagt nämlich, dass auch Straftätern, und zwar gerade auch jugendlichen Straftätern, Grundrechte zustehen.
Diese müssen bei der Entscheidung über aufenthaltsbeendende Maßnahmen berücksichtigt werden. Dies ist ein rechtsstaatliches Gebot. Ferner können Deutsche mit Migrationshintergrund nicht abgeschoben werden. Dies verstieße gegen das Ausbürgerungsverbot von Artikel 16 Absatz 1 Grundgesetz.
Und zu den Äußerungen über fehlende medizinische Möglichkeiten zur Beseitigung der Kriminalität bei Jugendlichen muss ich hier wohl nichts sagen.
Wenn ich – wie Sie, Herr Behrendt, behaupten – mit der Kritik daran meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vor den Kopf gestoßen habe, dann haben Sie ein falsches Bild von meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern.