Protocol of the Session on May 24, 2007

[Beifall bei der SPD]

Ebenfalls in Ordnung war die Reaktion der Senatorin auf das Streitgespräch zwischen Herrn Oberstaatsanwalt Reusch und Herrn Professor Sonnen im „Spiegel“. Auf eine Anfrage der Grünen, Herr Behrendt, im Rechtsausschuss hat Frau von der Aue erklärt, dass sie die Äußerungen von Herrn Reusch für unangemessen hält. Und sie hat uns ferner mitgeteilt, dass die Staatsanwaltschaft Berlin ein Disziplinarverfahren prüfen wird, da Anhaltspunkte für ein Dienstvergehen bestünden. Was soll daran falsch sein? Was ist daran falsch, und wie kommen Sie, liebe Mutti Lux, darauf, dass damit ein Beamter getötet werde?

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD]

Ich muss ganz ehrlich sagen: Sie haben ziemlich merkwürdige Vorstellungen vom Ableben eines Menschen.

Lieber Herr Lux! Die Einleitung eines Disziplinarverfahrens unterliegt nicht der Opportunität der Behörde oder der Behördenleitung. Ein Disziplinarverfahren ist einzuleiten, wenn hierfür ausreichende Anhaltspunkte vorliegen. Genau das ist geschehen.

[Benedikt Lux (Grüne): Das erklärt man doch nicht öffentlich!]

Dass die Öffentlichkeit das erfahren hat, ist Ihnen, liebe Grünen-Fraktion, zu verdanken.

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD]

Ich hätte gern gehört, was Sie gesagt hätten, wenn Frau von der Aue im Rechtsausschuss erklärt hätte: Wissen Sie, ich habe Herrn Reusch zum Kaffee eingeladen, wir klären das miteinander. – Da hätten Sie Radau gemacht, meine lieben Grünen, der nicht zu ertragen gewesen wäre, so, wie auch vieles andere von Ihnen im Ausschuss nicht zu ertragen ist.

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD]

Deshalb ist es zumindest Bigotterie, was Sie hier treiben.

Gibt es Anhaltspunkte dafür, dass ein Dienstvergehen vorliegt? – Ja, die gibt es. Jede Frau und jeder Mann kann sie lesen. Sie stehen in einem der auflagenstärksten deutschen Nachrichtenmagazine.

Herr Abgeordneter Dr. Lederer! Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Behrendt?

Nein, wenn ich ihn beleidigt haben sollte, kann er eine Kurzintervention machen. – Ihr Verständnis für Herrn Reusch ist für mich nicht nachvollziehbar. Da bringen Sie in der Tat Ursache und Wirkung durcheinander. Ich versuche, Ihnen das anhand eines alten Sprichworts deutlich zu machen. Dieses lautet: Wer gegen den Wind pisst, nässt sich die Hosen. – Herr Reusch, niemand sonst, hat die Öffentlichkeit gesucht, in der die Auseinandersetzung jetzt stattfindet. Es ist völlig korrekt, dass die Senatorin in wünschenswerter Klarheit in eben dieser Öffentlichkeit deutlich gemacht hat, was von dieser Äußerung zu halten ist.

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD]

Zumindest folgende Punkte sind mir aufgefallen, die ich für dienstrechtlich relevant halte: Herr Reusch hat Zweifel hervorgerufen, dass er sich in seiner Amtsführung unparteiisch verhalten werde. Zwar steht es dem Beamten frei, die geltende Gesetzeslage als unzureichend oder falsch zu kritisieren. Es steht ihm aber nicht frei, seine eigene Entscheidung an die Stelle des Gesetzgebers zu setzen, ja, er darf nicht einmal den Anschein erwecken, als täte er das. Herr Reusch hat erklärt:

Sobald sich ein Knabe in die falsche Richtung entwickelt, muss er eine Konsequenz spüren, die ihm weh tut. Und Knast tut weh. Wir machen damit gute Erfahrungen. Die, die einmal in Untersuchungshaft gesessen haben, machen nicht mehr den dicken Max.

In diesem Kontext spricht Herr Reusch auch von der U-Haft als Erziehungsmittel. Hier liegt das Problem. Die Voraussetzungen für U-Haft befinden sich in §§ 112 und 112 a StPO. Hier entsteht der Eindruck, die Untersuchungshaft sei für Herrn Reusch kein Mittel zur Sicherung einer erfolgreichen Hauptverhandlung, sondern er strebe sie zu gänzlich anderen Zwecken an. Dies, lieber Herr Lux, ist zumindest der Anschein von Voreingenommenheit. Was soll Ihres Erachtens daraus folgen? – Ein Lolli? Oder sollen wir Herrn Reusch für das Bundesverdienstkreuz vorschlagen, weil wir wissen, dass seine Abteilung eine gute Arbeit leistet? Herr Reusch hat sich nicht gemäßigt verhalten. Er hat ferner persönliche und dienstliche Äußerungen nicht auseinandergehalten. So hat er die Bewohnerinnen und Bewohner ganzer Stadtteile herabgesetzt. Er hat, obwohl ihm Artikel 16 GG bekannt sein muss, pauschal Migrationshintergrund und Abschiebungserfordernis zueinandergefügt. Das ist zum einen eine Zumutung und das steht zum anderen einem leitenden Beamten und Vorgesetzten nicht zu.

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD]

Nehmen wir ein drittes Beispiel: Herr Reusch spricht von extremen brandgefährlichen Einzelfällen und resümiert:

Solange uns nicht die medizinische Wissenschaft eine Möglichkeit gibt, diese ungefährlich zu machen, hilft halt nur eines: sie solange wegzuschließen, wie es nötig ist.

Mit „Wegschließen“ ist laut geltender Rechtslage des JGG nach 10 Jahren Schluss. Wie ist der Hinweis auf medizinische Möglichkeiten aber eigentlich gemeint? Meint er Elektroschocks, Lobotomie, Drogentropf oder Hormonbehandlung? Jede und jeder kann Phantasie entwickeln, wohin das gehen soll. Herr Reusch hat sich dabei ziemlich vergaloppiert und sich und seine Abteilung diskreditiert. Das ist das Problem.

Zusammengefasst: Herr Reusch bereitet seine Suada mit einer Katastrophenbeschreibung argumentativ vor. Dann wird vom Versagen herkömmlicher Methoden gesprochen. Anschließend wird erklärt, dass es außerrechtlicher nichtlegaler Mittel bedürfe, um die Lage in den Griff zu bekommen. Hier hat Herr Reusch seine Schwierigkeiten, zu pathologischen und rassistischen Argumentationsmustern klare Abgrenzungen zu wahren. Seine Lesart lautet: Ursachen sind allein psychische oder physiologische Defekte der Individuen. Die Sozialisation, die realen Verhältnisse, in denen sich eine solche Entwicklung abspielt, kommen bei Herrn Reusch nicht vor. Es sind deutsche, hiesige Verhältnisse. Da beißt die Maus überhaupt keinen Faden ab.

Ich komme nun zu den Staatsanwälten. – Über die Vereinigung Berliner Staatsanwälte war ich dann auch sehr überrascht. Für die Gilde ist Herrn Reuschs Auslassung kaum ein schönes Aushängeschild, sondern eine ziemlich zweifelhafte Leistung. Es hätte den Kolleginnen und Kollegen gut angestanden, sich dazu zu verhalten. Die Behauptung von Frau Junker über die vermeintliche Rolle Frau von der Aues sind im Übrigen nicht haltbar. Jede und jeder kann es lesen. Lesen Sie „Spiegel“, lesen bildet. Da scheinen mir doch andere Dinge eine Rolle zu spielen als die Wahrung der Standesehre. Ich wiederhole noch einmal: Die Einleitung eines Disziplinarverfahrens ist keine Angelegenheit von Lust und Laune. Sie ist obligatorisch.

Deswegen lassen Sie mich schließen: Die Entwicklung der Qualität der Jugenddelinquenz ist bedenklich genug. Hierbei handelt es sich nicht um eine allgemeine Degeneration der Jugend, wie sie von älteren Generationen seit Jahrhunderten immer wieder gern behauptet wird. Es handelt sich um Sozialisationsprobleme, denen begegnet werden muss. Für das Jugendstrafrecht gilt insoweit das Jugendgerichtsgesetz. Seine Möglichkeiten klug und sinnvoll zu nutzen ist entscheidend.

[Benedikt Lux (Grüne): Super!]

Die Unterbringungsprobleme im Vollzug – ich wusste nicht, dass diese heute Thema sind – haben wir ausführlich geklärt. Wir werden daran arbeiten, sie abzustellen.

[Benedikt Lux (Grüne): Machen Sie doch mal etwas!]

Ja, Sie haben doch zugehört, Herr Lux. Sie waren in den Ausschusssitzungen doch dabei. Wir werden etwas tun. Wir brauchen aber nicht immer Ihre Ratschläge dazu. So einfach ist das.

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD]

Ich würde mich freuen, wenn hin und wieder die Kolleginnen und Kollegen Staatsanwälte, die mit den leichten Fällen zu tun haben und die Kolleginnen und Kollegen Staatsanwälte, die mit den Intensivtätern zu tun haben, ein wenig rotieren, damit sich nicht Wahrnehmungsmuster einschleusen, die in der Form bei der zu leichten Behandlung von leichter Delinquenz und bei der Bewältigung und vor allem bei einer etwas fehl wahrgenommenen Realität der harten Delinquenz nicht gut sind.

Zu all dem steht die rot-rote Koalition. Hier werden wir an dem Thema bleiben, ob als Muttis oder als harte Hunde. Wir lassen uns hier weder von einer geltungssüchtigen oder effekthascherischen Opposition hindern, noch von Beamten unter Druck setzen, denen mindestens die Pferde durchgegangen sind. – Vielen Dank!

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD]

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Dr. Lederer! – Für die FDP-Fraktion hat jetzt das Wort der Herr Abgeordnete Kluckert!

[Markus Pauzenberger (SPD): Nicht trinken, sondern reden! – Dr. Frank Steffel (CDU): Noch ein Würstchen?]

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich weiß, Sie können es gar nicht erwarten, dass es losgeht. So will ich auch gleich beginnen. – Die Berliner Justizverwaltung macht gegenwärtig nicht durch Leistung und Erfolge auf sich aufmerksam. Leider sind es eine Medikamentenaffäre, haltlose Zustände in den Gefängnissen, Personalmangel in allen Bereichen, Kommunikationsfehler sowie persönliche Grabenkämpfe zwischen der Senatorin und Justizbediensteten, welche das öffentlich wahrgenommene Bild prägen.

Niemand, der an einer schlagkräftigen und effizienten Justiz interessiert ist, kann ein Interesse daran haben, dass die Führungsspitze mit hausgemachten, unnötigen und teilweise selbst verschuldeten Imageproblemen zu kämpfen hat und von den wirklichen Problemen abgelenkt ist. Ich sage Ihnen, Frau Senatorin von der Aue, Sie sollten Ihre Zeit nicht mit Interviews verschwenden, die die politische Kernaussage transportieren: „Ich bin eigentlich ganz nett – wirklich.“ – Sagen Sie uns lieber, wann Sie gedenken, das Jugendstrafvollzugsgesetz hier als Gesetzentwurf einzubringen. Sagen Sie uns lieber, mit welchen konkreten Forderungen Sie zur Haushaltsvorbereitung in den Senat gehen.

[Beifall bei der FDP – Dr. Klaus Lederer (Linksfraktion): Das ist ja knallhartes Zurückrudern!]

Der Leiter der Intensivtäterabteilung, Oberstaatsanwalt Reusch, hat Anfang dieses Monats im „Spiegel“ den Eindruck erweckt, in Berlin werde Untersuchungshaft auch aus gesetzlich nicht zulässigen Gründen verhängt. Daran gibt es nichts zu beschönigen, meine Damen und Herren von der CDU.

[Vereinzelter Beifall bei der FDP]

Daran gibt es auch nichts Herumzuinterpretieren, auch wenn es in dieser Woche verschiedentlich versucht worden ist.

[Beifall bei der FDP]

Diese Äußerung bedauern wir. Wir können sie auch nicht akzeptieren.

[Beifall bei der FDP, der SPD, der Linksfraktion, und bei den Grünen]

Die Bindung der staatlichen Gewalt an das Gesetz, ob einem das Gesetz passt oder nicht, ist die Grundlage unseres Staates. Wer daran öffentlich Zweifel aufkommen lässt, kann sich des Einspruchs der Liberalen sicher sein.

[Beifall bei der FDP]

Deshalb ist es auch richtig und notwendig gewesen, dass die Senatsverwaltung den Äußerungen entgegengetreten ist. Niemand von uns aber unterstellt Herrn Oberstaats

anwalt Reusch, dass er den Eindruck bewusst erwecken wollte, in Berlin setze man sich über das Gesetz hinweg. Vielmehr sind wir davon überzeugt, dass es sich um unglückliche Formulierungen handelt, die in einem Streitgespräch entstanden sind, angesichts der Laissez-faire-Mentalität eines von der Wirklichkeit abgehobenen Gesprächspartners.

[Beifall bei der FDP]

Deshalb können wir es nicht gutheißen, Frau Senatorin, dass durch die Ankündigung disziplinarrechtlicher Schritte gegen Oberstaatsanwalt Reusch eine unverhältnismäßig harte Reaktion in den Raum gestellt worden ist. Wir können es auch nicht gutheißen, dass Sie durch die Herstellung von Öffentlichkeit in diesem Disziplinarverfahren einen verdienten Staatsanwalt unnötig beschädigt haben. Herr Dr. Lederer, die Öffentlichkeit ist nicht erst durch die Grünen im Ausschuss hergestellt worden.