Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich eröffne die 86. Sitzung des Abgeordnetenhauses von Berlin und begrüße Sie, unsere Gäste und Zuhörer sowie die Medienvertreter sehr herzlich.
Zuerst komme ich zum Geschäftlichen. Am Dienstag sind vier Anträge auf Durchführung einer Aktuellen Stunde eingegangen:
1. Antrag der Fraktion der SPD und der Linkspartei.PDS zum Thema: „Berlin auf dem richtigen Weg: konsequenter Subventionsabbau durch Ausstieg aus der Anschlussförderung – Vermeidung sozialer Härten für die Mieterinnen und Mieter“,
2. Antrag der Fraktion der CDU zum Thema: „Gewalt an Schulen: sexuelle Nötigung, Vergewaltigung unter Minderjährigen, Happy Slapping, und der Senat schaut hilflos zu“,
3. Antrag der Fraktion der Grünen zum Thema: „Rotroter Senat greift Berliner/-innen in die Tasche – Preistreiberei bei Gas, Wasser, Strom!“,
4. Antrag der Fraktion der FDP zum Thema: „5 Jahre rot-roter Senat: mehr arme Kinder, verrohte Jugendliche, überforderte Lehrer und Schulen ohne Perspek tive!“.
Im Ältestenrat konnten sich die Fraktionen nicht auf ein gemeinsames Thema verständigen. Ich rufe daher zur Begründung der Aktualität auf. Das Wort erhält Herr Radebold von der Fraktion der SPD. – Bitte schön!
Meine Damen und Herren! Zur Aktualität unseres Antrages sei vorangestellt, dass Fragen der Wohnungswirtschaft und der Wohnungspolitik immer im Mittelpunkt gesellschaftlicher Auseinandersetzungen standen, ganz besonders unter dem Aspekt der Versorgung weiter Bevölkerungsschichten mit angemessenem Wohnraum. In den unterschiedlichen Gesellschaftsformen gab es dafür unterschiedliche Antworten zur Beteiligung der öffentlichen Hand an der Finanzierung von bezahlbarem Wohnraum. Das Berliner Modell, das zur Diskussion stand – 15 Jahre Förderung, 15 Jahre Anschlussförderung –,
hat uns finanzielle Lasten aufgebürdet, von denen wir der Meinung waren, dass sie so nicht länger tragbar sind und dass wir daraus einen Ausweg brauchen. Nach langen Diskussionen haben sich im Jahre 2003 Senat und Abgeordnetenhaus dazu entschlossen, die Anschlussförderung nicht weiter zu gewähren. Das hat, wie Sie wissen, zu gerichtlichen Auseinandersetzungen geführt, die durch das Bundesverwaltungsgericht im Sinne Berlins entschieden wurden.
Herr Kollege Radebold, entschuldigen Sie die Unterbrechung! Ich möchte dafür sorgen, dass so viel Ruhe herrscht, dass man Ihnen ohne grö
ßere Beeinträchtigungen folgen kann. – Meine Damen und Herren, ich bitte Sie, Ihr Platznehmen, Verteilen und Begrüßen etwas leiser zu gestalten! Ja, so ist es gut! – Bitte schön, Herr Kollege Radebold!
Wir konnten mit großer Genugtuung feststellen, dass das Bundesverwaltungsgericht den Argumenten des Landes Berlin zur Streichung der Anschlussförderung gefolgt ist – ein deutlicher Erfolg für die Koalition und speziell für den Finanzsenator. Wir haben damit Sicherheit im Haushalt erlangt, was bei gerichtlichen Entscheidungen ja stets fraglich ist. Auf hoher See und vor Gericht ist man nie so sicher.
Bevor wir diesen Antrag gestellt haben, haben wir uns mit zwei Themen beschäftigt, unter anderem mit den Härtefallregelungen. Wir haben Härtefallregelungen speziell für die Mieter getroffen, für einen allgemeinen Mietausgleich und darüber hinaus – in Sonderfällen – auch für einen zusätzlichen Mietausgleich gesorgt. Wir gewähren Umzugskostenhilfe und begleiten all dies mit einem umfangreichen Beratungsangebot. Soweit ich es verfolgen kann, haben sich diese Modelle bislang bewährt. Im Haushalt haben wir dafür Vorsorge getroffen.
Anlass für unseren Antrag zur Aktuellen Stunde ist, dass wir noch einmal darüber diskutieren müssen, ob es noch Nachsteuerungsbedarf gibt. In Folge der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts werden wir uns auch mit den Sonderfällen beschäftigen müssen, für die wir in einem anderen Paket Härtefallregelungen vorgesehen haben. Für die selbstnutzenden Eigentümer haben wir vorgesehen, dass wir sie nicht allein lassen wollen, wenn sie in eine finanziell schwierige Situation geraten. Darüber hinaus haben wir weitere Härtefallregelungen für spezielle Eigentumsformen, für karikative Einrichtungen, für Stiftungen mit besonderem Inhalt und auch für Genossenschaften vorgesehen. Aktuell gilt es zu prüfen, ob sich die vorgesehenen Regelungen auf dem Hintergrund des Urteils des Bundesverwaltungsgerichts weiterhin bewähren. Meiner Einschätzung nach sind wir auf einem guten Weg, aber wir sollten diese Thematik in der Aktuellen Stunde noch einmal diskutieren. – Schönen Dank!
Danke schön, Herr Kollege Radebold! – Für die Fraktion der CDU erhält nun Frau Abgeordnete Schultze-Berndt das Wort. – Bitte schön!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Berliner Schulen sind in den letzten Wochen leider immer wieder in die Schlagzeilen geraten – wegen Gewalt und wegen eines massiven Verlustes an Werten. Wir hören Berichte über Exzesse an der RütliSchule, in der Lehrer nicht mehr unterrichten können, weil Jugendliche den Unterricht stören, unmöglich machen und im schlimmsten Fall Mitschüler oder Lehrer mit Gewalt bedrohen. Wir hören von Gewaltvorfällen, in deren Folge ein Jugendlicher unter Polizeischutz zur Schule begleitet werden muss, und wir hören von einem Fall, bei
Was läuft falsch in der rot-roten Familienpolitik, dass Eltern zu einem Gespräch über die Tat in der Schule einfach nicht erscheinen und das Jugendamt nach einer Woche noch keinen Kontakt mit Tätern und anderen Beteiligten aufgenommen hat?
Was läuft falsch in der rot-roten Integrationspolitik, dass gerade in einer Schule, die stolz auf ihre nationale Vielfältigkeit sein kann, nicht in ausreichendem Maß das Bewusstsein für ein menschliches Miteinander entwickelt wurde? Was läuft falsch in der rot-roten Sozial- und Frauenpolitik,
dem mit unglaublicher Brutalität vier Schüler eine 16jährige Schülerin vergewaltigen und ihre Untaten dann auch noch filmen – ein Vorfall, der einen fassungslos zurücklässt. Wir hören von einer Verdreifachung der Gewaltdelikte in den Schulen seit dem Schuljahr 2001/2002 unter der Ägide von Rot-Rot, was im krassen Missverhältnis zu der davor sehr viel langsameren Entwicklung steht.
Meine Fassungslosigkeit ist grenzenlos, wenn man das schreckliche Geschehen im Einzelnen betrachtet.
Die jugendlichen Vergewaltiger sind Schüler einer Vorzeigeschule: Die Poelchau-Schule ist eine Gesamtschule, sie ist sportbetont und zieht Schüler aus dem gesamten Berliner Stadtgebiet an. Die Schülerschaft ist heterogen, knapp 15 % der Schüler sind nichtdeutscher Herkunft, es gibt Kleinklassen zur besonderen Förderung von Schülern mit Migrationshintergrund. 26 Jugendliche werden in diesen Klassen gefördert. Bei der Rütli-Schule gab es die Erklärung, die Schule liege in einem sozialen Brennpunkt, hier sei eine soziale Entmischung geschehen. Gleichzeitig – das als Bemerkung am Rande – wird diese Schule in der Schulstatistik der Senatsverwaltung für ihre besonders erfolgreiche Gewaltprävention gelobt. Man fragt sich, woher der Realitätsverlust beim Schulsenator kommt, wenn er das so kommentiert und gleichzeitig diese Ereignisse passieren.
Für die Poelchau-Schule gilt all das nicht, was für die Problemlage der Rütli-Schule genannt wird. Die jugendlichen Vergewaltiger kommen von einer Schule, die all das repräsentiert, was die rot-rot-grünen Blütenträume von der Einheitsschule ausmachen. Das zeigt, dass die Berliner Bildungspolitik von Rot-Rot versagt. Es gibt keine Entschuldigung oder gar ein Verstecken hinter dem hilflosen Benennen solcher Zustände als Einzelfälle oder gar der Grundverantwortung der Elternhäuser und Schulen. In dieser Häufung sind es eben längst keine Einzelfälle mehr.
Deshalb muss heute darüber gesprochen werden, warum die Maßnahmen der Gewaltprävention wirkungslos verpuffen.
Was läuft falsch in der rot-roten Bildungspolitik, dass gerade an einer Schule, die aus einer sozial ausgewogenen Mischung, aus Schülerinnen und Schülern aus allen Berliner Bezirken und aus Brandenburg besteht, kein allgemein gültiger Wertekodex vermittelt werden kann? Was läuft falsch in der rot-roten Jugendpolitik, dass die Täter eine Woche nach der Tat zwar von der Schule suspendiert sind, aber ohne pädagogische, therapeutische oder juristische Betreuung zu Hause sitzen?
dass gerade Schülern einer Schule, die immerhin zu 40 % von Mädchen besucht wird, eine entsprechende Achtung vor der Würde eines Mädchens – noch dazu eines mit Behinderung – nicht vermittelt wird? Was läuft falsch in der rot-roten Innenpolitik,
wenn jetzt schon klar ist, dass es Monate dauern wird, bis die Täter ihr Urteil vor Gericht erhalten und dass darüber hinaus die bestehenden Gesetze eine Ahndung der Vergewaltigung als Bagatelldelikt vornehmen werden bzw. ein Täter auf Grund seines Alters völlig unbehelligt davonkommt? Was läuft falsch in der rot-roten Berliner Regierung,
dass der Regierende Bürgermeister eine Woche lang nicht Stellung nimmt, sondern mit lockerer Miene „arm, aber sexy“ propagiert und gleichzeitig die Gewalt in den Schulen überhand nimmt?
Es wird allerhöchste Zeit, dass der rot-rote WowereitSenat Farbe bekennt, sein Versagen in der Bildungs- und Jugendpolitik eingesteht und die Versager ihre persönliche Verantwortung übernehmen.
Berlin kann mehr. Berlin kann es besser. Wir wollen nicht länger sehen, wie der Senat bastelt, flickt, ausprobiert und Feuerwehr spielt. Es müssen endlich klare Strukturen geschaffen werden. Wir fordern: Null Toleranz gegenüber Gewaltexzessen und der Zerstörung unserer gemeinsamen Werte!
Sie genehmigen fast jede Tariferhöhung, die von den Unternehmen verlangt wird, schreiben konzernhörige Geset
zesentwürfe, wie das brandneue Betriebegesetz, und in den Aufsichtsgremien der Unternehmen drehen Sie aktiv an der Preisschraube und verabschieden Wirtschaftspläne, die ohne Preiserhöhungen gar nicht auskommen, wie ganz aktuell bei der BVG.
Nur eins tut dieser Senat nicht, nämlich die Bürger schützen, denn dazu müssten Sie die Monopolstellung der Versorgungsunternehmen knacken – egal, ob sie privatisiert oder verstaatlicht sind – und mehr Wettbewerb in die Daseinsvorsorge bringen.