Protocol of the Session on April 6, 2006

Für meine Fraktion sage ich aber auch, dass eine Änderung der Schulstrukturen allein – darauf hat Frau Bluhm verwiesen – das Problem nicht lösen wird.

[Dr. Lindner (FDP): Mehr sagen Sie ja nicht!]

Aber – der Teil gehört auch dazu, Herr Böger – ohne eine Änderung der Schulstruktur wird es nicht gehen. Es ist seit 20 Jahren überfällig, den Schultyp Hauptschule aufzulösen. Dies gilt nicht nur für einzelne Hauptschulen, sondern für alle. Bezüglich der positiv auffallenden Hauptschulen, auf die jetzt immer wieder verwiesen wird, müssen Sie auch dazu sagen, dass sich diese zum Teil nicht an den Lehrplan halten. Deswegen sind sie erfolgreich.

[Frau Senftleben (FDP): Sie sind so erfolgreich, weil sie eigenverantwortlich handeln!]

Sie dürfen beispielsweise keine Referendare ausbilden. Das gehört zur Wahrheit dazu.

[Beifall bei den Grünen]

Wir wollen eine gemeinsame Schule für alle Kinder, halten es aber auf dem Weg dorthin für akzeptabel, die Haupt- und Realschulen zu einer integrativen Schule zusammenzuführen. Versperren Sie sich diesem notwendigen Schritt nicht länger, Herr Böger!

Und hier hat sich in dieser Woche gezeigt, meine Damen und Herren von der CDU, dass das liberale Bild, das Ihr Spitzenkandidat, Herr Friedbert Pflüger, so gern ausstrahlen will, nur ein ganz dünnes, kurzes, fadenscheiniges Mäntelchen ist. Sein Erziehungskatalog für Einwandererfamilien und sein Maßnahmekatalog für Schulen lesen sich wie eine schönbohmsche Kasernenordnung: deutsche Höflichkeit und Pünktlichkeit, Pflichtbewusstsein, Metalldetektoren, Videokameras, geschlossene Heimunterbringung, Kurzarrest, Fahrverbote, Abschiebung.

[Mutlu (Grüne): Maske!]

Wer sich Frank Henkel als Wahlkampfmanager sucht, steht eben ganz schnell, ganz nahe bei Jörg Schönbohm. Und das ist das Gegenteil von dem, was diese Stadt braucht, Herr Henkel.

[Beifall bei den Grünen, der SPD und der Linkspartei.PDS]

Dabei hätte es durchaus auch Besonnene gegeben, auf die sich Herr Pflüger hätte beziehen können. Zum Beispiel Armin Laschet, den nordrhein-westfälischen Integrationsminister, der darauf hinwies, dass der Ruf nach Abschiebung an den Problemen vorbeigeht, dass es darum geht, diejenigen zu integrieren, die hier leben. Damit formuliert Herr Laschet, was Grüne in diesem Land kaum noch sagen können, ohne als „Wattebäuschchenwerfer“ oder „Sozialromantiker“ bezeichnet zu werden – dass es sich bei den Schülern der Rütli-Oberschule um sozial desorientierte Jugendliche handelt. „Sie sind an den Problemen am wenigsten schuld“, sagt Herr Laschet wörtlich. Da hat er Recht – im Gegensatz zu Ihnen, Herr Zimmer.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Präsident! Eins muss man noch einmal deutlich sagen, auch wenn Ihnen das nicht in den Kram passt: Friedbert Pflüger hat eine klare Grenze gezogen zwischen denjenigen, die rechtschaffen sind und denjenigen, die nicht rechtschaffen sind. Das hat überhaupt nichts mit der Frage Ausländer oder nicht Ausländer zu tun.

[Beifall bei den Grünen – Hoffmann (CDU): Daran ist der rot-rote Senat schuld!]

Es ist schon ein Fortschritt, dass Herr Pflüger die Frontlinie nicht mehr bei „Deutschen versus Ausländern“ sieht. Dann greift er aber doch wieder in die Klamottenkiste des Ausländerrechts oder fordert die Kürzung des Kindergeldes, anstatt überforderten Eltern Hilfe und Unterstützung zu geben, ohne aber – und das sage ich ebenfalls – sie auch in die Verantwortung zu nehmen und für ein Schulsystem zu sorgen, das soziale Ungleichheit nicht reproduziert und Migrantenkindern sozialen Aufstieg über Bildung erst ermöglicht. Die Kinder und Jugendlichen der Migranten sind nämlich auch unsere Kinder, weil wir in dieser Stadt und in diesem Land in einer gemeinsamen Gesellschaft leben.

Integration ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, und wir müssen alles mobilisieren, um diese Integration zu bewerkstelligen. Entscheidend sind aus meiner Sicht die Schule und auch die Arbeitsmarktpolitik. Über die Schule erreichen wir die Jungen. Wir können es uns nicht leisten, eine ganze Generation von Schulpflichtigen einfach abzuschreiben. Aber wie erreichen wir diejenigen, die ohne Schulabschluss sind, die mittlerweile – schon seit Jahren – ohne ausreichende Qualifikation auf der Straße stehen? – Für sie brauchen wir gezielte Angebote der Arbeitsmarktpolitik. Keine kurzfristigen Ein-EuroJobs, sondern Schulabschlüsse, Ausbildung und Qualifikation, die im Arbeitsleben wirklich nachgefragt werden.

[Beifall bei den Grünen]

Dazu sind die Jobcenter derzeit nicht in der Lage, weil sie kein qualifiziertes Personal und keine qualifizierten Maßnahmen anbieten können, aber das werden wir brauchen.

Wir brauchen aber auch die Berliner Wirtschaft. Denn nur mit außerbetrieblichen Maßnahmen werden wir nicht weiterkommen. Warum werden von der Berliner Wirtschaft nicht zehn Ausbildungsplätze für die zehn besten Schülerinnen und Schüler der Rütli-Schule zur Verfügung gestellt

[Beifall bei den Grünen]

oder Patenschaften für Schulen mit Lehrstellenangeboten für die Besten? Nur wer Perspektiven hat, wird sich entwickeln.

Wir brauchen jetzt eine gemeinsame Anstrengung von allen – Schulen, Betrieben, Parteien, Vereinen und Gruppen. Lassen Sie uns ein Bündnis für Integration, einen Runden Tisch einrichten, um die Integration auf eine neue Grundlage zu stellen!

[Zuruf der Frau Abg. Senftleben (FDP)]

Es ist höchste Zeit, sich zur Integration zu bekennen und sie durchzusetzen. Es geht, wie Heribert Prantl in dieser Woche in der „Süddeutschen Zeitung“ sagt,

um die zweite deutsche Einheit, um die zwischen Alt- und Neubürgern, also zwischen den Bürgern deutscher und nichtdeutscher Herkunft.

Deshalb, Herr Wowereit, ist es Ihre Aufgabe als Regierender Bürgermeister dieser Stadt, diesen Prozess anzuschieben. Nicht nur der Flughafen muss Chefsache sein, auch die vor uns liegende Aufgabe der Integration.

[Beifall bei den Grünen]

Vielen Dank, Frau Kollegin Dr. Klotz! – Das Wort zu einer Kurzintervention erhält jetzt der Kollege Zimmer. – Bitte schön!

[Liebich (Linkspartei.PDS): Die Schüler sind doch nicht schuld?]

[Zurufe von der Linkspartei.PDS]

Was er zu Recht gesagt hat, das steht in Ihrem Aufenthaltsgesetz – was im Übrigen Rot-Grün beschlossen hat. Sie können die Frage der Kriminalität offensichtlich nicht von den Vorgängen an der Rütli-Schule und an anderen Schulen trennen.

[Zuruf der Frau Abg. Baba (Linkspartei.PDS)]

Da geht es auch um Straftaten, da können Sie nicht wegsehen, da geht es um Erpressung, da geht es um Raub, da geht es um BtM-Delikte. Und da ist richtig: Wer sich nicht an die Regeln hält, der hat mit den Mitteln des Aufenthaltsrechts Bekanntschaft zu machen. Das heißt im Zweifelsfall auch Abschiebung.

[Beifall bei der CDU – Zurufe von der Linkspartei.PDS – Liebich (Linkspartei.PDS): Und was ist mit den deutschen Schülern?]

Dass man sich auch mit den deutschen Straftätern auseinander setzen muss, noch dazu, wenn es Jugendliche sind, ist richtig, aber dass wir an der Stelle lange Zeit zu lasch gewesen sind, ist doch wohl auch klar, sonst hätten wir die Zustände nicht, die wir haben.

[Beifall bei der CDU – Zurufe von der Linkspartei.PDS]

Also hier geht es um die Unterscheidung zwischen „rechtschaffen“ und „kriminell“, aber auch zwischen „integrationswillig“ und „integrationsunwillig“. Das hat nichts mit „liberal“ und „nichtliberal“ zu tun, das hat etwas damit zu tun, ob man auf der Grundlage von Recht und Ordnung steht oder nicht. Und da bin ich froh, dass sowohl unser Spitzenkandidat Friedbert Pflüger als auch der von Ihnen eben gescholtene, aber von mir als Wahlkampfleiter sehr geschätzte Frank Henkel auf der Grund

Herr Präsident! Verehrte Damen, meine Herren! Wir haben alle erfahren, was das Schreiben der verzweifelten Lehrerschaft der Rütli-Schule in Deutschland, nicht nur in Berlin, ausgelöst hat – eine brei

te Diskussion. Man kann keine Zeitung, keinen Radio- oder Fernsehsender mehr wahrnehmen, ohne dass es um dieses Thema geht. Ich schicke einmal eins voraus: Von allen bildungs-, wirtschafts-, integrationspolitischen Aspekten, über die noch zu sprechen ist, ärgert mich eine Sache dabei ganz besonders: Wir reden über Phänomene an der Rütli-Schule, die genauso gut in München, in Frankfurt, in Hamburg oder anderen deutschen Städten auftreten und zu Folgen führen können. Aber durch das Versagen der hiesigen Schulverwaltung unter Klaus Böger als Senator ist dieses Phänomen verbunden mit Berlin. Sie haben durch Ihr zögerliches, schlampiges Verhalten Schande über Berlin gebracht. Das ist ärgerlich!

Wir können noch so viele Anstrengungen unternehmen, Geld geben zu Partner für Berlin und werben für diese Stadt – Sie haben ein Phänomen, das überall in Deutschland vorkommen kann, durch Ihre Schlampigkeit und Zögerlichkeit mit Berlin verbunden. Das verurteilt meine Fraktion auf das Schärfste.

lage von Recht und Ordnung steht – anders als viele Schüler, über die wir hier reden. – Herzlichen Dank!

[Beifall bei der CDU – Zurufe von der Linkspartei.PDS und den Grünen]

Danke schön, Herr Kollege Zimmer! – Frau Dr. Klotz repliziert jetzt. – Bitte schön!

Ja, das muss ich an der Stelle auch. Ich finde es unglaublich, in welcher Art und Weise die Rütli-Schule von Ihnen stigmatisiert wird.

[Mutlu (Grüne): Und instrumentalisiert!]

Es wird der Anschein erweckt, als seien dort fast alle kriminell. Ich habe auch den Eindruck, sie wird von Ihnen nicht nur stigmatisiert, sondern auch instrumentalisiert.

[Beifall bei den Grünen, der SPD und der Linkspartei.PDS]

Ich gehe noch weiter. Man hat auch den Eindruck: Wäre der Brief nicht von den Lehrerinnen und Lehrern geschrieben worden, hätten Sie ihn geschrieben, Herr Zimmer. – Zum Ersten.

Zum Zweiten: Natürlich brauchen wir Regeln. Das ist überhaupt keine Frage. Und diese Regeln müssen auch eingehalten werden. Und wenn sie nicht eingehalten werden, müssen darauf auch Reaktionen und Sanktionen folgen.

[Henkel (CDU): Aha!]

Woher kommen Sie denn eigentlich? Das ist doch logisch, Herr Henkel!