Protocol of the Session on November 24, 2005

Wir sind in der Diskussion, das wissen Sie, und es wird nicht leichter und besser dadurch, dass Sie jetzt mit diesem Antrag in dieser Weise vorpreschen.

[Beifall bei der SPD und der Linkspartei.PDS]

Gerade Ihr Beitrag hat gezeigt, dass es bei der Verbesserung der direkten Demokratie erheblichen Diskussionsbedarf gibt. Wir müssen die Einzelheiten sorgfältig abwägen, und wenn Sie in Ihrem Antrag so apodiktisch diese Forderungen aufstellen, dass bestimmte Dinge unbedingt zugelassen und die Quoren in einer ganz bestimmten Weise abgesenkt werden müssen, dann zeigt das, dass wir hier noch sehr viel Beratungsbedarf haben.

[Beifall bei der SPD]

Ich will eine weitere Vorbemerkung machen. Das, was Sie suggerieren, nämlich dass es ein Problem sei, wenn ein Volksbegehren scheitert, können wir nicht in jedem Fall teilen. Wenn ein Volksbegehren nicht erfolgreich ist, dann liegt es nicht unbedingt daran, dass das Gesetz schlecht ist, sondern dass es möglicherweise nicht genügend Resonanz in der Bevölkerung findet. Das muss man auch in der Betrachtung der gesetzlichen Grundlagen berücksichtigen.

Dennoch darf ich festhalten, dass die SPD selbstverständlich für mehr Teilhabe an den Gesetzgebungsprozessen eintritt und dass wir schon immer für eine Auswei

tung der Beteiligungsmöglichkeiten eingetreten sind. Wir sehen darin eben gerade keinen Gegensatz zur repräsentativen Demokratie, sondern ihre notwendige Ergänzung und eine Belebung. Deswegen sind wir prinzipiell sehr wohl dafür.

[Beifall der Frau Abg. Oesterheld (Grüne)]

Wir haben das auch dadurch gezeigt, dass wir bisher in den Bezirken diese Instrumente und auch das Wahlalter von 16 Jahren für die BVVs eingeführt haben.

Worum geht es jetzt? – Jetzt geht es um die Landesebene. Was haben wir auf der Landesebene? – Wir haben bereits die Instrumente der Volksinitiative, des Volksbegehrens und des Volksentscheids. Es ist nicht so, dass wir hier im Niemandsland wären. Es ist auch nicht so, dass in Berlin überhaupt nichts geschehen ist. Wir sind in der Inanspruchnahme dieser Instrumente bundesweit durchaus im Mittelfeld, wenn man die Volksinitiative mitrechnet. Es ist nicht ganz so, dass wir hier absolut die rote Laterne hätten. Es geht darum, dass wir uns um drei entscheidende Fragen kümmern: Es geht um die Quoren, um die Ausnahmetatbestände und um bestimmte Verfahrensregelungen, um Fristen und Ähnliches, wo man ansetzen und nachdenken kann, was zu tun ist.

Bei den Quoren müssen wir sorgfältig abwägen, in welcher Weise wir hier die vorhandenen Quoren, die es auf Landesebene gibt, absenken können oder müssen. Das kann man nicht einfach aus der Hüfte mit der Bestimmung einer Zahl tun, sondern wir müssen klären, welche Ergebnisse eine bestimmte Zahl zeitigt. Wir müssen uns die Beteiligungsquoren und die Abstimmungsquoren genau angucken und dazu insbesondere auch die Erfahrungen anderer Bundesländer auswerten. Ich bin sehr dafür, dass wir dies sorgfältig tun. Ich habe nicht die Hoffnung, dass wir das in einem kurzen Verfahren, wie Sie sich das vorstellen, hinbekommen.

Es gibt einen zweiten Punkt, die Ausschlusstatbestände. Auch da zeigt sich, dass das, was Sie hier vorgetragen haben, die Sache eher schwierig macht. Wir haben jetzt durch das Landesverfassungsgericht erfahren, dass eine Entscheidung, das Begehren der Bankeninitiative, hier im Ergebnis, die Bank in die Insolvenz zu treiben, sehr wohl eine haushaltsmäßige Auswirkung hat.

[Ratzmann (Grüne): Das ist ja klar!]

Gerade dieses Verfahren zeigt exemplarisch, dass es absolut richtig ist, Haushaltsthemen aus den Volksbegehren herauszunehmen. Das zeigt gerade, dass wir hier noch einen Dissens haben, über den wir ausführlich debattieren müssen. Wir wollen jedenfalls nicht, dass im Wege der Volksgesetzgebung das Budgetrecht des Parlaments ausgehebelt wird oder im Wege der Volksgesetzgebung eine Bank geschlossen werden kann. Das halten wir für nicht zulässig.

[Beifall bei der SPD – Beifall des Abg. Thiel (FDP)]

Es bleiben also die Themen Verfahren und Fristen. Da können wir uns vorstellen, eventuell in kürzerer Zeit zu Verbesserungen zu kommen. Wir wollen uns nicht den machbaren Verbesserungen möglicherweise unterhalb von Verfassungsänderungen verschließen. Wir können uns vorstellen, dass etwa Sammlungsfristen verlängert werden u. ä. Darüber würde ich bitten, ernsthaft zu diskutieren. Vielleicht können wir gemeinsam einen Schritt weitergehen und neben den bereits beschlossenen Verbesserungen eine weitere hinzufügen. Dann können wir vielleicht in diesen Punkten bis zur Wahl noch einiges bewegen. – Herzlichen Dank!

[Beifall bei der SPD – Vereinzelter Beifall bei der Linkspartei.PDS]

Danke schön, Herr Kollege Zimmermann! – Für die CDU hat der Kollege Braun das Wort. – Bitte sehr!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, viele wissen gar nicht so recht, worüber wir hier heute sprechen.

[Heiterkeit – Ritzmann (FDP): Das ist ein guter Anfang!]

Den Eindruck hat man schon ein bisschen gewonnen.

[Zurufe von links]

Herr Mutlu, bleiben Sie ganz ruhig! – Ich möchte versuchen, die Debatte ein bisschen zu versachlichen.

[Gelächter links]

Wir haben einerseits Volksinitiativen. Sie sind dazu da, die Bürger zu veranlassen, sich ans Parlament zu wenden, damit sich das Parlament mit einer bestimmten Thematik, was auch immer, beschäftigt. Dafür sind 90 000 Unterschriften notwendig. Da stellt sich schon die erste Frage, ob es tatsächlich notwendig ist, ob dieses Instrument tatsächlich benutzt werden muss. Ich sage Ihnen: Ich habe noch kein einziges Thema gesehen, das in der Öffentlichkeit diskutiert wurde, das nicht über die eine oder andere Fraktion dieses Hauses auch ins Abgeordnetenhaus eingebracht und parlamentarisch erörtert wurde. [Beifall bei der CDU – Zuruf des Abg. Liebich (Linkspartei.PDS)]

Kein einziges Problem in Berlin wurde nicht hier in irgendeiner Form – als Antrag, als Gesetz – ins Parlament eingebracht. Nennen Sie mir eines, wenn ich das übersehen haben sollte.

Interessanter ist schon die Frage, wie wir mit Volksbegehren und Volksentscheid umgehen. Dazu ist erst einmal eine Initiative notwendig – das wurde schon gesagt –, in der 25 000 Bürger der Stadt ein Volksbegehren initiieren. Erst wenn diese 25 000 Unterschriften beisammen sind, wird ein Volksbegehren eingeleitet, wo wir nach der aktuellen Verfassungslage 10 % der Wahlberechtigten für dieses Thema benötigen. Mit dem Volksbegehren kann man weitergehen, da kann man Gesetze erlassen, ändern, aufheben, und vor allen Dingen – das hat

ten wir einmal in früheren Jahren, Sie werden sich erinnern – kann man sogar zu einer vorzeitigen Beendigung der Wahlperiode kommen.

[Liebich (Linkspartei.PDS): Zum Glück!]

Wenn wir bei diesem Thema überhaupt über ein Problem reden, brauchen wir nur über Volksbegehren und Volksentscheid reden. Es stellt sich also die Frage: Ist es notwendig, hier zu einer Änderung zu kommen? – Da kann man schon die Frage aufwerfen, warum es in den letzten zehn Jahren, wo so etwas in der Stadt möglich gewesen ist, nicht zu einem Volksbegehren gekommen ist. Ich finde, Herr Zimmermann stellt zu Recht fest, möglicherweise war das Thema den Bürgern nicht relevant genug, um ein solches Verfahren durchzuführen. Oder anders gefragt: Ist es tatsächlich im Interesse der Stadt, wenn nicht einmal 25 000 Bürger sich bereit erklären, so etwas zu initiieren, die Quoten herunterzusetzen und dann zu einem anderen Verfahren zu kommen? Warum ist das problematisch? Es geht hier nicht, wie ich meine, um die Wahrnehmung von Lobbyinteressen, das riecht nämlich ein bisschen danach, wenn man sagt, man setzt das Quorum so tief, dass nur noch bestimmte Lobbyinteressen mit kleineren Quoren durchgesetzt werden, sondern es geht tatsächlich um eine Bürgerbeteiligung eines größeren Teils der Bürgerschaft dieser Stadt.

Da müssen wir uns immer wieder die Frage stellen: Handeln sie tatsächlich – das ist nachher die Debatte – im öffentlichen Interesse? Ich bestreite, wenn diese geringen Quoren, die wir jetzt schon haben, noch nicht einmal in der Vergangenheit erfüllt wurden, dass dies von öffentlichem Interesse war. Offensichtlich waren es doch nur Partikularinteressen. Das ist jedenfalls meine Sorge. Darin unterscheiden wir uns als Parlament übrigens auch von all den Bürgerinitiativen, die es in dieser Stadt gibt, dass wir ausschließlich das öffentliche Interesse – was das ist, mag von den Parteien unterschiedlich beurteilt werden – zu beachten haben und nicht Partikularinteressen. Deswegen meine ich auch, wenn wir hier Einfluss auf die Entscheidungen des Landes Berlin geben sollen, haben wir das in den Vordergrund zu stellen.

[Beifall bei der CDU]

Kurzum, ich finde die Debatte interessant. Ich finde übrigens nicht, dass es schädlich ist, dass hier die Grünen vorgeprescht sind. Warum sollen sie nicht vorpreschen?

[Zuruf des Abg. Doering (Linkspartei.PDS)]

Lassen Sie uns die Diskussion in den Ausschüssen, insbesondere im Rechtsausschuss und in den Fraktionen führen. Das ist eine Anregung. Darüber können wir sprechen. Wir als CDU-Fraktion würden uns auch freuen, wenn man zu größerer Bürgerbeteiligung käme. Wir können uns das z. B. beim Religionsunterricht vorstellen, warum nicht.

[Beifall bei der CDU]

Ich möchte wissen, wie da die Stadt abgestimmt hätte, aber gut.

[Zuruf des Abg. Mutlu (Grüne)]

Wir können uns vieles vorstellen, wo so etwas notwendig ist. Ob die von Ihnen angesetzten Quoren allerdings die richtigen sind, oder ob wir nicht den Weg über ganz andere Formen von Bürgerbeteiligungen gehen sollten, das will ich einmal offen lassen. Wir sehen jedenfalls den Diskussionen sowohl in den Ausschüssen als auch in den Fraktionen mit Interesse entgegen.

[Beifall bei der CDU]

Danke schön, Herr Kollege Braun! – Die Linkspartei.PDS folgt mit Herrn Dr. Lederer, der das Wort hat. – Bitte schön!

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Es hat sich schon gezeigt, dass das Grundanliegen des GrünenAntrags in diesem Haus von vielen Kolleginnen und Kollegen geteilt wird.

[Doering (Linkspartei.PDS): Eben!]

Den Beitrag von eben vergesse ich, da ist schon einmal jemand stark gestartet und hat sich am Ende aus dem Diskurs herausgehalten. Da ging es um die Bürgerentscheide für die bezirkliche Ebene. Das haben wir hier vor wenigen Monaten beschlossen.

Wir haben weitere Partizipationsinstrumente eingeführt oder vereinfacht. Die Quoren wurden so gestaltet, dass die Bürgerbeteiligung nicht allein eine theoretische Möglichkeit ist, sondern auch real durchgeführt werden kann. Damit haben wir einen großen Schritt gewagt, der allerdings dringend notwendig war. Es ist darauf hingewiesen worden, dass das Land Berlin Schlusslicht war.

Von den Christdemokraten abgesehen haben alle Fraktionen die Bedeutung dieses Schrittes betont und haben angekündigt, alsbald auch eine Vereinfachung des Verfahrens der direkten Demokratie auf der Landesebene angehen zu wollen. Diese Ankündigung war richtig. Nun muss sie eingelöst werden.

[Beifall bei der Linkspartei.PDS und den Grünen]

Ist das bis zum Ende der Legislaturperiode noch zu schaffen? Ich räume ein, dass es bei der bezirklichen Ebene lange gedauert hat, bis sich die vier Fraktionen geeinigt hatten, und dass es eines Aufeinanderzugehens bedurfte. Alles in allem ist es jedoch gelungen. Deshalb glaube ich, dass sich die Fraktionen – um die Erfahrung des ersten Projekts reicher geworden – dieses Mal schneller einigen könnten. Z. B. dadurch, dass wir die Quoren, die wir auf Bezirksebene als angemessen erachtet haben, auf die Landesebene übernehmen.

[Beifall bei der Linkspartei.PDS]

Unter Umständen – ich denke, das ist sicher – muss man die Frage der Beendigung der Wahlperiode herausnehmen und isoliert diskutieren. Das ist wohl wahr, aber auch da sollte sich eine Lösung finden lassen. Die Quoren sind insgesamt jedoch zu hoch, so viel ist sicher.

Auch den Ausschlusskatalog zu durchforsten sollte sich machen lassen. Da haben wir das bekannte Problem der haushaltsmäßigen Auswirkungen, um das wir jetzt so ein bisschen herumreden. Natürlich hat jedes Volksbegehren irgendwelche haushaltsmäßigen Auswirkungen. Und man wird die Fragen, die man wirklich ausnehmen will, weil sie das Budgetrecht des Parlaments betreffen, von all den vielen anderen Fragen scheiden müssen, bei denen das nicht der Fall ist, wo das Budgetrecht nicht verletzt ist, bei denen die Anliegen aber trotzdem kosten. Wir wollen, dass diese Fragen auch durch mehr direkte Demokratie entschieden werden können.