Protocol of the Session on November 10, 2005

aus um eine zentrale und spannende Aufgabe für die Rechtspolitik.

Das Beispiel der USA lehrt, dass eine höhere Zahl von Haftplätzen nicht mehr Sicherheit bringt, aber die Gefahr neuer Abhängigkeiten birgt. In einem Land, in dem inzwischen 2 % der erwachsenen Männer inhaftiert sind, wird der Justizvollzug auch zum Wirtschaftsfaktor. Eine solche Entwicklung wollen wir nicht, und es gilt, ihr rechtzeitig vorzubeugen. Das ist aber auch möglich.

Die Lösungsansätze sind vielfältig. Auf der Hand liegt dabei, dass wir die Möglichkeiten eines behandlungsorientierten Vollzugs voll ausschöpfen müssen. Wir brauchen eine optimale Vollzugsplanung, mit dem Ziel, möglichst viele Personen vorzeitig zu entlassen, die auf ein Leben in Freiheit ohne Straftaten auch vorbereitet sind. Der entscheidende Grund für diese Zielsetzung ist übrigens nicht die Haftvermeidung, sondern die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger. Es ist ungleich besser, einen Straftäter auf ein Leben ohne Verbrechen einzustellen, als ihn bis zum Entlassungstermin wegzusperren. Der reine Verwahrvollzug wird weder dem Sanktionsgedanken ausreichend gerecht, noch ist er erfolgreich bei der Prävention. Berlin hingegen ist erfolgreich auf dem Weg der Resozialisierungen. Der bundesweit höchste Anteil am offenen Vollzug ist eine Erfolgsbilanz, Frau Schubert.

Neben der ergebnisorientierten Anwendung des Strafvollzugsgesetzes geht es außerdem um die Ausschöpfung aller Möglichkeiten der Haftvermeidung. Auch auf diesem Gebiet, Herr Ratzmann, arbeitet Berlin erfolgreich. Durch Programme wie „Schwitzen statt sitzen“ konnten im vergangenen Jahr knapp 400 Haftplätze eingespart werden. Dieses Ergebnis verdient Anerkennung. Es ist aber nicht beliebig auszuweiten. Nicht jeder eignet sich für solche Programme. Und schließlich dürfen wir nicht anstehen, auch gegenüber dem Bundesgesetzgeber – und das geht an die Adresse der CDU – das politisch Notwendige zu fordern. Herr Gram! Das deutsche Strafrecht braucht auch ein Korrektiv zu den Verschärfungstendenzen der vergangenen Jahre.

[Gram (CDU): Das habe ich nie bestritten!]

Wir müssen dringend den Strafrechtlern flexiblere Werkzeuge an die Hand geben, und zwar durch ein modernes Sanktionenrecht z. B. zur Vermeidung von Ersatzfreiheitsstrafen. Es könnte dann bei Straftaten mit niedriger Straferwartung auch mit größerer individueller Wirkung bestraft werden. Der Verlust des Führerscheins trifft manchen härter als ein halbes Jahr hinter Gittern, und dann muss das auch möglich sein.

[Gram (CDU): Derartiges habe ich auch vorgeschlagen!]

Die Initiative der Bundesregierung zu diesem Thema ist bisher aber immer an der CDU gescheitert. Ich rufe Sie also auf, Herr Gram, statt einfallslos mehr vergitterte Fenster in Berlin zu fordern, sich gemeinsam mit uns für eine Reform des Sanktionenrechts stark zu machen.

Kommen Sie mit ins Boot – öffentlich und auch auf Bundesebene!

[Beifall bei der SPD und der Linkspartei.PDS]

Wenn sich aber herausstellt, dass alle diese Maßnahmen nicht ausreichen, dann wird die Schaffung zusätzlicher Haftplätze unumgänglich – im schlechtesten Fall auch durch einen Neubau. Die SPD hat kein Interesse an einem Gefängnisneubau. Wir wären glücklich über eine Möglichkeit, die anfallenden Millionenbeträge anderweitig zu verwenden. Wir halten den Neubau aber trotzdem für unumgänglich. Spätestens seitdem die Rechtssprechung Klarheit darüber hergestellt hat, dass eine dauerhafte Mehrfachbelegung von Hafträumen gegen die Menschenwürde verstößt, ist auch der Verzicht auf einen Neubau mit erheblichen finanziellen Risiken verbunden. Berlin kann zurzeit nicht nachweisen, dass dauerhafte Mehrfachbelegungen mit den Bordmitteln, die die Senatsverwaltung für Justiz hat, zu vermeiden ist. Die Möglichkeiten zur Schaffung neuer Haftplätze im Bestand – z. B. durch den Umbau des alten Haftkrankenhauses in Moabit – und zur Haftvermeidung reichen nicht hin und nicht her.

Wir leben in der Gefahr, dass wir erhebliche Schadenersatzleistungen zahlen oder vorzeitige Entlassungen von Gefangenen vornehmen müssen, die wir nicht menschenwürdig unterbringen können. Diese Situation gilt es im Interesse der Berliner Justiz insgesamt zu vermeiden. Die Höhe von Schadenersatz ist nicht kalkulierbar, und öffentliche Debatten über verurteilte Straftäter auf freiem Fuß sind schädlich für den Strafvollzug und für das politische Klima insgesamt. Das gilt es zu vermeiden.

Die Große Anfrage der Grünen unterstellt hingegen, dass der Senat nicht alle bestehenden Möglichkeiten ausgeschöpft hat. Nun ist es das gute Recht der Opposition, die Regierung mit einer solchen Unterstellung zu konfrontieren. Die Verantwortung für die Sicherheit der Berlinerinnen und Berliner und für die Sicherheit des Strafvollzugs trägt aber nicht die Opposition, sondern der Senat. Die Fragen der Grünen und zum Teil auch der FDP im Rechtsausschuss und im Hauptausschuss haben wir mehrfach erörtert und allesamt beantwortet.

[Zurufe von den Grünen: Wann denn?]

Der Hauptausschuss spielt dabei eine wichtige Rolle, denn es geht bekanntlich um erhebliche Summen. Die Fragen werden auch heute noch einmal erneut beantwortet. Geduld ist eine große Stärke dieser Senatsverwaltung, wie sie insbesondere gegenüber der CDU ein ums andere Mal unter Beweis stellt.

[Zuruf des Abg. Ratzmann (Grüne)]

Herr Ratzmann! Es ist doch klar, dass wir ein weiteres Zuwarten nicht verantworten können. Schon die Berliner Gerichte werden angesichts rechtswidriger Überbelegung keine Erklärungen akzeptieren, die darauf hinauslaufen, man müsse erst einmal das Ergebnis neuer Studien, Erhebungen, Prognosen oder Umfragen abwarten. Wir müssen jetzt beweisen, dass wir alles Notwendige tun, um den

eingetretenen Missstand zu beheben und für die Zukunft Vorsorge zu treffen.

[Abg. Ratzmann (Grüne) meldet sich zu einer Zwischenfrage.]

Wenn ein Gefängnisneubau zu diesen Notwendigkeiten gehört, dann wird die SPD-Fraktion ihrer Verantwortung gerecht werden und diese Entscheidung mittragen. Berlins Sicherheit ist das falsche Feld für Experimente. – Vielen Dank!

[Beifall bei der SPD]

Das Wort hat nun Kollege Michael Braun. – Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ehe ich auf die Beantwortung durch Frau Schubert eingehe, erlauben Sie mir bitte ein paar Bemerkungen zum Beitrag von Herrn Ratzmann! Die Anfrage von Herrn Ratzmann ist ganz so, wie wir ihn kennen: Superschlau und oberklug, aber vor allem – und das ist mein Vorwurf an Sie, Herr Ratzmann – sind Sie nicht in der Lage, zwischen Ihrer früheren Tätigkeit als Strafverteidiger und Ihrer jetzigen als Politiker zu trennen. Es ist nicht Ihre Aufgabe im Parlament, sich permanent dafür einzusetzen, dass Ihre Mandanten früher freigelassen werden, bessere Haftbedingungen haben und Ähnliches.

[Mutlu (Grüne): Schwachsinn! Das ist peinlich!]

Das, worauf Sie mit Ihrer Anfrage abzielen, ist tatsächlich eine Freilassung von Gefangenen, von Insassen der Haftanstalten.

[Frau Dr. Klotz (Grüne): Nur die Grünen, die anderen nicht!]

Das Perfide daran ist, dass Sie erklären, der Senat oder die anderen Fraktionen sollen Konzepte entwickeln, anstatt dass Sie selbst einmal nachdenken und diese Konzepte im Rechtsausschuss oder hier im Plenum einbringen. Dann könnten wir nämlich über diese diskutieren. Sie haben immer gute Vorschläge – abstrakt –, aber wenn es konkret wird, haben Sie nur eine Lösung für das Problem der Überfüllung der Berliner Haftanstalten, und die lautet: Lasst die Leute frei! – Herr Ratzmann, das ist zu wenig! Das ist zu wenig für Politik und erst recht zu wenig für verantwortliche Politik.

[Beifall bei der CDU]

Es ist schwer, auf Herrn Felgentreu einzugehen, weil ich nur schwer nachvollziehen kann, was er mit „Glaubensfrage“ bezeichnet hat. Möglicherweise trennt uns da das Eine oder Andere. Ich will auch nicht in Ihr Boot.

[Gram (CDU): In den Luxusdampfer!]

Sie gebrauchen immer wieder solche Beispiele und Bilder, mit denen ich Schwierigkeiten habe. Ich habe aber erst recht Schwierigkeiten mit Ihrer Behauptung, dass insbesondere die Berliner Justizpolitik eine Erfolgsstory sei. Einen ähnlichen Begriff hatte auch Frau Schubert selbst geprägt.

Wie sehen die Bedingungen in den Berliner Haftanstalten tatsächlich aus? – Wir hatten hierzu schon originelle Anfragen im Parlament. Es wurden beispielsweise Katzen für die Justizvollzugsanstalt Tegel angeschafft, weil man in den dortigen Küchen der Mäuseplage nicht mehr Herr wurde. Oder wir haben bereits mehrfach darüber gesprochen, dass die Arbeitsangebote in den Haftanstalten nicht ausreichen. Auch das ist kein Beleg für besonders gut funktionierende Gefängnisse. Erst recht – und das wissen wir alle – ist die Sicherheit in den Gefängnissen durch den Personalabbau schon längst nicht mehr gewährleistet. Wir wissen, dass heute bestimmte Aktivitäten in den Haftanstalten nur deshalb gewährleistet sind, weil bestimmte Gefangene – ich möchte es vereinfacht sagen – sozusagen auf Grund ihrer persönlichen Konstitution dem Wachpersonal Unterstützung leisten. Das sei in aller Allgemeinheit gesagt, und ich glaube, Sie können sich etwas darunter vorstellen.

[Frau Bm Schubert: Dann müssen Sie Strafanzeige stellen!]

Die CDU-Fraktion unterstützt – und das möchte ich an dieser Stelle ausdrücklich klarstellen – den Neubau in Großbeeren.

[Beifall bei der CDU]

Wir bedauern, dass dieser Neubau sehr spät kommt. Die SPD weiß, dass das ein Vorhaben der großen Koalition war – bis 2001. Es ist ein wenig verschleppt worden. Dass wir heute darüber reden – vier Jahre später –, heißt eben nur, dass offensichtlich Bremser im Senat und in den Regierungsfraktionen gesessen haben, die unverantwortlich gehandelt haben.

[Zuruf des Abg. Dr. Lederer (Linkspartei.PDS)]

Warum ist der Neubau notwendig? – Erstens – und das ist hier dargestellt worden – haben wir eine permanente Überfüllung der Haftanstalten. Der Antwort auf eine Kleine Anfrage ist zu entnehmen, dass 163 Häftlinge verfassungswidrig und 112 Häftlinge rechtswidrig untergebracht sind – trotz diverser vollstreckungsunterbrechender Maßnahmen, wobei wir nicht wissen, wie es damit weitergeht. Frau Schubert hat darauf hingewiesen, was dann im Februar 2006 sein wird.

Was wären die Konsequenzen dieser permanenten verfassungs- und rechtswidrigen Unterbringung? – Einige Gerichte in der Bundesrepublik haben bereits deutlichen Schadenersatz zugesprochen, andere nur deshalb nicht, weil die Häftlinge nicht rechtzeitig moniert hatten. Es sind dort im Schnitt Tagessätze von 50 € ausgeurteilt worden. Es kämen also erhebliche Schadenersatzforderungen auf das Land zu, und ich möchte wissen, wer aus der Regierungskoalition dieses verantworten will, wenn jetzt nicht gehandelt wird. Ich möchte sogar einen Schritt weiter gehen: Ich weiß nicht, wie das Kammergericht irgendwann entscheiden wird, wenn diese verfassungs- und rechtswidrigen Zustände von der Politik nicht beendet werden.

[Beifall bei der CDU]

Es wird möglicherweise sogar so weit gehen und sagen: Dann werden wir die Freilassung der Häftlinge verfügen, weil eine derartige Unterbringung nicht gerechtfertigt ist.

[Gram (CDU): Dann gibt es Ärger!]

Wer den Senat in eine solche Situation bringt – wie es die Grünen tun –, der handelt schlicht unverantwortlich.

[Beifall bei der CDU]

Was spricht für Heidering bzw. Großbeeren? – Erstens: Das Grundstück gehört dem Land Berlin. Zweitens: Das Land Brandenburg und die Gemeinde wollen, dass dort eine Haftanstalt gebaut wird. Wie wäre es, wenn wir eine vergleichbar große Haftanstalt in Berlin bauen würden? – Ich kann mir vorstellen, dass wir schon im Planungsverfahren bei Bürgerbeteiligung und Ähnlichem erhebliche Schwierigkeiten hätten, ein solches Vorhaben umzusetzen.

Vor allen Dingen – und darauf kommt es mir an – wird durch die neue Haftanstalt gewährleistet werden, dass das, was das Strafvollzugsgesetz vorschreibt, nämlich die Resozialisierung der Häftlinge, tatsächlich durchgeführt werden kann. Wer sich mit den heutigen Zuständen in den Berliner Haftanstalten auskennt, weiß, dass das unter den jetzigen Bedingungen nur – zurückhaltend gesagt – sehr erschwert möglich ist. Deshalb ist die Haftanstalt auch aus diesem Grund unbedingt notwendig.

[Beifall des Abg. Gram (CDU)]

Nun komme ich zum letzten Punkt. Das ganze Vorhaben wird nur dann erfolgreich sein, wenn wir uns endlich dazu bekennen, dass die Berliner Justiz, und zwar auch die Haftanstalten, deutlich mehr Personal brauchen, als sie im Moment zur Verfügung haben. Wer einmal mit den Justizbeamten spricht, die dort arbeiten, weiß, dass unter den aktuellen Sparmaßnahmen eine vernünftige Betreuung und Sicherung der Haftanstalten nicht mehr möglich ist. Ich befürchte, dass dort Zustände eintreten können, wie wir sie uns alle nicht wüschen. Deswegen genügt die Haftanstalt allein nicht. Wir brauchen in jedem Fall auch weiteres Personal. – Vielen Dank!

[Beifall bei der CDU]

Danke schön, Herr Kollege Braun! – Jetzt hat Herr Ratzmann das Wort zu einer Kurzintervention. – Bitte schön, Herr Ratzmann!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Werter Kollege Braun! Meine Großen Anfragen und Reden sind wenigstens noch schlau und oberklug. Das kann man von Ihren Reden allerdings nicht behaupten, wenn ich das einmal so sagen darf.