Herr Lehmann achtet noch darauf, aber die anderen von der FDP nicht. Ich sagte ja vorhin: Ein einzelner Abgeordneter sorgt für das soziale Gewissen der FDP bzw. versucht es. –
Wir müssen die sozialen Schieflagen im Visier haben. Die Bundesregierung hat sich seit 1998 die Bekämpfung der Armut in Deutschland zum Ziel gesetzt. Dabei wurden viele Maßnahmen auf den Weg gebracht, von denen ich einige erwähnen will. Mit der Armuts- und Reichtumsberichterstattung hat die Bundesregierung eine langjährige SPD-Forderung umgesetzt. Wir brauchen die regelmäßige Analyse von Armut und Reichtum, um frühzeitig Probleme zu erkennen und darauf reagieren zu können. Ich erinnere daran, dass die CDU-Fraktion im Bundestag in der Vergangenheit stets eine Berichterstattung abgelehnt hat. Sie wollte die Realität nicht sehen, geschweige denn Lösungen anbieten. Der zweite Armuts- und Reichtumsbericht aus dem Jahr 2004 belegt den engen Zusammenhang zwischen niedrigem Einkommen einerseits und dem geringen Bildungsniveau, schlechterer Wohnraumversorgung, höherem Krankheitsrisiko und gesellschaftlicher Ausgrenzung andererseits. Umso wichtiger ist es, die Diskussion über Lösungen nicht auf monetäre Unterstützungsleistungen zu beschränken. Teilhabegerechtigkeit und Verwirklichungschancen sind für uns zentrale Ziele, um die Weitergabe und Vererbung von Armut zu durchbrechen. Deshalb zielt unsere Politik auf Bundes- wie auch auf Landesebene in erster Linie auf die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, auf die Verbesserung der Infrastruktur für Familien und allein Erziehende, auf Bildung und Ausbildung für alle und auf die gezielte gesundheitliche Prävention benachteiligter Personen. Eine sichere Armutsbekämpfung ist die Investition in Bildung, das heißt in die Köpfe eines jeden Kindes, eines jeden jungen Menschen, und das unabhängig von der Geldbörse der Eltern. Erst Rot-Rot hat erstmals in der Geschichte Deutschlands zum Beispiel erwerbsfähigen hilfebedürftigen Jugendlichen unter 25 Jahren einen Anspruch auf Ausbildung und Vermittlung ermöglicht.
Die Unterstützung für allein Erziehende, besonders für Mütter, ist sehr wichtig. Hier haben wir die Kinderbetreuung verbessert, damit die Eltern arbeiten gehen können. Das Kindergeld ist erhöht und ein Kinderzuschlag ist eingeführt worden.
Wir haben die erwerbsfähigen Menschen aus der Sozialhilfe herausgeführt. Sie bekommen bessere Vermittlung und werden gefördert. Sie werden nicht mehr zu Hause „geparkt“. Die gezielte Unterstützung von Gruppen mit hohem Armutsrisiko ist uns wichtig. In der Grundsicherung ohne Sozialhilfe einen Lebensunterhalt zu sichern, ist somit möglich.
Aber: Die FDP will die Abschaffung der Bundesagentur für Arbeit. Sie will keine Vermittlungsangebote für Arbeitslose mehr, keine Förderung, sondern nur fordern. Das ist unverantwortlich. Und zudem will sie auch noch
In Berlin haben wir zur Bekämpfung und Minderung von Armut viel unternommen. Der Senat hat durch die Veröffentlichung des Sozialstrukturatlasses in Berlin für Licht im Dunkeln gesorgt. Wir wissen, wo in der Stadt, in welchen Stadtteilen, soziale Schieflagen vorhanden sind. Mit den Instrumenten wie Quartiersmanagement und den Stadtteilzentren können wir den Folgen von Armut, wie beispielsweise der Isolation, entgegenwirken.
Die FDP hat aber heute wieder einmal erklärt, diese Einrichtungen abschaffen zu wollen. Das ist sehr unsozial aus meiner Sicht, aber Herr Lindner ist nicht da, kann es also nicht hören.
Wir haben in Berlin auch eine gute Schuldner- und Insolvenzberatung, damit Menschen mit Schulden einen Weg aus ihrer Situation finden können. An dieser Stelle will ich noch eine kleine Maßnahme hervorheben: Die ökonomische Bildung an den Berliner Schulen für junge Menschen ist verbessert worden. Junge Menschen, die sich auf eigene Füße stellen, haben in der Regel erst einmal wenig Geld. Es ist wichtig, dass sie schon in der Schule lernen, damit auszukommen und nicht erst in der Schuldnerberatung. Der überarbeitete Berliner Rahmenplan schafft dafür eine gute Grundlage.
Armut isoliert, grenzt vom aktiven gesellschaftlichen Leben ab. Gerade bei den Kindern hat das einen großen Einfluss auf die Entwicklung. Mit den Wohlfahrtsverbänden haben wir in Berlin gute Partner, die mit ihren Angeboten den Bedürftigen helfen. Das müsste auch Herrn Lehmann bekannt sein. Die geplante Reform des öffentlichen Gesundheitsdienstes und die Ansätze in der Gesundheitsförderung sind wichtige Maßnahmen, um Bedürftige gezielter zu unterstützen. Armut hat negativen Einfluss auf die Gesundheit. Aber Herr Lindner hat in einer seiner Reden wieder einmal erklärt, dass er den ganzen öffentlichen Gesundheitsbereich abschaffen will. So also will die FDP die Folgen von Armut abschaffen – indem sie einfach die Einrichtungen abschafft und die bedürftigen Menschen mit ihren Problemen allein lässt.
Unser Ziel ist es, mit all diesen Angeboten und Einrichtungen – und noch einigen mehr – den Bedürftigen zu helfen, der sozialen Spaltung in der Stadt entgegenzuwirken. Für den sozialen Frieden in der Stadt ist das wichtig, und wir haben trotz der Finanzknappheit die Angebote für Bedürftige und von Armut Betroffene sozial gerecht erhalten.
Zum Schluss, Herr Lehmann, stelle ich fest, dass Sie die Berichte der Verwaltungen, beispielsweise den Kindergesundheitsbericht, den Sozialstrukturatlas oder auch den Bericht zum Quartiersmanagement, anscheinend nicht gelesen oder nicht verstanden haben. Sonst hätten Sie die Hälfte Ihrer Fragen nicht gestellt. Armut kann Berlin sich
wirklich nicht leisten, und eine solche FDP schon gar nicht. In der Fußballsprache ausgedrückt, liebe FDP: Das ist ein schönes, großes Eigentor.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Bei oberflächlicher Betrachtung der Großen Anfrage der FDP könnte man sich fragen: Was soll das?
Haben wir nicht genug Informationen und Berichte über dieses traurige Thema bekommen? Müssen wir uns jetzt noch einmal gegenseitig über bekannte Definitionen von Armut belehren und uns über die Ergebnisse des aktuellen Sozialstrukturatlasses und des Berliner Armutsberichtes austauschen? Der FDP ging es in erster Linie gerade nicht um eine nochmalige Zustandsbeschreibung, wie Sie sie wieder abgegeben haben, Frau Senatorin, sondern primär darum, wie die SPD und die Linkspartei.PDS mit dem Armutsproblem in Berlin praktisch umgehen, ob Wort und Tat dabei eine Einheit bilden und ob die rot-rote Politik überhaupt in der Lage ist, die damit in Zusammenhang stehenden Probleme insbesondere des Arbeitsmarktes in den Griff zu bekommen.
Tatsache ist: Die Sozialhilfedichte hat auch im letzten Jahr weiter zugenommen. Das Land Berlin musste insgesamt rund 2 Milliarden € für Sozialhilfeleistungen ausgeben. Zwar wird sich die statistische Zahl der Sozialhilfeempfänger für 2005 durch die Umsetzung von Hartz IV verändern, doch das heißt nicht, dass die Menschen dadurch reicher werden bzw. die sozialen Probleme sich entschärfen. Das eigentliche Problem im Hintergrund ist und bleibt die Arbeitslosigkeit. Denn sozial ist, was Arbeit schafft. Aber hier fehlen tragfähige Konzepte der zurzeit in der Politik Verantwortlichen. Es gibt keine konkreten Vorstellungen und Pläne von Rot-Rot, die die Wirtschaft und damit den Arbeitsmarkt in Berlin voranbringen. Es gibt – trotz Enquetekommission und vielen Gremien, die sich mit dieser Frage befassen – keine Visionen für die Zukunft der Stadt Berlin. Und hinsichtlich einer verbesserten Umsetzung der Arbeitsmarktreform in Berlin muss die rot-rote Koalition mehr zur Aktion getragen werden, als dass sie eigene Initiativen entwickelt, wie an den Anträgen der Opposition deutlich abzulesen ist.
Machen wir uns nichts vor: Solange im Land Berlin der wirtschaftliche Aufschwung auf sich warten lässt und bis wieder mehr Arbeitsplätze für die Region zur Verfügung stehen, so lange wird auch ein erhöhtes Armutsrisiko der Menschen in Berlin, aber auch in der Politik bestehen. Was ich – bezogen auf die von der Armut betroffenen Menschen – damit meine, brauche ich nicht näher auszuführen.
Was ich auf die Regierungspolitik beziehe, stelle ich kurz dar. Die Vorsitzende des Sozialausschusses, Frau Dr. Schulze von der Linkspartei.PDS, hat am 4. März dieses Jahres eine Presseerklärung mit dem Titel: „Armut – Berlin steuert gegen“ – veröffentlicht.
Diese Erklärung zeigt deutlich, in welchem Dilemma RotRot steckt – und insbesondere die Linke, die zurzeit allen alles verspricht. Es wird nicht auf die eigentlichen Ursachen materieller Armut eingegangen, sondern vordergründig auf deren Begleiterscheinungen. Ich zitiere:
Die Folgen von Armut und Unterversorgung machen sich in Berlin auch bei solchen wichtigen Faktoren wie dem Bildungszugang und der Gesundheit fest. So ist die Zahl derjenigen, die die Schule ohne Abschluss beenden, angestiegen. Der Anteil an Kindern mit Übergewicht, mit unbehandelter Karies oder mit fehlenden Vorsorgeuntersuchungen ist erkennbar gewachsen.
Berlin als Bundesland kann die Hauptursachen von Armut nicht beseitigen, aber die konkreten Auswirkungen in ihren Dimensionen abfedern und sozialkompensatorisch Einfluss nehmen.
Ja, richtig! Aber tun Sie das? – Herr Wowereit hat nur das Konzept: „Sparen, dass es quietscht“. Und Herr Sarrazin hat einmal geäußert, dass er lieber gar nicht wissen will, welche persönlichen Probleme sich hinter der Durchsetzung der verschiedenen Sparziele verbergen könnten.
Da wundert es einen gar nicht mehr, dass die rot-rote Haushaltspolitik auch auf dem Rücken der sozial Schwachen ausgetragen wird. Das kann anhand der Haushaltszahlen der letzten Jahre an ausgewählten Beispielen sehr gut nachvollzogen werden. Herr Doering, Sie wollen es vielleicht nicht glauben,
aber ich muss es Ihnen leider immer wieder sagen: So stehen Sie in Verantwortung mit 161 Millionen € Streichungen bis einschließlich Doppelhaushalt 2006/2007.
Herr Hoffmann! Jetzt müssen Sie sich entscheiden. Herr Kaczmarek hat uns vorhin vorgeworfen, dass wir 600 Millionen € zu wenig sparen. Sie werfen uns vor, wir sparen, bis es quietscht. Was ist denn nun richtig aus Sicht der CDU?
Richtig ist es, in Dinge zu investieren, die Zukunft schaffen, und nicht immer zu denken, man könnte so lange sparen, bis nichts mehr da ist und könne alles, was man hat, in soziale Projekte stecken. Soziale Projekte sind sehr wichtig, ganz besonders wichtig für diejenigen, die sie brauchen. Aber was für die Entwicklung des Landes Berlin wichtiger ist, sind Investitionen in die Zukunft, damit es nicht soziale Projekte sind, die unsere Bürger bewegen, sondern deren Arbeitsplätze, damit sie die sozialen Projekte nicht brauchen. Wenn Sie das endlich begreifen würden!
Sie haben innerhalb von fünf Jahren 40 % der Mittel in der Jugendhilfe, insbesondere in den Bezirken, gestrichen. Was das fachlich und für die betroffenen Familien und Kinder bedeutet, kann sich jeder selbst an den fünf Fingern seiner linken Hand abzählen. Weitere spektakuläre Kürzungen und Belastungen für die Menschen im Doppelhaushalt 2004/2005 waren und sind nach wie vor – ich wiederhole mich, das habe ich heute schon einmal vorgetragen – Kürzungen in Höhe von 21,5 Millionen € bei Sozial-, Gesundheits-, Frauen- und Jugendprojekten, 12 Millionen € für Kitagebühren, Kürzungen von 48,8 Millionen € bei Sozialhilfe- und Pflegeleistungen, 17,4 Millionen € – da hatten Sie als Linke die Sozialkarte gestrichen, und dann haben Sie sie wieder eingeführt, nachdem es Protest insbesondere von der Union und von den Grünen gab. 76,3 Millionen € Streichungen von Beschäftigungsförderungsmaßnahmen, und das, obwohl es dafür bisher keinen Ersatz gibt. Es muss auch erwähnt werden, dass Sie das Blindengeld um ein Volumen von 8 Millionen € gekürzt haben, dass Sie bei den Behindertentransporten 4 Millionen € gestrichen haben, dass Sie 1 Million € bei Drogenhilfeprojekten eingespart haben.
Da, wo es um die Hilfe für Menschen geht, da kürzen und sparen Sie so lange, bis es keiner mehr ertragen kann.
Auch im Sport wurde kräftig in den Bereichen gekürzt, die unmittelbar die Verbraucher und die Vereine betreffen. Die Sportförderung sank 2001 um 40 % auf 7,4 Millionen € und wird im neuen Doppelhaushalt um weitere 2 Millionen € gekürzt.
Nicht zu vergessen sind Preissteigerungen, die zu Lasten der Berliner gingen: Erhöhung der Wasserpreise, Mieten, BVG-Tarife, Eintrittspreise, Friedhofsgebühren, Gerichtsgebühren und Bußgelder.
Bei dieser Liste nur einiger besonders ins Auge fallender sozialer Grausamkeiten ist klar, dass diese alle Bürger treffen und insbesondere diejenigen, die auf staatliche Hilfen angewiesen sind.