Protocol of the Session on August 18, 2005

Altstadt seinen Laden nach einem halben Jahr und hängt wieder ein Schild ins Schaufenster: „zu vermieten“, obwohl er so eine tolle Idee hatte, so ein schönes Nischensortiment. Er ist gescheitert, und von dem Traum der Selbstständigkeit ist für ihn nur ein Haufen Schulden übrig geblieben.

Nun ist Handel mehr als nur das Angebot auf eine Nachfrage. Gerade für eine Stadt wie Berlin spielt der Handel in zentralen Lagen eine zentrale wirtschaftliche Rolle für Tourismus und für die Stadt als Ganzes. Darin stimme ich völlig mit Ihnen überein. Wir müssen uns aber auch um die dezentralen Lagen einer so polyzentralen Stadt wie Berlin kümmern. Da ist eine intakte Einkaufsstraße mehr als nur die Ansammlung von verschiedenen Geschäften. Sie erfüllt auch ein soziales Bedürfnis. Da sehe ich dann auch die Notwendigkeit von kommunalem Handeln sehr deutlich. Aber der Handel hat sich in seiner Geschichte immer in einem hohen Maße flexibel und wandlungsfähig gezeigt. Wer sich ein bisschen damit beschäftigt hat, weiß zum Beispiel, dass mit dem Aufkommen der großen Warenhäuser das Ende des Handels verkündet wurde.

[Zuruf des Abg. Brinsa (CDU)]

Das ist nicht so eingetroffen, und die politische Polemik von damals hat teilweise sehr schlimme Zwischen- und Nebentöne gehabt. Als dann die großen Versandhäuser auf die Bühne kamen, wurde auch das Ende der Kaufhäuser vorhergesagt. Heute haben wir den Internetboom. Die Handelsstrukturen verändern sich. Wir haben Versandapotheken, wir haben eine Einrichtung wie eBay, die ganz neue Konsumverhalten hervorbringt und befriedigt. Aber ich bin mir sicher, dass der Handel im Wandel und der Wandel im Handel bestehen bleibt. Aber die Grundvoraussetzungen sind immer Nachfrage und Kaufkraft. Das scheint mir das Entscheidende zu sein. Und da allseits Wahlkampf ist, will ich Ihnen eine dpa-Meldung von gestern in der Fassung der „Augsburger Allgemeinen“ vorlesen, die mir begegnete, als ich mich auf diese Debatte vorbereitete:

Die Verbraucher in Deutschland geben immer weniger Geld im Einzelhandel aus, dafür umso mehr für Miete, Gesundheit und Urlaub. Nicht einmal mehr jeder dritte Euro der Konsumausgaben landete 2004 für Nahrung, Kleidung oder Elektrogeräte in den Einzelhandelskassen. Das geht aus einer Studie des Bundesverbandes der Deutschen Volks- und Raiffeisenbanken hervor. Anfang der 90er Jahre waren es noch 36,7 %. Eine von CDU und CSU geplante Erhöhung der Mehrwertsteuer drohte, den Konsum weiter zu bremsen.

Herr Brinsa! –

Um den Konsum anzukurbeln, müsse die Beschäftigungslage deutlich verbessert werden. Nur so ließen sich wieder höhere Zuwächse beim verfügbaren Einkommen erzielen. Für den Fall einer Erhöhung der Mehrwertsteuer von 16 auf 18 % Anfang 2006 sei am Jahresende mit Vorzieheffekten zu

rechnen, die aber keine tiefgreifende Belebung brächten.

Das werden wir mit unserem Antrag allerdings nicht lösen können. Trotzdem sollten wir das in unserer Macht Liegende tun und das andere nicht aus den Augen verlieren. – Vielen Dank!

[Beifall bei der Linkspartei.PDS und der SPD]

Vielen Dank, Herr Kollege Pewestorff! – Für die Grünen hat das Wort die Kollegin Paus. – Bitte!

Herr Pewestorff! Um gleich mit Ihnen anzufangen – da muss noch mehr möglich sein als das, was Sie mit diesem Antrag versuchen. Völlig klar ist: Jeder, der den Antrag liest, sagt spontan, dagegen ist gar nichts einzuwenden, lauter nette Punkte, die dazu da sind, um den Einzelhandel nicht im Regen stehen zu lassen. – Das sollten wir auch allesamt nicht tun; denn es ist richtig: Wir haben in Deutschland seit mehreren Jahren ein Binnenproblem, das es zu lösen gilt. Das können wir auf der Landesebene aber relativ schlecht machen. Also müssen wir versuchen, anderweitig etwas zu tun, damit der Einzelhandel nicht mehr im Regen steht. Beispielsweise hat der „Magic Winter“, der in Ihrem Antrag auch vorkommt, der Berlin im letzten Jahr nach außen hin als Touristenstadt vermarkten sollte und der auch ein großer Erfolg war, viele Touristen nach Berlin gebracht, auch die Hotelbetten und die Gaststätten gefüllt, aber trotz dieser Initiative war der Umsatz im Einzelhandel im Weihnachtsgeschäft 2004 wiederum rückläufig. Das zeigt deutlich, wie schlimm es im Land Berlin um den Einzelhandel steht. Seit Jahren sind die Umsätze und die Beschäftigtenzahlen rückläufig. Da kann man auch nicht einfach mit dem Internet kommen, Herr Pewestorff. Da kann die PDS sich auch an die eigene Nase fassen. Der großflächige Einzelhandel, für den es auch verschiedene Beispiele in PDS-Bezirken gegeben hat, ist dort auch nach wie vor ein Problem. Auch daran krankt der Einzelhandel, aber das steht hier nicht im Zentrum.

[Abg. Pewestorff (Linkspartei.PDS) meldet sich zu einer Zwischenfrage.]

Frau Kollegin! Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Pewestorff?

Nein, Herr Stölzl! – Wie gesagt, auf der Oberfläche kann man eigentlich nichts gegen den Antrag haben. Wir könnten uns das Arbeiten sparen und ihm schnell zustimmen. Aber dafür ist mir der Einzelhandel zu wichtig.

Als Erstes ärgert mich das übliche Verfahren: Die Koalition stellt einen Antrag, schreibt alle möglichen Dinge auf und verkauft sie als völlig neue Angelegenheit: Jetzt kommt die große rot-rote Initiative zur Stärkung des Einzelhandels! – Den normalen Bürger können Sie damit auch blenden, aber die Leute, die etwas davon verstehen, die mit dem Einzelhandel zu tun haben, gucken sich die Liste an und stellen fest: 90 % von dem, was Sie auf

Pewestorff

schreiben – und das ist freundlich gesagt –, gibt es schon. Aber nein, Rot-Rot stellt einen Antrag und verkauft die ganze Welt wieder als neu. Das passiert nicht zum ersten Mal, denken Sie an den tollen Venture Capital Fonds! Neuerdings gibt es Risikokapital im Land Berlin – als wenn es das vorher noch nie gegeben hätte! Altes neu verpacken und als neu verkaufen – das ist Ihre Art von Politik. Sie schreiben auch: „Wir wollen motivieren, um sich besser zu organisieren.“ – Das ist im Land Berlin längst Realität. – „Wir wollen öffentliche Fördermittel einsetzen.“ – Das hat es im Land Berlin auch gegeben. – „Wir wollen ein zivilrechtliches Standardvertragswerk aufsetzen.“ – Das gibt es bereits. – „Wir wollen bezirkliche Moderation.“ – Auch diese gibt es bereits. – Sie wollen einen Leitfaden neu entwickeln. – Auch den Leitfaden gibt es bereits. Da wäre es zumindest sinnig, hinzuschreiben: „Wir wollen den alten Leitfaden weiterentwickeln oder modernisieren.“ – Das alles sind Punkte, die es bereits gibt, insofern ist das, was Sie aufschreiben, nichts anderes als weiße Salbe.

Jetzt kann man in Ihrem Antrag einige Punkte finden, bei denen mir als grüne Frau auffällt, Sie haben sich stärker an dem orientiert, wie es in Nordrhein-Westfalen diskutiert und umgesetzt worden ist. Da nehme ich Sie beim Wort. Da steht, Sie wollen die Anreize verbessern und sich über Fördermittel unterhalten. Wir wissen von Nordrhein-Westfalen, dass es sinnig ist, eine Anschubfinanzierung zu realisieren. Diese muss aber in einer Größenordnung ausfallen, dass es funktioniert, dass man zur Verbesserung der Geschäftsstraßensituation, zur Stärkung des Einzelhandels ein vernünftiges Finanzierungs- und Maßnahmenkonzept entwickelt. Dann hat es Sinn, pro Geschäftsstraße 100 000 € Landesmittel in die Hand zu nehmen. In Nordrhein-Westfalen bekommen sie von der Kommune zusätzlich 10 000 €, sind also 110 000 €. Schauen wir uns einmal an, wie die Situation im Land Berlin ist: Hier gibt es bereits 60 Standortgemeinschaften, und Sie wollen noch mehr haben. Rechnen wir das zusammen, dann stellen wir schnell fest, dass es mindestens um 6,6 Millionen € geht, eigentlich um noch mehr.

Wenn Sie das wollen, können wir in eine andere Diskussion eintreten. Aber das glaube ich, ehrlich gesagt, nicht, weil ich im derzeitigen Haushaltsplan davon nichts sehen kann. Wir können das auch in der nächsten Wirtschaftsausschusssitzung beraten. Über solche Größenordnungen müssten wir uns aber tatsächlich einmal unterhalten. Davon steht hier aber nichts Konkretes, sondern nur Allgemeines. Darüber könnte man einmal nachdenken.

Sie wollen – bei Herrn Pewestorff wurde es eben deutlich – das BID-Konzept grundsätzlich beerdigen. Den CDU-Antrag unterstützen wir, so wie er ist, auch nicht. Daran haben wir auch einiges zu meckern. Dennoch: So, wie Ihr Antrag formuliert ist, ist er weiße Salbe.

[Pewestorff (Linkspartei.PDS): Lieber weiße Salbe als grüne Salbe!]

Wir müssen uns ernsthaft mit dem Problem auseinander setzen und ernsthaft etwas für den Einzelhandel tun und

nicht Punkte aufschreiben, die zu 90 % bereits Realität sind. Der Einzelhandel braucht Hilfe und keine weiße Salbe.

[Beifall bei den Grünen]

Danke schön, Frau Kollegin Paus! – Es folgt die FDP. Der Kollege Thiel hat das Wort!

Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! – Das ist also die Antwort der Koalition auf die angelsächsische Form der Business Improvement Districts.

Ich beginne mit den positiven Sachen: Wir finden es angenehm, dass Sie in der Begründung Ihres Antrags auf Freiwilligkeit setzen. Wir unterstützen Sie darin, neuen Systemen der Zwangssteuer, wie sie beim Business Improvement vorgesehen sind, eine Absage zu erteilen. Wir haben das auch im Wirtschaftsausschuss diskutiert: Egal, wie hoch das Quorum ist, es wäre eine neue Zwangsabgabe, eine neue Steuer, und alles können wir gebrauchen, nur keine Steuererhöhung. Deswegen ist dieser Ansatz von uns zu unterstützen.

Wir unterstützen Sie auch darin, dass die Freiwilligkeit gefördert werden soll. Das ist ein guter Ansatz. Sie haben bei dem fünften Spiegelstrich den Vorschlag gemacht, bestehende erfolgreiche Projekte in dieser Stadt auszuwerten, um daraus Konsequenzen für andere Bereiche zu ziehen. Das finden wir prima. Man sollte von den Erfolgreichen lernen, man sollte Stärken stärken und sollte auch sehen, woran es gelegen hat, wenn etwas nicht erfolgreich war. Soweit gehen wir gern mit und unterstützen das.

Aber wir unterstützen nicht alles – wen wundert das! Wir haben nämlich Probleme damit, wenn Sie den Senat auffordern, neue Anreizsysteme zu schaffen. Sie wissen alle: Anreizsysteme bergen immer die Gefahr der Mitnahmeeffekte. Wir haben heute auf Bundes-, aber auch auf Landesebene immer die Diskussion darüber, dass sich das, was früher einmal als Anreizsystem geschaffen wurde, in eine beliebte Form der Mitnahme verkehrt hat. Denken Sie einmal an Schiffssubventionen oder andere. Das ist heute nicht mehr vorstellbar, aber war damals aus der Situation heraus ein Anreizsystem. Ich bin sehr gespannt, was für Anreizsysteme uns der Senat angesichts der Haushaltslage vorschlagen wird.

[Beifall bei der FDP]

Mein nächster Punkt ist die bezirkliche Moderation. Nun hat die Kollegin Paus darauf hingewiesen, dass es so etwas schon gibt, selbstverständlich unterschiedlich in den Bezirken, in den Kiezen, dort, wo es läuft. Dort, wo es gut läuft, ist das nur zu unterstützen. Andererseits habe ich Probleme damit, den Bezirken grundsätzlich weitere zusätzliche Aufgaben anzutragen. Auch eine Moderation verlangt von dem, der moderiert, ein gewisses Knowhow, wie man moderiert, sonst wird es grauenhaft. Das korrespondiert auch mit dem Punkt, ob man öffentliche

Frau Paus

Fördermittel für ein professionelles Geschäftsstraßenmanagement bereitstellen kann. Das ist mir, ehrlich gesagt, ein Zacken zu groß. Ich komme zwar aus einem der schönsten Bezirke und weiß, dass wir uns in Köpenick – das wurde auch erwähnt – schon seit vielen Jahren darum bemühen, mit Unterstützung und auch mit Fördergeldern die Altstadt zu revitalisieren. Wir wissen aber auch alle – das ist nichts Neues –: Die Person, die diesen Job macht, muss erstens kompetent sein, sie muss über Erfahrungen verfügen. Und zweitens muss sie von denen, denen sie ihre Arbeit anträgt, akzeptiert werden. Wenn das nicht hinhaut, können Sie noch so viel Geld hineinpumpen, dann läuft das nicht. Bevor wir zusätzliche Gelder bewilligen, sagen wir erst einmal: Stopp! Lasst uns erst einmal prüfen, wie die Gelder, die bisher eingesetzt wurden, verwandt wurden und ob sie sinnvoll verwandt wurden.

[Beifall bei der FDP]

Es ist ein bisschen zum Schmunzeln, dass der Senat mit der IBB zusammen ein zivilrechtliches Standardvertragswerk entwickeln soll. Ihrem Antrag zufolge reden wir hier über Kaufleute. Das sind Profis. Wir reden hier über Selbstständige und Freiberufler, die Sie einbeziehen wollen. Für diese Gruppe von professionell handelnden Menschen wollen wir ein – ich muss noch einmal nachlesen, damit ich das auch richtig wiedergebe – zivilrechtliches Standardvertragswerk vorschlagen. Ein bisschen kleiner geht es auch. Ich denke, die Leute können auf Grund ihrer Professionalität selbst verabreden, was sie machen wollen.

[Pewestorff (Linkspartei.PDS): Leider nicht!]

Was ganz und gar nicht geht, ist der letzte Punkt Ihrer Spiegelstriche, nämlich eine Sortimentsspezialisierung in irgendeiner Form zu fördern. Das erinnert mich an diesen – Sie kennen ihn besser als ich, Herr Kollege Pewestorff – alten Witz: Im dritten Stock gibt es keine Fernseher, keine Betten gibt es im fünften. Wenn wir wieder dazu kommen, dass wir Sortimente vorschreiben, regeln und fördern wollen, greifen wir in den freien Markt ein, und das geht mit der FDP nicht und auch mit keinem Marktwirtschaftler.

[Beifall bei der FDP]

Summa summarum: Sie merken schon, dass wir Ihren Antrag nicht unterstützen können. Andererseits werden wir es auch nicht verhindern können, denn Sie haben die Mehrheit. Wenn Sie Ihrem Senat unbedingt mehr Arbeit machen wollen, werden wir Sie daran nicht hindern. Also werden wir uns – ganz klassisch gesehen – bei diesem Antrag enthalten. – Vielen Dank!

Danke schön, Herr Kollege Thiel! – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung an den Ausschuss für Wirtschaft, Betriebe und Technologie. Dazu höre ich keinen Widerspruch.

Ich rufe auf – als Priorität der Fraktion der CDU –

lfd. Nr. 4 c:

Antrag

Mehr Kompetenzen für die Arbeitsgemeinschaften nach Hartz IV

Antrag der CDU Drs 15/4163

in Verbindung mit

Dringlicher Antrag

Hartz IV: Rahmenvereinbarung zur Weiterentwicklung der Arbeitsgemeinschaften in Berlin unverzüglich umsetzen!

Antrag der Grünen Drs 15/4180

Wird der Dringlichkeit widersprochen? – Das ist nicht der Fall.