Protocol of the Session on August 18, 2005

[Beifall bei der SPD]

Gott sei Dank fiel die Entscheidung, am Krieg des George W. Bush teilzunehmen oder eben nicht, in das vermutlich erste Viertel der Amtszeit von Gerhard Schröder. Dennoch ist Deutschland deshalb nicht zur Insel der Friedfertigkeit geworden.

[Ritzmann (FDP): Ich denke, Sie wollen zur Indexdatei sprechen!]

Ich möchte Sie auch oder vielleicht gerade wegen meiner Eingangsbemerkung zu Hysterie und Panikmache noch einmal daran erinnern: Wir haben deutliche Al-QaidaBezüge nach Deutschland, und zwar seit der Festnahme des Landeschefs Osama Bin Ladens. Auch von Deutschland sind Vorbereitungen für das Attentat in New York ausgegangen, drei der 19 ermittelten Täter stammen aus Deutschland. In Hamburg fanden weltweit die ersten Prozesse gegen Terrorverdächtige statt. Selbst das Madrider Attentat zeigt deutliche Spuren nach Deutschland. Es heißt deshalb völlig richtig in der Begründung zum Gesetzentwurf zur Begründung einer Anti-Terror-Datei:

Die Beobachtung und Bekämpfung insbesondere des islamistischen Terrorismus und Extremismus ist auch für die Zukunft die zentrale Herausforderung für alle Sicherheitsbehörden.

Bis hierhin bin ich mit meinem Vorredner, soweit er sich dazu geäußert hat, aber vermutlich auch mit den nachfolgenden Rednern einig

Es ist, wie so häufig, die Frage nach dem Wie. Wie gehen wir mit dieser Herausforderung um? – Es ist das Wie, das seit knapp 10 Monaten und eigentlich seit Jahren das dringend erforderliche Antiterrordateigesetz in der Pipeline der Gesetzwerdung schmoren lässt. Es handelt sich dabei um ein Gesetz, das eine Sicherheitslücke schließen soll und muss, und zwar eine Lücke, die bislang immer noch einen umfassenden, reibungslosen und insbesondere schnellen Informationsaustausch aller Sicherheitsbehörden verhindert.

Vizepräsident Dr. Stölzl

Für die Kolleginnen und Kollegen, die das Thema für wichtig genug erachtet haben, um im Plenarsaal zu bleiben, möchte ich Folgendes hinzufügen:

[Henkel (CDU): Die Zeit!]

Wer von Ihnen vielleicht noch dem Glauben anhängt, dass alle mit der öffentlichen Sicherheit befassten Behörden in dieser Republik – sei es nun klassisch die Polizei, Kriminalpolizei, Verfassungsschutz oder Bundesgrenzschutz, wobei zu beachten ist, dass jede dieser Behörden mit der Zahl der Bundesländer multipliziert werden muss – miteinander kommunizieren würden, den muss ich aus seinen Träumen reißen. Das ist mitnichten so. Die Gründe dafür liegen in dem so schön formulierten Spannungsfeld zwischen Freiheit und Sicherheit, wo – etwas schwarzweiß formuliert – für meine Begriffe in den letzten Jahren zu häufig zu Ungunsten der Sicherheit entschieden wurde. Es sind neben der gefühlten Wichtigkeit so manches Landesfürsten und so manches Behördenleiters und vielleicht auch – das kann ich nicht ausschließen – so manches Ministers vor allem politisch-ideologische Gründe – Herr Ritzmann, das ging auch aus Ihrer Rede klar hervor –, die die Zuständigen – ausgestattet mit der Kompromissbereitschaft und Flexibilität einer Brechstange – leider immer noch keinen endgültigen und mehrheitlich getragenen Gesetzentwurf hinbekommen lassen.

Ich werde heute nicht mit Ihnen darüber diskutieren, wie sinnvoll es sein kann, allein einen Namen in eine Datei einzugeben – ein Kritiker hat dazu gesagt, es wäre eine Art Büchereikatalog und mehr nicht –, oder ob es sinnvoll ist, diese Informationen mit Querverbindungen personeller wie lokaler Art anzureichern, oder ob es wichtiger und richtiger wäre, Unterdateien einzustellen – z. B. ein Einzelthema wie die Al-Tawhid mit einer Sonderdatei.

Frau Kollegin! Auch Ihnen gilt das gleiche Wort: Böse Beispiele dürfen unseren Zeitplan nicht ins Rutschen bringen. – Ich bitte um Vorbildlichkeit.

[Mutlu (Grüne): Man soll auch da nicht übertreiben!]

Herr Ritzmann, meine allerherzlichste Bitte: Lassen Sie uns, wenn wir Ihren Antrag im Innenausschuss diskutieren, nicht diesen soeben beschriebenen Fehler machen! Lassen Sie uns frei von Ideologien einfach nur die beste, die effizienteste und selbstverständlich unter Berücksichtigung aller freiheitlichdemokratischen Grundrechte des Einzelnen die für dieses Land sicherste Lösung wählen! – Vielen Dank!

[Beifall bei der SPD]

Das Wort hat nun Kollege Henkel. – Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Kollege Ritzmann! Sicherheit ist in der Tat ein Grundbedürfnis der Menschen. Spätestens seit den schrecklichen Anschlägen von New York, Madrid oder London – Frau Hertel sagte es – wissen wir: Ohne Sicher

heit ist unsere Freiheit bedroht. – Insofern gibt es hierbei Gemeinsamkeiten. Aber das ist dann offenbar auch schon alles, wo wir Gemeinsamkeiten haben.

Die Anschläge zeigen, dass sich unsere Sicherheitslage geändert hat. Bedrohungen haben eine neue Form bekommen. Sie sind zahlreicher geworden, und sie sind uns näher gekommen. Weil das so ist, benötigen wir zum Schutz der Bürgerinnen und Bürger unseres Landes neue Sicherheitskonzepte. Sie haben einen ganzen Strauß von Maßnahmen genannt, von der Videoüberwachung bis zum Unterbindungsgewahrsam, und haben deshalb Ihre Redezeit nicht eingehalten. Erst ganz zum Schluss sind Sie zum eigentlichen Kern dessen vorgedrungen, worüber wir heute reden, nämlich die Indexdatei. Diese Indexdatei ist ein wesentliches Teilstück innerhalb eines neuen Sicherheitskonzepts. Das, was im FDP-Antrag steht, ist es allerdings nicht – um das gleich vorweg zu sagen.

[Beifall bei der CDU]

In der Vergangenheit war Deutschland – und diese Erkenntnis ist bei Experten unumstritten – bevorzugter Vorbereitungs- und Rückzugsraum für Terroristen. Nach den jüngsten Anschlägen in Europa steht allerdings zu befürchten, dass es nicht so bleiben muss und Deutschland in Zukunft auch das Ziel terroristischer Anschläge sein kann. So sehr wir hoffen, dass es nie dazu kommt, dürfen wir davor die Augen nicht verschließen, sondern müssen wachsam sein.

Die Terrorgefahr in Berlin ist trotz der unsäglichen Äußerungen des Herrn Innensenators unabhängig vom Engagement Deutschlands im Irak genauso hoch wie in jeder anderen westlichen bzw. europäischen Großstadt auch. Das Gefährdungspotential in Deutschland ist erheblich. So leben bei uns z. B. ca. 31 000 islamistische Extremisten, von denen mehrere 1 000 als gewaltbereit einzuschätzen sind. Die islamistische Hochburg in Deutschland ist Berlin. Hier leben laut Verfassungsschutzbericht über 3 600 Menschen, die islamistischen Gruppierungen zuzurechnen sind. Davon sind mehrere Hundert gewaltbereit. Damit ist klar, dass akuter Handlungsbedarf besteht.

[Beifall bei der CDU – Frau Abg. Matuschek (Linkspartei.PDS) meldet sich zu einer Zwischenfrage.]

Ein Feld, auf dem ein solcher dringender Handlungsbedarf besteht, ist der Informationsaustausch unter den Sicherheitsbehörden. Heute kann es bei einem Vorfall passieren, dass sich bis zu 37 verschiedene Sicherheitsbehörden mit ein und derselben verdächtigen Person – z. B. einem potentiellen Terroristen – beschäftigen.

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Matuschek?

Nein! Frau Matuschek kann mit mir im Innenausschuss diskutieren. Ich möchte meine Redezeit einhalten, damit wir im Zeitplan nicht noch weiter nach hinten rutschen.

Frau Hertel

Für jede Sicherheitsbehörde – von den angeführten 37 Sicherheitsbehörden – stellt sich das Deliktsfeld anders dar. Für den Verfassungsschützer ist da ein Islamist, für die Bundespolizei ein Schleuser oder Geschleuster, für den BND-Mann unter Umständen ein ausgebildeter AlQaida-Kämpfer. Gleichzeitig ermittelt die zuständige Kripo gegen einen Urkundenfälscher, Kreditkartenbetrüger oder Waffenschieber. Dabei befassen sich alle mit ein und derselben Person, ohne es zu wissen.

Ein solcher Wirrwarr ist vermeidbar, denn effektive Ermittlungsarbeit sieht eben anders aus. Es ist deshalb unbedingt sicherzustellen, dass in Zukunft ein Austausch der gewonnenen Informationen unter den verschiedenen Stellen ohne bürokratische Hemmnisse schnell stattfinden kann. Die Informationen der Polizei und der Verfassungsschutzbehörden vor Ort müssen mit den nationalen und internationalen Erkenntnissen zusammengefügt werden, wenn man dem Terrorismus wirksam begegnen will.

Die Union hat auf Bundesebene mehrfach dargelegt, wie das zu bewerkstelligen ist. Es bedarf des Einsatzes moderner Datenbanktechnologie und einer Datenbank, der Informationen in ausreichendem Maße zu entnehmen sind. „In ausreichendem Maße“ heißt selbstverständlich nicht, dass sich solche Informationen nur auf den Namen einer verdächtigen Person beschränken können. Der von der FDP vertretene Ansatz einer Indexdatei ist deshalb vollkommen unzureichend. Im Gegenteil: Die Informationen müssen den Behörden sofort – also in Echtzeit, lieber Herr Ritzmann – zur Verfügung gestellt werden. Im Ergebnis müssen also Personalien, Sachverhalte sowie deren Verbindung für die Ermittler online recherchierbar sein. Die Zeiten, in denen wir der Auffassung waren, dass wir uns den Luxus bürokratischer Hürden für die Nutzung vorhandener Datenbestände leisten können, sind endgültig vorbei. Wir müssen die Arbeit unserer Sicherheitskräfte unterstützen und dürfen sie nicht mutwillig verzögern.

[Beifall bei der CDU]

Noch lehnt die nur noch wenige Wochen im Amt befindliche rot-grüne Bundesregierung die Einrichtung einer gemeinsamen Anti-Terror-Datei als kombinierte Volltext- und Fundstellendatei ab. Deshalb haben wir mit Genugtuung zur Kenntnis genommen, dass mittlerweile auch der Berliner Innensenator Körting die Schwachstellen einer so genannten Indexlösung erkannt hat. Der von ihm mittlerweile vertretene Kompromiss einer Datei, die nicht nur den Namen des möglichen Gefährders, sondern darüber hinaus auch die Speicherung von wichtigen Textinformationen ermöglicht, weist in die richtige Richtung. Das, was die FDP heute vorgelegt hat, ist quasi unbrauchbar und taugt aus unserer Sicht nichts.

[Beifall bei der CDU – Ritzmann (FDP): Herr Körting, Lob von der CDU!]

Lieber Herr Ritzmann, Sie haben es wieder einmal deutlich gemacht! Bundesinnenminister Schily sagte vor kurzem, die FDP sei ein Sicherheitsrisiko, und selbst bei

diesem Innenminister gilt: Wo er Recht hat, hat er Recht. – Deshalb wird die CDU den Antrag ablehnen. – Herzlichen Dank!

[Beifall bei der CDU]

Es folgt nun die Linkspartei.PDS. Das Wort hat Frau Kollegin Seelig. – Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Man kann ein wenig verstehen, warum die Berliner CDU in der Gesamt-CDU nicht so richtig toll angesehen ist. Wenn Sie die Reden Ihrer Abgeordneten im Bundestag hier vorlesen, erweckt das nicht gerade den Eindruck von besonderer Kompetenz.

[Heiterkeit bei der CDU – Henkel (CDU): Sie müssen schon Namen nennen!]

Dr. Ole Schröder!

[Henkel (CDU): Hat diese Rede gehalten?]

Bevor der Antrag der FDP vorlag, vermuteten wir bei dem Besprechungspunkt im Ausschuss für Inneres, Sicherheit und Ordnung, dass die FDP in Ihrer meist folgenlosen, aber dafür umso lautstärkeren Bürgerrechtsattitüde fortfahren würde. Das hat sie – wie erwartet – auch verbal getan, aber in dem Antrag stehen ganz andere Sachen. Als einziges Argument gegen die Indexdatei steht darin, nicht die Bürgerrechtsinteressen stünden im Vordergrund, sondern die Belange der Geheimdienste.

Ich gehe auch davon aus, dass wir in dieser Debatte nicht viel richten können. Indexdatei statt Volltextdatei – das ändert nicht wirklich etwas an der Tatsache, dass mit der so genannten Anti-Terror-Datei ein massiver Eingriff in Bürgerrechte verbunden ist. Wie immer muss die Frage beantwortet werden, ob das das geeignete Mittel ist, um den Zweck, nämlich die Verhinderung terroristischer Anschläge, zu erreichen. Natürlich wissen alle, dass es einen mangelnden Austausch zwischen den verschiedenen Sicherheitsbehörden, sowohl auf nationaler als auch auf europäischer Ebene, gibt. Aber selbst in den USA mit zentralen Geheimdiensten und einer Bundespolizei war ein ganz massives Kommunikationsdefizit nach dem 11. September festzustellen.

Weil ich es nicht sinnvoll finde, die inhaltliche Ausgestaltung dieser Datei zu diskutieren, solange uns der vorgeschlagene Kompromiss nicht in irgendeiner Form vorliegt – er ist uns nur aus Zeitungsmeldungen bekannt –, und weil die Probleme viel weiter gehen als von Ihnen hier angesprochen, werden wir den Antrag ablehnen.

Ich möchte aber ein paar grundsätzliche Fragen stellen, mit denen wir alle umgehen müssen. Ich will sie auch stellen, weil es die Grünen auf Bundesebene zu bürgerrechtlichen Fragen nicht mehr gibt.

[Beifall bei der Linkspartei.PDS – Mutlu (Grüne): Ha, ha!]

Sie haben einer Anti-Terror-Datei zugestimmt, obwohl Sie am besten wissen, dass die bestehenden Sicherheitsgesetze in erheblichem Umfang schon jetzt den Austausch personenbezogener Informationen zwischen den Behörden ermöglichen. Diese Gesetze haben Sie selbst mitverabschiedet, was Sie dann hier oft bejammern.

Sollte man nicht stattdessen untersuchen, warum Sicherheitsbehörden so agieren, und versuchen, in den Strukturen und in der Mentalität Änderungen herbeizuführen? – Ich glaube, daran wird eine gemeinsame Datei nichts ändern. Wir müssen uns hier nicht gegenseitig über die Gefahren des Terrorismus aufklären, sondern wir müssen gemeinsam überlegen, was für ein Land wir wollen. Niemand hat etwas dagegen, wenn Daten über Verdächtige und Straftäter in diesem Bereich schnellstmöglich abgeglichen werden können. Aber wer stellt sicher, dass in dieser Datei nicht auch viele gespeichert werden – bei der CDU war herauszuhören: alle Islamisten; Sie hatten sogar die Bezeichnung Islamistendatei vorgeschla- gen –, bei denen gar kein Tatverdacht, sondern nur eine Gesinnung vorliegt? – Wir haben die Erfahrungen gemacht, dass die Erhebung eines der Hauptprobleme ist. Ich erinnere gerne an die vom Bundesdatenschutzbeauftragten beim BKA gefundene Datei Global, die keineswegs nur straffällige oder verdächtige Globalisierungskritiker erfasste, sondern alle Bürgerinnen und Bürger, die zu dem Thema irgendwo in Erscheinung getreten waren. Glauben Sie nicht, dass die Schwelle beim Thema Terrorismus noch viel niedriger liegt?

Umstritten ist auch, ob die Anti-Terror-Datei gegen das Trennungsgebot der Ermittlungen von Polizei und Geheimdiensten verstößt. Dazu sagt der Innenexperte der CDU und Bundestagsabgeordnete, Roland Gewalt: