Protocol of the Session on April 28, 2005

Ich stimme vollkommen zu, dass die Bernauer Straße als ein legendärer Ort erhalten werden muss. Ich bin absolut der Meinung, dass hier viel zu wenig geschehen ist. Man liest die Vorgeschichte des Versagens der großen Koalition. Das sage ich ganz offen, mit traurigen Gefühlen. Es fehlt darin aber der Aufschrei der PDS. Sie hat auch nicht protestiert gegen all dieses Wegdenken des Mauergedenkens. Dass damals – ich sage es, weil ich selbst dabei war – die Bundesregierung nur mit einer Art Machtwort, oder einem Verzweiflungsakt, den Kunstwettbewerb, nämlich überhaupt das Mauergedenken provisorisch gerettet hat, das sollten wir einmal anerkennen und dafür dankbar sein.

Die Bernauer Straße ist richtig. Sie hat aber einen entscheidenden Nachteil. Sie liegt nicht an der „Mall“. Alle großen Hauptstädte haben eine Geschichtsmeile, die entweder künstlich geplant ist wie in Washington, dieses große grüne Band, oder sich ergibt wie in London oder Paris. An Berlins „Meile“ liegt die Bernauer Straße nicht und wird nie dort liegen. Hingegen liegen dort etwas seitlich von der großen Mall Berlins – von Goldelse bis Museumsinsel – etwas seitlich die Orte, zu denen auch der Checkpoint Charlie gehört. Davon muss man ausgehen. Wenn man weiß, dass es so ist, muss man klug damit umgehen. Man muss die Installation, die „Volkskunst“ der Frau Hildebrandt nicht mögen, aber man kann nicht davon absehen, dass das, was Herr Flierl fordert, eine so genannte „sachgerechte“ Methode eben zwei Seiten hat.

Sachgerecht ist auch, dass dort, wo ein Erinnerungsort die Chance hat, gesehen zu werden, er errichtet werden muss. Da tut man sich am Besten weise zusammen und findet nicht, dass dort, auf diesem winzigen Platz, etwas Grosses zum „Kalten Krieg“ installiert werden muss. Dafür geht man besser ins National-Air-and-Space Museum nach Washington, wo die SS 20 steht und wo der große strategische Weltkonflikt gezeigt wird.

[Beifall bei der CDU und der FDP]

Der Checkpoint Charlie ist ein Ort, der die Freiheit Berlins symbolisiert und an dem die West- und Ostberliner inzwischen ganz genau wissen, welche Gefühle davon historisch ausgehen.

[Beifall bei der CDU und der FDP]

Ich bin einverstanden mit der touristischen Erschließung, einverstanden mit den Pfaden, einverstanden mit den Busmobilen und all dem, was man braucht. Aber das kommt nicht von selbst. In Washington fahren diese Mobile. Das macht die Regierung. Das wird bezahlt, damit die Geschichte auch erfahren wird. Berlin ist so groß wie das Ruhrgebiet. Das kann man nicht einfach dem freien Spiel der Kräfte überlassen. Darum ist 2010/2011 für mich überhaupt keine Perspektive. Wir müssen von Senator Flierl und vom Senat fordern, das alles auch zu finanzieren, die Erschließung der gewaltigen Geschichtslandschaft. Ich würde mich freuen, wenn Herr Flierl in der

Sen Dr. Flierl

Frage der Wissenschaftlichkeit über seinen Schatten spränge. Die Erinnerungen eines Volkes gehören nicht den Parteien, ob sie nun regieren oder nicht. Sie gehören allen Menschen, die den Mut haben, der Wahrheit ins Auge zu sehen. Das tut man lieber oder weniger lieb, je nachdem, welche Vergangenheit man eben hat.

[Beifall bei der CDU und der FDP]

Im Parlament sind auch heftige Emotionen möglich. Herr Lehmann-Brauns ist Spezialist für heftige Emotionen. Das finde ich auch gut, weil es die Debatte heiß macht und zwingt, darauf zu antworten. Es gibt aber auch Konsens. Wir haben heute zum Eingang der Sitzung erlebt, dass Parteien und Fraktionen sich jenseits von Regierung und Opposition auf gemeinsame Geschichtstexte einigen können. Das wünsche ich mir für den Umgang mit der Mauer auch. Er muss dann auch die Normannenstraße und Hohenschönhausen einschließen, denn die Mauer hat sich nicht selbst erbaut. – Herzlichen Dank!

[Beifall bei der CDU und der FDP]

Danke schön! – Für die SPD-Fraktion hat das Wort der Abgeordnete Herr Hilse. – Sie haben eine Redezeit von vier Minuten.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Dass Konzepte naturgemäß von Regierungs- und Oppositionsfraktionen unterschiedlich bewertet werden, ist nichts Ungewöhnliches. Eine Aktuelle Stunde jedoch mit der Feststellung zu beantragen, das erarbeitete Gedenkstättenkonzept ginge an Opfern, Parlamentariern und der Öffentlichkeit vorbei, ist blanker Unsinn.

[Beifall bei der SPD und der PDS]

Wir haben bereits hierzu eine Anhörung im Ausschuss für Kulturelle Angelegenheiten durchgeführt. Das Konzept ist Gegenstand der heutigen Diskussion und wird einen weiteren breiten gesellschaftlichen Diskurs durchlaufen. Das ist auch gar nicht anders zu erwarten. Offenbar war bei der Formulierung des Themas für die Aktuelle Stunde der Wunsch Vater des Gedankens. Wenn dem so wäre, erhöbe sich die Frage, was der CDU oder Herrn Lehmann-Brauns wichtiger wäre: ein ideologischer Schlagabtausch oder – im Gedenken an die deutsche Teilung – die Erarbeitung einer würdigen Grundlage.

Wenn wir heute feststellen und beklagen, dass nicht mehr bauliche Zeugnisse der Teilung Berlins vorzufinden sind, ist es weder der Koalition noch dem Kultursenator anzurechnen. Es war der Geist der Nachwendezeit, der die Mauer, das Symbol eines totalitären Regimes, so schnell verschwinden sehen wollte, wie sie entstanden war. Ich erinnere mich, dass wir in der 12. Legislaturperiode, im ersten frei gewählten Gesamtberliner Parlament, die Problematik des Erhalts von Mauerresten seitens der SPD bewegt haben. Bei unserem damaligen Koalitionspartner CDU war die Reaktion eindeutig. Sie lautete, etwas verkürzt:

Die Mauer hat es nicht verdient, als Denkmal in die Geschichte einzugehen.

So viel hierzu, Herr Lehmann-Brauns, wenn wir Geschichte bewegen.

Nun zurück zum vorliegenden Konzept. – Wenn in ihm davon die Rede ist, dass Mauerspechte und der systematische Mauerabbruch das symbolische Material für den Gründungsmythos der neuen deutschen Einheit abgeben, so finde ich das falsch, obwohl ich vieles richtig finde, was darin steht. Es war der Freiheitswille des deutschen Volkes, der den Gründungsmythos der deutschen Einheit lieferte. Der Abriss der Mauer war die Folge und nicht anders herum.

[Beifall bei der SPD – Vereinzelter Beifall bei der PDS – Beifall des Abg. Niedergesäß (CDU)]

Der Hinweis, dass insbesondere Touristen Zeugnisse der Teilung in der Nähe des Brandenburger Tores suchen, sollte in die weiteren Überlegungen Eingang finden. Aus meiner Sicht wäre zu prüfen, wie an diesem Ort jene Menschen, die auf der Suche nach Zeitzeugnissen der Teilung sind, abgeholt werden können und ihnen räumliche Orientierung vermittelt werden kann.

Wie mit jenen Relikten der Mauer umzugehen ist, die sich dem Betrachter fast heiter präsentieren, ist im vorliegenden Konzept angerissen. Ich meine East-Side-Gallery, den Rest der bemalten Mauer in der Niederkirchnerstraße, auch den Tränenpalast. All diese Orte transportieren derzeit nicht die Tragik, die die Mauer auf die Bewohner Berlins ausstrahlte. Mit einem umfassenden System von Hinweistafeln könnte dieses Defizit behoben werden. Die Gedenkstätte Bernauer Straße selbst, die zum zentralen Ort des Gedenkens ausgestaltet werden sollte, weist auch Defizite auf. Ich kann jetzt in der Kürze der Zeit nicht weiter darauf eingehen, vieles ist auch bereits gesagt worden.

Die meisten Menschen nähern sich einem historischen Zeugnis emotional und weniger intellektuell. Die meisten Menschen wollen angerührt sein. Den Beweis hierfür liefert die sehr fragwürdige Installation vor dem Museum „Haus am Checkpoint Charlie“. Sie ist ein geschichtliches Derivat, erfährt dennoch eine große Resonanz. Aus diesem Grund sollten wir überlegen, ob wir uns nicht überwinden könnten, das museologische und denkmalschützerische Reinheitsgebot, welches das Rekonstruieren von Verschwundenem verbietet, zu durchbrechen. Die Bernauer Straße böte die Möglichkeit, die Mauer in ihrem realen Schrecken nacherlebbarer zu machen.

Abschließend möchte ich an dieser Stelle all jenen privaten Initiativen Dank sagen, die durch ihr Engagement verhindert haben, dass wir heute noch weniger Zeugnisse der Teilung vorfinden.

[Beifall bei der SPD – Vereinzelter Beifall bei der PDS – Beifall des Abg. Hahn (FDP)]

Stellvertretend für alle nenne ich Herrn Jürgen Litfin, den Bruder des ersten Maueropfers, der durch ein beispiello

Dr. Stölzl

ses Engagement den Wachturm in der Kieler Straße originalgetreu saniert und zu einer Gedenkstätte ausgebaut hat.

Zum Schluss: Ich bin davon überzeugt, dass das Gedenkkonzept ein guter Anfang ist, dem Gedenken an die Teilung Berlins und Deutschlands einen angemessenen und würdigen Raum zu eröffnen. Ein Anfang ist gemacht. Dem Geist der Opfer verpflichtet, sollten wir gemeinsam an diesem Gedenkstättenkonzept weiter arbeiten, so, wie wir heute den Tag begonnen haben, da war dieser Geist zu spüren. Ich hoffe, dass er uns auch weiter so durch die Debatte führt. – Danke schön!

[Beifall bei der SPD – Vereinzelter Beifall bei der PDS]

Danke schön! – Das Wort zu einer Kurzintervention hat der Herr Abgeordneter Lehmann-Brauns. – Bitte sehr!

Frau Präsidentin! Herr Kollege Hilse! Herr Senator! Sie haben von Ideologie bzw. abgestandenen Formulierungen gesprochen. – Dazu möchte ich folgendes feststellen: Ich habe dem Senator nicht das formale Recht bestritten, hier zu sprechen, sondern die Legitimität.

[Gaebler (SPD): Sie müssen schon Herrn Hilse ansprechen!]

Entschuldigung, Herr Lehmann-Brauns! – Eine Kurzintervention muss sich immer auf den Vorredner oder die Vorrednerin beziehen. Ich bitte Sie, das zu beachten!

[Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Herr Hilse! Meine Damen und Herren! Glauben Sie denn allen Ernstes, Sie könnten die Täterbiografien und die der Systemträger aus einer Diskussion, einer langfristig angelegten Diskussion, über die Gedenkstätten wirklich heraushalten? – Glauben Sie denn nicht wirklich, dass die Opfer Sie nicht danach fragen, – –

[Zurufe von der SPD und der PDS – Brauer (PDS): Wer will denn das, das ist eine ungeheuerliche Unterstellung!]

Das tue ich, Herr Brauer! Es tut mir leid, dass Ihnen das Thema unangenehm ist, aber ich kann es Ihnen im Moment nicht ersparen!

[Zurufe von der SPD und der PDS – Zuruf des Abg. Gaebler (SPD)]

Herr Kollege Hilse! Glauben Sie wirklich, dass es den Opfern gleichgültig ist, wer die Maßstäbe eingibt in eine Konzeption, die sich mit ihrem Schicksal befasst? – Das kann man doch gerechterweise nicht annehmen. Ich will Ihnen noch einmal sagen: Wir haben kein Recht, jemanden zu verurteilen, auch den Senator nicht. Aber wir haben ein Recht und eine Pflicht, nach der Legitimität solcher Debatten und der Legitimität seiner Verantwortung für dieses Gedenkstättenkonzept zu fragen. Und das las

sen wir uns von niemandem streitig machen. – Vielen Dank!

[Beifall bei der CDU]

Danke schön! – Herr Hilse, möchten Sie erwidern? – Bitte sehr!

[Dr. Lindner (FDP): Herr Hilse, genannt Flierl!]

Herr Lehmann-Brauns! Ich stelle zunächst fest, dass Sie dieses Wort okkupiert haben unter dem Vorwand, auf meine Rede einzugehen. Das haben Sie aber nicht getan.

[Beifall bei der SPD – Vereinzelter Beifall bei der PDS]

Zu Ihrem finsteren Verdacht, dass allein Herr Senator Flierl, der für Sie irgendwie ein Oberbösewicht zu sein scheint, die Diskussion beherrscht, sage ich Ihnen: Diese Diskussion führt die gesamte Stadt! Diese Diskussion führen alle Fraktionen, führt die Öffentlichkeit. Ihre Sorgen sind unberechtigt.

[Beifall bei der SPD – Vereinzelter Beifall bei der PDS]

Danke schön! – Für die Fraktion der Grünen hat jetzt das Wort Frau Abgeordnete Ströver, die noch drei Minuten Redezeit hat. – Bitte sehr!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich finde das ganze Thema nicht so lustig, sondern ziemlich ernst und hätte mir gewünscht, dass der Regierende Bürgermeister an dieser Diskussion teilnimmt.