Berliner Gedenkstättenkonzept „Deutsche Teilung“ richtig machen – Vorschläge von Kultursenator Flierl gehen an Opfern, Parlament und Öffentlichkeit vorbei
Gemäß der Änderung unserer Geschäftsordnung steht jeder Fraktion nunmehr eine Redezeit von bis zu zehn Minuten zur Verfügung, die auf zwei Redner aufgeteilt werden kann.
In der ersten Runde hat für die Fraktion der CDU der Kollege Dr. Lehmann-Brauns das Wort. – Bitte schön, Herr Dr. Lehmann-Brauns!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Gedenkstättenkonzept des Senats ist im Gespräch, und das ist gut so. Es ist gut, dass die Diskussion über die Mauer, die SED-Diktatur und was davon übrig geblieben ist, allmählich in Gang kommt. Gut ist auch, dass allgemein begriffen wird, dass es ein Vergehen an der Stadt war, die Restbestände der Mauer zu entsorgen, zum Beispiel den Wachturm am Checkpoint Charlie durch den damaligen Baustadtrat von Mitte, Flierl, zum Beispiel die Schleifung der Mauer am Potsdamer Platz zu Gunsten gesichtsloser Neubauten. Diese machen Berlin verwechselbar. Jene Mauer hätte das einmalige Schicksal der Stadt widergespiegelt.
Übrigens hat es auch meine Partei an Entschiedenheit bei der Bewahrung von Spolien und Betonteilen dieser widerwärtigen Mauer fehlen lassen.
Neben den guten Nachrichten gibt es offene Fragen, etwa die: Wie umgehen mit den verschwindend wenigen Mauerteilen? Soll man sie durch Inszenierungen, Kopien verlängern? – Meine Fraktion ist der Auffassung, dass der Authentizität der Vorrang zu geben ist vor der Replik und vor der Kopie. Denn Begreifen ist besser als Berichten. Deshalb: Hände weg von den letzten Mauerresten, von den verbliebenen Wachtürmen! Hände weg auch vom Mauermuseum am Checkpoint Charlie, das den Kalten Krieg, den Fall der Mauer und den Tod seines Initiators Rainer Hildebrandt überstanden hat, ohne an Attraktivität zu verlieren.
Es gibt auch gelungene Inszenierungen. Ich denke an die Kreuze mit den Fotos und Kurzbiographien der Mauertoten an der Friedrichstraße. Obwohl ohne Authentizität, handelt es sich um eine gelungene, präsente, fast aktuelle Dokumentation der Maueropfer. Ich hätte gewünscht, Herr Flierl, dass Sie diese Initiative unterstützt hätten, wo doch der Abriss des Wachturms auf Ihr Konto geht. Vor allem die Opfer hätten das von Ihnen erwartet und nicht,
Übrigens ist mir aus Ihrem Beitrag im Kulturausschuss eines nicht klar geworden: Haben Sie sich in dieser Arbeitsgruppe nur auf das Moderieren beschränkt, oder haben Sie eigene Maßstäbe eingegeben? – Darauf hätten wir heute gern eine Antwort.
Ein weiteres Fragezeichen ist dort zu machen, wo und an welchen Stellen auf die Mauer und ihre Opfer hingewiesen werden soll. Es spricht zwar wenig dagegen, die Bernauer Straße zu unterhalten und das Gelände am Nordbahnhof hinzuzunehmen, aber beide leiden unter demselben Manko, ihrer Randlage. Berlin ist eben zu lang und zu breit, als dass man mit einer gleichen Wahrnehmungsdichte den 130 Gedenkorten gerecht werden könnte. Sie alle haben nur dann eine Wahrnehmungschance, wenn es in der Mitte der Stadt einen Ort gibt, der über die Mauer, ihre Geschichte, ihre Opfer, ihre Täter, ihren Fall und die Folgen aufklärt und auf die Gedenkorte außerhalb verweist.
An dieser Stelle wiederhole ich deshalb meinen Vorschlag zur Errichtung eines europäischen Museums. Die Mauer stand für Spaltung und Freiheitsverlust, ihr Fall für Einheit und Freiheitsgewinn, und zwar für Berlin, für die anderen Deutschen, aber eben auch für die Mittel- und Osteuropäer, deren mumifizierte Diktaturen dominoartig wegkippten, als sich die Mauer geöffnet hatte. Wann ist es jemals in Deutschland und Europa geschehen, dass sich Freiheit und Demokratie friedlich durchgesetzt hätten? – Es gibt also ein gemeinsames Schicksal von Spaltung und Befreiung in Europa. Das kann, das muss sich in Berlin widerspiegeln, und zwar in einem solchen Museum der europäischen Freiheit und Einheit. Der Senat bezieht sich zeitlich für seine Konzeption auf das Jahr 2011. Bis dahin dürfte die EU leicht in die Konzeption und Finanzierung einer europäischen Einrichtung mit einzubeziehen sein.
Ich habe anfangs positiv gewürdigt, dass Berlin die Diskussion über die Mauer, die SED-Diktatur und das, was davon übrig geblieben ist, begonnen hat. Übrig geblieben sind aber nicht nur Beton und Stacheldraht, übrig geblieben sind auch Hunderttausende Opfer und eine nicht unbeträchtliche Anzahl von Tätern und Mittätern. Diese Gruppen aus der Diskussion herauszuhalten, wäre sowohl eindimensional als auch verlogen.
Deshalb, Herr Flierl, stelle ich an Sie, der Sie für diese SED-Diktatur mitverantwortlich sind, die Frage: Woher nehmen Sie die Legitimation, als ehemaliger Kulturfunktionär der SED über Maßstäbe mitzuentscheiden, die die Aufarbeitung einer Diktatur bezwecken, einer Diktatur, die Sie hochrangig repräsentiert haben?
In Ihrer Personalpolitik in Sachen Kultur sehen wir nach wie vor den roten Faden Ihrer DDR-Sozialisierung, ob bei der Berufung von Schindhelm, der Umsteuerung der Theater, dem Abriss des Wachturms.
Deshalb fordere ich Sie auf, vor diesem Parlament nachzuweisen, weshalb Sie sich für berechtigt halten, vor die Opfer jener Diktatur mit einem Gedenkkonzept zu treten.
denn ohne diesen Nachweis sind Sie nicht der Gärtner einer Erinnerungslandschaft, die in Berlin gepflegt werden muss. – Vielen Dank!
Vielen Dank, Herr Dr. Lehmann-Brauns! – Für die Fraktion der SPD spricht nunmehr Frau Lange. – Bitte schön, Frau Lange, Sie haben das Wort!
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Lehmann-Brauns! Am Anfang Ihrer Rede war ich angenehm überrascht und dachte: Toll! Respekt vor Ihnen! Sie bleiben sachlich heute, nicht so wie im Kulturausschuss!
Aber ich habe mich getäuscht. Sie wollen ständig den Kalten Krieg ausgraben. Ich muss doch bitten, auch in der zukünftigen Diskussion eine sachliche Ebene einzuhalten, sonst kommen wir nicht weiter.
Mittlerweile hat sich ein großes Interesse an den Spuren der historischen Teilung in Berlin entwickelt. Wer sich für die jüngste Zeitgeschichte interessiert, kann dies in keiner anderen Stadt so erfahren wie in Berlin. Viele Touristen kommen nach Berlin, auf der Suche nach diesen Orten. Das jetzt vorliegende Konzept ist ein Baustein für den gesamten Bereich der Aufarbeitung der DDRGeschichte und SED-Diktatur.
Wir reden heute nicht über die Zeit nach 1945, sondern über die Berliner Mauer. Der Kultursenator geht in die richtige Richtung. Es ist gut und richtig, dass nun darüber diskutiert werden kann, wie die Mauergedenkstätten, die noch vorhandenen Mauerteile und Mauerreste, in ein Gedenkkonzept einbezogen werden können, und es ist höchste Zeit, dass wir uns dieser Aufgabe stellen. Besonders junge Menschen, die den Todesstreifen, die Mauer, die menschenverachtenden Abfertigungssysteme aus eigener Anschauung nicht mehr kennen, müssen die Möglichkeit haben, sich damit auseinander zu setzen. Wir
brauchen dazu besondere zeitgemäße pädagogische Konzepte, um die Vermittlungsarbeit zu konzipieren. Gedenkorte als Lernorte für Demokratie und das Erinnern als Prävention, um die kulturellen, politischen und gesellschaftlichen Dimensionen und Kenntnisse zu vermitteln – Wandertage in den Schulen reichen dafür nicht aus.
Das Konzept nennt zwei Schwerpunkte: Die Bernauer Straße und den Checkpoint Charlie. Die Bernauer Straße als zentraler Ort zum Gedenken an die Mauer und die Opfer. Es ist unserer Meinung nach der richtige Ansatz, die Bernauer Straße als zentrales Gedenkstättengelände bis zum Nordbahnhof einzubeziehen. Wenn wir allerdings wollen, dass die Menschen mit den Füßen für die Bernauer Straße abstimmen, dann müssen Emotionen und Sinne angesprochen werden. – Berlin im Kalten Krieg: Man muss sehen und fühlen können, was nach dem Mauerbau die Welt erschütterte, wie Menschen sich aus den Fenstern stürzten oder abseilten – in die Freiheit oder in den Tod, in einer Straße, wo die Häuser im Osten standen und der Bürgersteig zum Westen gehörte –, viele wissen das gar nicht mehr. Dieses muss sinnlich erfahrbar gemacht werden.
Gerade an der Bernauer Straße kann unter Einbeziehung der noch vorhandenen Mauerreste mit Rekonstruktionen gearbeitet werden. Dort kann dargestellt werden, wie eine der brutalsten Grenzen der Welt mit mörderischen Sperranlagen ausgestattet war.
Dazu gehört das Erinnern an die Opfer, das Erzählen von Fluchtgeschichten, die im Laufe von 28 Jahren stattfanden, aber auch das Erinnern an Leid und Elend getrennter Familien. Ich kann mich noch sehr gut an Menschen verachtende Situationen erinnern, als ich mit meinem Mann und unserem ersten Kind auf einer Aussichtsplattform stand und auf der anderen Seite, im Osten und weit entfernt, die Großeltern standen, die ihr Enkelkind nicht sehen durften.
Bei einem Ort der Information darf auch der Blick auf die Täter nicht fehlen, auf Grenztruppen, Mauerschützen und die politisch Verantwortlichen, und ich finde, es kann einen auch ruhig gruseln. Genau das ist im Museum am Checkpoint Charlie auf ganz vielen Ebenen erfahrbar – sinnliche, anfassbare Geschichte.
Allerdings darf das Gedenken am Checkpoint Charlie nicht privater Initiative überlassen werden. Es kann nicht sein, dass dort jemand sein privates Freiheitsdenkmal aufstellt.