Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Evangelische Kirche meint, dass dem Religionsunterricht in Berlin die Grundlage entzogen werden soll. Eine Zeitung mit großen Buchstaben hat nachdrücklich gefordert, dass Religion in Berlin Schulfach bleiben muss. Der Staat habe die Finger davon zu lassen, Sinnfragen zu definieren, warnte die kirchenpolitische Sprecherin der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag, Christa Nickels,
Was ist eigentlich passiert in Berlin? Haben die RotRoten ihre Maske abgelegt und endlich ihre hässliche Atheistenfratze gezeigt?
Entgegen anderslautenden Meldungen soll der in Berlin seit 1948 angebotene freiwillige Religionsunterricht weder verboten noch aus der Schule gedrängt oder finanziell ausgetrocknet werden.
Im Gegenteil: Das Haushaltsnotlageland Berlin finanziert zurzeit mit fast 49 Millionen € – Herr Zimmer, mit verfassungsrechtlich nicht gebotenen 49 Millionen €! – pro Jahr einen freiwilligen Religions- und Lebenskundeunterricht aus Steuermitteln.
An diesem Unterricht nehmen 26 % der religionsmündigen Oberschüler teil, und wir von der PDS haben vorgeschlagen, daran nichts zu ändern.
Auch wir von der PDS haben dazugelernt. Wir mussten akzeptieren, dass § 1 im Berliner Schulgesetz, der die Werte beschreibt, die an der Berliner Schule im Unterricht vermittelt werden sollen – also in jedem Unterrichtsfach –, wohl nicht ausreicht.
Der Blick auf die Berliner Situation führt allerdings zu der Frage: Wie entscheidet man sich dann? Ist in einer multireligiös geprägten Einwanderungsstadt, die Berlin nun einmal ist,
die Berlin nun einmal ist. Da können Sie lachen, aber Sie können sich dem nicht entziehen. – in der zudem im Ostteil der Stadt eine Vielzahl der Schülerinnen und Schüler überhaupt nicht religiös ist,
Warum soll es besser sein, wenn sich Schüler von einem Unterrichtsfach, in dem zum Beispiel über die Gleichberechtigung von Mann und Frau diskutiert werden kann, in den Unterricht der islamischen Föderation abmelden können? Wie sollen Probleme besprochen werden, wenn sich ausgerechnet an dieser Stelle Katholiken, Aleviten, Juden, Protestanten, Buddhisten und Atheisten separieren? – Gemeinsam oder getrennt über Religionen, Kulturen oder die Norm des Zusammenlebens zu reden, das ist die Kernfrage der Debatte.
Dies soll auf der Grundlage eines bis zum Jahr 2006 zu erarbeitenden Rahmenlehrplans und mit qualifizierten Fachkräften erfolgen. Dazu sollen berufsbegleitende Weiterbildungskurse eingerichtet werden, und wir gehen davon aus, dass solch ein neues Fach weitestgehend durch Umverteilung aus anderen Fächern eingeführt werden kann. Dafür haben wir einen Grund – vorhin ist das kritisiert worden –: Wir sind der Auffassung, dass eine Ausweitung der Stundentafel pädagogisch und bildungspolitisch nicht zu vertreten ist. Außerdem befürchte ich, dass solch eine Ausweitung dann tatsächlich zu einer Belastung derjenigen Schüler führen würde, die – wie jetzt auch schon – zusätzlich am freiwilligen Religionsunterricht teilnehmen.
Weil es nötig zu sein scheint, einige Worte zum rechtlichen Rahmen: Die Trennung von Staat und Kirche im Berliner Schulwesen wurde mit dem Schulgesetz von 1948 beschlossen. Diese Regelung ist durch die so genannte Bremer Klausel verfassungsrechtlich gesichert.
Weil sich diese Klausel noch nicht so recht herumgesprochen hat und bereits Klagen angekündigt worden sind, will ich eine Hilfestellung geben und darlegen, was sie besagt: Sie besagt, dass der Passus im Grundgesetz, wonach Religionsunterricht in öffentlichen Schulen ordentliches Lehrfach ist, keine Anwendung in einem Land findet, in dem am 1. Januar 1949 eine andere landesrechtliche Regelung bestand.
Das war im Land Berlin der Fall. Ob man das politisch richtig findet oder falsch, darüber können wir streiten. Aber dagegen mit einer Klage zu Felde zu ziehen, dabei wünsche ich Ihnen viel Glück!
Ich verstehe, dass die CDU glücklich darüber ist, endlich ein Auseinandersetzungsthema gefunden zu haben, von dem sie glaubt, mit ihm könne sie Rot-Rot vor sich hertreiben. Aber ein bisschen mehr Mühe müssen Sie sich wirklich machen.
Nein! – Sehr geehrte Damen und Herren! Nun wird uns manchmal vorgeworfen – so war es in vielen Zeitungen zu lesen –, dass dieser Berliner und Bremer Sonderweg ein Irrweg sei und dass wir ihn nicht nutzen sollen. Ich sehe das ganz anders. Berlin hat eine tolerante Tradition im Umgang mit allen Religionen. Das sollte so bleiben. Die teilweise nichtreligiöse, teilweise multireligiöse Gegenwart kann man nicht mit Modellen aus dem Schwabenland beantworten.
Ich finde, dass die Möglichkeit, die uns die Bremer Klausel bietet, ein Glücksfall für die Hauptstadt ist. Ich gehe sogar noch einen Schritt weiter. Ich finde, dass zumindest die Frage erlaubt sein sollte, ob die Wahlpflichtmodelle der 50er Jahre, als es nur katholische und evangelische Schüler gab, in der Realität von Hamburg, Cottbus oder Köln ausreichende Antworten geben.
[Beifall bei der PDS – Senftleben (FDP): Davon redet doch kein Mensch! – Zuruf des Abg. Hoffmann (CDU)]
In den vielen Jahren großer Koalition, aber auch davor, war es nicht möglich, einen mehrheitsfähigen Änderungsvorschlag gegenüber dem Status quo zu unterbreiten.
Rot-Rot traut es sich zu, und wir scheuen die Debatte über diese Frage auch nicht. Ich finde, es gibt in Berlin, aber nicht nur dort, Defizite in Grundfragen des Zusammenlebens. Es gibt völlig unterschiedliche Vorstellungen. Darüber miteinander zu reden, das ist sinnvoll und überfällig. Deshalb hat die PDS-Fraktion als erste Fraktion hier im Haus einen Vorschlag für ein völlig neues Unterrichtsfach unterbreitet. Wir stehen dazu, weil das die richtige Antwort auf die Berliner Fragen der Gegenwart ist.
Wir wollen, dass beginnend mit einer Erprobungsphase ab dem Schuljahr 2006/2007 ab der 7. Klasse ein neues Fach angeboten wird.