Protocol of the Session on April 14, 2005

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich eröffne die 66. Sitzung des Abgeordnetenhauses von Berlin, begrüße Sie alle, unsere Gäste, die Zuhörer und die Vertreter der Medien sehr herzlich.

Bevor wir mit unseren Beratungen beginnen, habe ich eine traurige Pflicht zu erfüllen und bitte Sie, sich zu erheben.

[Die Anwesenden erheben sich von ihren Plätzen.]

Am 23. März ist der frühere langjährige Senatsdirektor Werner Müller im Alter von 85 Jahren gestorben. Werner Müller war von 1963 bis 1981 – also 18 Jahre lang – Senatsdirektor, wie damals die Staatssekretäre hießen: zunächst in der Senatsverwaltung für Jugend und Sport, dann in der Senatsverwaltung für Soziales. In diesen 18 Jahren war er für die Senatorin Ella Kay und die Senatoren Kurt Neubauer, Horst Korber, Harry Liehr und Olaf Sund tätig.

Er kam aus der verbandlichen Jugendarbeit der "Falken". In sein Amt als Senatsdirektor brachte er langjährige Erfahrungen in der Jugendarbeit und vor allen Dingen als Leiter des legendären Berliner Instituts für Jugendgruppenleiter-Ausbildung, des besser bekannten "Hauses am Rupenhorn" sowie als Bezirksstadtrat für Jugend und Sport im Bezirk Wedding ein.

Werner Müller verstand Jugendpolitik als offensive Sozialarbeit, als gestaltende Jugendarbeit, nicht nur als nachgehende Fürsorge. Er wollte Hilfe zur Selbsthilfe organisieren und die eigenen Kräfte der Jugendlichen und sozial Benachteiligten freisetzen.

Sein Name wird für immer verbunden bleiben mit bedeutenden Initiativen, die zwei Jahrzehnte lang zentrale Themen der Berliner Sozialpolitik waren, z. B. – die Behindertenpläne, deren Maßnahmen uns heute so selbstverständlich sind, dass keiner darüber diskutiert, die damals aber revolutionär waren,

die Berufung eines Landesbeauftragten für Behinderte,

der Berliner Seniorenplan,

der fahrbare Mittagstisch und die ambulanten Dienste,

und schließlich der Telebus, alles Maßnahmen, die darauf abzielten, Mobilität für Behinderte zu erreichen und damit auch Behindertenselbstbestimmung zu ermöglichen. Werner Müller hat die inhaltlichen und konzeptionellen Vorlagen dafür geliefert. Manches, was uns heute in der Sozial- und Behindertenpolitik ganz selbstverständlich erscheint, musste erst hart erkämpft und politisch durchgesetzt werden.

Werner Müller hat in schwieriger Zeit für die Menschen in Berlin viel erreicht. Wir trauern um ihn mit Dank und Hochachtung.

Sie haben sich zu Ehren von Werner Müller erhoben. Ich danke Ihnen.

Sehr geehrter Herr Präsident,

So weit das Zitat; das gilt.

Am Montag sind vier Anträge auf Durchführung einer

Aktuellen Stunde eingegangen:

2. Antrag der Fraktion der CDU zum Thema: „Kein Religionsunterricht, aber Einheitsschule – Rot-Rot versündigt sich an unseren Kindern und schreckt Unternehmen und junge Familien ab“,

3. Antrag der Fraktion der Grünen zum Thema: „Berlins Bildung braucht mehr Qualität! – SPD-Beschlüsse zu LER und Gemeinschaftsschule lösen nicht die Probleme von heute“,

4. Antrag der Fraktion der FDP zum Thema: „Stopp dem rot-roten Kulturkampf: keine Einheitsschule und keine Einheitswerte in Berlin!“.

Nach der Zurückziehung der Anträge auf Durchführung einer Aktuellen Stunde durch die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, durch SPD und PDS und durch die Fraktion der FDP und anschließender Aussprache konnte sich der Ältestenrat einvernehmlich auf eine Aktuelle Stunde zum Thema „Bildung“ nicht verständigen.

Ich rufe zur Begründung der Aktualität Frau Abgeordnete Schultze-Berndt von der Fraktion der CDU auf. Darf ich Sie zuvor darauf hinweisen, dass bitte zur Aktualität begründet wird. Im Ältestenrat bin ich aufgerufen worden, verschärft darauf zu achten, und Sie sind nun die Erste. – Bitte schön, Sie haben das Wort, Frau SchultzeBerndt!

Vielen Dank! – Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die halbe Stadt, die Eltern, die Lehrer, die Vorklassenleiterinnen, Erzieher und Erzieherinnen, Gläubige in den Gemeinden, die Kirchen, die Wirtschaft – vertreten durch die IHK – sowie

Wir erleben aktuell in der Stadt, wie infolge einer gescheiterten Multikultigesinnung die Gleichberechtigung der Geschlechter von muslimischen Jugendlichen zunehmend in Frage gestellt wird. Die Akzeptanz der Jungen gegenüber ihren Lehrerinnen hat in bedenklichem Maß abgenommen. Man folgt den Anweisungen der Frauen nicht, die eigentlich nach unserem Verständnis ebenso wie Männer Autoritätspersonen sein sollten. Infolge des Unterrichts der Islamischen Föderation in unseren Schulen werden immer mehr Mädchen überzeugt, aber auch gegen ihren Willen dazu gedrängt, Kopftücher zu tragen.

Sie dürfen nicht am Sexualkunde- und Schwimmunterricht teilnehmen. Die aktuelle Antwort der SPD darauf wollen wir mit Ihnen diskutieren. Sie lassen mit Ihrem Modell zu, dass die Islamisten weiterhin im staatlich nicht kontrollierbaren Unterricht junge Menschen manipulieren.

Das aktuelle Geschehen in Berlin erregt in der ganzen Bundesrepublik Aufsehen. Der Bundestag debattierte über den Werteunterricht in Berlin und verurteilte mehrheitlich die Pläne von Rot-Rot. Der Bundesvorsitzende der SPD, Franz Müntefering, der aus Berlin stammende Generalsekretär, Klaus Uwe Benneter, und sogar der Bundeskanzler treten für ein Wahlpflichtfach ein und warnen die Berliner Genossen, in die Zeiten des Klassenkampfes vor dem Godesberger Programm zurückzufallen. Auch andere gesellschaftliche Gruppen, wie der Präsident der FU, Prof. Lenzen, die Verlegerin Friede Springer, der TV-Moderator Günter Jauch sowie Frau Christiansen melden sich zu Wort und treten für Religion als Wahlpflichtfach ein.

gesellschaftliche Repräsentanten stehen Kopf nach den Beschlüssen der SPD auf ihrem Landesparteitag am Sonnabend. Für alle Parteien war dies sofort ein Anlass, aktuell darüber zu sprechen, doch nur die CDU hat die Priorität für Bildung beibehalten.

[Beifall bei der CDU – Pewestorff (PDS): Sportliche Leistung!]

Wir haben beantragt, aus aktuellem Anlass darüber zu sprechen, wohin es mit der Bildung unserer Berliner Kinder gehen soll.

Wir beobachten aktuell, welch unglaubliches Aufsehen der Tod des Papstes in Rom weltweit und vor allem auch in Deutschland verursacht hat.

[Pewestorff (PDS): Lasst die Toten ruhen!]

Tagelang nimmt die Berichterstattung zwei Drittel der Nachrichten ein – wie ist das zu erklären? – Der Papst war eine Persönlichkeit, die authentisch Werte verkörperte, die für diese Werte lebte und für sie eintrat. Vielen Menschen gab er Orientierung, auch wenn sich nicht alle – und vor allem nicht viele Jugendliche – exakt an sein Wort hielten betreffs Enthaltsamkeit vor der Ehe; auch die Thematik der Verhütung, speziell in Afrika,

[Brauer (PDS): Bravo!]

wurde diskutiert. Dennoch war es möglich, in der Auseinandersetzung mit ihm und seinen Standpunkten, mit dem Wertesystem der Kirche für die Jugendlichen einen eigenen Standpunkt zu finden und ein ehrliches Verständnis und damit auch wirkliche Toleranz für andere Bezugssysteme zu entwickeln.

Welche aktuellen Antworten gibt Rot-Rot auf diese Entwicklungen? – Zusammen mit der PDS lässt die SPD sozialistische Blütenträume reifen. Man beschließt ein Wertefach, und bevor noch ein Wort zu den Inhalten verloren ist – außer, dass es um Werte gehen soll –, wird gleich davon gesprochen, dass das erste Ziel des Unterrichts die Toleranz und die Relativierung des eigenen Glaubens sein müsse. Entsetzt fühlt sich Bundestagspräsident Thierse an das Vorgehen der SED-Diktatur in der DDR erinnert, als Religion und Kirchen verdrängt wurden, um Staatsbürgerkunde einzuführen.

[Beifall bei der CDU – Beifall des Abg. Dr. Lindner (FDP)]

Dieselbe Kritik äußert Christa Nickels von den Grünen.

[Beifall bei der CDU und der FDP]

Herr Wowereit sollte, anstatt mit Frau Christiansen etliche Bälle zu besuchen, sich von ihr lieber einmal erklären lassen, warum ein fundierter Werteunterricht – bekenntnisorientiert oder bekenntnisfrei – unverzichtbar und Ihrem geplanten Wertewischiwaschi deutlich überlegen ist.

[Pewestorff (PDS): Sie machen sich über das Thema lustig!]

Aktuell ist für die Berliner und insbesondere für die Eltern aber noch ein ganz anderes Problem: Durch die staatliche Bevormundung von Rot-Rot wird ihnen die optimale Förderung ihrer Kinder – der schwächsten wie auch der stärksten – verwehrt. Der Elternwunsch wie auch die elterliche Verantwortung werden autoritär unterbunden.

[Brauer (PDS): Das ist doch Blödsinn!]

Die SPD greift mit ihrem Leitantrag nach der Lufthoheit über die Kinderbetten, wie es Olaf Scholz einst formulierte. Wir wollen von Ihnen aktuell wissen, welche Bedeutung Sie den Eltern bei der Erziehung ihrer Kinder noch beimessen. Nach Ihrem Antrag beginnt Bildung erst im Kindergarten oder in der Schule, also in der staatlichen Einrichtung. Aus diesem Menschenbild leiten Sie erneut eine Strukturdebatte über die Einheitsschule ab. Das finnische Vorbild wird dem Namen nach kopiert. Dass in Finnland in einer Einheitsschule aber fünf Lernniveaus vertreten sind, lassen Sie unter den Tisch fallen.

[Gaebler (SPD): Lassen Sie uns endlich abstimmen!]

Soziale Kompetenzen werden gefördert. Aber interessiert Sie nicht, welche Inhalte es gibt und wie die Kinder diese am besten lernen? – Liebe Vertreter von der SPDFraktion, Hand aufs Herz: Haben Sie Ihre Kinder auf die Gesamtschulen geschickt?

[Zurufe von der SPD: Ja!]

Zu Beginn der Fragestunde noch ein Hinweis: Die Reihenfolge der Fragen der Fraktion der CDU hat sich geändert. Die ursprünglich an zweiter Stelle der Übersicht stehende Frage des Abgeordneten Henkel wird nun als letzte Frage der heutigen Sitzung aufgerufen. Das bedeutet, dass die Frage Nr. 7 des Abgeordneten Dr. Lehmann-Brauns als Nr. 2 aufgerufen wird und die Frage Nr. 13 der Abgeordneten Grütters als Frage Nr. 7 usw. Ich bitte Sie, das zu berücksichtigen.

Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss!

Sie unterbinden den Wechsel an Oberschulen ab Klasse 5, der deutlich macht, dass Berliner Eltern das Modell der Einheitsschule in den Klassen 5 und 6 für gescheitert halten. Den Schwachen geben Sie in der Einheitsschule keine Chance, jemals die rote Laterne abzugeben. Dieses Vorgehen brennt den Berlinern und uns auf den Nägeln. Darum wollen wir aktuell wissen, ob Sie unsere Kinder tatsächlich zum Spielball Ihrer Ideologie werden lassen wollen.

[Beifall bei der CDU]

Sie tun das allein mit dem Ziel, die ideologischen Ideen der 70er Jahre endlich zu realisieren.