Protocol of the Session on December 9, 2004

[Beifall bei der SPD und der PDS – Zuruf der Frau Abg. Dr. Klotz (Grüne)]

Die nächste große Reform ist das vorgezogene Einschulungsalter. Ab dem nächsten Schuljahr werden die Kinder im Alter von fünfeinhalb bis sechseinhalb Jahren eingeschult. Das ist nötig, damit das dramatisch hohe Durchschnittseinschulungsalter in Berlin von 6,8 Jahren endlich gesenkt wird. Des Weiteren werden die Kinder in den ersten beiden Schuljahren eine Schulanfangsphase

Die notwendigen Reformen betreffen sowohl innere als auch äußere Maßnahmen, die nicht gegeneinander ausgespielt werden dürfen. Zu den inneren Reformen zähle ich auch eine veränderte Methodik – z. B. andere Sozialformen im Unterricht. Dies soll u. a. mit einer verstärkten Fort- und Weiterbildung der Lehrerinnen und Lehrer gelingen. Außerdem haben wir mit dem neuen Lehrerbildungsgesetz die Ausbildung von neuen Lehrerinnen und Lehrern verkürzt und praxisnäher gestaltet. Die Erziehungswissenschaften und die Fachdidaktiken bekommen ein stärkeres Gewicht, und die Studierenden werden durch Praktika bereits im Grundstudium und also früher mit dem Schulalltag konfrontiert.

Das wichtigste Instrument, um Chancengleichheit umzusetzen, ist aber die individuelle Förderung jedes einzelnen Kindes. Dies unterscheidet uns z. B. von Finnland. Wir müssen uns um jedes Kind mit seinen jeweiligen Anlagen kümmern und die positiven Ansätze fördern, statt ständig nach Fehlern zu suchen. Wir dürfen nicht aufgeben, denn wir brauchen alle jungen Menschen für unsere Gesellschaft. Diese individuellen Lernwege werden bereits mit dem unterschiedlichen Durchlaufen der Schulanfangsphase und durch das Überspringen einzelner Klassen ermöglicht. Mit dem neuen Schulgesetz wird zudem die Schulzeit bis zum Abitur im Regelfall auf 12 Jahre verkürzt; möglich bleiben aber auch 13 Jahre, wenn der Wechsel auf die gymnasiale Oberstufe nach dem Besuch der Haupt- oder Realschule erfolgt.

durchlaufen, die sie individuell in ein, zwei oder drei Kalenderjahren absolvieren können.

[Frau Senftleben (FDP): Kalenderjahre?]

Damit wird dem didaktischen Prinzip – die Schwächeren fördern und die Stärkeren fordern – Rechnung getragen.

Ich komme zum zweiten Teil: Chancen gerecht verteilen. Alarmierend ist auch bei den Ergebnissen der zweiten PISA-Studie, dass die Abhängigkeit von sozialer Herkunft und Bildungserfolg in Deutschland weiterhin am größten ist. Neben dem gesenkten Einschulungsalter und der Schulanfangsphase ist daher der Ausbau von Ganztagsgrundschulen ein wichtiger Schritt, um auch den Kindern aus bildungsferneren Schichten einen besseren Zugang zu unserem Bildungssystem zu ermöglichen. Diese Investition ist das größte Bildungsreformprojekt, das je eine deutsche Bundesregierung gestartet hat. Durch die Einführung von Ganztagsschulen können der Schulalltag flexibler gestaltet und die 45-minütigen Einheiten aufgebrochen werden. Am Nachmittag können – neben der wichtigen Hausaufgabenbetreuung – auch sportliche, musische oder künstlerische Angebote wahrgenommen werden.

Mit der Einrichtung von Ganztagsgrundschulen geht die Verlagerung der Horte an die Schulen einher. Hier ist auf Bezirksebene schon gute Arbeit geleistet worden, obwohl es an einigen Stellen Kritik an der Umsetzung gibt. Ich betone ausdrücklich, dass der 1. August 2005 nur ein rechtlicher Stichtag ist, es sich aber um einen Prozess handelt, der zu diesem Termin noch nicht berlinweit abgeschlossen sein wird. Mit dem gestern unterzeichneten Kooperationsvertrag des Landes mit den Freien Trägern erhalten auch kleinere Einrichtungen – wie z. B. Schülerläden – die Möglichkeit, mit den Schulen zusammenzuarbeiten. Ich appelliere an alle Beteiligten, weiterhin konstruktiv an diesen Reformmaßnahmen mitzuarbeiten.

[Beifall bei der SPD und der PDS]

Mit den Ergebnissen der PISA II-Studie ist der Ruf nach einer Einheitsschule wieder laut geworden. Die OECD fordert, keine Separierung der Schülerinnen und Schüler nach der vierten Klasse vorzunehmen. In Berlin und Brandenburg sind wir schon ein ganzes Stück weiter. Wir halten an unserer sechsjährigen Grundschule fest; dies ist als Essential der Koalitionsfraktionen auch im neuen Schulgesetz verankert. Obwohl das langfristige Ziel eine gemeinsame längere Schulzeit ist, dürfen wir mit übereilten Strukturdebatten die Eltern nicht verunsichern. Hier ist vor allem die Akzeptanz der Eltern gefragt; der Elternwille muss berücksichtigt und alle Beteiligten müssen mitgenommen werden. Wenn wir an dieser Stelle also noch nicht in eine tief greifende Schulstrukturdebatte einsteigen wollen, sind wir uns doch darüber einig, dass die Hauptschule in ihrer jetzigen Form überholt ist. Dem wird im neuen Schulgesetz insofern Rechnung getragen, als die neunten und zehnten Klassen vorrangig praxisnah und stärker berufsorientiert ausgestaltet sind. Außerdem haben wir die verbundenen Haupt- und Realschulen, die es faktisch schon lange gibt, im Gesetz festgeschrieben.

Ein Wort noch zur Qualitätsentwicklung und -sicherung in der Berliner Schule: Die eingeführten Vergleichsarbeiten sind ein wichtiges Instrument, um Aufschluss darüber zu erhalten, wo wir stehen und welche Verbesserungen notwendig sind. Im Rahmen der Verwirklichung der verstärkten Eigenkompetenz der einzelnen Schulen sind kontinuierliche inner- und außerschulische Evaluationen durchzuführen.

Zum Abschluss komme ich zum dritten Punkt: mehr investieren. Wenn auch die SPD-Fraktion weiterhin – trotz knapper Kassen – an der Priorität für Bildung festhält, muss Folgendes konstatiert werden: Mehr Geld allein schafft keine bessere Schule. Vielmehr gilt es, die zur Verfügung stehenden Mittel sinnvoll einzusetzen und für strukturelle Verbesserungen zu sorgen. Wenn ich mir als bildungspolitische Sprecherin meiner Fraktion auch noch mehr Geld für Bildung wünschte – indem man diese Ausgaben z. B. haushaltsrechtlich als Investitionen begreift –, so können wir dennoch bei den bestehenden rechtlichen Vorgaben konstatieren, dass das Land Berlin auch fiskalisch der Bildung Priorität einräumt. Fazit: Auch die SPD-Fraktion in Berlin schreibt Bildung groß. – Ich danke Ihnen!

[Beifall bei der SPD und der PDS]

Vielen Dank, Frau Kollegin Dr. Tesch! – Es folgt die Fraktion der CDU, Frau Kollegin Schultze-Berndt hat das Wort! Unsere neuen wis

Vizepräsident Dr. Stölzl

Erstens: die Reform der Lehrerbildung. Sie wird von der SPD nur unter tariflichen Einstufungskriterien betrachtet und nicht nach dem Qualifizierungsbedarf von Lehrkräften und schulpraktischer Anwendung. Die vorliegende Reform benennt Bestehendes neu in Master und Bachelor um. Inhaltliche Reformen bleiben auf der Strecke. Es fehlen die von der OECD empfohlenen Standards für die Lehrerbildung und eine deutliche Verstärkung frühzeitiger Praxisphasen.

Lernen vom PISA-Sieger Finnland heißt: Nur die Besten werden Lehrer. Das Lehrerstudium darf in Finnland erst nach Eignungstests an den Universitäten aufgenommen werden. Die anschließende Einstellungsperspektive ist sehr gut.

senschaftlichen Messinstrumente ermöglichen ganz genaue Redeplanungen. – Bitte schön, Sie haben das Wort!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Seit wenigen Tagen liegen die ersten Ergebnisse des zweitens Teils der PISA-Studie vor, und die Lage Deutschlands hat sich nicht nennenswert verbessert. Immer noch sind wir nur Mittelmaß. Das Thema dieser Aktuellen Stunde greift die immer noch vorhandenen Mängel der derzeitigen deutschen Schulqualität auf und verdeutlicht, wie schleppend der Prozess der Reformen in Gang kommt.

Gibt es eigentlich auch außerhalb Deutschlands Probleme mit Schulkindern, die die Landessprache nicht beherrschen? Gibt es eigentlich auch in anderen PISALändern einen Zusammenhang zwischen dem Einkommen der Eltern und Bildungsabschluss der Kinder? Gibt es eigentlich auch in anderen Ländern Pädagogen, die erst nach dem Studium bei Schuleintritt feststellen, dass sie den falschen Beruf gewählt haben?

[Brauer (PDS): Ja!]

Die Antwort ist klar: Natürlich gibt es das alles auch außerhalb Deutschlands. Aber die anderen Länder, so zeigt es die PISA-Studie, lösen die Probleme und Herausforderungen offensichtlich besser, als wir es hier in Deutschland schaffen.

Seien wir einmal ganz ehrlich: Dass es dort offensichtlich besser funktioniert als hier, liegt sicherlich nicht in erster Linie an den Lehrern, nicht allein an den Eltern, nicht nur an den Schülern oder der Lehre, es liegt vor allem an der richtigen Prioritätensetzung im Haushalt. Es liegt zuerst an der richtigen Prioritätensetzung in der Politik.

Hören wir doch endlich auf, die Schule als ein Experimentierfeld von ideologischen Grabenkämpfen zu missbrauchen, und hören wir doch endlich auf, Unausgegorenes durchzupeitschen, nur um Aktivitäten vorweisen zu können, so wie in Berlin beim Schulgesetz geschehen.

[Beifall bei der CDU]

Lassen Sie uns offenen Geistes und offenen Herzens auf die anderen Länder schauen und unvoreingenommen von Ihnen lernen. Dass wir dabei die Chancen für alle verbessern müssen, die Chancen der schwachen und der starken Lerner, aber auch die Chancen der Kinder aus bildungsfernen Bereichen, ist die Grundvoraussetzung für den Anschluss an die Spitzenleistungen der Vergleichsländer. Wünschenswert ist dafür natürlich ein Mehr an Pädagogen, ein Mehr an Lehr- und Lernmitteln und ein Mehr an Betreuungsangeboten in angenehmen Räumlichkeiten.

PISA und die anderen internationalen Leistungsvergleiche der OECD machen es immer wieder deutlich: Deutschland zeigt sich in allen Reformprozessen eher als Spätzünder und ist kaum in der Lage, sich problemorientiert und klar auszurichten. Ideologische Scheindiskussionen suggerieren uns ein Märchenwunderland. Ich will Ih

nen das an vier Punkten der Bildungsreform von Rot-Rot in Berlin exemplarisch nachweisen.

Immerhin gibt es Ansätze zur Verstärkung von Fort- und Weiterbildung. Die regelmäßige Qualitätsprüfung des Lehrerpersonals, die die OECD fordert, wird in die Hände des Schulleiters gelegt, dem dafür aber keinerlei zusätzlich Zeit zur Verfügung gestellt wird. Er soll also in einem Schuljahr hundert Kollegen besuchen und anschließend mit ihnen Gespräche führen. Das sind etwa 150 bis 200 Unterrichtsstunden. Wie soll das eigentlich gehen?

Zweiter Punkt: die Eigenständigkeit der Schule. Wie sie im Schulgesetz steht, bleibt sie ein zahnloser Tiger. Wo bleiben denn die Mittel für die Auswahl der benötigten Lehrer durch die einzelne Schule entsprechend ihrem Schulprofil? – Herr Böger nutzt die Eigenständigkeit lediglich, um bei unbequemen Fragen nach fehlenden Konzepten die Verantwortung den Schulen zuzuschieben.

[Beifall bei der CDU]

In den erfolgreichen PISA-Ländern bedeutet die Eigenständigkeit der Schule Personalauswahlmöglichkeiten, Budgethoheit und gezielten Mitteleinsatz sowie klare Bildungsstandards, unter denen sich die Schulprofile entwickeln können.

Drittens: die Chancengerechtigkeit. Sie kann nicht erreicht werden, weil die Sprachunfähigkeit vieler Kinder gute schulische Leistungen von Beginn an unmöglich macht. Bei uns fehlen frühzeitige Warn- und Unterstützungssysteme für Eltern und insbesondere für die Kinder, die in einem schwierigen Umfeld aufwachsen.

Die CDU fordert deshalb, dass rechtzeitig vor Schuleintritt im Alter von vier Jahren der Entwicklungsstand der Kinder vor allem hinsichtlich ihrer sprachlichen Entwicklung geprüft werden muss, um Mängel vor Schuleintritt aufzuarbeiten und den Schulstart auf einem Mindestniveau aller sicherzustellen.

[Beifall bei der CDU]

Dazu muss der Kindergarten viel weiter als bisher Bildungsinhalte aufgreifen, und die Vorklasse soll den Start in das Schulleben gestalten.

Betrachten wir diese Länder im Vergleich, zeichnet sich ein Modell eines flexiblen Schulsystems ab, das durch Eigenverantwortung der Schulen, externe Prüfungen und gezielte intensive Interventionen in Problemfällen charakterisiert ist. Dagegen ist das Berliner Schulgesetz mit seinen einseitigen Reformvorstellungen und kostenaufwendigen Schulabläufen nicht nur ganz am Anfang des Reformprozesses, sondern im Vergleich der Reforminhalte auch auf prähistorischem Erkenntnisstand. Staatliche Einflussnahme auf alle Entscheidungen der Schule und dann auch noch staatliche Aufsicht für jeden schulischen Ablauf statt einer unabhängigen Evaluationsagentur.

Unter der Individualisierung der Bildung versteht RotRot eine schwammige Schuleingangsphase, in der sich jeder um jeden kümmern soll, und man hofft, dass neben dem gesellschaftlichen Lernprozess noch ein wenig schulische Bildung abfällt. Weder den guten noch den schlechten Schülern wird man so gerecht.

Finnland sucht andere Wege zur Chancengerechtigkeit. Um den Schüler kümmert sich dort nicht nur der Lehrer, sondern jederzeit können Schulpsychologen und Sozialpädagogen sowie eine Krankenschwester einbezogen werden, die in der Schule präsent sind. So ist es möglich, auf das Individuum einzugehen und eine ganzheitliche Begleitung der Entwicklung zu schaffen. Der Lehrer gewinnt Zeit. Zeit, die er dringen braucht, Inhalte zu vermitteln und sich auf Lernstarke und Lernschwache einzulassen. So lässt sich auch am Besten die Verknüpfung von sozialer Herkunft und Lernerfolg bekämpfen, die in allen Ländern ein Problem ist, leider aber in Deutschland besonders schwerwiegend.

Die Einheitsschule als vierter Punkt. Sie soll die Ausbildungsfähigkeit nivellieren. Da möchte ich all jenen ins Gewissen reden, die die Lehren aus der PISA-Studie nur auf einen einzigen Punkt reduzieren und glauben, ihren Ideologiekampf der 70er Jahre jetzt wieder neu beleben zu können. Ich möchte all denen widersprechen, die jetzt die Gesamt- oder Einheitsschule als das Allheilmittel ansehen.

Glauben Sie denn ernsthaft, dass Sie die Kinder bei den heutigen Rahmenbedingungen, den heutigen Missständen, bei der Lehrerausstattung, der räumlichen Ausstattung, den Missständen bei Schulbüchern und dem Unterrichtsausfall, dem Fehlen an Erziehern, Sozialpädagogen und Psychologen, bei fehlenden Lehrplänen und einheitlichen Abschlussprüfungen, bei sozialen Problemen, die wir insbesondere in der Großstadt Berlin haben, einfach wieder in eine Schule hineinpferchen können und sagen: Jetzt haben wir aus PISA gelernt und nun, liebe Kinder, werdet einmal so gut, wie es die finnischen Kinder sind?

[Beifall bei der CDU]

Die Erfahrung mehrerer Jahrzehnte mit der Gesamtschule, die finanziell besonders gut ausgestattet wird, deren Absolventen aber nicht viel besser als die Haupt- und Realschüler abschneiden, machen deutlich – liebe Ideologen und Gesamtschulprediger: Das ist zu kurz und auch falsch gedacht. Der Hauptverantwortliche für die PISAStudie in Deutschland hat gerade dargelegt, dass eine Strukturdebatte nicht zielführend ist. Denn auch Länder mit einem gegliederten System wie die Niederlande und Belgien gehören zu den erfolgreichen PISA-Ländern.

Zusammenfassend lässt sich sagen: Trotz unterschiedlicher Kennzahlen bei den Ausgaben für Bildung, den Unterrichtszeiten und Jugendlichen mit Migrationshintergrund fällt bei den Vergleichsstudien auf, dass in erfolgreichen Bildungssystemen

1. Schulen mehr Eigenverantwortung tatsächlich übertragen wird,

2. mehr zentrale Prüfungen durchführen werden,

3. früher eingeschult wird,

4. die Lehrer die Schüler mehr unterstützen,

5. weniger Nachhilfeunterricht erforderlich ist,