Protocol of the Session on March 7, 2002

[Beifall bei den Grünen und der CDU – Beifall des Abg. Dr. Jungnickel (FDP)]

Wir waren dafür, dass der Stellenplan für das Personal auf das Finanzressort übertragen wird. Das war an sich eine gute Idee. Aber da kannten wir Thilo Sarrazin noch nicht.

[Heiterkeit bei den Grünen und der CDU]

Ich habe hier vor zwei Wochen schon gesagt: Da hat Klaus Wowereit einen Bruder im Geiste gefunden – gesucht und gefunden. – Heute füge ich hinzu: Da hat Dr. Jekyll seinen Mr. Hyde gefunden.

[Heiterkeit bei den Grünen und der CDU]

Er muss nicht mehr selber in diese Rolle schlüpfen, sondern kann jetzt nur noch der liebe Wowi sein. Das macht er auch lieber. Er überlässt diese Rolle Herrn Sarrazin. Aber man muss dieses „taz“-Interview vom Sonnabend noch einmal rekapitulieren. Da kann man nur sagen: Ein Mann sieht Rot-Rot! Er rächt sich jetzt für unfreundliche Taxifahrer, er rächt sich im Stil eines verbalen Amokläufers für Leistungsverweigerer unter Lehrerinnen und Lehrern und für Putzkolonnen, die bei ihm nicht richtig den Staub wegwischen, für das ganze versiffte Westberlin, das aus der Jogginghose nicht herauskommt und vom Subventionstropf nicht wegkommt. Da räumt er jetzt auf.

[Beifall bei den Grünen, der CDU und der FDP – Beifall des Abg. Gaebler (SPD)]

Lieber lonesome Cowboy oder Robin Hood oder wie auch immer, bisher haben Sie es überall zwei Jahre ausgehalten, sagt man, oder man hat es mit Ihnen ausgehalten. Zwei Jahre in diesem Stil hält Berlin nicht aus, das muss Ihnen deutlich gesagt werden!

[Beifall bei den Grünen, der CDU und der FDP]

Was kommen denn für Vorgaben aus dieser Finanzverwaltung? – Die sind in nichts klar. Wir hatten es zunächst erlebt, dass der Justiz gesagt wurde: Ich habe festgestellt, woanders gibt es weniger Richter pro Kopf der Bevölkerung, in Flächenländern wie Bayern beispielsweise. – Dann wurde er belehrt, es komme auf die Fallzahlen und auf die Eingangszahlen an. Dann schreibt er an die Justiz, sie solle doch bitte die Fallzahlen senken und gefälligst dafür sorgen, dass weniger Freiheitsstrafen und mehr Geldstrafen verhängt würden.

[Heiterkeit bei den Grünen]

Nun mal abgesehen davon, dass das Ergebnis wünschenswert wäre, Herr Kollege Benneter, wir sind uns doch wohl einig, dass ein solcher Ukas an unabhängige Richter nicht geht. Aber dann zu glauben, ich setze das jetzt durch, und alles, was hier über die schlechte Ausstattung der Justiz über Monate gesagt wurde – Eberhard Diepgens Millionenprogramm, die Festlegung aller Parteien, dass die Justiz diesen Nachbesserungs- und Aufholbedarf hat, dass sie ausgepowert ist –, alles das soll nicht mehr gelten. Jetzt kommt Thilo Sarrazin und sagt: Ich verlange, dass die Kosten gesenkt werden, Berlin hat im Ländervergleich auf den letzten Platz zu rücken. – Er ist sozusagen der Erfinder der Budgetierung im Justizwesen, wie wir sie bisher nur im Gesundheitswesen kannten.

[Heiterkeit bei den Grünen]

(A) (C)

(B) (D)

Das ist eine Kapriole. Auch die hätte man sich hier früher nicht vorstellen können.

[Beifall bei den Grünen – Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Harald Wolf – er ist wenigstens so ehrlich – hat dem Senat neulich die Note „befriedigend“ gegeben. Stefan Liebich hat gesagt: Die Außendarstellung muss besser werden. – Als ob es nur ein Marketingproblem wäre! Ich will da nicht richten, aber ich erinnere mich noch, dass Gregor Gysi einmal einen Senat der Besten annonciert hat, mit ihm als Allerbesten, als Regierenden Bürgermeister. Aber auch wenn Sie nicht Regierender Bürgermeister geworden sind, hat Sie niemand gehindert, den Senat der Besten zusammenzustellen, wir jedenfalls nicht, Herr Kollege Gysi! Bei einer Direktwahl wären Sie sowieso als Selbstläufer Regierender Bürgermeister geworden. Wir erinnern uns noch an die vielen harmlos bescheidenen Äußerungen von Ihnen. Aber wenn man Sie jetzt so hört und wenn man jetzt so liest, wie Sie im „Spiegel“ zitiert werden, dann fragt man sich doch, ob auch Sie das Kriterium des Besten etwas verfehlen.

[Czaja (CDU): Richtig, richtig!]

Zitat:

Ich ahnte nicht, wie viel Arbeit das ist. Ich werde morgens um halb acht abgeholt und komme um zwei nach Haus. Als Arbeitssenator bin ich für die Preise der Stadtreinigung zuständig. Als Wirtschaftssenator muss ich an die Interessen der freien Anbieter denken. Passt nicht zusammen!

[Heiterkeit bei der CDU – Zuruf des Abg. Pewestorff (PDS)]

Als Frauensenator muss ich am 8. März reden und gleichzeitig in Prag den Regierenden Bürgermeister vertreten. Das geht nicht.

[Heiterkeit bei der CDU]

Zwischendurch muss ich Daniel Barenboims Dirigentengehalt diskutieren, ohne überhaupt über einen Haushalt zu verfügen. Es ist die Hölle.

Soweit Gregor Gysi!

[Allgemeine Heiterkeit – Beifall bei den Grünen, der CDU und der FDP]

Ich will nun nicht sagen, dahin gehört der Teufel auch, das wäre zu billig. Gregor Gysi, Barenboims Bezüge haben Sie doch schon als Anwalt in die lichten Höhen getrieben, die uns jetzt so teuer kommen. Aber wer hat Sie denn zu diesem Ressortzuschnitt gezwungen? Wer hat denn in dieser Stadt auf den Frauensenator Gregor Gysi gewartet?

[Dr. Lindner (FDP): Alle!]

Das müssten Sie doch einmal sagen! Noch heute in der „Süddeutschen Zeitung“ sagen Sie: „Das Verhältnis von zwei Frauen zu sieben Männern im Senat ist völlig unbefriedigend.“ – Sie hätten das Verhältnis doch verbessern können.

[Dr. Lindner (FDP): Noch mehr Knake-Werners!]

Wenigstens Sie hätten im Verhältnis 2:1 in diesen Senat gehen können. Jetzt jammern Sie über Ihre eigenen Taten und Leistungen. Das überzeugt nicht!

[Beifall bei den Grünen, der CDU und der FDP]

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Lorenz?

Ja, gestatte ich! – Sie muss aber schnell kommen.

Die Zwischenfrage erscheint auf dem Display, aber nicht in wirklicher Gestalt!

Wenn sie nicht kommt, so viel Zeit habe ich nicht.

[Czaja (CDU): Herr Lorenz ist eingeschlafen!]

Man soll – Herr Stölzl, wo Sie sich jetzt gerade zu Wort gemeldet haben – bei diesem Herumdilettieren, das wir beobachten, aber nicht das Besondere, die historische Dimension dieses rotroten Bündnisses vergessen. Der Politikbetrieb neigt zum Alltag, und die Koalition setzt auch bewusst auf die Macht der Gewöhnung. Sie waren es, Herr Stölzl, der vor der Wahl des Senats versucht hat, diese Dimension in einer gut ausgearbeiteten, in einer pointierten Rede zu fassen und in Worte zu kleiden. Leider haben Sie es nur versucht, denn Sie sind inhaltlich weit über das Ziel hinausgeschossen. Sie sagten: „Die Zuschauer aus aller Welt antworten: Heute sperrt die Sozialdemokratie dem Kommunismus die Tür zur Macht in Deutschland wieder auf.“ – Wieder, als hätten wir soeben eine kommunistische Machtergreifung erlebt. Für einen gelernten Historiker ist diese Unfähigkeit schon beachtlich, zwischen Kommunisten und Postkommunisten nicht unterscheiden zu können. Bei allem, was man über die PDS sagen kann und muss, eine kommunistische Partei ist sie längst nicht mehr. Gregor Gysi erklärt Ihnen alles, gefragt und auch ungefragt,

[Heiterkeit bei der FDP]

nur nicht, wie er den Sozialismus in Deutschland wieder einführen wird, auf welcher Fabrik oder Bank – offenbar kann er auch das – er als Erstes die rote Fahne hissen will,

[Heiterkeit bei der PDS]

nicht um es zu verheimlichen – da kann ich Entwarnung geben –, sondern weil er es so wenig weiß wie sein ganzer Klub. Das ist sein Problem. Aber wer wie die CDU bei jeder Gelegenheit einen demokratischen Prozess – und diese Senatswahl ist ein demokratischer Prozess gewesen – als Putsch bezeichnet, der verharmlost die tatsächlichen Gewaltakte, wie wir sie in der Geschichte erlebt haben, z. B. die kommunistische Machtergreifung in Prag, noch nachträglich. Das sollten Sie sich einmal gut überlegen, meine Damen und Herren von der CDU!

[Beifall bei den Grünen, der SPD und der PDS]

Wir haben dieser Senatsbildung die Legitimation nie abgesprochen. Dennoch hat es merkwürdig berührt, dass nur Stölzl auch zu der bitteren Seite dieses Prozesses gesprochen hat, zu den vielen Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten wie Helios Mendiburu oder wie Helmut Fechner, die hier an dieser Stelle als parlamentarischer Geschäftsführer oder in anderer Funktion die Einheit dieser Stadt mitgestaltet haben, dass sie keine andere Möglichkeit gesehen haben, als ihre politische Heimat, als ihre Partei zu verlassen.

[Beifall des Abg. Wansner (CDU)]

Sie gingen und es kamen die, die in der Regel – und da sind sie ja ehrlich – traurig waren, als die Mauer fiel. Es kamen die, die uns heute Daniela Dahn als Preisträgerin kredenzen, nicht um ihre Widerspenstigkeit zu DDR-Zeiten – die gab es durchaus – zu würdigen, nicht um ihren Intellekt zu würdigen, sondern weil sie als Vertreterin und als Sprachrohr des so genannten Osttrotzes, des Unbehagens in der Einheit auftritt, weil sie dadurch in den letzten Jahren ihre Bekanntheit erlangt hat. Zitat von Daniela Dahn:

Immerhin sind 95 % des Volkseigentums, also Betriebe und Grundbesitz, zahllose Immobilien, Hotels und Schlösser in westliche Hände übergegangen. Eine entschädigungslose Enteignung, da mag bei vielen keine rechte Dankbarkeit aufkommen.

Das ist es eben, dieses Reinsurfen auf der Welle, Rächer der Enteigneten zu sein. Dies ist Gregor Gysi problemlos gelungen. So ist er auf seinen Senatorensessel gekommen.

Noch nicht einmal die Veröffentlichung seiner Stasiüberprüfung will Klaus Wowereit ihm bis dato zumuten, ihm, der dagegen früher bis nach Karlsruhe gezogen ist. Die Frage wird von Klaus Wowereit immer aufgeworfen: Warum sollen wir das Ver

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