Protocol of the Session on March 7, 2002

Sie legen Hand an die kulturelle und wissenschaftliche Vielfalt dieser Stadt und damit an die wichtigsten Zukunftsoptionen Berlins. Sie haben kein Konzept für einen wirtschaftlichen Aufschwung und für die Akquisition neuer Arbeitsplätze und Investitionen. Mit Ihrer Regierungserklärung machen Sie sich zum Gefangenen Ihrer eigenen Strategie, nämlich Politik ausschließlich aus einer buchhalterischen Sicht heraus zu betrachten. Damit versagen Sie auf dem Gebiet der politischen Führung.

Durch diese Stadt geht kein Ruck. Das Stimmungsbarometer sinkt, und sichtbare Erfolge lassen seit fast einem Jahr auf sich warten. Sie vertreten das alte Denken und konnten sich nicht lösen aus der Mentalität der vergangenen Epoche und Ihrer über zwanzigjährigen Karriere als Beamter und Berufspolitiker. Sie haben den Berlinern keine Perspektive aufgezeigt, für die es sich einzusetzen und zu sparen lohnt.

[Mutlu (Grüne): Aber Sie!]

Stattdessen haben Sie sich mit den Kräften der Vergangenheit verbündet. Als einziger verbliebenen Volkspartei der Mitte wird deshalb auf uns die Aufgabe zukommen, die Wege Berlins in eine attraktive und solide Zukunft darzustellen.

[Gelächter bei der SPD und den Grünen – Gaebler (SPD): Armes Deutschland! – Weitere Zurufe]

Im Sinne des Wortes von Carlo Schmid ist somit die Opposition der andere Beweger der Politik.

[Vereinzelter Beifall bei der CDU und der FDP – Pewestorff (PDS): Na!]

Berlin hat eine Regierung verdient, die nicht Erbsen zählt und jammert, sondern die Stärken der Stadt nach ihrer Zukunftsfähigkeit bewertet und evaluiert.

[Beifall bei der CDU – Zuruf des Abg. Gaebler (SPD)]

Nicht Mentalitätswechsel, sondern die Besinnung auf die in dieser Mentalität steckenden Kräfte ist vordringlich. Was die Stadt von jeher ausgezeichnet hat, nämlich die Offenheit für das Neue und die Bereitschaft, auf noch nicht Erprobtes einzugehen und das Experiment zu wagen, nur das wird sie in eine gute Zukunft führen.

Pluralität, Liberalität, Weltoffenheit und Internationalität müssen sich stärker mit einer werteorientierten Politik verbinden. Hauptstadt der Kreativität, des Geistes und der Herzen – das muss Berlin werden. Und das bedeutet für die Politik: Weg von der versnobten Lässigkeit, hin zu glühendem Engagement für die Stadt! Weg von der Buchhaltermentalität, hin zur Zukunftsorientierung und Wahrnehmung unserer Chancen!

[Zuruf des Abg. Pewestorff (PDS)]

Weg vom provinziellen Klein-Klein, hin zu einem Denken im europäischen, ja im globalen Zusammenhang!

[Zuruf des Abg. Mutlu (Grüne)]

Weg von dem erhobenen Zeigefinger, hin zu einer neuen Gemeinsamkeit mit und Vertrauen auf die Berlinerinnen und Berliner! Wenn wir das bewältigen, dann ist mir um die Zukunft meiner Heimatstadt Berlin nicht bange.

[Starker Beifall bei der CDU – Vereinzelter Beifall bei der FDP]

Danke schön, Herr Dr. Steffel! – Für die Fraktion der SPD hat der Kollege Müller das Wort. – Bitte schön, Herr Müller!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vor 14 Tagen hat der Regierende Bürgermeister in diesem Hause sein Regierungsprogramm vorgestellt. Ich kann mich nicht erinnern, eine Regierungserklärung gehört zu haben, in der ein Regierender Bürgermeister so schonungslos und ungeschminkt Wahrheiten über die wirkliche Situation des Landes Berlin ausgesprochen hat.

[Beifall bei der SPD und der PDS]

Nur so, nur mit dieser Offenheit ist das Vertrauen der Bevölkerung zu gewinnen, nicht mit wortreichem und folgenlosem Fabulieren. Harte Maßnahmen zu beschließen, Ausgaben zu kürzen und Schwerpunkte zu setzen, ist aber nicht allein Aufgabe des Regierenden Bürgermeisters. Wir werden nur erfolgreich sein, wenn alle Senatsmitglieder, alle im Abgeordnetenhaus vertretenen Parteien – auch die Opposition, sogar die CDU, Herr Steffel – an einem Strang ziehen. Nur dann können wir die Bevölkerung mit auf diese schwierige Reise nehmen.

[Beifall bei der SPD und der PDS]

Jede Form der Verallgemeinerung liegt mir fern, aber was am gestrigen Mittwoch die immer noch größte Berliner Tageszeitung angerichtet hat, ist verantwortungslos. Wer auf Seite 1 reißerisch mit dem Titel „Berlin auf der Kippe“ aufmacht und auf Seite 4 und 5 fragt: „Wann macht Berlin dicht?“ –, muss sich die Frage gefallen lassen, ob es noch um das Wohl der Stadt geht oder ob ganz anderes im Schilde geführt wird.

[Zuruf des Abg. Niedergesäß (CDU)]

Damit wird Berlin großer Schaden zugefügt. Den Lesern der „BZ“ sage ich an dieser Stelle: Berlin macht überhaupt nicht dicht, Berlin macht nie dicht. Diese Koalition wird dafür sorgen, dass Berlin überhaupt eine Zukunft hat.

[Beifall bei der SPD und der PDS – Henkel (CDU): Das glauben Sie doch selber nicht! – Zuruf von der FDP: Die Koalition macht dicht!]

Herr Steffel, Sie haben eine konstruktive Oppositionsarbeit angekündigt. Das klingt besser als manches, was wir vorher von Ihnen gehört haben. Aber die CDU insgesamt bleibt sich treu und Sie sich selbst leider auch. Die CDU-Fraktion hat bisher alle konkreten Vorschläge der Koalition zur Gesundung des Haushalts abgelehnt.

[Niedergesäß (CDU): Ihr habt ja keine gemacht!]

Beispiel UKBF – Sie sagen einfach: Das UKBF muss als Klinikum uneingeschränkt erhalten bleiben –,

[Vereinzelter Beifall bei der CDU]

verschweigen aber, wie dies finanziert werden soll bzw. wo an anderer Stelle 100 Millionen § eingespart werden sollen. Darauf müssen Sie Antworten geben, Herr Steffel, genau darauf!

[Beifall bei der SPD und der PDS – Zuruf des Abg. Niedergesäß (CDU)]

Sie missbrauchen eine zweifellos schwierige Debatte für hemmungslose Agitation, schüren Ängste und reden pausenlos davon, Westberlin werde abgewickelt.

[Niedergesäß (CDU): Das machen Sie!]

In die gleiche Kerbe haut auch Ihr Kollege Braun in der Debatte über die Schließung des Schlossparktheaters. Mit dieser Art destruktiver Politik kommen wir in dieser Stadt nicht weiter. Es ist auch alles andere als ein politisches Konzept, wenn Sie und Ihre Fraktionsmitglieder das Schlossparktheater besuchen. Es kann nie schaden, ins Theater zu gehen. Das erweitert den Horizont. So etwas ist immer gut.

[Zuruf des Abg. Gram (CDU)]

Aber Politik ist das nicht. Machen Sie endlich Politik und reden Sie nicht nur darüber!

[Beifall bei der SPD und der PDS]

Ihr Problem ist, dass Sie nicht begreifen, dass in Berlin die Zeiten einer Politik des allen Wohl und niemandem Weh endgültig vorbei sind. Wären Sie an der Regierung geblieben, wäre unser Haushalt nach wenigen Jahren vollkommen ruiniert und die Stadt perspektivlos.

[Zurufe von der CDU und den Grünen]

Auch wenn Sie, Herr Steffel, neuerdings versuchen, eine staatsmännische Pose einzuüben – wir haben es heute gesehen, es hat nicht lange gehalten, das waren die ersten Sätze, aber immerhin –,

[Henkel (CDU): Reagieren Sie auf die Opposition oder auf die Regierung?]

ist dennoch unübersehbar, dass Sie über die Methode Landowsky, allen alles zu versprechen, keinen Millimeter hinausgekommen sind.

[Beifall bei der SPD und der PDS]

Gerade Ihrer Partei tut ein Mentalitätswechsel Not, denn Berlin hat auch eine handlungsfähige CDU-Opposition verdient. Ich befürchte allerdings, dass wir darauf noch lange warten müssen.

[Zurufe von der CDU]

Herr Steffel, wir stehen zu den Erfolgen der großen Koalition. In diesen zehn Jahren nach der Wende – da haben Sie Recht – ist viel geleistet worden. Aber es geht darum, eine konstruktive Politik für die Zukunft zu machen. Das ist mit Ihnen nicht möglich.

[Zurufe der Abgn. Niedergesäß (CDU) und Czaja (CDU)]

Es war aus diesem Grund unausweichlich, die Koalition mit der CDU zu beenden. Es war die richtige Entscheidung, eine Koalition mit der PDS einzugehen, weil es so mit Berlin nicht weiterging.

[Beifall bei der SPD – Henkel (CDU): Gehen Sie doch mal auf Wowereits Regierungserklärung ein!]