Protocol of the Session on November 11, 2004

Nichtsdestotrotz: Nun haben wir das Gesetz und müssen zusehen, wie wir es unseren Optionen entsprechend umsetzen. Sie werden sich vielleicht erinnern, dass es vor zwei Jahren – einen Tag vor dem ersten Bundesratsbeschluss – am 21. März in diesem Haus eine Debatte und einen Beschluss, den wir, glaube ich, gemeinsam getroffen haben, gegeben hat. Es war ein Maßnahmepaket mit neun Punkten über Landesregelungen zu Zuwanderung, Integration und Flüchtlingsschutz. Wir haben darüber einige Monate später auch eine Mitteilung – zur Kenntnisnahme – bekommen, nämlich im Oktober 2002, da war jedoch ein Punkt nicht umsetzbar: Die Erweiterung der Residenzpflicht für Asylbewerber und Flüchtlinge mit Duldung auf die Region Berlin/Brandenburg. Das hat der General Schönbohm verhindert. Ob er das auch in Zukunft tut, weiß ich nicht. Ich weiß auch nicht, Herr Dr. Körting, ob Sie noch einmal mit ihm verhandeln. Viel Spaß und viel Erfolg dabei! – Es sind ja zwei Jahre vergangen, und auch Generäle können Einsicht zeigen.

Eine wichtige Zäsur für die Berliner Integrations- und Flüchtlingspolitik ist die Berufung eines Integrationsbeirates unter Einbeziehung der Senatsverwaltung einerseits und andererseits von Organisationen, insbesondere der Migrantenorganisationen – auf gleicher Augenhöhe, dies hat Frau Senatorin Knake-Werner schon gesagt. Das ist ein wichtiges Arbeitsgremium. Parallel dazu geschah etwas, was 25 Jahre unmöglich schien und was ich auch schon gar nicht mehr für möglich gehalten hatte. Nach langen Diskussionen und Lernprozessen in Sachen Demokratie wurde von Vertretern von mehr als 50 Migrantenorganisationen ein Migrantenrat Berlin/Brandenburg gegründet. Dieser mischt sich inzwischen heftig in die konkrete politische Debatte ein und macht Schluss mit der bisher vorwiegenden Stellvertreterpolitik, und das ist nur zu begrüßen.

Auch der Flüchtlingsrat als Dachorganisation flüchtlingspolitischer Initiativen ist zum Gesprächspartner der

zuständigen Senatsverwaltung geworden. Seine Vorschläge sind fundiert, und sie finden Zugang auch in politische Entscheidungen. Auch das ist begrüßenswert. Diese Art von Partnerschaft sollten wir uns in allen Bereichen wünschen. So haben wir also in Berlin ein Netzwerk hervorragender Fachkompetenz, die wir bei der Umsetzung des Zuwanderungsgesetzes nutzen könnten, und wenn wir es nicht täten, wären wir dumm.

Das Zuwanderungsgesetz setzt strenge Rahmenbedingungen – das ist klar –, so etwa hinsichtlich der Möglichkeiten der Einwanderung. – Wissen Sie übrigens, wer einwandern kann? – Hochqualifizierte können eine Niederlassungserlaubnis bekommen, wenn sie einen konkreten Arbeitsplatz nachweisen und 7 600     rdienen. Ich gehörte nicht dazu. Selbstständige können sich durchaus auch niederlassen, mit 1 Million -. und 10 Arbeitsplätzen, die Sie schaffen müssen. Eine hohe Hürde, meine ich. Bei den Studenten ist die Liberalisierung bei Weitem nicht so weit gegangen wie wünschenswert. Das alte Recht ist da gar nicht ausgehebelt worden. Da sind auch harte Rahmenbedingungen gesetzt. Dies ist alles an Zuwanderung.

Es gibt aber Ermessensspielräume, die politische Phantasie frei setzen können, die wir dann auch brauchen, zum Beispiel bei der Gestaltung der Integration von neu Zugewanderten. Aus der bisherigen Migrantensozialarbeit sollen Migrationsfachdienste werden. Mit den Zuwanderern sollen Migrationsvereinbarungen getroffen werden, die aus dem gesetzlich vorgesehenem Druck, der da ausgeübt werden soll, durchaus akzeptable Angebote machen können – Stimulation schadet nicht, aber wir wollen keinen Druck ausüben.

Ein anderes Beispiel ist, wie humanitärer Flüchtlingsschutz ausgestaltet wird. Wir verzichten auf so genannte Ausreisezentren für ausreisepflichtige Flüchtlinge, das heißt so genannte Sammellager – das haben wir vor zwei Jahren schon gesagt –, aber wir verzichten nicht auf die Einrichtung einer Härtefallkommission auf neuer, weitgehend liberaler Rechtsgrundlage. Wir verzichten in Zukunft auch nicht auf einen menschenwürdigen Umgang mit Flüchtlingen. Wenn schon das Asylbewerberleistungsgesetz – als Teil des Zuwanderungsgesetzes – in Zukunft weitere Gruppen von Flüchtlingen unter den geminderten Sozialhilfesatz stellt, dann sollen sie wenigsten durch den Bezug von Bargeld selbstbestimmt entscheiden, was sie essen und welche Hygieneartikel sie sich kaufen wollen.

Wir verzichten auch nicht darauf, dass Flüchtlinge in Wohnungen statt in Wohnheimen leben dürfen, mal abgesehen davon, dass dies kostengünstiger ist. Wir verzichten ebenfalls nicht darauf einzufordern, was das Zuwanderungsgesetz ignorierenderweise nicht regelt, nämlich eine Bleiberechtsregelung für lange Jahre – zum Teil 10 oder 12 – in Deutschland lebende Flüchtlinge, die auch noch unter Arbeitsverbot gestellt werden, und ihre Integration. Wie ich hörte, gibt es da inzwischen Unterstützung durch

die Bundestagsfraktion der SPD, die initiativ werden will, und vom Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit, denn er hat erstaunliche Worte gesagt, was den Umgang mit Asylbewerbern und Flüchtlingen in Berlin betrifft.

Er hat gemeinsam mit 16 anderen Bürgermeistern eine Erklärung unterschrieben, in der steht:

Das Zentrum der Zwangsmigration zu sein, kann den europäischen Städten langfristig auch Vorteile bringen. Flüchtlinge und Asylsuchende zusammen mit anderen Einwanderern haben eine neue, dynamische, ethnische Vielfalt sowie Fertigkeiten, Energie und neue Ideen mitgebracht, die helfen, Innovation und wirtschaftliches Wachstum voranzutreiben. Etliche Flüchtlinge und Asylsuchende haben das Potential, wertvolle Beiträge zum gesellschaftlichen, kulturellen und wirtschaftlichen Leben der Stadt zu leisten.

[Zillich (PDS): Da hat er Recht!]

Das finde ich klasse.

[Beifall bei der PDS]

Was wir dazu brauchen, sind aber nicht nur politische Beschlüsse des Senats, des Abgeordnetenhauses und Richtlinienpapiere des Integrationsbeauftragten – und er hat uns inzwischen ein paar wichtige Papiere sowohl zur Integrationspolitik als auch zur Flüchtlingspolitik vorgelegt –, sondern auch gut funktionierende Verwaltungen mit interkultureller Kompetenz, wie es so schön heißt. Wir brauchen vor allem eine Ausländerbehörde, die von den Besucherinnen und Besuchern nicht mehr als Angstbehörde wahrgenommen wird – darauf haben Sie, Herr Kollege Lehmann und andere, schon hingewiesen –, von der in der Tagespresse nicht mehr als „traumatisierende Behörde“ gesprochen wird, von der die zukünftige Leiterin oder der Leiter nicht mehr sagt, sie sei „kein Fachgeschäft, sondern der Aldi“.

Deshalb haben wir nach ausführlichen Diskussionen einen Antrag eingebracht, welche Voraussetzungen zu schaffen sind, damit die Berliner Ausländerbehörde künftig eine Serviceeinrichtung für Migrantinnen, Migranten und Flüchtlinge sein kann. Es wird uns einige Anstrengungen kosten, das umzusetzen. Das geht auch nicht von heute auf morgen. Das setzt ganz andere Einstellungen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter voraus, aber mit entsprechender Leitungskompetenz und Richtlinienkompetenz in die Behörden hinein, ist das zu schaffen.

Was wir nicht zuletzt brauchen, um Integration erfolgreich zu gestalten, ist die Auseinandersetzung mit Diskriminierung von Migrantinnen, Migranten und Flüchtlingen im Alltag, auch in den Behörden, das ist die Förderung von Projekten, die gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus, das ist die Förderung des interkulturellen Dialogs, vor allen Dingen auch mit Musliminnen und Muslimen in dieser Stadt, um zu verhindern, was jetzt in Den Haag und anderen Städten in den Niederlanden passiert. Das ehemals so liberale Hol

land sollte uns eine Warnung sein, dass die Konflikte nicht verdrängt werden dürfen, die durch interkulturelles Zusammenleben entstehen können. Da haben wir eine politische Verantwortung, sehr genau hinzusehen.

[Zuruf des Abg. Reppert (CDU)]

Ich weiß, das kostet Geld, aber es spart auch Geld, was die Folgewirkungen betrifft, wenn wir es nicht investieren. Ich hoffe nicht, dass wir hier jemals von einem Ausstattungsvorsprung Berlins reden, wenn es um solche notwendigen Maßnahmen geht. Wir sollten uns so ausstatten, dass wir eine friedliche und multikulturelle Großstadt inmitten Europas bleiben. – Danke schön!

[Beifall bei der PDS und der SPD]

Danke schön, Frau Kollegin Hopfmann! – Das Wort für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nunmehr Frau Villbrandt. – Bitte schön, Frau Villbrandt!

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nach drei Jahren Verhandlungen ist die Neugestaltung des deutschen Ausländerrechts abgeschlossen. Ich sage das mit sehr gemischten Gefühlen, denn dieses Gesetz ist alles andere als ein Traumergebnis. Das Verfahren, wie es zu Stande kam, und auch das Ergebnis müssen kritisch und nüchtern betrachtet werden. Die erstaunlich mutige Vorlage der Süssmuth-Kommission hatte die Hoffnung geweckt, dass das Thema Einwanderung in unserer Gesellschaft angekommen ist. Die Verhandlungen brachten aber schnell Ernüchterung. Die immer neuen Abstriche waren nur schwer verdaulich. Mit ihrer Blockade hat die CDU Fortschritte verhindert und Schily war bereit, ihr sehr weit entgegenzukommen.

Das Gesetz enttäuscht in vielen Punkten. Ein Punktesystem wie beispielsweise in den USA oder Kanada oder das Abschaffen von Kettenduldungen wurden nicht durchgesetzt. Für Berlin ist es besonders dramatisch, dass es keine befriedigende Regelung für die Geduldeten gegeben hat, die mitunter schon seit 13 Jahren hier leben. Die ständige Unsicherheit, ob man bleiben kann oder abgeschoben wird, erschwert die Integration, ebenso die Beschränkungen bei Arbeit und Ausbildung.

Trotz dieser Hindernisse haben sich viele Flüchtlinge hervorragend integriert. Ihre Kinder sind hier aufgewachsen und zur Schule gegangen. Viele haben gute Abschlüsse, hervorragende Sprachkenntnisse und hätten gute Berufsperspektiven. Berlin hat bei der Aufnahme von Kriegsflüchtlingen eine herausragende Rolle gespielt und müsste jetzt ein besonderes Interesse haben, die positiven Potentiale dieser Menschen für die Stadt zu nützen.

[Beifall bei den Grünen – Beifall der Frau Abg. Seidel-Kalmutzki (SPD)]

Berlin kann es sich nicht leisten, diese Menschen abzuschieben. Es ist bedauerlich, dass mit dem Gesetz keine einfache Altfallregelung geschaffen wurde.

Frau Hopfmann

[Beifall bei den Grünen und der PDS – Beifall des Abg. Lehmann (FDP)]

Unter den gegebenen politischen Umständen und im Kompromiss mit der SPD und mit der Union war das einfach nicht zu erreichen. Dennoch stehen wir zu diesem Gesetz, denn es enthält auch viele Verbesserungen. Es ist zudem Ausdruck der längst überfälligen Erkenntnis, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist.

[Mutlu (Grüne): Trotz CDU!]

Wir stehen nun vor der Aufgabe, Integrationspolitik im Rahmen des neuen Gesetzes zu gestalten. Da gibt es durchaus Möglichkeiten. Die Handlungsspielräume der Länder sind mit dem neuen Gesetz, insbesondere im humanitären Bereich, erweitert worden. Wir wollen, dass Berlin diese Handlungsspielräume nutzt. Berlin ist eine multikulturelle Stadt und muss sich zu seiner Multikulturalität bekennen und sie nicht abwehren. Wir wollen, dass sich das Bekenntnis zum Einwanderungsland Deutschland auch im Verwaltungshandeln niederschlägt, das gilt nicht nur für die Ausländerbehörde. Wir brauchen eine interkulturelle Öffnung aller Behörden. Alle Behörden müssen sich zur Multikulturalität bekennen.

Wir wollen, dass einer nüchternen Analyse der Probleme eine engagierte Integrationsoffensive folgt z. B. für eine bessere Sprachentwicklung der Berliner Vorschulkinder: ohne Sprache keine Integration. Wir wollen, dass die Parteien fraktionsübergreifend auf die nachhaltige Integration setzen und Mittel für diese Offensive freischaufeln, auch wenn es in anderen Bereichen wehtut.

[Beifall bei den Grünen]

Es wird oft und viel über die demographische Entwicklung unserer Bevölkerung geredet. Man muss nicht jede Prognose für bare Münze nehmen, aber gewisse Veränderungen sind so sicher wie das Amen in der Kirche. Dazu gehören der zunehmende Migrantinnen- und Migrantenanteil genauso wie die Tatsache, dass die Menschen in Deutschland immer älter werden und die Bevölkerung schrumpft. Diese Probleme lassen sich nicht allein durch die Zuwanderung lösen, aber die Zuwanderer werden mehr Gewicht in unserer Gesellschaft bekommen.

[Beifall bei den Grünen]

Bereiche wie die Pflege sind ohne die Arbeit der Zuwanderinnen schon heute nicht denkbar. Einwanderung bietet wirtschaftliche Potentiale, die wir in Berlin dringend brauchen. Zugewanderte machen sich z. B. häufiger selbständig, gründen Firmen und schaffen damit Arbeitsplätze. Hier gibt es noch große Reserven.

Eine dauerhafte Stärkung der Stellung des Integrationsbeauftragten scheint uns ebenfalls sinnvoll. Warnen möchten wir davor, dass man sich damit der Integrationsaufgabe entledigt. Die Aufgabe der Integration von Neuzuwanderern ist so wichtig und komplex, dass sie nicht allein einer Stelle überlassen werden kann.

[Beifall bei den Grünen]

Nun haben wir einen Senat, der sich das Bekenntnis zur Einwanderungsgesellschaft auf die Fahne schreibt. Aber handelt er auch so? Ist irgendetwas wie eine Aufbruchsstimmung bei diesem Senat zu spüren? – Bei konkreten Verbesserungsvorschlägen bekamen wir in den vergangenen Jahren immer zu hören: Wartet ab, bis das neue Zuwanderungsgesetz da ist. Nun liegt es vor, und es gibt im Land Berlin neue Gestaltungsspielräume. Wir haben sofort Vorschläge gemacht. Geduldete, die nach dem neuen Gesetz als Härtefall eine Aufenthaltserlaubnis bekommen könnten, sollten nicht mehr abgeschoben werden. Mit einem Landesgesetz sollte die Härtefallkommission gestärkt werden, damit sie den neuen Aufgaben gerecht werden kann.

[Beifall bei den Grünen]

Unsere Fraktion hat dem Senat auch angeboten, eine gemeinsame Strategie für Berlin zu entwickeln, um die Möglichkeiten des Zuwanderungsgesetzes voll auszuschöpfen. Der Senat reagierte abwehrend. Unsere Vorschläge wurden entweder abgelehnt oder stark verwässert. Von Aufbruchsstimmung, Elan und Mut also keine Spur! Stattdessen immer der ängstliche Verweis auf die einheitliche Linie der Innenministerkonferenz, von der Berlin angeblich keinen Millimeter abweichen darf. Warum kann sich Rot-Rot in Berlin eigentlich nicht trauen, was im rot-grünen Schleswig-Holstein möglich ist? Ist es wirklich notwendig, dass Berlin seine Integrationspolitik von Beckstein absegnen lässt? – Mit einer so zögerlichen Haltung wird Berlin die Probleme nicht lösen.

[Beifall bei den Grünen]

Was ist dabei aber die Rolle der PDS in dieser Koalition? – Im Wahlprogramm bekennt sie sich zu Einwanderung und Integration. Im politischen Handeln ist davon aber nichts zu spüren. Statt dessen jammert die PDS über die böse Bundesregierung

[Doering (PDS): Ist ja auch böse!]

und versteckt sich hinter ihrem Koalitionspartner.

[Beifall bei den Grünen]

Auch wir haben Kritik am Zuwanderungsgesetz, aber Kritik allein bringt uns in Berlin nicht weiter. Hier und jetzt muss es darum gehen, die neuen Möglichkeiten im Interesse von Berlin auszuschöpfen. Es reicht nicht, wie die PDS immer nur an die Barmherzigkeit zu appellieren. Wir fordern von ihr konkrete Gestaltung.

Und die SPD-Fraktion? – Von einem eigenen Engagement keine Spur. Ihre Rolle erschöpft sich darin, den Innensenator zu stellen, dem sie das Thema vollständig überlässt.

[Gaebler (SPD): Er ist eben gut!]