Protocol of the Session on August 26, 2004

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich eröffne die 54. Sitzung des Abgeordnetenhauses von Berlin und begrüße Sie alle, unsere Gäste und Zuhörer sowie die Medienvertreter sehr herzlich in unseren Räumen zu der heutigen Sitzung-

Bevor wir mit unseren Beratungen beginnen, habe ich eine traurige Pflicht zu erfüllen und bitte Sie, sich zu erheben.

[Die Anwesenden erheben sich von ihren Plätzen.]

Gemeinsam mit Ihnen möchte ich heute 4 Persönlichkeiten gedenken, die sich große Verdienste um unsere Stadt erworben haben.

Am 17. Juli 2004 ist der frühere Abgeordnete und

Staatssekretär Gerhard Emig im Alter von 77 Jahren gestorben. Gerhard Emig war von 1964 bis 1970 Geschäftsführer der FDP-Fraktion, anschließend bis 1971 Staatssekretär in der Senatsverwaltung für Wirtschaft und von April 1975 bis November 1975 Mitglied der FDPFraktion des Abgeordnetenhauses von Berlin. Er hat in schwieriger Zeit in der Berliner Landespolitik Verantwortung getragen und sich für unsere Stadt engagiert. Dafür haben wir ihm zu danken.

Im Alter von 78 Jahren ist am 24. Juli der frühere

Abgeordnete Horst Kollat gestorben. Horst Kollat gehörte der SPD-Fraktion des Abgeordnetenhauses von April 1975 bis April 1985 an. Bereits zuvor hatte der Studienrat jahrzehntelang in der Berliner Schulpolitik aktiv gearbeitet. Er war Bürgerdeputierter in Reinickendorf, Bezirksverordneter und vor allen Dingen jahrelang Bezirksstadtrat in Wedding.

Mit Horst Kollat verliert Berlin einen profilierten Schul- und Bildungsexperten und einen leidenschaftlichen Kulturpolitiker, der sein profundes Wissen und seine umfangreichen kommunalpolitischen Erfahrungen mit großem Erfolg in die Parlamentsarbeit einbrachte. Wir gedenken seiner mit Hochachtung und mit Dank.

Am 30. Juli ist der Stadtälteste von Berlin Dr. Wolf

gang Ullmann im Alter von 74 Jahren verstorben. Mit ihm verliert unser Land eine prägenden Persönlichkeit der Bürgerbewegung, die 1989 in Ostberlin und in der DDR der friedlichen Revolution den Weg für Demokratie und Freiheit und schließlich zur Öffnung der Mauer und zur Einheit bereitet hat. Er war einer der geistigen Väter der Bürgerbewegung "Demokratie Jetzt", und als Initiator des "Runden Tischs" genoss der Theologe Wolfgang Ullmann hohes Ansehen. Er hatte sich beim Bündnis 90/Die Grünen engagiert, und mit politischem Mut und Weltoffenheit hat er die Geschichte unseres Landes in dem Jahrzehnt der Einheit mitgeprägt. Seit dem 7. Juli 2004 war Wolfgang Ullmann Stadtältester von Berlin. Wir trauern um ihn und gedenken seiner mit Hochachtung.

Meine Damen und Herren! Sie haben sich zu Ehren der Verstorbenen erhoben. – Danke!

Wir beginnen wie immer zunächst mit dem Geschäftlichen. Als erstes begrüße ich als nachgerücktes Mitglied unseres Hauses Frau Jeanette Martins von der Fraktion der Grünen. Herzlich willkommen!

[Beifall]

Sie sind vielen von uns noch aus der vorherigen Legislaturperiode bekannt. Dann teile ich Ihnen die Zurückziehung eines Antrags mit. Die Fraktion der FDP zieht ihren Antrag: Keine uferlose Telefonüberwachung (2) – Bundesratsinitiative zur Stärkung der richterlichen Kontrolle, Drucksache 15/1680, zurück.

Es sind am Montag vier Anträge auf Durchführung

einer Aktuellen Stunde eingegangen, die alle Hartz IV zum Thema hatten:

1. Antrag der Fraktion der SPD und der PDS zum Thema: „Neuregelungen am Arbeitsmarkt – zeitgerechte Umsetzung für Berlin sicherstellen!“,

2. Antrag der Fraktion der CDU zum Thema: „Hartz IV in Berlin – warum haben die PDS-Senatoren ein Interesse am Scheitern der Reform?“,

3. Antrag der Fraktion der FDP zum Thema: „Die Umsetzung des rot-grünen Hartz-IV-Chaos in Berlin: der Senat im Dauerkonflikt durch den Populismus der PDS und die Schwäche der SPD!“,

4. Antrag der Fraktion der Grünen zum Thema: „Hartz IV: trotz Korrekturbedarfs Chancen für kommunale Beschäftigung nutzen!“.

Präsident Momper

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Abgeordnete Dr. Tesch! Nach unserer Analyse sind für das Schuljahr 2005 ausreichend Lehrerstellen vorhanden. Allerdings, das haben wir im Frühjahr dieses Jahres schon erkannt, gibt es in speziellen Fächern Notwendigkeiten, die nicht durch Versetzungen abgedeckt werden können. Deshalb ist es gelungen, im Frühjahr 200 Vollzeitlehrereinheiten, also 200 Stellen, bereits für dieses Jahr zu erreichen. Damit haben wir rund 250 Personen, ausgebildete Lehrerinnen und Lehrer, in den Berliner Schuldienst zum neuen Schuljahr gebracht, und zwar insbesondere in Fächern – speziell in den Europaschulen – dort ist ja bilingualer Unterricht, und hier müssen viele junge Lehrkräfte eingestellt werden; im Bereich der Berufschulen – in den fachtheoretischen Fächern – und in den allgemeinbildenden Schulen, insbesondere im Bereich der Sprachen und auch der Naturwissenschaften. Ein weiterer wichtiger Posten sind Sonderschullehrer/-innen, die mit dieser Marge eingestellt werden konnten. Die Planungen für dieses Schuljahr nach den Prognoseberechnungen sind dann, dass wir sehr gut bei der vom Parlament genehmigten Quote von 105 % liegen werden.

Im Ältestenrat haben wir uns nun auf ein gemeinsames Thema verständigt, das wie folgt lautet: „Hartz IV: Chancen und Risiken für Berlin“. Zu diesem Thema werden unter TOP 2 unserer Tagesordnung auch die Anträge der laufenden Nummer 37 a bis e aufgerufen, die ebenfalls alle Hartz IV betreffen. Die von den einzelnen Fraktionen eingebrachten Anträge auf Durchführung einer Aktuellen Stunde haben insoweit ihre Erledigung gefunden.

Ich weise Sie ferner wieder auf die Ihnen vorliegende Konsensliste und auf das Verzeichnis der eingegangenen Dringlichkeiten hin. In die Dringlichkeitsliste hat sich ein Zahlendreher eingeschlichen. Die Nummer 6 wird in Verbindung mit Punkt 14 der Tagesordnung behandelt und nicht mit Punkt 41.

Sofern sich gegen die Konsensliste bis zum Aufruf des entsprechenden Tagesordnungspunktes kein Widerspruch erhebt, gelten die Vorschläge als angenommen. Über die Anerkennung der Dringlichkeit wird dann wieder jeweils an entsprechender Stelle der Tagesordnung entschieden.

Als einzige Entschuldigung des Senats für die Abwe

senheit während der heutigen Plenarsitzung ist heute die des Finanzsenators aktuell. Herr Senator Dr. Sarrazin nimmt an der heutigen Sitzung aus Krankheitsgründen nicht teil. Wir wünschen von hier aus gute Besserung und bitten, ihm das zu übermitteln!

[Beifall]

Ich rufe auf

lfd. Nr. 1:

Fragestunde gem. § 51 der Geschäftsordnung

Das Wort zur ersten Mündlichen Anfrage hat nunmehr Frau Abgeordnete Dr. Tesch von der Fraktion der SPD zum Thema

Lehrerinnen- und Lehrerneueinstellungen

Bitte schön, Frau Dr. Tesch, Sie haben das Wort!

Danke schön, Herr Präsident! – Ich frage den Senat:

1. Wie viele Lehrerinnen und Lehrer sind zum Beginn des Schuljahres 2004/2005 neu in den Berliner Schuldienst eingestellt worden, und inwieweit konnte dadurch der Bedarf an Lehrerstellen an den Berliner Schulen gedeckt werden?

2. Welche Möglichkeiten sieht der Senat, um insbesondere in Mangelfächern zukünftig eine hinreichende Besetzung von Lehrerstellen zu gewährleisten?

Danke schön, Frau Dr. Tesch! – Herr Senator Böger, der Bildungssenator – bitte!

Zum zweiten Teil Ihrer Frage, was den zukünftigen Lehrerbedarf betrifft, so ist zunächst einmal richtig, dass wir in den kommenden zehn Jahren sehr massiv Einstellungen in Berlin vornehmen können, trotz leider zurückgehender Schülerzahlen. Durch die Austritte der Lehrer und Lehrerinnen, die die Altersgrenze erreicht haben, und durch das, was die Koalition an pädagogischen Verbesserungen beschlossen hat, werden in den kommenden Jahren näherungsweise ca. 1 000 Lehrer und Lehrerinnen neu eingestellt werden können. Es ist erkennbar, dass wir insbesondere in den Naturwissenschaften, in den Sprachen und insbesondere in der Sonderpädagogik erhebliche Bedarfe haben, auch in Fächern wie Musik und Sport. Wir können nicht unmittelbar die Fächerwahl von Studentinnen und Studenten für das Lehramt beeinflussen.

Ich habe mit dem Kollegen Flierl schon einmal besprochen – und wir haben auch den Universitäten mitgeteilt –, in welchen Fächergruppierungen und welchen Bereichen – Sekundarschulen oder Gymnasium – wir Lehrkräfte brauchen. Darüber hinaus befindet sich gegenwärtig eine Gesetzesnovelle zum Lehrerbildungsbereich in der Abstimmung im Senat. Diese Gesetzesnovelle soll beinhalten, dass dann, wenn kein ausreichender Bedarf an ausgebildeten Lehramtsanwärterinnen und Lehramtsanwärter da ist – diese Ausgangsform muss immer bedacht werden –, wenn also nicht genügend Lehrerinnen und Lehrer mit zweitem Staatsexamen da sind, dass dann Menschen, die eine Universitätsprüfung haben, die nicht länger als fünf Jahre zurückliegen darf, und Menschen, die das erste Staatsexamen abgeschlossen haben, berufsbegleitend früher in das Lehramt treten können, je nach Bedarfslage. Dieses beabsichtigen wir. Wir hoffen, dass wir für die Berliner Schule ausreichend Lehrkräfte in den kommenden Jahren haben werden.

Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Abgeordnete Dr. Tesch! Ich stimmen Ihnen zu, wobei ich hoffe, dass Gesetzesänderungen immer positive Auswirkungen haben. Wir haben mit den Universitäten einen sehr selbstständigen Partner, ich hoffe sehr, dass die Vorschriften des Lehrerbildungsgesetzes – wir wissen dies – , auch umgesetzt werden und dass es uns gelingt, drei Dinge mit der Lehrerbildung zu erreichen, nämlich einmal eine ausreichende fachwissenschaftliche Bildung für zukünftige Lehrer und Lehrerinnen; zum Zweiten eine notwendige und schon im Studium angelegte erziehungswissenschaftliche – berufswissenschaftliche Komponente; und zum Dritten eben auch sehr früh die Möglichkeit für Studenten, mit Kindern zu arbeiten, um sehr frühzeitig zu merken, ob ihnen das denn Spaß macht, ob sie das wollen oder nicht. Insofern setzte ich auch große Hoffnungen in dieses neue Lehrerbildungsgesetz.

Danke schön, Herr Senator! – Jetzt geht es weiter mit Frau Schulze-Berndt – bitte schön!

(D

Ich habe die Nachfrage, Herr Böger, wann Sie endlich den tatsächlichen Lehrerbedarf ermitteln werden, denn diese Quote von 105 % beinhaltet ja immer noch die Langzeiterkrankten, und gerade in kleineren Schulen bedeutet die Erkrankung nur eines Lehrers häufig eine tatsächliche Ausstattung von weniger als 100 %. Wann werden Sie den tatsächlichen Bedarf ermitteln?

Danke schön, Herr Senator! – Eine Nachfrage von Frau Dr. Tesch – bitte!

Danke, Herr Präsident! – Es beruhigt mich außerordentlich, Herr Senator, dass diese Kräfte nur dann zum Zuge kommen, wenn niemand mehr von völlig ausgebildeten Lehrerinnen und Lehrern auf der Warteliste steht. Können Sie mir auch Auskunft darüber geben, wie diese berufsbegleitenden Maßnahmen aussehen sollen?

Herr Senator Böger – bitte!

Herr Präsident! Frau Abgeordnete Dr. Tesch! Das Problem bei Gesetzesvorhaben zumindest in diesem Bereich ist, dass es sehr rasch in die Öffentlichkeit gerät, ohne dass der Senat darüber abschließend beraten hat, weil wir eine Fülle von Beteiligungen per Gesetz erfüllen müssen. Deswegen sage ich mit Vorbehalt – der Senat hat das noch nicht beraten –: Es ist eine Berufsbegleitung vorgesehen mit einer entsprechenden Herabsetzung der zu leistenden Stundenzahl, so dass wir glauben, dass sehr gut möglich ist, dass Menschen, die ein Diplom haben, auch dann in zwei Fächern in der Berliner Schule unterrichten können. Die Aussagen in den Medien waren sachlich zum Teil falsch. Das führte dazu, dass ich am kommenden Tag sofort Hunderte von E-Mails hatte von jungen Menschen, die in die Schule kommen wollen. Deswegen sage ich: Dieses Gesetz gibt es noch nicht, die konkreten Bedingungen sind noch nicht vom Senat beraten. Sie sind der Souverän und der Gesetzgeber, ich hoffe aber sehr, dass das in diesem Herbst beraten wird. Vorwürfe wie LehrerLight sind vollkommen falsch.

Es geht nicht darum, Menschen, die keine Qualifikation haben, in die Berliner Schule zu bekommen, sondern es geht darum, bei erkennbarem Bedarf und der Nichtmöglichkeit der Deckung dieses Bedarfs mit qualifizierten ausgebildeten Lehrern und Lehrerinnen diesen Menschen, die ich vorhin erwähnt habe, den Zugang zur Berliner Schule zu erlauben. Wir müssen dazu auch die Abstimmung mit den anderen Bundesländern ermöglichen, weil ja dann diese Lehrkräfte auch in anderen Bundesländern, wenn sie von Berlin wechseln wollen, anerkannt werden müssen. Mir ist bekannt, dass das Bundesland NordrheinWestfalen eine ähnliche Regelung hat.