Protocol of the Session on June 17, 2004

[Beifall bei der PDS, der SPD und den Grünen]

Danke schön, Frau Kollegin! Die fünf Minuten waren sehr rund. – Es folgt die CDU. Der Kollege Niedergesäß hat das Wort – bitte schön!

Danke, Herr Präsident! – Meine Damen und Herren! Über Fahrradverkehr und die Förderung des Fahrradverkehrs muss man in dieser Stadt nicht so viel reden, sondern einfach mehr dafür tun.

[Beifall bei der CDU, der PDS und den Grünen]

Hier sind wichtige Punkte formuliert worden in den Anträgen, um die es heute geht, einmal in der Großen Anfrage von SPD und PDS, zum anderen in dem Antrag Drucksache 15/2811 und auch in dem Antrag der FDP.

Wir haben vorhin von Frau Junge-Reyer und auch von Herrn Gaebler schon eine Menge gehört, was wir alles machen müssten. Ich muss als aktiver Radfahrer feststellen, dass die Radwege in der Stadt teilweise in einem jämmerlichen Zustand sind und dass wir viele Bereiche haben, wo wir mit relativ wenig Mühe Radwege anlegen könnten, aber nichts passiert. Da haben wir ein Riesenpotential – ohne große Geldsummen zu bewegen –, wo man mit wenigen Mitteln die Radfahrer von der Straße bringen könnte, beispielsweise im Bereich Treptow – Frau Matuschek, das kennen Sie alles bestens – von der Köpenicker Landstraße über die Schnellerstraße, Michael-BrücknerStraße. Da ist beispielsweise völlig Schluss, da weiß ein Radfahrer überhaupt nicht mehr, wo er fahren soll. Da muss er in dieses Verkehrschaos dort hinein und sich über den Haufen fahren lassen. Da haben wir also Riesenmöglichkeiten, mit relativ geringem Aufwand viel zu tun.

Über Sicherheit für Radfahrer müssen wir intensiv reden, denn wir haben eine hohe Zahl von tödlichen Unfällen gerade bei Radfahrern. Sie werden zwar zum größten Teil von Radfahrern selbst verursacht, wie wir in der Statistik immer lesen können, aber das kann uns hier nicht zur Ruhe bringen, weil auch selbst verursachte Unfälle oft mit den Bedingungen zu tun haben, die den Radfahrern geboten werden. Ein Thema ist das Rechtsabbiegen von Lkws und die Spiegelausstattung, die hier schon angesprochen worden ist – auch von Frau Junge-Reyer als Senatorin. Aber damit allein ist es nicht getan. Da müsste der Bund ein bisschen schneller reagieren, um endlich zu Regelungen zu kommen, die das Radfahren gerade in Ballungsgebieten, in Städten insgesamt sicherer machen.

Ein übles Ding ist auch die Beleuchtung, die auch von Frau Matuschek angesprochen wurde. Ich habe mal im November bei Nacht und Nebel, abends um 19 Uhr, im „Steakhouse“, im ehemaligen „Pressecafé“, gesessen. Da kamen zwei Drittel der Radfahrer ohne Beleuchtung an. Das ist wirklich übel, und das kann man so auch nicht durchgehen lassen. Die Leute lassen sich totfahren, und damit werden auch viele andere in die Bredouille gebracht, die letztlich dafür haften müssen.

Frau Matuschek

Ich komme noch einmal zurück auf den Zustand der Radwege. Frau Junge-Reyer hat hier eine Menge Trassen aufgezählt, die angelegt werden sollen. Ob es der Weisheit letzter Schluss ist, dass wir durch den Schlosspark in Pankow auf den Wegen, wo jetzt die Spaziergänger flanieren, asphaltierte Radwege anlegen, vermag ich im Moment nicht zu beurteilen. Das müsste mit den Leuten aus Pankow noch einmal besprochen werden. Frau JungeReyer, vielleicht können wir ein Stück nach vorne kommen, wenn Sie die Initiative ergreifen und die bezirklichen Tiefbauämter ansprechen, damit die Potentiale ausgeschöpft werden, die wir dort besitzen, ohne gleich in IPlanungen gewaltige Summen aufnehmen zu müssen. Ich komme noch einmal auf die Schnellerstraße in Schöneweide zurück. Da haben wir Gehwege von 6 bis 8 m Breite, dort wohnt kein Mensch, da spielt kein Kind, da geht auch keine Oma spazieren, aber da müssen Sie mit dem Fahrrad auf der Straße fahren, und da ist es wirklich gefährlich. Die riesig breiten Wege könnten besser genutzt werden, bis auf das neue Stück an dem Einkaufszentrum, da ist es bereits schon geregelt. Die ganzen Bereiche davor sind dagegen in einem kümmerlichen Zustand.

[Brauer (PDS): Da sollte man überhaupt nicht Rad fahren, da kriegt man eine Bleivergiftung!]

Ja, da hat er Recht! Seht mal zu, dass ihr die Autobahn schneller durchbringt und der Querstich nach Treptow gemacht wird, dann können wir die Bleibelastung halbieren und die rechte Spur vom Baumschulenweg bis nach Schmöckwitz oder wenigstens Grünau als Radspur anordnen. Damit hätten wir einen riesigen Schritt gemacht, ohne groß Geld in die Hand nehmen zu müssen.

Herr Gaebler hat die Geschichte der Radfahrer erzählt, die ich gar nicht wiederholen möchte. Das war eine reine Westrede, die Sie gehalten haben. Im Osten sind wir schon deswegen mehr Rad gefahren, weil es gar nicht so viele Autos gab, das war auch ein Vorteil.

[Frau Dr. Tesch (SPD): Früher war alles besser!]

In meiner Jugend konnte man sich überhaupt nur mit dem Fahrrad fortbewegen, und wir, die wir Berufe gelernt haben, sind früh 20 km dorthin und abends 20 km wieder zurück nach Hause gefahren. Deswegen sind wir auch solche Kerle geworden, wissen Sie! Wir waren nicht so verpimpelt wie die Leute mit den dicken Bäuchen hier in der Stadt.

[Beifall bei der CDU – Heiterkeit bei der PDS]

Kommen Sie mal in die ländlichen Gebiete, da haben Sie ganz andere Kerle. Dass das Fahrrad in den letzten zehn bis fünfzehn Jahren einen riesigen Fortschritt gemacht hat, ist schon an den Verkaufszahlen der Fahrradgeschäfte abzulesen. Das ist eine positive Entwicklung, die wir alle unterstützen, und ich kenne eigentlich keinen vernünftigen Menschen, der etwas gegen das Rad Fahren an sich hat. Wir müssen aber auch aufpassen, dass wir das Kind nicht mit dem Bade ausschütten. Wir müssen die Voraussetzungen dafür, dass mehr Menschen Rad fahren, wirklich verbessern. Das fängt mit den Umsteigemöglichkei

ten auf den Bahnhöfen an – Herr Cramer hat darüber ja jahrelang Reden gehalten, und damit hat er im Prinzip ja auch Recht. Bei den Mitnahmeregelungen bei den Bahnen, wenn man Überlandfahrten macht oder sonst wohin fährt, sind teilweise noch abenteuerlich. Die müssen endlich geregelt werden. Ich wundere mich, dass die Grünen jetzt schon sechs Jahre in der Bundesregierung sind und wir bundesrepublikweit noch nicht diese Regelungen haben, die Herr Cramer beispielsweise hier immer gefordert hat. Vielleicht gelingt es ihm jetzt, etwas zu bewegen, wenn er in Straßburg und Brüssel arbeitet. Dann muss er sich nicht nur ein weiteres, sondern zwei weitere Räder kaufen, weil er ja in Brüssel und in Straßburg sitzt. Herr Cramer, wenn es da fehlt, dann machen wir eine Sammlung bei der CDU-Fraktion, dann geben wir Ihnen einen Zuschuss, dass Sie sich das zweite Fahrrad auch noch anschaffen können.

[Heiterkeit bei den Grünen]

Ich möchte an alle appellieren, mehr zu entbürokratisieren. Frau Junge-Reyer oder Frau Matuschek, Sie haben das ja auch schon gesagt, dass wir in den Bezirken mehr machen können, ohne gleich den Haushalt oder die IPlanungen zu belasten. Dort haben wir riesige Potentiale in der Stadt. Die Beläge – darüber haben Sie, Frau JungeReyer bzw. Frau Matuschek auch schon gesprochen – sind teilweise so kümmerlich, dass viele Radfahrer es ablehnen, dort zu fahren, weil sie befürchten, eine Gehirnerschütterung zu kriegen.

Herr Kollege, ich bitte Sie, zum Schluss zu kommen.

Herr Vorsitzender, ich beende meine Rede mit dem Appell an alle: Nehmen Sie sich vor, mehr Rad zu fahren, das ist gesund und hält länger fit. – Danke schön!

[Beifall bei der CDU]

Danke schön, Kollege Niedergesäß! – Es kommt die SPD, der Herr Kollege Gaebler hat das Wort!

Vielen Dank, Herr Präsident! – Es ist ja doch interessant, dass man bei solchen Debatten die heimlichen Radfahrer und Radfahrerinnen kennenlernt. Wir sehen also, dass es gut war, die Aktuelle Stunde mit den Anträgen durchzuführen, auch wenn das Interesse des Hauses insgesamt nicht so überwältigend ist. Wenn die richtigen Fans hier sind, umso besser.

Herr Kollege Niedergesäß! Wenn Sie mir genau zugehört haben, werden Sie bemerkt haben, dass das keine richtige Westrede war, denn ich habe ja gesagt, dass das Fahrrad eigentlich ein proletarisches Verkehrsmittel ist, und wer hätte das besser demonstrieren können als der Arbeiter- und Bauernstaat auf deutschem Boden, nämlich die DDR. Insofern war auch der Osten berücksichtigt. Sie haben das etwas länger gepflegt, doch muss ich sagen, dass irgendwann in den 70er Jahren die proletarische Bodenhaftung auch da verloren gegangen ist, da bei der so

Niedergesäß

zialistischen Planung, die dann einsetzte, das Fahrrad in der Regel keine oder nur eine sehr untergeordnete Rolle spielte, zumindest in der Stadtplanung. Hier hat der Osten die gleichen Fehler gemacht wie der Westen. Insofern ist es gut, dass beide zusammengefunden haben und beide gemeinsam zu der Erkenntnis kommen, dass da vielleicht ein Umdenken erforderlich ist, dass man tatsächlich mehr für den Radverkehr tun muss. Frau Junge-Reyer hat schon gesagt, dass diese Koalition dazu einen Haushaltstitel eingerichtet und mit 5 Millionen € pro Jahr immerhin so ausgestattet hat, dass Schritt für Schritt konsequent das, was Sie gefordert haben, abgearbeitet wird. Bei der Umsetzung der Ziele – mehr Fahrradspuren, bessere Vernetzung, Schließung von Lücken – geht es insbesondere darum, auf einfache und kostengünstige Maßnahmen zu setzen, statt riesige Luxusum- und ausbauten zu machen, um relativ viel umzusetzen und dies auch zügig realisieren zu können. Auch aus meiner Sicht ist es sinnvoll, bei den Bezirken ein größeres Bewusstsein dafür zu schaffen, dass es nicht darum geht, entweder den alten Stiefel weiterzufahren oder dass alles besonders aufwändig und mit weißen Leitlinien und vielleicht noch goldenen Begrenzungssteinen auszustatten ist. Es muss klar werden, dass es darum geht, zügig und schnell Verbesserungen zu erzielen. Das Adlergestell wollen wir, wenn die A 113 fertig befahrbar ist, rückbauen, insofern kann daraus die erste große Fahrradautobahn der Stadt werden. Herr Niedergesäß, wenn Sie das dann so vehement mit unterstützen, dann haben wir ja schon in zwei Fraktionen Fürsprecher und werden das in diesem Haus auch ohne Michael Cramer umsetzen können.

[Beifall des Abg. Buchholz (SPD)]

In den vergangenen Monaten hat insbesondere die Frage eine wichtige Rolle gespielt, wie wir Unfälle verhindern können. Radfahrer und Radfahrerinnen tragen sicherlich dazu bei, dass sie Unfallopfer werden, wenn sie ohne Beleuchtung fahren, wenn sie wild quer über Bürgersteige und von diesen auf die Straßen bzw. bei Rot über Kreuzungen fahren. Wir müssen aber auch feststellen, dass die häufigsten Unfälle beim Abbiegen passieren. Autofahrer und Autofahrerinnen müssen mehr darauf achten, was um sie herum passiert. Immer wenn ich mit dem Rad durch die Stadt fahre, was ich in der Regel auch tue, dann wird man drei Mal am Tag beinahe Opfer eines Verkehrsunfalls, weil ein abbiegender Autofahrer nicht aufpasst. Die sind dann auch alle sehr bestürzt und entschuldigen sich, doch nützt mir das nichts, wenn ich unter dem Auto liege. Es muss daher das Bewusstsein geweckt werden, dass Autofahrer diesen Blick nach hinten machen, dass ihnen bewusst ist, dass dort, wo Radwege sind, auf diese auch zu achten ist. Die beste Lösung ist natürlich, die Radwege auf die Straße zu verlegen und Fahrradspuren anzulegen – das ist der beste Unfallschutz.

Für den Lkw- und Busbereich haben wir das Thema der besonderen Spiegel, die den toten Winkel reduzieren, ja schon öfter diskutiert. Das Bundesverkehrsministerium ist nach einigen Anlaufschwierigkeiten auf dem richtigen Weg, es hat ihn noch nicht ganz gefunden, insofern ist da noch ein bisschen weitere Arbeit nötig, doch geht das

Bemühen in die richtige Richtung. Auf Bundesebene werden wir gemeinsam dafür sorgen, dass hier alles getan wird, um diese schrecklichen Lkw-Unfälle mit Fahrrädern zu vermeiden.

Kein Verkehrsmittel wird so unterschätzt wie das Fahrrad, das sagt der nationale Radverkehrsplan, und das zeigt auch ein bisschen der Antrag der FDP, auf den ich nur kurz eingehen will. Er nimmt viele richtige Dinge auf – der SPD-PDS-Antrag ist vom 27. April 2004, der Antrag der FDP ist vom 25. Mai 2004, und wenn man beide nebeneinander legt, erkennt man viele Ähnlichkeiten, um das mal vorsichtig zu formulieren.

[Zurufe der Abgn. Frau Senftleben (FDP) und Ritzmann (FDP)]

Ich nehme Ihnen das gar nicht übel, wenn Sie von uns Inhalte übernehmen oder parallel dazu erarbeiten. Wo Sie zum gleichen Ergebnis kommen, begrüßen wir das außerordentlich. Aufgefallen ist es mir an dem Punkt, der ansonsten in der Diskussion nicht so präsent ist, nämlich die Frage, in den Außenbezirken Gehwege auch für die Radwegnutzung freizugeben, wenn die Fahrbahnoberfläche das Radfahren dort unerträglich macht. Das haben wir in unseren Antrag aufgenommen, wobei wir auf die Notwendigkeit geringen Fußgängeraufkommens hingewiesen haben. Sie haben das in Ihren Antrag auch aufgenommen.

[Ritzmann (FDP): Haben Sie da Copyright?]

Ein Copyright würde ich nicht anmelden, ich stelle nur fest, dass wir viele Gemeinsamkeiten haben. Wodurch diese verursacht werden, will ich gar nicht näher untersuchen. Wenn wir dabei bleiben, finde ich das gut.

Das einzige Problem, das ich mit Ihrem Antrag habe:

[Ritzmann (FDP): Dass er von der FDP kommt!]

Die FDP verfällt gelegentlich doch noch in altes Denken. Sie stellen erstens Tourismus und Freizeitverkehr sehr stark in den Vordergrund und wollen zweitens alles ausschreiben und privatisieren, was in irgendeiner Form mit Nutzungsangeboten für den Fahrradverkehr zu tun hat. Zum Dritten behaupten Sie, es gäbe noch kein Programm für den Fahrradverkehr in Berlin. Die Senatorin hat soeben klar gemacht, dass dem nicht so ist. Insofern können wir im Ausschuss zu einer großen Gemeinsamkeit kommen, wenn sie von ein, zwei Bekenntnissen der FDP, die hier nicht so passen, abkommen.

Zum Schluss noch der Hinweis: Michael Cramer ist seit 20 Jahren ohne Automobil. Dies kann man seiner Homepage entnehmen. Ich übrigens auch, mit dem Unterschied, dass ich erst 39 Jahre bin und nicht 55 Jahre. – Schließlich war es in den 70er Jahren, wo bei dir, lieber Michael, der Sinneswandel eingesetzt hat. In den 80er Jahren war es sicher einfacher. Ich denke, du hast viel dazu beigetragen, dass das Thema Fahrradverkehr sowie andere Fragen des stadtverträglicheren Verkehrs im Bewusstsein der Stadt verankert wurden. Dabei hast du vielleicht manchmal ein wenig auf den Nerven deiner Kolle

ginnen und Kollegen herumgetrampelt, aber in der Sache warst du immer klar und eindeutig und hast im Sinne der Bürgerinnen und Bürger gehandelt. Ich hoffe, das kannst du in Straßburg fortführen. Nach alledem werden wir dich hier vermissen und bleiben dir weiterhin sehr gewogen. Viel Erfolg und vielen Dank für die Aufmerksamkeit!

[Beifall bei der SPD, der PDS und den Grünen]

Danke schön, Herr Gaebler! – Für die FDP-Fraktion hat das Wort der Abgeordnete von Lüdeke – bitte sehr!

[Henkel (CDU): Lüdeke, der alte Fahrradfahrer!]

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir nehmen heute Abschied von Michael Cramer

[Heiterkeit – Zuruf von der CDU: Keine Trauerrede, bitte!]

mit einer Antragserie, die ihn eigentlich begeistern müsste. Ich denke, das ist das richtige Thema, mit dem wir von ihm Abschied nehmen können. – Im Übrigen auch von unserer Seite herzlichen Glückwunsch zur Wahl in das Europäische Parlament. Ich bedauere, dass wir nicht mehr die Klingen kreuzen werden, was ich mit Ihnen besonders gern getan habe. Das sage ich ganz ehrlich: Ich werde das vermissen.

Sie erleben bei Ihrer letzten Plenarsitzung nun auch noch ein Novum, dass es nämlich einen Antrag zum Fahrradverkehr von der FDP gibt. Das hat es, denke ich, noch nicht gegeben.

[Zustimmung bei den Grünen]