Protocol of the Session on June 17, 2004

ist diese Große Anfrage eine gute Gelegenheit, erstens dieses kurz zu würdigen und zweitens zu zeigen, dass auch nach dem Abgang von Michael Cramer aus diesem Hause – er bleibt uns in der Berliner Politik ja wahrscheinlich erhalten – der Fahrradverkehr bei Rot-Rot in guten Händen ist. Die Senatorin wird in ihrer Antwort auf die Große Anfrage dazu sicherlich etwas sagen. Ich freue mich auf die anschließende Aussprache. – Vielen Dank!

[Beifall bei der SPD und der PDS – Beifall des Abg. Cramer (Grüne)]

Das Wort zur Beantwortung der Großen Anfrage hat Frau Senatorin Junge-Reyer. – Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Fahrradverkehr hat tatsächlich eine strategische Bedeutung für eine zeitgemäße Verkehrspolitik. Das Fahrrad kann Mobilität sichern, und es kann gleichzeitig den immer noch anhaltenden Trend zum Wachstum des motorisierten Ver

Vizepräsident Dr. Stölzl

kehrs bremsen. Das Fahrrad ist immer perfekter geworden. Es ist ein sehr schnelles Fortbewegungsmittel, und es hat keine Abgase und einen beschränkten Platzbedarf. Das macht das Fahrrad gerade heute zu einem idealen und vor allem stadtverträglichen Verkehrsmittel. Spätestens sei dem großen Erfolg der Fahrradsternfahrt, auf die Herr Gaebler eingegangen ist, können wir auch für Berlin sagen: Berlin ist eine Fahrradstadt.

Das wachsende Interesse an dem Fahrrad als Fortbewegungsmittel war der Grund, warum der Senat im Jahr 2000 vor allem Investitionsmittel für den Ausbau der Fahrradinfrastruktur einrichtete, den Fahrradbeauftragten berufen und in einem zweiten Schritt mit der Erarbeitung des Stadtentwicklungsplans Verkehr auch für den Fahrradverkehr wesentliche Leitlinien erarbeitet hat.

Das wichtigste Ziel für die Zukunft des Fahrradverkehrs ist es, diesen Verkehr vom Freizeitverkehrs- zum Alltagsverkehrsmittel zu erheben. Das bedeutet, dass wir eine Fahrradstrategie zur Grundlage der Verkehrspolitik machen müssen.

[Beifall bei der SPD – Vereinzelter Beifall bei der PDS und den Grünen]

Die Ziele dieser Strategie lauten: Der Anteil der Fahrradfahrer muss gesteigert werden. Wir brauchen eine stärkere Nutzung des Fahrrads in Kombination mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Wir brauchen vor allem eines Senkung der Unfallzahlen und die Finanzierung von Investitionen – insbesondere dann, wenn es um den Ausbau des Radwegenetzes und der Fahrradstreifen – wie es bereits dargestellt worden ist – und um die Erhöhung der Sicherheit geht.

Wir sind mit den letzten stadtweiten, repräsentativen Erhebungen im Jahr 1998 so weit in der Statistik gekommen, dass wir sagen können: Der Fahrradverkehr hat einen zehnprozentigen Anteil am städtischen Gesamtverkehr erreicht. – Seither wurden Erhebungen in ausgewählten Zeiträumen bzw. an ausgewählten Zählstellen durchgeführt. Wir können inzwischen einen deutlich gewachsenen Anteil des Fahrrads am Straßenverkehr feststellen. Hierzu möchte ich wenige Beispiele nennen: In Kreuzberg ist er innerhalb von drei Jahren um 38 %, in Charlottenburg um 31 % und in Prenzlauer Berg sogar auf das Doppelte angestiegen.

Wir sehen gute Chancen, in Berlin den Anteil des Radverkehrs am Gesamtverkehr weiter zu steigern. Allerdings ist die Voraussetzung in Berlin besonders günstig. Fast 50 % aller in Berlin zurückgelegten Wege und Fahrten sind kürzer als 5 km und mit dem Fahrrad in maximal 20 Minuten zu bewältigen. Der Anteil des Fahrradverkehrs von mehr als 10 % am Gesamtverkehr bedeutet allerdings auch, dass wir in Berlin an den Werktagen mehr als 1 Million Wege mit dem Fahrrad zurücklegen. Dafür steht – man muss sich diese Voraussetzungen vor Augen halten – in 73 % der etwa 1,9 Millionen Haushalte in Berlin mindestens ein Fahrrad zur Verfügung.

Wir sind allerdings – das müssen wir auch sagen – in der Situation, dass die Lücken im Radverkehrsnetz noch nicht geschlossen sind. Vor allem im östlichen Teil der Innenstadt haben wir weiter gravierende Mängel zu beheben. Insbesondere ist die Einrichtung des Haushaltstitels „Verbesserung der Infrastruktur für den Radverkehr“ in den letzten Jahren mit erheblichen Maßnahmen untersetzt worden. Wir haben 16 km Radfahrstreifen markiert, 5 km Radwege gebaut und vor allem Straßen und Wege ausdrücklich für den Radverkehr auf einer erheblichen Länge asphaltiert. Die 5,5 Millionen €, die in den Jahren 2004 und 2005 für den Ausbau des Radwegesystems und für die Fahrradstreifen zur Verfügung stehen, werden dazu führen, dass wir sukzessive vor allem den Ausbau der Fahrradstreifen vorantreiben können.

Wir haben bereits bisher in Berlin in großem Umfang auch auf den Fahrradtourismus gesetzt. Ich möchte die wesentlichen vier Punkte nur kurz nennen: Das ist zum einen die Herrichtung des Berliner Mauerwegs, der mit 160 km Länge nicht nur zahlreiche historisch interessante Orte berührt, sondern die naturnahen Räume zur Attraktion auch für diejenigen macht, die nicht direkt aus Berlin kommen, sondern die es aus unterschiedlicher Entfernung nach Berlin zieht, weil sie große Freude an diesem erstrangigen Angebot für Freizeit und Kultur haben. Wir werden vor allem mit den baulichen Maßnahmen an der Fichtewiese in Hakenfelde und an dem Weg unter den Bahngleisen an der Esplanade und der Grüntaler Straße so weit sein, dass wir im laufenden Jahr weitere Lücken schließen können. Mit der Beschilderung des Mauerweges wird im Sommer begonnen.

Ich möchte zweitens die Europaroute 1 erwähnen – von der Glienicker Brücke nach Erkner in West-OstRichtung durch Berlin. Wir wollen vor allem die Streckenführung und die Beschilderung verbessern und abschnittweise den Belag erneuern. Auch das ist eine wesentliche Voraussetzung für attraktive Radwege.

Der touristische Radfernweg Berlin-Kopenhagen ist nach meiner Erinnerung an dieser Stelle schon öfter Gegenstand der Betrachtung gewesen. Wir haben mit den Arbeiten, um ihn noch durchgängiger befahrbar zu machen und ihn zu beschildern, begonnen und wollen dies fortsetzen.

Viertens ist noch der Fahrradweg nach Usedom zu erwähnen. Er verläuft in Berlin über den Mauerpark, den Schlosspark Pankow und schließlich durch den Schlosspark Buch bis zur Landesgrenze. Er soll zwischen 2004 und 2006 fertiggestellt werden.

[Beifall bei der SPD – Beifall der Abgn. Cramer (Grüne) und Frau Matuschek (PDS)]

Wir haben in Berlin etwa 10 % aller Radwege mit der Nutzung des öffentlichen Personennahverkehrs verbunden. Die BVG und die S-Bahn haben weitreichende Möglichkeiten, das Fahrrad in den Zügen mitzunehmen – und das in der Zwischenzeit auch erweitert. Die Zahl der

Frau Sen Junge-Reyer

kombinierten Wege mit ÖPNV und Fahrrad hat sich auch nach Auskunft der Verkehrsbetriebe erhöht. Ich möchte wenige Zahlen nennen: Allein bei der S-Bahn ist die Zahl der Fahrradmitnahmen in den letzten acht Jahren um mehr als ein Drittel gestiegen. Insgesamt waren 5 % der S-Bahnfahrgäste im Jahr 2003 mit dem Fahrrad unterwegs.

Positive Wirkungen hatten vor allem der Wegfall der Sperrzeiten, die Möglichkeit zur Fahrradmitnahme auch in der Straßenbahn und selbstverständlich die Tatsache, dass zusätzliche Aufzüge zu den Bahnsteigen mit den Mitteln des Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes eingerichtet werden konnten. Das Programm von fast 8 000 Fahrradabstellplätzen an S-Bahnhöfen in Berlin ist wohl bis zum Ende des Jahres 2004 fertiggestellt.

Es gibt auch gesetzliche Vorschriften, die eine Unterstützung des Fahrradverkehrs bedeuten können. Wir haben mit der Novelle der Straßenverkehrsordnung 1997 weitere Möglichkeiten erhalten, von denen ich nur einige beispielhaft aufführen will: Die Radwegebenutzungspflicht ist verändert worden, so dass inzwischen den Radfahrern freigestellt wird, ob sie den vorhandenen Radweg oder die Fahrbahn benutzen – es sei denn, dass es eine Anordnung zur Benutzung der Radwege gibt. Auch die Möglichkeit zur Mitbenutzung der Bussonderstreifen, aber auch die vorhandenen Fahrradstraßen und vor allen Dingen die Markierung von Radfahrstreifen sind ganz wesentliche Erfolge der Fahrradpolitik. Wir wollen, wenn es um die Markierung der Radfahrstreifen geht, vor allen Dingen darauf Rücksicht nehmen – das müssen wir –, dass die Einrichtung sehr abhängig von der Fahrbahnbreite und dem Kfz-Verkehrsaufkommen in den Straßen ist. Wir wollen deshalb vorzugsweise Angebotsstreifen links vom ruhenden Verkehr anordnen, wie es beispielsweise schon am Südwestkorso geschehen ist.

Wir sind – das muss man vor allen Dingen sagen – sehr nachdrücklich mit der Klärung der Frage der Verkehrssicherheit für Radfahrer befasst.

[Beifall bei der SPD und der PDS]

Ich möchte kurz darauf eingehen, welchen ganz besonderen Gefahren die in besonderer Weise auch verletzlichen Fahrradfahrer bei den zunehmenden Unfällen mit tragischem, auch tödlichem Ausgang ausgesetzt sind. Wir wollen nicht vergessen, dass 24 von insgesamt 77 Verkehrstoten in Berlin im Jahr 2003 Radfahrer gewesen sind. Diese Besorgnis erregenden Zahlen zeigen auf der einen Seite, dass es tatsächlich für Radfahrer wegen der Tatsache, dass sie nicht mit einem zusätzlichen Schutz umhüllt sind, ganz besonders gefährlich sein kann, sich diesen für sie bedrohlichen Situationen im Straßenverkehr auszusetzen. Auf der anderen Seite müssen wir einen Blick auf die Zahlen werfen und können dann doch feststellen, dass wenigstens im Vergleich zu anderen Verkehrsarten die relative Sicherheit für das Radfahren groß ist. Bei einem Anteil des Radverkehrs von 10 % der Verkehrsbewegungen ist eben der Anteil der Unfälle mit Personenschäden unterdurchschnittlich hoch.

Wir sind – das haben wir hier schon in anderen Zusammenhängen dargestellt – durch die Initiative im Bundesrat sehr erfolgreich mit der Berliner Initiative zur größeren Sicherheit gewesen, wenn es darum geht, den toten Winkel vor allen Dingen für Kinder und Jugendliche so weit wie möglich zu verringern. Es hat inzwischen – deshalb will ich nicht noch ausführlicher darauf eingehen – insbesondere Wirkung gezeigt, dass sich sowohl die Industrie mit der Frage auseinandergesetzt hat, wie Fahrzeughersteller für die jeweiligen Fahrzeugtypen sehr schnell geeignete Austauschspiegel herstellen können. Die Sichtfeldvergrößerung ist eine wesentliche Voraussetzung. Festzustellen, dass es geeignete technische Mittel gibt, hilft eben auch in den Situationen, in denen wir zurzeit nur appellieren können, freiwillig solche Spiegel anzubringen. Wenn sie kostengünstig hergestellt werden können, haben wir auch ein weiteres Druckmittel in der Hand, um diese Forderung durchsetzen zu können.

[Beifall der Frau Abg. Matuschek (PDS)]

Selbstverständlich ist wichtig, dass sich die Bundesregierung – ich bin froh darüber, dass dies gestern Minister Stolpe persönlich getan hat – dazu bekennt, eine Pflicht zur Einführung dieser Spiegel nicht nur zu unterstützen, sondern auch die entsprechenden Richtlinien so zeitnah wie möglich zu erlassen.

[Beifall bei der SPD, der PDS und den Grünen]

Ich möchte noch auf zwei wesentliche Gesichtspunkte kurz eingehen. Das ist auf der einen Seite die Tatsache, dass es vor allen Dingen darauf ankommt, dass Kinder und Jugendliche ganz selbstständig Wege zur Mobilität lernen. Mit dem Fahrrad oder zu Fuß unterwegs zu sein, hat eine große Bedeutung für das Selbstständigwerden. Die Entwicklung von Mobilitätskompetenz bei Kindern geht einher mit Orientierungsvermögen mit der Entwicklung von Selbstständigkeit, mit Sicherheit und vor allen Dingen auch mit der Sicherheit im Straßenverkehr. Das Berliner Schulgesetz gibt diese Möglichkeit zur Neuorientierung der schulischen Mobilitätserziehung. Ich freue mich darüber, dass es inzwischen Konzeptionen gibt, die Kinder und Jugendliche noch stärker darin unterstützen, mit dem Fahrrad einerseits mobiler zu sein, sich andererseits aber vor allen Dingen auch sicherer im Straßenverkehr bewegen zu können.

Der zweite Punkt ist die Position des Fahrradbeauftragten. Wir haben in Berlin einen außerordentlich aktiven, auch öffentlich wirksamen Fahrradbeauftragten. Aus seiner Sicht, Benno Koch hat mir dies gesagt, ist sein größter Erfolg natürlich die zurzeit laufende Änderung der Straßenverkehrszulassungsordnung zur Beseitigung des toten Winkels an Kraftfahrzeugen. Er hat gerade im Zusammenhang mit der Bundesratsinitiative des Landes Berlin eine Präsentation des rechten Außenspiegels initiiert, vor allen Dingen viele zu einem Erfahrungsaustausch und zur Anregung zusammengeführt und viele mit Überzeugungskraft verpflichtet, sich diesem Thema zu widmen. Er hat sich vor allen Dingen – das ist ein Beispiel für Konfliktlösungsstrategien – erfolgreich für den Aus

Frau Sen Junge-Reyer

bau der Radialroute in Friedrichshagen eingesetzt. Anfängliche Bedenken von Bürgern haben überwunden werden können. Jetzt ist inzwischen diese Radialroute eine der wichtigsten Verkehrsverbindungen zwischen drei Schulen und dem Stadtteilzentrum.

Wir sind – damit komme ich zum Schluss – in einer Situation, in der wir wohl sagen können, wie Herr Gaebler dies eingangs getan hat, dass das Fahrrad einerseits eine alte Erfindung ist, aber nichtsdestotrotz ein sehr modernes Verkehrsmittel. Wir sind in Berlin auf einem sehr guten Weg, dem Fahrrad auch in Zukunft einen weit wichtigeren Rang als Beförderungsmittel einzuräumen.

Zum Schluss der Betrachtung der Fahrradpolitik in Berlin möchte ich Gelegenheit nehmen, ein persönliches Wort zu sagen. Viele freuen sich darauf, Michael Cramer heute hier noch einmal zu seinem Lieblingsthema hören zu dürfen. Ich darf Ihnen heute verraten, dass ich ziemlich sicher bin, dass ihn manche vielleicht besser kennen, aber niemand ihn so lange kennt wie ich. Wir sind zusammen zur Schule gegangen und haben das Radfahren auf denselben Wegen gelernt. Ich wünsche dir also von Herzen, Michael Cramer, bleibe fit durch Radfahren!

[Beifall bei der SPD, der PDS und den Grünen]

Vielen Dank, Frau Senatorin Junge-Reyer! – Für die nun folgende Besprechung steht den Fraktionen eine Redezeit von bis zu fünf Minuten zur Verfügung, wobei wir hier vom Präsidium aus eine Überschreitung dieser Redezeit großzügig rund auslegen werden. Es beginnt die Fraktion der PDS. Frau Kollegin Matuschek hat das Wort. – Bitte schön!

Vielen Dank, Herr Präsident! – Wer sich mit Fahrradpolitik beschäftigt, muss dicke Bretter bohren und vor allen Dingen einen komplexen Ansatz wählen. Es ist schon auch aus der Beantwortung unserer Großen Anfrage deutlich geworden, dass Fahrradpolitik etwas mit Gesundheitspolitik, mit Umweltpolitik, mit ordnungsrechtlichen Aspekten, Infrastrukturpolitik, mit Verkehrserziehung und mit Bildungspolitik zu tun hat. Das ist ein sehr komplexes Gebiet. Wir stellen uns diesen Aufgaben. Als Koalition haben wir schon eine ganze Menge in diesem Bereich erreicht. Wir haben die Fahrradpolitik in den Stadtentwicklungsplan Verkehr integriert. Wir haben die ÖPNV-Tarife zur Mitnahme von Fahrrädern in Zusammenarbeit mit den Verkehrsunternehmen senken können. Die Mitnahmeregelung für personengebundene Zeitkarten ist verlängert worden.

Wir haben solche Vorhaben angeschoben wie die Umgestaltung der Linienstraße zu einer weiteren Fahrradstraße. Wir haben das Fahrradroutenkonzept auf den Weg gebracht, und wir haben, wie die Senatorin gerade schon berichtete, die Initiative zur Bundesratsinitiative zur Anbringung des DOBLI-Spiegels ergriffen.

Das reicht uns nicht. Was wollen wir? – Wir wollen mehr! Das ist ganz logisch. Wir wollen in allen Bereichen, die ich nur kurz skizziert hatte, auch in der komple

xen Fahrradpolitik, im System, vorankommen. Einen Aspekt habe ich noch nicht genannt. Das ist die verkehrswissenschaftliche Methodik der Untersuchung des Fahrradverkehrs. Es gibt wenig Statistiken, die den tatsächlichen Anteil des Fahrradverkehrs abbilden. Es gibt noch weniger mathematische Modelle zur Berechnung von Verkehrsbelebungszahlen, die den Fahrradverkehr adäquat abbilden. Dann kommen auch komische Verkehrsprognosen dabei heraus. Um den Fahrradverkehr zu prognostizieren, hat sich auch die Erarbeitung des Stadtentwicklungsplans Verkehrs als außerordentlich schwierig erwiesen, weil es eben diese Methodik zur Prognose und zur Auswirkung eines verbesserten Fahrradverkehrs nicht gibt. Wir verstehen unsere Politik hier auch als Anregung, dort voranzukommen. Berlin hat namhafte verkehrswissenschaftliche Einrichtungen. Dieses sollten sich dieser Thematik annehmen, damit auch dort Verbesserungen in nächster Zukunft möglich werden. Das Mobilitätsverhalten der Fahrradfahrerinnen und Fahrradfahrer – auch dazu hat die Senatorin einiges gesagt – ist ein ganz spezifisches – man glaubt es kaum. Es gibt eine eklatante Altersabhängigkeit bei der Nutzung des Fahrrads. Das DIW hat kürzlich in einer umfangreichen Studie herausgefunden – eine der wenigen Studien, die sich dieses Themas einmal angenommen haben –, dass in der Regel vierjährige Kinder mit dem Fahrradfahren beginnen, bis zum 18. Lebensjahr die Fahrradnutzung die häufigste Nutzung eines Verkehrsmittels ist und dann das Fahrradfahren beim Ausbildungsverkehr und bei der Studentenmobilität nach wie vor sehr beliebt ist, aber in den anderen Bereichen abfällt. Das ist ein Zustand, wo wir sagen: Da muss man anknüpfen, um die Umwelt- und Gesundheitsaspekte sowie die Stadtverträglichkeit dieses Verkehrsmittels weiter zu stärken. Die Bereitschaft und das Können sind da. Man muss Bedingungen schaffen, damit die Fahrradnutzung gerade in einem Metropolenballungsraum wie Berlin weiter ausgeprägt werden kann. Dazu gehören u. a. Verkehrsfahrradschulen, wie sie z. B. der VCD anbietet, ein sehr gutes Projekt, leider noch zu selten in Berlin.

Fahrradinfrastruktur: Ich habe mir noch einmal angeschaut, welche Kleinen Anfragen wir im Abgeordnetenhaus zum Thema Fahrrad haben. Es sind in der Regel Fragen nach Infrastruktur, nach Fahrradwegen, nach Markierungen usw. Das ist ein wichtiges Thema. Die Koalition hat die finanziellen Voraussetzungen zum weiteren Ausbau der Fahrradinfrastruktur geschaffen, und wir sollten uns – gern auch im Dialog mit der Opposition –einmal der Frage annehmen, ob die Ausführungsvorschriften zur Anlage von Radwegen noch in jedem Punkt zeitgemäß sind oder ob wir auch da herangehen sollten, um bestimmte Mängel abzustellen.

Damit komme ich zu dem ordnungsrechtlichen Teil – Straßenverkehrs-Ordnung: Der Radfahrer an sich ist ordnungsrechtlich strukturell benachteiligt. Das geht damit los, dass er selten in der Straßenverkehrs-Ordnung als spezifischer Verkehrsteilnehmer auftaucht und dann solche „netten“ Sachen häufig passieren, dass Radfahrer beim Rechts-vor-Links-Verkehr gar nicht als vollwertige

Frau Sen Junge-Reyer

Verkehrsteilnehmer akzeptiert werden. Das ist eine strukturelle Benachteiligung. Der tote Winkel beim Lkw gehört dazu. Radfahrer, die sich auf separaten Radwegen vorschriftsmäßig verhalten, sind strukturell benachteiligt, besonders in Kreuzungsbereichen. Radfahrer, die sich bei der Benutzung von Radspuren ordnungsgerecht verhalten, sind strukturell benachteiligt, wenn daneben parkende Autos stehen und die Türen geöffnet werden. Dadurch entstehen häufig kritische Situationen und leider auch häufig Unfälle. Das gleiche trifft überhaupt im Kreuzungsbereich zu, wo dann bei der Einordnung der verschiedenen Verkehrsmittel – Busse, Kfz, Motorräder, Mopeds und eben auch Radfahrer – meistens der Radfahrer dann regelrecht geschnitten wird, unbeabsichtigt, z. T. auch beabsichtigt. Das ist eine eindeutig strukturelle Benachteiligung des Radfahrers. Und dann hat die StVO auch zu bedenken, dass die Beleuchtung von Fahrrädern ein wichtiger Aspekt ist. Moderne Räder werden auch mit Halogenleuchten, also abnehmbaren Leuchten, bestückt, die dann auch gut funktionieren. Laut StVO ist eine solche Beleuchtung immer noch nicht vorgesehen. Ich will jetzt nicht darüber reden, dass es viele Radfahrer gibt, die gar keine Beleuchtung haben.

[Niedergesäß (CDU): Zwei Drittel!]

Das ist ein spezielles Problem. Ich wollte meine Rede heute auch dazu nutzen, solche Aspekte aufzugreifen, die schon in der strukturellen Benachteiligung durch die StVO begründet sind.

Der letzte Punkt, den ich ansprechen möchte, ist der Wirtschaftsfaktor Fahrradverkehr. Es gibt eine einzige Zahl, die ich gefunden habe – bei der Bundesregierung: Sie unterstellt jährliche Steigerungsraten des Radtourismus von mehr als 40 %. – Das kann stimmen. Ich gehe davon aus, dass das auch stimmt. – Und allein im Jahr 2002 – nur dafür habe ich die Zahl gefunden – wurde in der Bundesrepublik ein jährlicher Umsatz durch Fahrradtourismus von 5 Milliarden € erzielt. Das sind wenige Zahlen, die über die wirtschaftliche Dimension beredtes Zeugnis ablegen. Da sind auch noch Potentiale vorhanden.

Ich möchte die Gelegenheit auch nutzen, um noch ein persönliches Wort anzuhängen: Lieber Michael Cramer! Ich habe lange überlegt: Was gebe ich dir mit auf den Weg nach Brüssel? – Du bist ja bekannt als ein sehr kritischer Zeitgenosse gegenüber allem, was aus der DDR kommt. Einer der Hinterlassenschaften der DDR sind die roten und grünen Ampelmännchen, die inzwischen Kultstatus erreicht haben. Einhellige Meinung von Verkehrspsychologen ist, dass diese Ampelmännchen überzeugender und wirksamer im Straßenverkehr sind und mehr akzeptiert werden. Ich habe dir die süße Variante mitgebracht und bitte dich, diese Ampelmännchen in Europa bekannt zu machen, damit auch sie in Zukunft möglicherweise Eingang in die Anordnungsregularien finden – Brüssel ist ja sehr eifrig beim Standardisieren –, und möglichst überall in Europa das rote und das grüne Ampelmännchen dieser Prägung irgendwann einmal leuchten. – Vielen Dank!