Wir stehen in der kommenden Zeit vor großen, interessanten Herausforderungen. Berlin ist gemeinsam mit den zehn neuen Mitgliedsländern auf dem Weg in ein neues, in ein friedliches, sozial gerecht zu gestaltendes Europa.
Vor einer Woche konnten wir als Mitglieder des Ausschusses Zeuge davon sein, wie ein Stück der Berliner Mauer in Brüssel, am Park direkt vor dem Europäischen Parlament, eingeweiht wurde, als ein Geschenk der Stadt Berlin, überreicht von der Kommissarin Schreyer. Ich fand es für diesen Anlass sehr treffend, als der Brüsseler Bürgermeister sagte, dass mit diesem Stück Mauer das Symbol noch einmal deutlich wird, wie weit der Weg war, den wir bis hierher geschafft haben – seit dem Fall der Mauer bis in dieses vereinte Europa – und wie groß die Verantwortung ist, die wir jetzt alle miteinander tragen, damit dieser Weg erfolgreich und friedlich zu Ende geführt werden kann.
In diesem Sinn schließe ich mich allen Vorrednern an: Willkommen, liebe zehn neuen Länder, in der erweiterten, friedlichen neuen Europäischen Union. Willkommen aber auch – und die Hand Berlins dafür weit ausgestreckt – den anderen Partnern, wie Russland und die Türkei, denen gegenüber wir genauso eine historische Verantwortung haben und die wir gemeinsam tragen wollen und tragen werden.
Morgen werden die Sektkorken knallen, danach beginnt die Arbeit. Wir sind dazu bereit, und ich glaube, Berlin ist gemeinsam mit den Partnern dazu auch gut aufgestellt. – Herzlichen Dank!
Danke schön, Frau Kollegin Michels! – Das Wort für die Fraktion der Grünen hat nunmehr Herr Cramer. – Bitte sehr, Sie haben das Wort!
Erinnert werden muss in diesem Zusammenhang auch an den Hitler-Stalin-Pakt, der nicht nur die Teilung Polens, sondern auch das Ende der drei baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen bedeutete. Dass diese Staaten im Zuge des EU-Beitritts Teile ihrer gerade erst neu erworbenen Souveränität aufgeben, kann nicht hoch genug bewertet werden.
Der Weg vom Feind zum Nachbarn, zum guten Freund, ist, nach allem, was passiert ist, sicherlich kein kurzer Weg. Auch weil zum Beispiel die Polenfeindlichkeit in Deutschland länger zurückreicht als in die Zeit des Hitlerfaschismus.
Meine Heimat, das Ruhrgebiet, war nach der Reichsgründung 1871 das Einwanderungsland für die polnischen Bergarbeiter – die Ruhrpolen. Es entstanden so genannte Polenviertel. In manchen Städten war die Hälfte der Einwohner polnischer Herkunft. Nach anfänglicher Toleranz wurden sie von der Administration mehr und mehr als Gefahrenherd gesehen – völlig zu Unrecht, wie wir heute wissen. Es kam im Ersten Weltkrieg sogar zum Verbot aller polnischen Vereine.
Aber zum Beispiel ohne die polnischen Fußballer hätten sich viele Vereine in der ersten Liga überhaupt nicht behaupten können. Schalke 04 wurde mit seinem „Schalker Kreisel“ genannten Spielsystem und den Legenden gewordenen Matadoren Fritz Szepan und Ernst Kuzorra mehrfach deutscher Meister. Von seinen Gegnern wurde der Fußballclub immer wieder geringschätzig „Polackenverein“ genannt.
Auf diese Polenfeindlichkeit griff auch die DDR verschärft zurück, als sie in den 80er Jahren gegen die polni
Während Berlin immer wieder von der Drehscheibe zwischen West- und Osteuropa redet, hat Österreich – insbesondere die Stadt Wien – gehandelt. Sie förderte den Kulturaustausch, indem sie gemeinsame Projekte und Ausstellungen mit Künstlerinnen und Künstlern der Beitrittsländer organisierte. Deren Ergebnisse wurden dann in Städten beider Länder der Öffentlichkeit präsentiert. Sie, Herr Regierender Bürgermeister, haben die Mittel für den internationalen Kulturaustausch um 90 % gekürzt, so dass kaum mehr etwas stattfinden kann. Die historische Aufgabe wäre gewesen, sich auf den Kulturaustausch mit den mittel- und osteuropäischen Beitrittsstaaten zu konzentrieren und den Beitritt vorzubereiten.
sche Gewerkschaft Solidarność polemisierte. Wir wissen heute, dass die SED allen Grund hatte, sich vor Solidarność zu fürchten. Denn auch wegen ihres mutigen Agierens im kommunistischen Polen sind die Mauer in Berlin und der Eiserne Vorhang in Europa gefallen.
Stellvertretend für die vielen Menschen in den vergangenen Jahrzehnten, die für die Demokratisierung ihrer Gesellschaft gekämpft und dadurch die Spaltung Europas überwunden haben, müssen wir dem damaligen Gewerkschaftsführer und ersten frei gewählten Präsidenten Polens, Lech Wałęsa, ganz herzlich danken. Vergessen dürfen wir auch nicht Václav Havel und die Charta 77 in der Tschechoslowakei sowie György Konrád in Ungarn.
Wenn heute aus Nachbarn Freunde werden sollen, können wir auf dem Fundament aufbauen, das Adenauer, de Gaulle und De Gaspari gelegt haben. Ihnen gelang es, ehemals verfeindete Staaten miteinander zu versöhnen. So kam es zum Beispiel zwischen Deutschland und Frankreich nicht nur zu guter Nachbarschaft, sondern zu persönlichen Beziehungen der Menschen und zu Freundschaft.
Das war nicht leicht. Ich kann mich noch gut an meine ersten Gespräche mit holländischen und französischen Jugendlichen erinnern. Sie konnten die Deutschen generell nicht leiden und fanden sie grässlich. Auch wenn wir uns persönlich mochten, änderte das nichts an ihren Vorbehalten. In den westeuropäischen Nachbarländern wurden solche Aversionen erst sehr langsam und in einem langen und intensiven Verständigungsprozess abgebaut. Das muss uns jetzt auch mit den mittel- und osteuropäischen Nachbarländern gelingen.
Eine stärkere Orientierung nach Osteuropa ist auch Aufgabe der neuen Bundespräsidentin oder des neuen Bundespräsidenten. Der eine Kandidat, Horst Köhler, ist in Polen geboren. Die andere Kandidatin spricht perfekt polnisch und setzt sich als Präsidentin der deutschpolnischen Universität Viadrina in Frankfurt an der Oder energisch für den Kontakt nach Mittel- und Osteuropa ein. Wir würden uns sehr freuen, wenn Gesine Schwan am 23. Mai als erste Frau zur Präsidentin der Bundesrepublik Deutschland gewählt werden würde.
Mit der Erweiterung der EU sind große Chancen und Vorteile verbunden, nicht nur für die Wirtschaft, sondern auch für die Umwelt. Ab dem 1. Mai 2004 gelten die hohen Umweltstandards der EU auch für alle Beitrittsstaaten. Smogalarm – früher im Winter auf der Tagesordnung – wird der Vergangenheit angehören.
Die ehrgeizigen Ziele bei der Wasserversorgung, dem Lärmschutz, der Energieversorgung oder der Abfallentsorgung werden noch erhebliche Investitionen in die Infrastruktur erfordern, sind aber auf den Weg gebracht.
Bei den Leistungen der Daseinsvorsorge hat Berlin viel zu bieten. Hier gibt es Exportchancen und Kooperationsfelder im Interesse der Beitrittsstaaten, im Interesse Berlins und im Interesse des Umweltschutzes. Neben den Stärken in Kultur und Wissenschaft bildet gerade der Umweltschutz ein chancenreiches Handlungsfeld im Erweiterungsprozess der Europäischen Union.
Im Raum steht aber die zentrale Frage, ob der Senat in Berlin das Notwendige getan hat, um alle diese Chancen, von denen seit Jahren geredet wird, zu nutzen. Wir meinen Nein, und, meine Damen und Herren von der CDU, mit einer inflationären Antragswut am Vorabend des Beitritts krampfhaft Profil zu suchen, ist sicher wenig erfolgversprechend. Wir, die Fraktion der Grünen, sind der Auffassung, dass der Senat nicht nur vieles nicht getan, sondern dem Ziel der Verständigung sogar entgegengewirkt hat. Dazu einige Beispiele.
Bei der Wissenschaftspolitik sieht es nicht besser aus: Unter der rot-roten Regierung wurden allein in den letzten zwei Jahren sieben Hochschulpartnerschaften mit den Universitäten der Beitrittsländer beendet. Keine einzige ist hinzugekommen. Wie soll Berlin von der Erweiterung profitieren, wenn selbst die spärlichen Kontakte abgebrochen werden? – Am Geld kann es nicht gelegen haben, denn wer sich Parkgebühren in der Innenstadt leistet, die halb so hoch sind wie die in Tallinn, und dann auch noch den Nulltarif für Kurzparker fordert, kann schwerlich behaupten, für die Wissenschaft fehle das Geld.
Immer wieder hören wir Klagen, dass sich die Berliner Verwaltung in europäischen Frage nicht auskenne. Fördergelder der EU werden nicht abgerufen, mögliche Unterstützung aus Brüssel wird wegen Unkenntnis nicht angefordert. Anstatt die Defizite zu beheben, hat der Senat die Notwendigkeit von Strukturkenntnissen der EU aus den Ausschreibungstexten für Stellenbesetzungen gestrichen. Kein Wunder, dass – so der „Tagesspiegel“ vom 10. 10. 03 – „Dortmund Polen näher liegt als Berlin“.
Auch die Exportchancen werden nicht genutzt. Nach einer Untersuchung der IBB bereiten sich nur 20 % der Berliner Unternehmen auf die EU-Erweiterung vor – und das vor dem Hintergrund, dass Deutschland eine Export
Und als hätten Sie nicht alle Hände voll zu tun, um Ihre Defizite zu beseitigen, haben Sie gestern im Hauptausschuss auch noch unseren Antrag abgelehnt, bei der Europapolitik einen Erweiterungsbeauftragten als Kontaktperson und Ansprechpartner für die neuen Nachbarn zu ernennen. Auch das ist ein Skandal.
Das politische Berlin hat mit Osteuropa so viel gemein wie Rom mit dem Meer: Es ist ganz nahe, aber man spürt es nicht.
Die Erweiterung der EU ist nicht nur für Berlin, sondern für ganz Europa eine große Chance. Mit dem 1. Mai 2004 wird die Spaltung des Kontinents endlich überwunden. Es besteht die begründete Hoffnung, dass das Jahrhundert der Kriege durch ein Jahrhundert des Friedens, der Verständigung, der Toleranz und der Achtung der Menschenrechte abgelöst wird, perspektivisch – so hoffen jedenfalls wir – auch mit einer demokratischen Türkei und einem wiedervereinigten Zypern.
nation ist und wir vom Handel leben. Wir müssen doch wissen: Der mit 450 Millionen Menschen größte Binnenmarkt der Welt ist für diese Region ein Gewinn. Deshalb kommt es einer Katastrophe gleich, wenn neben dem Senat auch 80 % der Berliner Unternehmen mit der EUErweiterung nichts anzufangen wissen.
Natürlich brauchen wir auch eine Harmonisierung in Steuerfragen. Um einen ruinösen Steuersenkungswettbewerb der einzelnen Mitgliedsstaaten zu verhindern, bedarf es europaweiter Mindeststandards bei der Unternehmensbesteuerung.
Aber diese Fragen – ebenso wie die der Freizügigkeit der Arbeitnehmer – dürfen nicht missbraucht werden, um billig Europaängste zu schüren.
Freier Binnenmarkt und nationale Abschottung passen nicht zusammen. Es gibt Übergangszeiten für die Freizügigkeit. Es gibt aber auch Initiativen – darauf wurde hingewiesen –, gerade in den deutschen Grenzstädten zu Polen, diese Zeiten zu verkürzen, weil es Vorteile für beide Seiten der Oder bringt. Darauf sollten wir hinweisen, um bestehende Ängste abzubauen. Aber wir sollten keine Ängste schüren.
Wir alle wissen – Herr Regierender Bürgermeister, Sie gaben mir das Stichwort Verkehr –, dass aus der heutigen Randlage morgen ein Transitland wird. Die Region Berlin-Brandenburg wird in Staus und Abgasen ersticken, wenn es nicht gelingt, den zunehmenden Verkehr von der Straße auf die Schiene zu verlagern. Vor die Wahl gestellt, mit dem bestehenden Finanzvolumen des Bundes entweder die für den Güter- und Regionalverkehr besonders wichtige Ostbahn zu sanieren oder die Stadtautobahn zum Treptower Park zu verlängern, entschieden sich SPD und PDS gegen Europa und für Beton im Neuköllner Hinterhof.
Mit dieser Prioritätensetzung werden die Verkehrsprobleme weder gelöst noch die Umweltziele erreicht.
Zu Ihrer Blockade, Herr Regierender Bürgermeister, gegen die Dresdner Bahn in Ihrem Wahlkreis in Lichtenrade: Böse Zungen behaupten, Sie könnten Lärmschutz noch nicht einmal buchstabieren. Lärmschutz spielte in der Tat bei der B 101 oder bei der Teltowkanal-Autobahn auch keine Rolle. Aber gegen die wichtige Eisenbahntrasse, die Berlin mit Prag, Budapest, Ljubljana und Bratislava verbindet, kämpfen Sie in einer unheiligen Allianz aus CDU und SPD, als handele es sich um ein Atomkraftwerk. Deshalb: Politische Winzlinge, die nicht über ihren Gartenzaun schauen können, werden Europa nicht voranbringen.
Besser als Heribert Prantl in der „Süddeutschen Zeitung“ vom 19. April 2004 kann man die Kritik am Senat nicht zusammenfassen:
Eine gespaltene Insel passt nicht in das vereinigte Europa. Das Ergebnis der Volksabstimmung im griechischen Teil Zyperns war ein Rückschlag, im türkischen Teil ein Fortschritt. Die Bestätigung der Inhaftierung der kurdischen Abgeordneten Leyla Zana und ihrer Freunde ebenso wie die Blockade der griechisch-zypriotischen Regierung gegen einen Auftritt des EU-Kommissars Verheugen im dortigen Fernsehen haben uns am Vorabend der Feierlichkeiten noch einmal deutlich vor Augen geführt, welch weiten Weg Europa noch gehen muss.
Nach der Aussöhnung mit unseren westlichen Nachbarn muss nun auch die Verständigung mit unseren mittel- und osteuropäischen Nachbarn gelingen. Daran sollten wir, der Senat und auch die Bevölkerung von Berlin und Brandenburg mitwirken. Die Erfahrung bei der Überwindung der Spaltung Berlins wird dabei sicher nützlich sein.
Wer von uns hätte vor 15 Jahren zu träumen gewagt, dass sich die heutige EU aus diesen 25 Staaten zusammensetzen wird? – Wir freuen uns auf die Begegnung mit den Menschen aus den mittel- und osteuropäischen Staaten, aus Malta und Zypern und heißen sie alle am Vorabend des 1. Mai 2004 in Berlin recht herzlich willkommen. – Vielen Dank!