Protocol of the Session on April 29, 2004

Würde der DGB den Quoten des Gesetzentwurfs genügen, müsste er seine Ausbildungsanstrengungen versiebenfachen. Das wäre übrigens kein schlechtes Zwischenergebnis der bisherigen Bemühungen,

[Beifall bei der CDU]

aber zu so viel Selbstkritik bzw. Einsicht hat sich der DGB bisher nicht verständigen können.

[Doering (PDS): Dann kann man doch nur zustimmen!]

Kommen wir zu den Änderungen, die sich als wahrscheinlich herausstellen. Da ist zunächst einmal das Entgegenkommen der Bundesregierung, dass Kommunen, die einem Haushaltssicherungsverfahren unterliegen – in NRW übrigens 50 % der Kommunen –, insolventen Betrieben gleichgestellt werden sollen. Na ja, man fragt sich, was mit den Kommunen ist, die zwar über Bedarf ausbilden, aber noch unter den 7 % liegen. Dazu sagt der Gesetzentwurf nichts.

Es gibt einen Fortschritt, nämlich die Aufnahme weiterer Ausbildungen in den Katalog der Berufe. Dieser Fortschritt deutet allerdings auf ein schwerwiegendes Versäumnis der Bundesregierung hin. Anders als im Koalitionsvertrag versprochen, gibt es nämlich bisher keine Ansätze, das Berufsausbildungsgesetz dahin gehend zu reformieren, dass wir endlich zu weiteren Ausbildungsberufen auch für gering qualifizierte Jugendliche kommen.

[Beifall bei der CDU – Vereinzelter Beifall bei der FDP]

Etliches andere bleibt unbeantwortet. Angekündigt sind weitere Änderungsverfahren in der nächsten Woche, bis am Freitag das Gesetz beschlossen werden soll.

Interessanter sind die Berechnungen, die wir inzwischen haben. Das Ganze wird, so sagt das Bundesfinanzministerium, 70 Millionen € kosten, übrigens auch dann, wenn die Abgabe in einem Jahr gar nicht erhoben wird; angeblich ist es ja das Ziel der Bundesregierung, auf das Erheben der Abgabe zu verzichten. Dann müssten die 70 Millionen € im Bundeshaushalt eingestellt werden – bisher keinerlei Ansätze dazu.

[Beifall bei der CDU – Vereinzelter Beifall bei der FDP]

[Beifall bei der CDU – Vereinzelter Beifall bei der FDP]

[Beifall bei der CDU und der FDP]

Vielen Dank, Herr Kollege Kurth! – Für die SPD spricht Herr Kollege Jahnke. – Bitte schön, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit ihrem Antrag, die Bundesregierung aufzufordern, ihren Gesetzentwurf zur Ausbildungsplatzumlage zurückzuziehen und stattdessen auf eine Selbstverpflichtung der Wirtschaft zu setzen, dokumentiert die CDU nur einmal mehr ihre Konzeptionslosigkeit.

[Ha, ha! von der CDU]

Haben wir nicht gerade in Berlin in den zurückliegenden Jahren wiederholt erleben müssen, wie Selbstverpflichtungen der Arbeitgeberseite, etwa in der Sonderkommission Ausbildungsplatzsituation, zugesagt, aber nicht eingehalten worden sind?

Grandios, dufte Idee! Als hätten nicht Politik und Kammern in den letzten Jahren ständig um mehr Ausbildungsbereitschaft geworben und an die Einsicht der großen Unternehmen appelliert, leider weitgehend erfolglos. Die Herrschaften in den Zentralen der großen Unternehmen verstehen nur pekuniäre Argumente, und diese zu vermitteln, ist die Intention des Berufsbildungssicherungsgesetzes.

Betriebe, die unterdurchschnittlich zur Ausbildung beitragen, zahlen in den Fonds ein, und hiervon werden zusätzliche Ausbildungsplätze finanziert. Es ist vernünftig, dass tarifvertragliche Regelungen, wie sie beispielsweise im Baugewerbe bestehen, Vorrang behalten. Es ist auch vernünftig, dass Betriebe mit bis zu 10 Beschäftigten vom Gesetz nicht erfasst sind.

Die Kollegen hören eben sehr lebhaft zu, aber der Redner fühlt sich nicht genug verstanden.

[Beifall der Frau Abg. Grosse (SPD)]

Es mag hierfür im Einzelfall nachvollziehbare ökonomische Gründe gegeben haben; dennoch wäre es eine Bankrotterklärung der Politik, dieser Entwicklung tatenlos zuzusehen und dabei die schleichende Verstaatlichung der Berufsausbildung durch immer neue Maßnahmen und vollschulische Ausbildungsgänge voranzutreiben.

[Vereinzelter Beifall bei der SPD– Zuruf von der CDU]

Das ist eine Verstaatlichung der Ausbildung. Eine Umlagefinanzierung bedeutet dies natürlich auch, nur eben über den großen Umlagefonds, über die Kasse der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler.

Die CDU formuliert in der Begründung ihres Antrags sehr schön:

Nach dem gesellschaftlichen Ausbildungskonsens in der Bundesrepublik, der über viele Jahre ein Erfolgsmodell war und großen Anklang im europäischen Ausland gefunden hat, ist es primär Aufgabe der Unternehmen des Landes, für neue Stellen zu sorgen. So sichert sich die Wirtschaft die potentiellen qualifizierten Arbeitnehmer für die Zukunft.

Bravo, gut erkannt, kann ich da nur sagen.

[Beifall bei der CDU]

Aber was soll geschehen, wenn sich seit Jahren die Schere zwischen Ausbildungsplatzsuchenden und angebotenen Ausbildungsplätzen immer weiter öffnet? Seit dem Jahr 2000 hat sich die Zahl der betrieblichen Ausbildungsplätze bundesweit von 564 000 auf unter 500 000 im Jahr 2003 reduziert, –

Herr Jahnke! Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Reppert?

Nein! – was einem Rückgang um rund 12 % entspricht, bei gleichzeitig steigenden Bewerberzahlen. Im vergangenen Jahr wurde jeder neunte von Unternehmen neu abgeschlossene Ausbildungsvertrag in Deutschland voll aus öffentlichen Mitteln finanziert.

[Niedergesäß (CDU): Die Wirtschaft ankurbeln!]

Nur noch 23 % der über 2 Millionen Betriebe bilden überhaupt aus, wobei die kleinen Unternehmen, insbesondere das Handwerk, nach wie vor überdurchschnittlich ausbilden. Mit anderen Worten: Wir haben es nicht nur mit einem Gerechtigkeitsproblem gegenüber den Jugendlichen zu tun, die um Ausbildungs- und damit Lebenschancen gebracht werden, sondern außerdem mit einer extrem ungerechten Verteilung der Ausbildungsleistungen innerhalb des Unternehmenssektors.

Das Rezept der CDU lautet nun:

Die Unternehmerinnen und Unternehmer des Landes sind aufgefordert, Ideen zu einer gerechten Bereitstellung von neuen Ausbildungsplätzen zu entwickeln.

[Stadtkewitz (CDU): Das ist unglaublich!]

[Unruhe]

Herr Präsident, können Sie bitte für Ruhe sorgen? Das ist so ein Geschrei hier.

[Gelächter bei der CDU]

Akustisch verstanden!

Herr Präsident! Ich fühle mich gestört!

Gut. Der Redner fühlt sich gestört. Ich bitte, ihn nicht zu stören

[Gram (CDU): Ist aber schwer, zuzuhören!]

und trotzdem die Lebhaftigkeit der Sitzung nicht einschlafen zu lassen. – Bitte fahren Sie fort.

Es ist auch vernünftig, dass Betriebe mit bis zu 10 Beschäftigten vom Gesetz nicht erfasst sind. Das heißt, die meisten Friseure, Malereibetriebe und andere kleine Unternehmen, die durch die massive Gegenpropaganda gegen das Gesetz mit aufgebracht werden sollen, betrifft es gar nicht, denn in diesem Sektor haben wir eine respektable Ausbildungsquote.

Dass auch Staat, Kirchen, Verbände, Gewerkschaften – Herr Kurth! – vom Gesetz erfasst werden, mag zu manchen Problemen führen, ist aber im Rahmen der gerechten Verteilung von Lasten wohl folgerichtig, wenngleich das nicht gerade die Bereiche sind, wo wir die Ausbildung vorrangig haben wollen – siehe CDU-Antrag, wo sehr richtig begründet wurde, wo die Ausbildungsplätze eigentlich zu entstehen haben: in Unternehmen! Vor allem muss bei einer staatlichen Finanzierung die Gegenrechnung aufgemacht werden, wie viel Gebietskörperschaften aus dem Fonds erhalten können, wenn sie zum Beispiel überbetriebliche Ausbildungsplätze schaffen. Bislang wird dies – wie schon erwähnt – pauschal den Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern aufgehalst.

Viel ist über die Zwangsabgabe namens Ausbildungsplatzabgabe geredet worden, sowohl im Plenum als auch im Arbeitsausschuss. Deshalb will ich die Begründung jetzt zu später Stunde auch kurz halten: Wir alle wissen, dass die Anzahl der Lehrstellen nicht hoch genug ist, es erhalten derzeit nicht alle Ausbildungswilligen einen betrieblichen Ausbildungsplatz. Wir streiten über die Frage, wie wir zu mehr Ausbildungsplätzen kommen. Die Libe

ralen meinen, dass mit einer neuen Zwangsverordnung kein einziger neuer Ausbildungsplatz entstehen wird.

Das Gesetz berücksichtigt darüber hinaus auch die demographische Komponente, da es ausdrücklich bis 2013 als befristet gilt, also genau für den Zeitraum, in dem besonders viele Lehrstellenbewerber zu erwarten sind, und es wird nur dann angewandt, wenn die Ausbildungsleistung der gesamten Volkeswirtschaft zu gering ist. Es kann bei allen, die mit wirtschaftlichen Abläufen vertraut sind, kein Zweifel darüber bestehen, dass eine solche Regelung immer nur die zweitbeste Lösung ist, die nur im Fall des Marktversagens gerechtfertigt ist. Dieses Marktversagen im Ausbildungssektor liegt nun aber einmal vor. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung reagiert darauf.

Der CDU-Antrag ist demgegenüber substanzlos, ein Schauantrag. Ich will darauf keine Zeit mehr verschwenden und werde darauf nicht weiter eingehen. Die SPDFraktion wird ihn selbstverständlich ablehnen.

[Beifall bei der SPD und der PDS]

Danke schön, Herr Kollege Jahnke. Es fährt fort die FDP-Fraktion mit dem Kollegen Lehmann. Es ist unsere letzte Rederunde, und ich bitte um Aufmerksamkeit und Stille, relative Stille für den Redner! – Bitte schön!