Protocol of the Session on February 21, 2002

und dann in zwei Wochen auch entsprechend fundiert darauf eingehen zu können. Die heutigen Zwischenrufe haben gezeigt, dass das vielleicht spontan nicht immer angemessen möglich ist. Deswegen bitten wir um Vertagung.

[Beifall bei der SPD und der PDS]

Für die Fraktion der FDP hat sich Dr. Lindner zu Wort gemeldet. – Bitte schön!

Herr Präsident! Verehrte Damen, meine Herren! Heute genau auf den Tag vor vier Monaten waren die Wahlen. Ein Dritteljahr hat es gedauert, bis wir zu dem heutigen Tage einer, sagen wir mal so, etwas wie einer Regierungserklärung gekommen sind.

[Beifall und Gelächter bei der FDP und der CDU]

Wir hatten, Herr Gaebler, in der Zwischenzeit zunächst die Gespräche zur Bildung einer Ampelkoalition. Naturgemäß dringen während solcher Gespräche nur Fragmente über eine mögliche zukünftige Regierungspolitik an die Öffentlichkeit; es wird dann auch entsprechend nur über Fragmente diskutiert. Nach dem Abbruch dieser Gespräche durch die SPD

[Ho! von der SPD]

erlebten wir anschließend Gespräche zwischen Rot-Rot; wiederum naturgemäß nur Fragmente einer zukünftigen Regierungspolitik als Diskussionsgrundlage. Nach Weihnachten und der mühsamen Senatswahl, die wir hier erleiden durften, gab es nicht unverzüglich eine Regierungserklärung, sondern deren Vertagung bis heute.

[Gram (CDU): Bald Ostern!]

Berlin will endlich eine Generaldebatte über die Leitlinien zukünftiger Regierungspolitik.

[Beifall bei der FDP und der CDU]

Berlin hat es satt, sich im Klein-Klein zu ergehen und immer nur über Bruchstücke zu diskutieren, wie die Reiterstaffel u. a. auch.

[Beifall bei der PDS – Zuruf von der PDS: War wohl ein Eigentor!]

Berlin will eine umfassende Debatte führen über die Zukunft der Stadt. Aber anstatt diesen Tag zum Tag der Regierungserklärung zu machen und seiner Aussprache, wird die Regierungserklärung eingebettet in ein ganz gewöhnliches Prozedere, angefangen mit der Aktuellen Stunde, und anschließend geht es weiter wie gehabt. Der Regierende Bürgermeister tritt wie ein Duodezfürst aus dem Mittelalter ans Podium, gibt seine Thronrede kund, und anschließend sollen wir zu dem Berliner Polizeiorchester oder regionalen Biomärkten übergehen. Das ist alles wichtig. Das verstehe ich. Das müssen wir machen. Aber nicht heute, denn heute ist der Tag der Regierungserklärung.

Herr Gaebler, Ihre Argumentation, man habe das schon immer so gemacht, das seien die alten Verwaltungsgrundsätze, und da könne ja jeder kommen, ist uns bekannt. Wenn der Regierende Bürgermeister um 13.00 Uhr mit seiner Erklärung angefangen hätte, dann wären wir längst in der zweiten oder dritten Runde. Es ist kindisch zu behaupten, das sei nicht an einem Tag zu machen. [Beifall bei der FDP]

Zur Argumentation, eine Opposition brauche Vorbereitung: Lieber Gott, für dieses dünne Papierchen, das schon seit Tagen als Drucksache 15/196 vorliegt, braucht die FDP keine lange Vorbereitung.

[Beifall bei der FDP und der CDU]

Wenn andere diese brauchen, bitte schön!

Wir fordern eine sofortige Aussprache. Das ist im Bundestag und anderen Parlamenten so üblich. So sieht es auch die Geschäftsordnung des Hauses vor.

[Beifall bei der FDP – Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Danke schön, Herr Dr. Lindner! – Von Herrn Gaebler ist der Antrag auf Vertagung der Aussprache gestellt worden. interjection: [Unruhe]

Wer diesem Antrag der SPD-Fraktion zustimmen möchte, den bitte ich jetzt ums Handzeichen. – Danke! – Die Gegenprobe! – Enthaltungen? – Erstes war die Mehrheit. Enthaltungen habe ich nicht gesehen. Damit ist die Vertagung gegen die Stimmen der FDP und große Teile der CDU-Fraktion beschlossen.

Die Aussprache über die Erklärung des Regierenden Bürgermeisters erfolgt in der nächsten Sitzung am 7. März. Auch über

lfd. Nr. 2, Drucksache 15/196:

Vorlage – zur Beschlussfassung – über Billigung der Richtlinien der Regierungspolitik

die ich hiermit aufrufe, werden wir somit auch erst am 7. März befinden. Die Beschlussvorlage ist damit vertagt.

[Unruhe]

(A) (C)

(B) (D)

Präsident Momper

Ich rufe auf

lfd. Nr. 2 A:

Aktuelle Stunde zum Thema „Arbeitsmarktmisere beenden – neue Formen der Arbeitsmarktpolitik“

Das hat die FDP beantragt. – Ich bitte um etwas mehr Ruhe im Saal! Führen Sie die notwendigen Gespräche außerhalb, damit den Rednern ungeteiltes Gehör geschenkt werden kann. – Dann hat der Abgeordnete Lehmann das Wort. – Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Antrag, der von der FDP-Fraktion eingebracht wurde, kommt ohne Zweifel zur rechten Zeit. Nicht ohne Grund haben wir diesen Antrag mit dem Titel „Arbeitsmarktmisere beenden – neue Formen der Arbeitsmarktpolitik“ versehen. Dies ist umso bedeutsamer, wenn man sich die Worte von Bundeskanzler Schröder noch einmal ins Gedächtnis ruft. Der Bundeskanzler erklärte im Jahr 1998 sinngemäß, dass er seine Amtsperiode an den Arbeitslosenzahlen messen wolle. Wenn die rot-grüne Bundesregierung es nicht schaffen solle, bis zum Ende dieser Legislaturperiode die Arbeitslosigkeit unter die 3,5 MillionenMarke zu drücken, habe sie auch kein Anrecht auf Wiederwahl mehr.

Obwohl die nächsten Bundestagswahlen erst im September 2002 stattfinden, kann man mit den führenden Wirtschaftsinstituten jetzt schon prognostizieren, dass der Kanzler dieser Republik sein Ziel um Ellen verfehlt hat. Allein die nackten Zahlen müssen uns nachdenklich stimmen: In Deutschland gibt es gegenwärtig 4,3 Millionen bei den Arbeitsämtern gemeldete Arbeitslose. Das sind 4,8 Prozent mehr als noch vor zwölf Monaten. Im Januar 2002 ergibt sich damit in Deutschland eine Arbeitslosenquote von 10,4 Prozent. Im Dezember 2001 waren es dagegen noch 10 Prozent. Auch die Zahl der gemeldeten Stellen gibt Anlass zur Sorge. Im Vergleich zum Dezember 2001 müssen wir alle miterleben, dass im Januar des laufenden Jahres die gemeldeten Stellen um 12 Prozent zurückgegangen sind.

Nimmt man den Bundeskanzler beim Wort, darf er tun und lassen, was er will. Eines dürfte er aber nicht mehr: sich als Spitzenkandidat seiner Partei zur nächsten Bundestagswahl aufstellen lassen. [Beifall bei der FDP]

Rot-Grün hat in den letzten vier Jahren auf dem Feld der Arbeitsmarktpolitik kläglich versagt, und das müssen wir den Berlinerinnen und Berlinern ungeschminkt sagen.

Auch der Regierende Bürgermeister und der Wirtschaftssenator werden sich in dieser Stadt an diesem Ziel messen lassen müssen. Wie sieht es in Berlin und Brandenburg im Vergleich zum Bund aus? Es gibt 291 000 Arbeitslose in Berlin. Die Tendenz ist steigend. 250 000 Arbeitslose gibt es im Land Brandenburg. Es wird Sie sicher nicht überraschen, dass dort die Tendenz ebenfalls steigend ist. Mit anderen Worten: Gegenwärtig existiert eine Arbeitslosenquote von 17 Prozent in Berlin und 18,4 Prozent im Land Brandenburg. In beiden Bundesländern kann man in den letzten drei Monaten einen erheblichen Zuwachs im negativen Sinn beobachten. Sicher existieren regionale Unterschiede in beiden Ländern, aber die absolute Zahl spricht in der Region Bände.

Die Koalition des Stillstands – damit meine ich die große Koalition der letzten zehn Jahre – hat für unsere Region keine entscheidenden Impulse gesetzt, um das Problem der Arbeitslosigkeit in unserer Stadt zu lösen.

[Beifall bei der FDP]

Im Gegenteil: Diese Koalition des Stillstands hat dazu beigetragen, dass Klientel- und Gefälligkeitspolitik die Oberhand gewonnen haben. Auch wenn Sie von der CDU und SPD es nicht gerne hören – es sind ohnehin nicht viele da; anscheinend ist es kein wichtiges Thema –: Sie haben mit Ihrer Politik des Stillstands in der Arbeitsmarktpolitik Berlin einen Bärendienst erwiesen. Anstatt Strukturen aufzubrechen und neue Wege zu gehen,

haben Sie genau diese Strukturen vertieft und verfestigt, obwohl Sie wussten, dass Berlin nach dem Ende des Ost-West-Konflikts vor neuen Herausforderungen stand und noch steht. Sie haben zu Ihrer Regierungszeit von Chancen geredet. In Wirklichkeit haben Sie diese Chancen nie ergriffen. Der Wirtschaftsstandort Berlin gehört durch Ihre Verantwortung zum Schlusslicht unserer Republik. Der Bericht des Bundesrechnungshofs zu den Praktiken der Bundesanstalt für Arbeit und ihrer regionalen Ableger spricht in diesem Zusammenhang Bände.

[Beifall bei der FDP]

Alte DDR-Zeiten mit ihren Wirtschaftsbetrieben, die das Plansoll überdurchschnittlich erfüllen, sollten eigentlich seit geraumer Zeit der Vergangenheit angehören. Leider müssen wir in den letzten Tagen aus der Presse erfahren, dass genau das Gegenteil der Fall ist. Der Artikel der „Bild“ vom 18. Februar 2002 belegt dies beispielsweise.

[Zuruf des Abg. Pewestorff (PDS)]

Jeder liest etwas anderes, aber das muss eben beim Namen genannt werden. – Hier wird unter dem Titel „So muss ich die Arbeitslosenzahlen fälschen“ kurz und knapp beschrieben, wie mit Zahlen und Statistiken nur so getrickst wird.

[Pewestorff (PDS): Lieber „Handelsblatt“ lesen!]

Dass die Arbeitsämter nur noch verwalten, wussten wir schon seit vielen Jahren. Dass sich die Mitarbeiter der Bundesanstalt für Arbeit um hunderte Arbeitsuchende kümmern müssen, war ebenfalls bekannt. Dass jedoch Mitarbeiter dieser Institution Fehlbuchungen in der Vermittlungsfrage vornehmen, um die Statistik zu beschönigen, ist allerhand.

[Beifall bei der FDP]

Mit einem bürokratischen Kropf und dieser unflexiblen Politik wird man in den nächsten Jahren so manches erreichen. Die Arbeitslosigkeit abzubauen, wird allerdings in den Bereich der Utopien verschoben.