Protocol of the Session on April 1, 2004

Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 49. Sitzung des Abgeordnetenhauses von Berlin und begrüße Sie, unsere Gäste und Zuhörer sowie die Medienvertreter sehr herzlich. Ich bitte Sie, Platz zu nehmen und die Aufmerksamkeit dem Geschäftlichen zu widmen, das ich als Erstes vortrage.

Am Montag sind vier Anträge auf Durchführung einer

Aktuellen Stunde eingegangen:

1. Antrag der Fraktion der PDS und der SPD zum Thema: „Ordnungsämter in den Bezirken – jetzt schnell und handlungsfähig einrichten“,

2. Antrag der Fraktion der CDU zum Thema: „Selbstbedienungsmentalität, Defizite, mangelhafte Senatsaufsicht, keine Steuerung – die Krise der Berliner Unternehmen mit Landesbeteiligung ist eine Krise des Senats“,

3. Antrag der Fraktion der FDP zum Thema: „Nicht nur zur langen Nacht des Shoppings – mehr Tourismus für Berlin“,

4. Antrag der Fraktion der Grünen zum Thema: „Studiengebühren, Symphoniker, Opernstiftung: Schuld sind immer nur die anderen. Senator Flierl drückt sich vor der Verantwortung“.

Eine Verständigung auf ein gemeinsames Thema konnte im Ältestenrat nicht gefunden werden, so dass ich zur Begründung der Aktualität aufrufe. Dazu hat Herr Doering für die Fraktion der PDS und der SPD das Wort. – Bitte schön, Herr Doering!

[Anhaltende Unruhe]

Ich bitte Sie, meine Damen und Herren, etwas mehr Ruhe walten zu lassen!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In einem Beschluss des Abgeordnetenhauses vom November 2003 wurde – eine Verständigung zwischen der Hauptverwaltung und den Bezirksverwaltungen vorausgesetzt – die Einrichtung von bezirklichen Ordnungsämtern für den heutigen Tag beschlossen. Inzwischen haben sich die Bezirksbürgermeister und der Senat auf die Einrichtung von Ordnungsämtern verständigt, und der Startschuss ist für den 1. September vorgesehen.

Wir wollen mit Ihnen im Rahmen der Aktuellen Stunde über die Einrichtung und die Aufgaben der Ordnungsämter diskutieren – vor allem auch vor dem Hintergrund, dass in den letzten Tagen in den Medien viel über dieses Thema berichtet wurde und dabei die Frage nach der Bewaffnung der Kiezpolizei in den Fokus der Berichterstattung geraten ist: Schlagstock oder kein Schlagstock? Handschellen oder keine Handschellen? – Dies schienen die zentralen Fragen bei der Einrichtung der Ordnungsämter zu sein. Als Beispiel nenne ich einige Überschriften aus Tageszeitungen: „Mit Schlagstock und Handschellen auf Streife“, „Kiezstreifen mit Spray, Schellen und Knüppeln“. Im „Berliner Kurier“ heißt es:

peln“. Im „Berliner Kurier“ heißt es: „Bürgermeister einig: Kiezstreife mit Schlagstock und Wachhunden“. Langsam fragt man sich, wer da gegen wen aufgerüstet werden soll. Haben wir in den Grünanlagen nur noch Kriminelle, oder ist das eine Verkehrung der Wirklichkeit in unserer Stadt?

[Beifall bei der PDS und der SPD]

Unbestritten ist, dass Ordnungsämter mit dazu beitragen sollen, für Ordnung und Sauberkeit in den Kiezen und öffentlichen Grünanlagen zu sorgen. Ordnungsämter sind aber mehr als Kiezpolizei. Wir möchten über die Einrichtung der Ordnungsämter debattieren, weil alle Fraktionen ein Interesse daran haben sollten, gegenüber der Öffentlichkeit deutlich zu machen, dass die Einrichtung von bezirklichen Ordnungsämtern mehr ist als der Außendienst, mehr als die Kiezpolizei, die zukünftig unter anderem gegen Hundekot, Dreck und die Vermüllung des öffentlichen Raumes einschreiten soll.

Die Ordnungsämter sollen künftig – neben den Bürgerämtern – in den Bezirken Anlaufstellen für Bürgerinnen und Bürger sein. Sie sollen ein weiterer Beitrag zum Bürokratieabbau sein, hin zu einer bürgernahen und kundenfreundlichen Verwaltung. Die Bezirke werden dadurch weiter gestärkt und erhalten neue Aufgaben, z. B. bei der Übertragung von Aufgaben aus dem Bereich des Verkehrs. Jeder von Ihnen kennt das Beispiel der Genehmigung von Straßen- und Kiezfesten. Wo heute noch Anträge in sechs Behörden zur Durchführung eines solchen Festes gestellt werden müssen, soll zukünftig das Ordnungsamt möglichst nur noch eine Anlaufstelle sein. Wir gehen davon aus, dass in der Aktuellen Stunde der Senat Auskunft darüber gibt, wie sichergestellt wird, dass das Überhangspersonal für den Einsatz in den Ordnungsämtern qualifiziert wird und ob inzwischen die Finanzierungsfragen zwischen Senat und Bezirksverwaltungen geklärt wurden.

Wir wollen mit der Debatte über dieses Thema dazu beitragen, dass sich in der Öffentlichkeit ein anderes Bild über die Aufgaben der künftigen Ordnungsämter bildet. Sie von der Opposition sind mit dazu aufgerufen, in der Debatte dazu beizutragen, dass die Ordnungsämter in der Öffentlichkeit nicht mehr auf die Beseitigung von Hundekothaufen reduziert werden oder als Schrecken aller Grillfreunde in den Grünanlagen wahrgenommen werden. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit!

[Beifall bei der PDS und der SPD]

Danke schön, Herr Doering! – Das Wort für die CDU hat nunmehr der Kollege Herr Kaczmarek!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir wären sehr froh, wenn das Thema, das wir Ihnen heute vorschlagen, nicht aktuell wäre. Wir wären glücklich, wenn wir heute nicht den Anlass hätten, über Selbstbedienungsmentalität, Defizite, mangelhafte Senatsaufsicht, fehlende Steuerung, kurz: über die Krise der Berliner Landesunternehmen zu reden. Leider aber

häufen sich die Anzeichen in den letzten Wochen dafür, dass die Landesunternehmen in einer tief greifenden Krise stecken.

Die Zeiten, in denen die Landesbeteiligungen dem Eigentümer Freude bereiteten, sind lange vorbei. Richtig ist auch: Sorgenkinder unter den Landesunternehmen gab es schon früher – die wirtschaftliche Krise der Berliner Verkehrsbetriebe ist schon nicht mehr akut, sondern chronisch.

Was jetzt neu hinzu kommt, ist ein erschreckender Mentalitätswechsel. Bereichert euch – das scheint das Motto in vielen Chefetagen der staatlichen Unternehmen zu sein. Der Senat sieht dem Treiben tatenlos zu oder fördert es sogar noch. Unternehmerisches Unvermögen wird nicht etwa bestraft, sondern noch belohnt. Die aktuellen Beispiele sprechen eine traurige, eindeutige Sprache.

Erstes Beispiel: Senatsvertreter sorgen für einen satten Zuschlag der Vorstandsgehälter und wechseln dann rasch in das gemachte Bett einer Wohnungsbaugesellschaft. Der SPD-Politiker Bielka kann so die Früchte seines Tuns selbst genießen. Der moralischen Entrüstung des Senats folgte – nichts. Freiwilliger Gehaltsverzicht war angekündigt worden, wurde aber nie vollzogen. So zerstört man das Vertrauen der Bürger in die Redlichkeit der Politik, so soll es nicht weitergehen.

[Beifall bei der CDU]

Unternehmen – und das ist das zweite Beispiel –, die tief in den roten Zahlen stecken, zahlen leitenden Mitarbeitern Erfolgsprämien. Beispiel sind die Wohnungsbaugesellschaften. Worin die Erfolge bestehen, konnte uns nicht einmal Senator Strieder erklären. Ist es schon ein Erfolg, wenn die Insolvenz gerade noch vermieden wurde? Sind Bilanztricks um die Ergebnisse zu schönen, bereits Prämien wert? – Nein, so saniert man keine öffentlichen Unternehmen.

Drittes Beispiel: Leitenden Mitarbeitern, die aus freien Stücken das Unternehmen verlassen, wird der Abgang mit fürstlichen Abfindungen versüßt. Beispiel Wirtschaftsförderung. Seit wann zahlt man Abfindungen bei freiwilligem Abgang? Warum hat die Wirtschaftsförderung nicht gleich eine Parteispende an die örtlich zuständige SPD überwiesen, um den Wahlkampf des ehemaligen Geschäftsführers und jetzigen Bürgermeisterkandidaten zu fördern? – Tarnen und Täuschen, lieber Herr Wolf, das ist früher das Motto einer anderen Institution gewesen. Heute ist es offensichtlich das der Regierungskoalition.

[Beifall bei der CDU]

Viertes Beispiel: Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der öffentlichen Unternehmen wird grob und ohne jedes Mitgefühl gesagt: Ein Drittel von euch ist zu viel an Bord, und die, die bleiben dürfen, müssen ein Drittel ihres Einkommens abgeben. Während die da unten Angst um ihren sozialen Besitzstand haben, wird oben fröhlich mit der großen Kelle ausgeteilt. In den Führungsetagen der BVG blühen die AT-Verträge mit großzügigsten Entlohnungen.

So fördert man nicht die Verzichtsbereitschaft und die Veränderungsbereitschaft bei den einfachen Mitarbeitern der öffentlichen Unternehmen.

[Beifall bei der CDU]

Fünftes Beispiel: Unternehmen, die ihre Einnahmen aus einem Zwangsmonopol ziehen, aus einem Monopol, dem der Bürger nicht ausweichen kann, die ansonsten in erster Linie durch drastische Tariferhöhungen für den Bürger von sich reden machen, diese Unternehmen benutzen ihr dem Steuerzahler abgenommenes Geld dafür, Fundraising-Dinner für Bürgermeisterkandidaten der SPD zu sponsern. Das Beispiel ist Berlin-Wasser. Meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, hier wurde das klare Berliner Wasser mit einer gewaltigen Dosis rotem Filz getrübt!

Die Krise der Landesunternehmen dieser Stadt ist auch eine Krise des Senats. Wer ist eigentlich zuständig? Wer betreibt Beteiligungscontrolling? Wer achtet auf einen wirklichen und richtigen Mentalitätswechsel? Wo bleibt überhaupt der Beteiligungsbericht? Nicht einmal diese simple Information, die die Senate früher regelmäßig aufliefern konnten, kann der jetzige Senat liefern.

Meine Damen und Herren, es ist – leider – ein hochaktuelles Thema. Lassen Sie uns gemeinsam einen Weg aus dem Sumpf der Senatsbeteiligungen finden. – Vielen Dank!

[Beifall bei der CDU]

Danke schön, Herr Kaczmarek! – Für die Fraktion der FDP hat nun das Wort der Kollege von Lüdeke. – Bitte sehr!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir hätten uns heute ein anderes Thema vorstellen können als dieses etwas langweilige der Ordnungsämter. Berlin hat andere Probleme, als unbedingt über die Ordnungsämter zu reden. Wir hätten gern mit Ihnen über die lange Nacht des Shoppings gesprochen

[Heiterkeit bei der SPD, der PDS und den Grünen]

und darüber, wie man den Tourismus dieser Stadt beleben kann. Das wäre für uns interessanter gewesen. Die lange Nacht des Shoppings, ein Event der besonderen Art, hat immerhin 600 000 Menschen in die Berliner Innenstadt gezogen. 500 Geschäfte, Restaurants und Kaufhäuser haben sich daran beteiligt. Zwischen Uhlandstraße und Wittenbergplatz steppte praktisch der Bär. Das ist ein Event,

[Mutlu (Grüne): Das ist langweilig!]

das eine derartige Bedeutung erhalten hat, dass inzwischen Reiseunternehmen Busfahrten nach Berlin starten, um an der langen Nacht des Shoppings teilzunehmen.

[Beifall bei der FDP]

Wir haben alle mitbekommen, welches Gezänk es wieder um das KaDeWe gegeben hat. Da haben Betriebs

räte und Gewerkschaften alles nur Erdenkbare getan, um die Beteiligung des KaDeWe zu verhindern. Es ist ihnen glücklicherweise nicht gelungen, das Kaufhaus hatte auf. Wir wären froh, wenn das KaDeWe häufiger geöffnet hätte. Wenn das KaDeWe könnte, würde es wahrscheinlich jede Woche Freitag und Samstag lange aufmachen, dann könnten wir endlich unseren Berlinbesuchern auch abends dort etwas bieten.

[Brauer (PDS): 400 Tage im Jahr!]

Ich gebe Ihnen die Garantie, dass es den Tourismus in hohem Maß ankurbeln wird. Sie glauben das nicht, aber ich sage Ihnen das.

[Vereinzelter Beifall bei der FDP – Zurufe von der PDS]

Ich habe mit Ihren Angriffen gerechnet, ich kenne das! Da wird diese Sozialfrage gestellt! – Können Sie sich eigentlich vorstellen, dass es Leute gibt, die dort am Abend gern arbeiten? – Da gibt es nämlich attraktive Zuschläge. Die haben gar kein Problem, Mitarbeiter zu finden, die machen das gern.

[Zurufe von der SPD und der PDS]

Sie können ja auch mit dem Einzelhandelsverband, Herrn Busch-Petersen, darüber reden, welchen Erfolg das auch im Umsatz hatte. Sie werden staunen, was das für Umsätze gebracht hat. Fragen Sie ihn, er sagt Ihnen das! Was hat das sonst noch gebracht? – Es hat nicht nur gebracht, wie immer behauptet wird, dass Umsätze verlagert werden, nein, es hat echte Umsätze von außen gebracht, denn die Menschen kommen mit den Bussen nach Berlin und geben hier ihr Geld aus. Darauf sollten wir Wert legen.

[Beifall bei der FDP – Dr. Lindner (FDP): Bravo!]