Aber diese Zahlen sind nicht befriedigend, und sie sind in erster Linie ein Bruch des Koalitionsversprechens, dass jeder Jugendliche in Berlin einen Ausbildungsplatz erhalten soll.
Die Ausbildungspolitik des Senats war nie darauf angelegt, ernsthaft an der Erfüllung dieses Versprechens mitzuwirken, dieses Versprechen zu realisieren. Wir sehen deutlicher als je zuvor, dass wir von dem Versprechen in der Realität weit entfernt sind. Nehmen wir die einzelnen
Was brauchen wir statt dessen? Was brauchen wir statt neuer Strafsteuer und neuer Bürokratie? – In erster Linie und auf Bundesebene brauchen wir neue Ausbildungsmodelle. Im Koalitionsvertrag der Bundesregierung steht das Versprechen: Wir schaffen für etwas schwächere Jugendliche verkürzte Ausbildungsgänge. – Nichts davon ist passiert. Wir brauchen mehr Verantwortung der Tarifparteien. Wir brauchen in Berlin eine genauere Analyse der Bewerberinnen- und Bewerbersituation, der tatsächlichen Ausbildungssituation. Diese Daten haben wir bis heute nicht. Mitte der 90er Jahre, um nur zwei Beispiele zu nennen, waren 8 % aller Auszubildenden Jugendliche
mit Migrationshintergrund. Heute sind es noch 4 %. Was ist da passiert? Das ist nicht nur eine Folge des geänderten Staatsangehörigkeitsrechts. Hier gibt es massive Probleme, die auch mit dem Integrationsthema zusammenhängen. Was sind die Gründe für die in Berlin überdurchschnittlich hohe Abbruchquote? Wir kämpfen um jeden Ausbildungsplatz – mehr als 10 % der Ausbildungsverhältnisse werden vor ihrer Beendigung abgebrochen. Was sind die Gründe? Wie setzen Sie hier überhaupt an? Glauben Sie wirklich, dass Zwangsabgaben die Antwort auf eine solche Problemsituation in Berlin sind? Das kann doch wohl nicht Ihr Ernst sein.
Wir brauchen auch künftig modularisierte und flexible Ausbildungsmodelle, die Sicherung der MDQMFinanzierung war ein wichtiger Schritt. Wir brauchen neben Verbundausbildung unverändert das Schwergewicht auf betrieblichen Ausbildungsplätzen. Wir brauchen das beharrliche Werben um jeden Platz, den wir erreichen. Das Werben des Senats wäre überzeugender, wenn er selbst etwas glaubwürdiger wäre. Ich erinnere Sie an einen Antrag der CDU, dass man in die Zielvereinbarungen mit den landeseigenen Unternehmen das Ausbildungsverhalten wenigstens aufnimmt. Damit ist nicht gesagt worden, es darf nicht in eine bestimmte Richtung verändert werden, es muss erhöht werden. Wir haben gesagt, es soll ein Punkt in dieser Zielvereinbarung werden. Position der SPD war: Aber das ist doch nicht nötig. – Der Antrag ist abgelehnt worden, und wenige Wochen später, Frau Grosse, gab es parteiübergreifendes Entsetzen im zuständigen Ausschuss, als wir über das Ausbildungsverhalten von Vivantes gesprochen haben. Das ist die Realität, und hier trägt der Senat direkt oder indirekt die Verantwortung. Sie sollten es sich mit guten Anträgen der Opposition nicht zu leicht machen. Vivantes ist kein Einzelfall. Wir haben den Rückgang immer wieder besprochen, wir haben das Ausbildungsverhalten landeseigener Unternehmen im Ausschuss zu thematisieren versucht, doch der Senat steigt hierauf unverändert nicht ein.
Dazu sagt Herr Wolf, die Zahlen seien unbestreitbar schlecht, und damit hat er Recht. Das ist aber das Unglaubwürdige an dieser Senatspolitik: die Ausbildung selbst zurückfahren, wo immer es geht – in der Verwaltung, in den landeseigenen Unternehmen – und dann die Wirtschaft mit Zwangsabgaben belegen.
Egal, ob es um Ausbildung oder um die Übernahme ausgebildeter Bewerber geht: Es wissen nicht nur die betroffenen Jugendlichen, es weiß auch die Öffentlichkeit, dass der Senat im Bereich der Ausbildungspolitik versagt hat und dass er davon lediglich abzulenken versucht.
Was sind die wesentlichen Gründe dafür, dass Ausbildungsplätze nicht mehr angeboten werden? – Es ist in erster Linie die eigene wirtschaftliche Lage. 40 000 Insolvenzen im letzten Jahr, der Verlust von Hundertausenden sozialversicherungspflichtiger Beschäftigungsverhältnisse. Wer um das eigene wirtschaftliche Überleben kämpft, wer vor einer ungelösten Übernahmesituation steht, Einzelhändler, Handwerker, Freiberufler, solche Unternehmen schaffen keine Ausbildungsplätze und können dies auch nicht.
Ein weiterer, besonders in Berlin relevanter Grund sind Qualifikation, Leistungsfähigkeit und Motivation der Auszubildenden. Wir haben 3 000 Jugendliche, die in Berlin jedes Jahr die Schule ohne Abschluss verlassen. Wir haben Tausende von Jugendlichen, die, auch nachdem sie einen Schulabschluss und einen Ausbildungsplatz erlangt haben, Schwierigkeiten haben, die Ausbildung durchzuhalten. Frau Grosse, wir waren doch bei der Diskussion mit dem Türkischen Bund, wo das Arbeitsamt Mitte berichtet hat, dass die Mitarbeiter des Arbeitsamtes wochenlang nach Beginn des Ausbildungsjahres die Auszubildenden morgens abholen, damit sie sich daran gewöhnen, regelmäßig um 7 Uhr eine Beschäftigung aufzunehmen. Das ist die Realität, nicht nur in so genannten Problemkiezen. Das ist ein Problem, dem Sie sich etwas sorgfältiger widmen sollten, anstatt es der Wirtschaft vor die Füße zu werfen und eine Zwangsabgabe zu fordern.
Was würde eine Ausbildungsabgabe bewirken? – Zunächst einmal Kosten von geschätzten 700 Millionen €. Die Ankündigung, Sie kämen mit 150 Plätzen in der Behörde aus, ist ein schlechter Witz. Sie glauben doch nicht im Ernst, bundesweit Betriebsprüfungen und die Sondersituationen in den einzelnen Unternehmen mit 150 Beschäftigten erfassen zu können. Es sind Transferleistungen gerade von den wirtschaftsschwächeren Regionen in die reicheren Regionen zu erwarten – ein schlechter Treppenwitz der Geschichte, dass aus Berlin und den neuen Bundesländern Ausbildungsverhältnisse in BadenWürttemberg indirekt subventioniert werden. Manchmal hat man den Eindruck, die Bundesregierung weiß nicht mehr, wo sie eigentlich lebt.
Dass die Zwangsabgabe von 5 000 bis 7 000 € nicht einmal ein Drittel der Vollkosten ausmacht, ist geradezu
2. In den letzten Jahren stehen jedoch zu Beginn des Ausbildungsjahres regelmäßig weniger betriebliche Ausbildungsplätze zur Verfügung als Bewerber vorhanden sind – eine Schere, die sich immer weiter öffnet. Zum Teil ist dies sicherlich ökonomischen Schwierigkeiten der Betriebe in Zeiten schwacher Konjunktur geschuldet, zum Teil aber auch einer um sich greifenden Trittbrettfahrermentalität, insbesondere bei großen Unternehmen, frei nach dem Motto: Für von uns künftig benötigte Fachkräfte werden schon andere sorgen, im Zweifelsfall der Staat.
3. Diese Mentalität ist nicht länger hinnehmbar. Im Sozialbereich besteht beispielsweise längst ein parteiübergreifender Konsens darüber, Trittbrettfahrerei zu Lasten der Gesellschaft nicht länger zu dulden. Weshalb, so frage ich, sollen wir dann länger zusehen, wie sich Unternehmen ihrer gesellschaftlichen Verpflichtung, für Berufsausbildung zu sorgen, entziehen?
Nur dieser Tatsache ist es geschuldet, dass über andere Formen, wie Ausbildungsplätze geschaffen werden können, nachgedacht werden muss. Daran brauchte man keinen Gedanken zu verschwenden, wenn die Wirtschaft ihrer gesellschaftlichen Verpflichtung und damit auch ihrem eigenen, längerfristigen Interesse in hinreichendem Maße nachkäme.
Die Abgabe führt zu einem Bürokratie- und Kostenmonster sondergleichen, sie führt zu nicht einer einzigen Stelle. Unser Appell an den Senat, der sich morgen in der Sonderkommission trifft: Kündigen Sie den Ausbildungskonsens in Berlin nicht auf. Setzen Sie weiter darauf, mit Wirtschaft und Gewerkschaften an einer Verbesserung einer schwierigen Situation mitzuwirken. Gehen Sie nicht aus innerparteilichen Beschwichtigungs- und Arithmetikgründen einen für Berlin katastrophalen Weg. Wir können alle zusammen dem zuständigen Bundeswirtschaftsminister Clement nur jede Menge Durchsetzungsvermögen gegen diese Politik wünschen. – Danke sehr!
Danke schön, Herr Kollege Kurth! – Es folgt für die Fraktion der SPD Herr Kollege Jahnke. – Bitte schön, Sie haben das Wort!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auf Antrag der CDU diskutieren wir heute über „Ausbildungsplatzabgabe – ein von Wowereit unterstütztes Lieblingskind der SPD, die Folgen für Jugendliche und Betriebe und die Kosten für das Land Berlin“. Es ist zwar offensichtlich, wie mit einem etwas ungelenken Formulierungsversuch ein vorrangig bundespolitisches Thema zu einem Thema der Landespolitik gemacht wird, aber wir scheuen die Debatte keineswegs, zumal in der Tat auch für Berlin positive Effekte von dieser geplanten bundespolitischen Initiative zu erwarten sind.
Zunächst zu der Formulierung „Lieblingskind der SPD“. Es ist keineswegs so, dass die SPDBundestagsfraktion oder die Bundesregierung nur darauf gewartet hätten, endlich eine Ausbildungsplatzabgabe einzuführen, sonst hätte man das in der ersten rot-grünen Wahlperiode und mit anderen Mehrheiten im Bundesrat machen können, das wäre sicherlich günstiger gewesen. Der Bundeskanzler hat wiederholt deutlich gemacht, dass eine Ausbildungsplatzabgabe – oder besser: Ausbildungsplatzumlage – nur eine Ultima Ratio sein könnte und nicht etwas, was man unbedingt will. Eine Beschäftigung mit den Fakten kann durchaus erhellend wirken:
1. Das duale System der Berufsausbildung, also die berufspraktische Ausbildung in einem Unternehmen und parallel dazu die staatliche Berufsschule, hat sich in Deutschland seit Jahrzehnten bewährt. Es ist auch die logische Konsequenz unseres Wirtschaftssystems, dass berufliche Fertigkeiten insbesondere in Zeiten raschen technologischen Wandels vor allem dort erlernt werden können, wo sie in der Praxis auch vorkommen, in Privatunternehmen.
Der Vorteil des Marktmechanismus im Ausbildungsbereich soll ja gerade darin bestehen, Berufsausbildung nicht abgekoppelt vom realen künftigen Bedarf der Wirtschaft zu betreiben. Doch scheint die Fristigkeit hierbei ein erhebliches Problem darzustellen. Unternehmen kalkulieren vorrangig in kürzeren Fristen und manchmal wohl auch kurzsichtig. Sämtliche Appelle und Rechenexempel von Seiten der IHK, denen zufolge Berufsausbildung auch betriebswirtschaftlich lohne, haben es bisher nicht vermocht, Unternehmen in ausreichendem Maße zu überzeugen.
Zu viele ausbildungsfähige Unternehmen spekulieren offenbar darauf, ihren künftigen Personalbedarf über andere, insbesondere über staatliche Ausbildung abdecken zu können. Studien zeigen, dass der staatliche Anteil an der Finanzierung der Berufsausbildung in den letzten Jahrzehnten permanent gestiegen ist. Hiermit, Herr Kurth, meine ich jetzt nicht die Ausbildung für die staatliche Verwaltung. Es ist völlig unsinnig, ständig darauf hinzuweisen, dass hier die Ausbildungsleistung gesenkt wurde. Da besteht doch auch ein parteiübergreifender Konsens, dass dieser Bereich nicht Wachstum haben soll und wir nicht aufgeblähte Verwaltungen wollen, sondern dass der Personalbedarf dort sinken soll.
Im Übrigen sind die Zahlen dort auch nicht so schlecht, wie immer behauptet wird. Zum Stichtag 30. September
Da der konkrete Gesetzentwurf im Bundestag noch gar nicht vorliegt, diskutieren wir hier ein wenig über ungelegte Eier. Es lassen sich aber zumindest einige Eckpunkte der zu erwartenden Regelung benennen. Es versteht sich von selbst, dass es nicht um die Schaffung einer staatlichen Verwaltungsmaschinerie gehen kann, deren Kosten den Nutzen übersteigt. Es gibt auch längst Modelle dazu, wie so etwas organisiert werden kann, ohne dass ein einziger Beamter mehr beschäftigt wäre. Man muss noch nicht einmal in das Ausland schauen – nach Dänemark oder in die Schweiz etwa –, um fündig zu werden, sondern auch beim tarifvertraglichen Modell im deutschen Baugewerbe beispielsweise findet sich eine solche Umlagefinanzierung, die gut funktioniert. Überbetriebliche Ausbildungsstätten wie etwa der Lehrbauhof in Marienfelde werden auf diese Art finanziert, ohne dass der Staat involviert wäre. Tariffonds können auch in anderen Branchen ein probates Mittel sein, alle Unternehmen der betreffenden Branche an der Ausbildung zu beteiligen. In der niedersächsischen Metallindustrie, der Chemieindust
Es wäre wünschenswert, wenn diese positiven Sonderfälle in die kommende gesetzliche Regelung integriert werden könnten. An dieser Stelle ist allerdings zu konstatieren, dass die ideologisch motivierte Ablehnung des gesamten Vorhabens durch Union und FDP einige vorteilhafte Möglichkeiten von vornherein verbaut – beispielsweise die Schaffung von Branchenfonds in Obhut der Berufsgenossenschaften. Das wäre eine gute Idee, die aber bei der derzeitigen Bundesratsmehrheit wohl keine Chance hätte.
Es wird daher in Anlehnung an das dänische Modell zu einer gesamtstaatlichen Regelung kommen. In Dänemark zahlen alle Arbeitgeber mit Ausnahme der Kirchen gemäß der Beschäftigtenzahl und der Ausbildungsleistung in einen Fonds ein. Ein paritätisch von den Tarifvertragsparteien besetzter Beirat schlägt jährlich einen Hebesatz vor, der vom Parlament formal beschlossen wird. Aus diesem Fonds werden betriebliche Ausbildungsplätze mit Zuschüssen in einer Größenordnung von umgerechnet 2 000 bis 3 000 € jährlich unterstützt. Zusätzlich können überbetriebliche Ausbildungsplätze etwa in der Verbundausbildung gefördert werden.
vorigen Jahres hatten wir immerhin 10 621 Auszubildende im öffentlichen Dienst des Landes Berlin, was einer Ausbildungsquote von etwa 7 % entspricht und gar nicht so schlecht ist, wenn man bedenkt, dass wir es insgesamt mit einem Sektor zu tun haben, den wir nicht aufblähen wollen und wo kein Wachstum erwünscht ist.
Nun aber zurück zur Art der staatlichen Bildungsfinanzierung, wie wir sie nicht wollen – in Maßnahmen, in Warteschleifen und Ähnlichem: Dies ist auch eine Art der Umlagefinanzierung, und die findet dabei über die Steuer statt! Über das Gemeinwesen wird diese Umlage erhoben. Da das Steueraufkommen bei Bund, Ländern und Gemeinden nicht unter berufsbildungspolitischen Gesichtspunkten erhoben wird, führen Anstrengungen zu einer verstärkten Berufsausbildung der Betriebe nicht zu einer nennenswerten Verringerung ihrer Steuerlast. Sie werden also durch dieses System nicht honoriert. Vielmehr lädt diese Form der schleichenden Verstaatlichung der Berufsausbildung zu Mitnahmeeffekten und Substitutionseffekten ein. Sie schafft also falsche Anreize.
Wir von der SPD-Fraktion wollen daher keine Ausweitung der steuerfinanzierten Berufsausbildung. Ich gehe davon aus, dass auch die CDU dies nicht will. Somit erhebt sich die Frage: Wie kann das Angebot an Ausbildungsplätzen erhöht und von konjunkturellen Schwankungen unabhängiger gemacht werden, ohne den Weg in eine Verstaatlichung der Berufsausbildung weiterzugehen?
Es ist eine Illusion, dass allein die Entlastung von Unternehmen oder Entbürokratisierung dazu führen würde. Vielmehr muss auch über andere Wege nachgedacht werden, um die mehr als zwei Drittel der Unternehmen, die zurzeit nicht ausbilden, obwohl sie es könnten, an der Berufsausbildung zu beteiligen. Genau dies tut die Regierungskoalition im Bundestag.
In Deutschland ist hierbei allerdings der vom Bundesverfassungsgericht formulierte Grundsatz der Gruppennützigkeit zu beachten, da es sich nicht um eine allgemeine Steuer, sondern um eine Umlage innerhalb des Arbeitgeberlagers handelt, die daher auch innerhalb des Lagers Verwendung finden muss. Unternehmen, die unterhalb einer bestimmten, festzulegenden Ausbildungsquote liegen, zahlen ein, Unternehmen, die überdurchschnittlich ausbilden, profitieren davon. Dies ist gerade der Unterschied zu einer Steuerfinanzierung.
Weil die Umlage entgegen der Annahme der CDU weder Lieblingskind der SPD noch ein Selbstzweck ist, wird jeweils jährlich zu prüfen sein, ob sie überhaupt erhoben werden muss. Wenn der Markt seiner Aufgabe gerecht wird, braucht es keine Ausbildungsplatzumlage. Wenn jedoch Marktversagen vorliegt und Tausende von Jugendlichen keinen betrieblichen Ausbildungsplatz erhalten, dann wird sie erhoben. Dies nutzt – um abschließend noch einmal den Untertitel der heutigen Aktuellen Stunde aufzugreifen – sowohl den Jugendlichen als auch den Betrieben, die ausbilden, und damit insgesamt den Interessen und insbesondere den Finanzen des Landes Berlin, das dann keine teuren Warteschleifen mehr finanzieren muss. – Danke!