Ich möchte das Thema erweitern, denn ich glaube, dass es sich um ein Grundsatzproblem, eine andere Positionierung z. B. der FDP und der CDU handelt. Das möchte ich bei der Terrorismusbekämpfung und auch bei der Kriminalitätsbekämpfung deutlich machen. Die Bedrohung durch Terrorismus auch in Berlin ist offensichtlich. Wie aber steht es mit der Gefahr für Freiheitsrechte durch die Bekämpfung des Terrorismus? – Diese Debatte müssen wir ebenfalls führen.
Seit 1990 haben wir bereits 150 verschiedene Gesetzesverschärfungen in der inneren Sicherheit erlebt. Einige davon hebe ich hervor: Schleierfahndung; Rasterfahndung; Großer Lauschangriff; Telefonüberwachung. Das ist der CDU noch nicht genug. Die neuesten Phantasien fangen bereits bei der DNA-Datenbank an. Ohne richterliche Kontrolle soll von jedem auffälligen Bürger die Erbinformation gesammelt werden, gleich ob Schwarzfahrer oder Schwerverbrecher. Bei der Folterdebatte – das ist gerade ein Jahr her – gab es, natürlich nur in begründeten Ausnahmefällen als letztes Mittel, aber besonders bei Konservativen durchaus Sympathien – ich nenne nur Herrn Schönbohm. Bei der Videoüberwachung, obwohl es weithin widerlegt ist, dass in Großstädten die Videoüberwachung einzelner Plätze einen wirklichen Effekt zur Kriminalitätsbekämpfung darstellt, möchten Sie eine Ausweitung, möchten Sie KfZ damit überwachen. In den USA ist es bereits möglich, die Gesichter von Bürgern, die über die Straße spazieren, zu scannen und durch eine Datei laufen zu lassen. Ich freue mich schon auf den Antrag der CDU aus diesem Bereich. Insgesamt nehmen wir das als einen Angriff auf den liberalen Rechtsstaat wahr. Es ist in Teilen eine Allmachtsphantasie auf dem Weg in Orwellsche Spielereien.
Wie begründet die CDU das? – Die CDU begründet es zum Teil sachlich, das kann man nicht anders sagen, zum Teil – der Kollege Henkel hat es angesprochen – mit dem Urvertrauen in den Staat. „Das Vertrauen in den Staat.“ – Wie geht denn das? – Ich vertraue meiner Freundin, ich vertraue einem guten Freund.
Aber wie kann ich denn dem Staat vertrauen? Wie geht denn das? – Das setzt dreihundert Jahre Aufklärung und Emanzipation ad absurdum, wenn ich als große Partei sage,
Die Überwacher von heute kommen nicht mehr in den Stiefeln der Macht, sondern statt dessen wollen sie den Bruder umsorgen, sie wollen ihn beschützen, sie wollen seine Rechte wahren und ihn wohlwollend entmündigen.
Ich gebe noch einmal einen Ausblick. Wie sieht es denn in den Staaten aus, die drastisch das eingesetzt haben, was die Kollegen von der CDU fordern? – Blicken Sie einmal in die Türkei: Wir nehmen die Türkei unter anderem in die EU nicht auf, weil dort immer noch gefoltert wird. Es ist rückläufig, wird aber immer noch getan. Dort wird die Meinungsfreiheit drastisch eingeschränkt. Können denn dadurch Terrorismusanschläge bekämpft werden? – Das ist offensichtlich nicht der Fall.
Herr Henkel, Kollegen von der CDU! Es wird auch bei Ihnen nicht geleugnet, dass sich der Rechtsstaat Grenzen setzen muss, wenn er Rechtsstaat bleiben will. Sie schweigen doch betreten, wenn Sie aufgefordert sind, diese Grenzen zu benennen. Deswegen möchte ich Ihnen einmal diese Grenzen aus Sicht der Liberalen vorlegen. Die Grundrechte sind die wesentlichen Schranken des Staates. Sie sind insbesondere für schwierige gesellschaftliche Situationen gedacht. Die Terroristen dürfen uns nicht dazu verführen, dass wir unsere eigene Verfassung aushöhlen. Das Grundgesetz ist keine Schönwetterveranstaltung.
Deswegen setzen wir uns dafür ein, dass alle diejenigen, die vermeintlich mehr Sicherheit erzeugen wollen und dafür konkret Freiheitsrechte einschränken, nachweisen müssen, dass es dazu keine bessere Alternative gibt. Das heißt für Liberale auch, dass wir uns im Zweifel für den Erhalt und für die Ausweitung von Bürgerrechten aussprechen. Deswegen, liebe Kollegen von der CDU, beenden Sie diesen Irrlauf und lassen Sie uns stattdessen gemeinsam für eine angemessene, insbesondere technische Ausstattung der Sicherheitsbehörden streiten. Das lohnt sich. Das schafft auch mehr Sicherheit. Das lohnt sich auch für Berlin.
Danke schön, Herr Kollege Ritzmann! – Das Wort hat nunmehr für die Fraktion der PDS der Kollege Zillich. – Bitte schön, Herr Zillich, Sie haben das Wort!
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich glaube nicht, dass der Antrag der CDUFraktion zu einer solchen sicherheitspolitischen
Grundsatzrede Anlass gibt, auch wenn ich vieles von dem, was Herr Ritzmann gesagt hat, durchaus teile, das wissen Sie. Ich möchte mich mehr auf den Antrag beziehen, wobei einige Worte der Rede von Herrn Henkel durchaus Anlass geben, grundsätzliche Bemerkungen abzugeben.
Die CDU beantragt, eine Neufassung im Berliner ASOG, im Berliner Polizeigesetz, rückgängig zu machen, die ein Jahr alt ist. Worum geht es dort im Kern? – Es geht hier darum, den Begriff der „Straftaten von erheblicher Bedeutung“ zu definieren. Warum ist das wichtig? Warum ist das in diesem Polizeigesetz wichtig? – Eine ganze Reihe von sehr starken Eingriffen in die Grundrechte sind geknüpft an das Vorliegen oder das Drohen solcher Straftaten von erheblicher Bedeutung. Das ist schon angesprochen worden. Hier geht es um das Durchsuchen von Wohnungen. Hier geht es um den Einsatz verdeckter Ermittler. Hier geht es um Personenkontrollen und ähnliche Dinge. Deswegen ist es wichtig, diesen Begriff genau zu definieren. Vorher hatten wir eine Situation – genau das beantragt die CDU hier wieder –, dass es eine Generalklausel gab, die es weitestgehend in das Ermessen der Polizei gestellt hat, ob die Voraussetzungen für tiefe Eingriffe in Bürgerrechte vorliegen.
Wir haben es in dem Sinne geändert, dass Verbrechen Straftaten von erheblicher Bedeutung in diesem Sinne sind, und einen gesonderten Straftatenkatalog vorgelegt. Hier haben wir den Straftatenkatalog des § 100a der Strafprozessordnung übernommen. Nun ist dieses Gesetz ein Jahr alt. Es ist richtig, dass man nach einem Jahr einmal prüft, ob es Probleme mit der Umsetzung dieses Gesetzes und Anpassungsbedarf gibt. Der Innensenator und die Polizei haben vorgetragen, dass eine Reihe von Straftaten in diesem Straftatenkatalog nicht erfasst sind, was aber nötig ist, um insbesondere bei drohenden Sexualdelikten polizeilich aktiv werden zu können. Darüber kann man reden. Darüber wird man auch reden müssen, um welche konkreten Straftaten man diesen Straftatenkatalog möglicherweise ergänzt. Ich erwarte dann aber auch seitens der Polizei und seitens des Innensenators, dass klar dargelegt wird, weshalb eine solche Erweiterung für welche Fälle notwendig ist. Dann kann man darüber sprechen.
Dieser Mühe unterzieht sich die CDU jedoch nicht, konkret zu sagen, wo es hakt und welche polizeilich sinnvolle Maßnahme dadurch eingeschränkt wird. Die CDU will hier wieder die Generalklausel einführen. Wir haben hier gemeinsam eine Regelung eingeführt; keine Fraktion hatte etwas dagegen. Ich zitiere aus dem Protokoll des Innenausschusses vom 13. Januar 2003. Es wird ausgeführt, dass Kollege Henkel der Auffassung sei, aus Sicht der CDU sprächen keine Argumente gegen eine Änderung, also gegen die Einführung der jetzigen Regelung.
Sie haben aber auch keine neuen Argumente genannt, weshalb man hier eine solche Regelung wieder einführen sollte.
Ich finde es schwierig, wenn Sie an dieser Stelle immer wieder mit dem Vertrauen in die Polizei argumentieren. Nach Ihrer Argumentation brauchen wir nur ein Polizeigesetz: „§ 1 Die Polizei wird es schon machen.“ Es hat überhaupt nichts damit zu tun, ob man der Polizei vertraut, mit der Arbeit zufrieden ist, ihr misstraut oder die Behörde mag oder nicht mag, wenn man klare Kompetenzregelungen für die Polizei fordert. Weil es hier um Eingriffe in die Grundrechte von Bürgern geht, müssen diese klar benannt, abgegrenzt und definiert sein. Deswegen werden wir den von Ihnen vorgeschlagenen Weg nicht gehen. Wir werden nicht zu einer Generalklausel zurückkommen, sondern werden sehr wohl im Ausschuss darüber reden, inwieweit möglicherweise der Straftatenkatalog des § 17 Abs. 3 ergänzt werden muss, damit die Polizei vernünftig agieren kann. Ein Zurück zur Generalklausel, die es in das Benehmen der Polizei setzt und die nur mit dem Vertrauen in die Polizei begründet werden soll, wird es mit uns an dieser Stelle nicht geben!
Danke schön, Herr Kollege Zillich! – Für die Fraktion der Grünen hat nunmehr der Kollege Wieland das Wort. – Bitte schön, Herr Wieland!
Sie werden es auch nicht ahnen. Vielleicht haben Sie aber den Wunsch, dass ich zu neuen Koalitionspartnern etwas sage – dem Wunsch entspreche ich möglicherweise.
Es ist immer wieder faszinierend, lieber Herr Henkel, wie Sie die FDP und uns zwingen, Opposition nicht gegen Rot-Rot zu machen, sondern Opposition gegen Sie zu machen. Das ist wirklich faszinierend.
Sie haben mit einem Aplomb heute – es ist beim letzten Mal verschoben worden – die I. Lesung einer kleinen Gesetzesänderung auf die Tagesordnung gesetzt, damit Sie heute Ihren großen Auftritt haben, und stellen eine entsetzliche Sicherheitslücke fest. Sie sagen selbst, dass Sie vor einem Jahr nicht ansatzweise geahnt haben, dass diese auftreten könnte. Das ist ein ziemliches Armutszeugnis, lieber Herr Henkel, das Sie sich selbst ausgestellt haben. Das muss ich bei der Gelegenheit mal sagen.
Wir sehen es in der Sache wirklich anders und sind gespannt, was Herr Dr. Körting nun als Ergänzung dieses Straftatenkataloges ausbrüten will. Es gab doch eine Grundüberlegung, deretwegen wir es gemacht haben, Herr Zillich. Das, was der Bundesgesetzgeber im Wege der Strafverfolgung – nachdem Straftaten geschehen sind – an Telefonüberwachung zulässt, nur das darf auch präventiv von der Polizei nach eigenem Recht gemacht werden. Das ist die Grundüberlegung gewesen. Wenn sie richtig war, kann man jetzt den Katalog nach § 100a auch nicht irgendwie erweitern. Ich bin gespannt, was sich Herr Körting von seiner Fachabteilung aufschreiben ließ. Ich befürchte, es ist nichts Gutes. Wir werden es aber sehen. Es gibt hier auch keine Vorverurteilung eines Innensenators.
Ich kann mich noch erinnern, die Frau Seelig kann sich möglicherweise auch erinnern, denn sie war dabei, als wir 1992 dieses ASOG in einer Arbeitsgruppe formuliert haben. Schon damals gab es ein massives Unbehagen auch auf Seiten der FDP. Damals war ein Herr Seerig noch dabei. Ich weiß nicht, ob Sie ihn kennen. Es ist auch relativ egal. Jedenfalls hat auch er an dieser Stelle mit uns gemeinsam für die Bürgerrechte gefochten. Herr Henkel, Sie sprechen immer von Vertrauen in die Polizei. Ich möchte einmal etwas überspitzt formulieren: Mein Vertrauen in die Polizei ist so groß, dass ich ihr alles zutraue. Das möchte ich deutlich sagen. Mein Vertrauen, dass sie natürlich bestmögliche Arbeitsbedingungen haben wollen, dass sie natürlich am liebsten – wie es seinerzeit unter Herold formuliert wurde – vor dem Täter am Tatort sein wollen, dass sie Straftaten glauben, verhindern zu können, indem sie alles wissen, indem sie alles überwachen – diese Überzeugung in der Euphorie der frühen 70er Jahre ist dann als grandioser Irrtum zurückgewiesen worden.
Es hat einige Mühen bereitet zu sagen: Das ist nicht das einzige Interesse, das Interesse der Polizei, alles zu wissen und so auch möglichst schnell die Täter zu finden. Es gibt auch das Interesse einer Bürgerschaft, die nicht a priori, ohne dass sie irgendetwas getan hat, in den Bereich der polizeilichen Überwachung, der Verdachtsschöpfung kommen möchte; deswegen die Einschränkungen im Polizeirecht, die notwendig sind; deswegen die Erkenntnis, dass es ein vorbeugendes Agieren ist, bevor Straftaten geschehen sind. Umso vorsichtiger muss man sein, weil es nur Prognoseentscheidungen sind.
Was Sie in die Begründung Ihres Antrages geschrieben haben, ist zum Teil schlicht falsch. Gegen die Türsteherszene kann ich schon heute alle verdeckten Maßnahmen einsetzen, die ich will, weil die Straftaten, die dort geschehen, bereits festgestellt sind. Da gab es Tote auf den Straßen. Dafür brauche ich nicht das ASOG, dafür brauche ich nicht die Änderung, die Sie hier wollen.
Kurzum: Für uns ist völlig klar, dass wir nicht zurück wollen. Wir wollen nicht diese „Rolle rückwärts“. Wir sehen auch nicht die Notwendigkeit zu einer Ergänzung des Kataloges. Wir versperren uns aber auch nicht der
Diskussion. Dann soll aber von den Praktikern gesagt werden, was sie bis dato nicht tun können, aber tun wollen. Ich fürchte, da kommt nicht viel. Vielleicht kann man bei der Gelegenheit auch einmal über den Unsinn reden, dass immer noch Ordnungswidrigkeiten bei der Frage des Einsatzes dieser verdeckten Polizeimittel diesen Straftaten gleichgesetzt sind. Auch das könnte man möglicherweise ändern. Dann wären wir tatsächlich einen Schritt weitergekommen.
Danke schön, Herr Kollege Wieland! – Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung an den Ausschuss für Inneres, Sicherheit und Ordnung. – Auch dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann wird so verfahren.