Ich eröffne die II. Lesung und schlage vor, die Einzelberatung der sechs Artikel miteinander zu verbinden. Ich höre hierzu keinen Widerspruch. Ich rufe also auf die Überschrift und die Einleitung sowie die Artikel 1 bis 6, Drucksache 15/2096. Eine Beratung ist nicht vorgesehen. Der Ausschuss empfiehlt einstimmig die Annahme der Vorlage mit einer redaktionellen Klarstellung im Gesetzestext. Wer so gemäß Drucksache 15/2292 beschließen möchte, den bitte ich um das Handzeichen! – Das sind die Regierungsfraktionen und die Grünen. Die Gegenprobe! – Enthaltungen? – Bei Enthaltung von FDP und CDU ist das so angenommen mit einer Änderung gemäß Beschlussempfehlung.
Eine Beratung wurde gewünscht. Es beginnt der Vertreter der Grünen. Das Wort hat Frau Jantzen – bitte schön! Hier ist das Mikrofon, das Pult und das Wort.
Es beginnt die Vertreterin der Grünen, Herr Präsident! – Meine Damen und Herren! Es ist heute schon sehr viel von dem berühmten Verfassungsgerichtsurteil zum Haushalt die Rede gewesen. Ich möchte deshalb meine Rede mit einem Zitat der Berliner Verfassung beginnen. Artikel 11 der Verfassung von Berlin sagt:
Aus diesem verfassungsrechtlichen Ziel leitet sich zwar kein unmittelbarer Anspruch der Menschen mit Behinderungen auf bestimmte Leistungen ab. Es gibt uns als verantwortlichen Politikerinnen und Politikern aber den Auftrag, Menschen mit Behinderungen die gleichberechtigte Teilhabe zu sichern und Nachteile, die ihnen aus ihrer Behinderung erwachsen, auszugleichen. Diesem Ziel, dem teilweisen Ausgleich von Nachteilen oder Mehraufwendungen, die blinden, hochgradig sehbehinderten und gehörlosen Menschen auf Grund ihrer Behinderung entstehen, diesem Ziel dient das Pflegegeld. Mit dem Landespflegegeldgesetz beschließen Sie von PDS und SPD heute Leistungskürzungen von 20 % für blinde Menschen und von bis zu 50 % für hochgradig Sehbehinderte. Diese Absenkungen bedeuten einen erheblichen Eingriff in die Lebenssituation der betroffenen Menschen. Sie werden weniger Geld für Hilfsmittel und Assistenz zur Verfügung haben und so weniger Teilhabemöglichkeiten. Damit stellen Sie die gleichwertigen Lebensverhältnisse, die durch den Nachteilsausgleich des Blinden-, Sehbehinderten- und Gehörlosengeldes gewährleistet werden sollen, in Frage.
Ich eröffne die II. Lesungen, zu denen eine Beratung nicht vorgesehen ist. Ich rufe auf die Überschrift und die Einleitungen sowie Artikel I und II, Drucksache 15/1934, sowie die Drucksache 15/1173. Zur Vorlage – zur Beschlussfassung – empfiehlt der Gesundheitsausschuss einstimmig bei Enthaltung der Oppositionsfraktionen die Annahme. Wer der Drucksache 15/1934 zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen! – Das sind die Regierungsfraktionen. Die Gegenprobe! – Enthaltungen? – Bei Enthaltung der Oppositionsfraktionen ist das Änderungsgesetz damit angenommen.
Zum Antrag der FDP Drucksache 15/1173 empfiehlt der Ausschuss gegen die Stimmen der Fraktion der FDP und bei Enthaltung der CDU die Ablehnung. Wer dem Antrag dennoch zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen! – Die FDP. Die Gegenprobe! – Regierungsfraktionen und Grüne. Enthaltungen? – Die CDU. Damit ist der Antrag mehrheitlich abgelehnt.
Beschlussempfehlungen GesSozMiVer und Haupt Drs 15/2344 Vorlage – zur Beschlussfassung – Drs 15/2186
Ich eröffne die II. Lesung und schlage vor, die Einzelberatung der 12 Paragraphen miteinander zu verbinden. Ich höre dazu keinen Widerspruch. Ich rufe also auf die Überschrift und die Einleitung sowie die Paragraphen 1 bis 12 gemäß Beschlussvorlage Drucksache 15/2186 unter Berücksichtigung der Beschlussempfehlung Drucksache 15/2344.
Menschen mit Behinderungen dürfen nicht benachteiligt werden. Das Land ist verpflichtet, für die gleichwertigen Lebensbedingungen von Menschen mit und ohne Behinderungen zu sorgen.
Sie werden wahrscheinlich auch in den nachfolgenden Reden wieder das Urteil des Verfassungsgerichts zum Haushalt als Begründung heranziehen und versuchen, der Opposition die Verantwortung für diese Kürzung „in die Schuhe“ zu schieben. Dazu sage ich Ihnen: Die von CDU und SPD zu verantwortende katastrophale Haushaltssituation des Landes zwingt – und zwar vor wie nach dem Verfassungsgerichtsurteil – dazu, alle Ausgaben auf den Prüfstand zu stellen. Das bedeutet aber nicht, dass wir nur noch für Leistungen zahlen, die – und zwar unmittelbar – bundes- oder verfassungsrechtlich geboten wären, und dass wir alle anderen Leistungen für freiwillige erklären, die den Menschen großzügig vom Senat oder dem Abgeordnetenhaus gewährt würden, wie SPD und PDS es zum Teil darstellen. Als verantwortliche Politikerinnen und Politiker in diesem Land haben wir die Aufgabe, das soziale Miteinander in der Stadt zu gestalten und Menschen mit Benachteiligungen und Behinderungen die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu sichern.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Frau Jantzen! Unterschriften ersetzen die verfassungsmäßige Begründung nicht. Das wissen Sie auch. Aber wir haben diese Unterschriften zur Kenntnis genommen. Wir haben mit den Betroffenen auch Dialoge geführt. Die Opposition, das ist klar, will die Gelegenheit nochmals nutzen, um „auf den Putz zu hauen“, für sich noch einmal Gehör zu schaffen. Aber bis zum heutigen Tag hat die Opposition uns noch keine vernünftige Gegenfinanzierung zu den geplanten Kürzungen vorgeschlagen. Es liegt nichts Konkretes vor. Sie sind ganz laut bei der Aussage, der Senat spare nicht genug, aber bei den einzelnen Betroffenen wollen Sie keine Kürzung umsetzen. Allerdings ist mir heute aufgefallen, dass ein Mitglied der CDU-Fraktion bei den Mündlichen Anfragen deutlich gemacht hat, was die CDU unter Sozialpolitik versteht. Die Gegenfinanzierung soll auf Kosten von durch Kriegserlebnisse traumatisierten Menschen sichergestellt werden. Aber die Koalition wird nicht eine Gruppe von Hilfsbedürftigen gegen eine andere ausspielen.
In diesem Sinne erkennen wir durchaus an, dass sich Finanzsenator Sarrazin mit seinem Vorhaben, das Landespflegegeld gänzlich zu streichen, nicht durchsetzen konnte. Es ist auch anzuerkennen, dass der Senatsentwurf nachgebessert wurde und das Pflegegeld für taubblinde Menschen, die ganz besonders auf Assistenz und Hilfsmittel angewiesen sind, in der gleichen Höhe erhalten bleibt wie vorher. Das ist jedoch nicht allein dem guten Willen der Abgeordneten – oder einiger Abgeordneter, zumindest von PDS und SPD – zu verdanken, es ist vor allem das Ergebnis der Proteste der blinden und sehbehinderten Menschen und ihrer Verbände, denen ich ausdrücklich für ihr Engagement danke.
Es ist beeindruckend, dass der Allgemeine Blinden- und Sehbehindertenverband innerhalb kurzer Zeit 50 000 Berlinerinnen und Berliner dazu gebracht hat, ihre Forderungen und den Protest mit ihrer Unterschrift zu unterstützen.
Das ist ein Beweis dafür, dass die Menschen in der Stadt eine größere Sensibilität für die besonderen Probleme und Belange der Menschen mit Behinderungen und für soziale Gerechtigkeit haben als Teile der Regierungskoalition und insbesondere Herr Sarrazin.
Die von den Kürzungen betroffenen Menschen hätten sicher mehr Verständnis für die ihnen jetzt auferlegten Einschränkungen der Teilhabemöglichkeiten, wenn bei diesem Senat und der Koalition ein Gesamtkonzept zur Haushaltssanierung erkennbar wäre, das alle Bereiche gleichermaßen erfasst und nicht bei den Menschen beginnt, die besonders auf Hilfe bei der Bewältigung ihres Alltags angewiesen sind.
Sie können kein Verständnis dafür haben, dass bei ihnen der Rotstift angesetzt wird, während im Hause Strieder noch für die Verschönerung oder Verschiebung von Bürgersteigen Geld ausgegeben wird und Rot-Rot sich nicht an das Weihnachtsgeld der Pensionäre herantraut.
Frau Kollegin! Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Gaebler? – Wir sind zwar schon fast am Ende, aber – –
Nein! Keine Zwischenfrage! – Die Grünen lehnen das Landespflegegeldgesetz ab. Sie von PDS und SPD sollten dies auch tun und das Angebot des Allgemeinen Blinden- und Sehbehindertenvereins, noch einmal über eine sozialverträglichere Lösung zu verhandeln, annehmen.
Danke schön, Frau Kollegin Jantzen! – Als nächste eine Vertreterin der SPD. Frau Radziwill hat das Wort. – Bitte schön!
Einsparungen, das wissen wir alle, sind schmerzhaft. Wir haben versucht, sie so verträglich wie möglich zu gestalten. Trotz schwieriger finanzieller Haushaltslage haben wir ein gutes Gesamtpaket geschnürt. Meine Fraktion wird daher der vorliegenden Novellierung des Landespflegegeldgesetzes auch zustimmen. Die Gründe haben wir in der I. Lesung und in der Ausschussberatung ausgeführt, aber ich teile Ihnen hier noch einiges mit:
Berlin hat, wie Sie wissen, Sanierungshilfen beim Bund und den anderen Ländern beantragt. Daher ist es unumgänglich, vorhandene Leistungsvorsprünge so weit wie möglich auf das Landesniveau des Durchschnitts anderer Landesgesetze anzupassen. Berlin lag mit seinem Leistungspaket bisher an der Spitze aller Bundesländer. Mit der geplanten Absenkung beispielsweise des Blindengeldes von bisher 585 auf 468 €, das entspricht einer Kürzung von 20 %, wird Berlin im guten Mittelfeld liegen. Mit dem Landespflegegeldgesetz hat Berlin bisher Menschen mit Behinderungen, unter anderem Blinden, hochgradig Sehbehinderten und Gehörlosen, einen Nachteilsausgleich gezahlt. Diese Leistung wird in Berlin bisher unabhängig vom Einkommen und Vermögen bezahlt. Berlin hält auch am Pflegegeld für Gehörlose und schwer Sehbehinderte fest; denn das BSHG-Blindengeld beinhaltet lediglich Leistungen für Blinde. Nach den Absenkungen des Blindengeldes werden auch die sozialen Härten abgefedert. Wer im Sinne des Bundessozialhilfegesetzes bedürftig ist, wird künftig die Differenz über das BSHG erhalten. Damit wird das Blindengeld nur zum Teil einkommensabhängig. Selbstverständlich sind die Kürzungen in diesem Bereich höchst schmerzlich. Diese
Wir sollen heute über ein Gesetz entscheiden, welches mit einer Geschwindigkeit durch die Gremien gepeitscht wurde, dass man nur staunen kann. Eingebracht im No
vember dieses Jahres, liegt uns – mit marginalen Änderungen, so etwa, dass man den etwa 40 taubblinden Menschen ihre bisherigen Leistungen wieder zugesteht – das Landespflegegeldgesetz als Ersatz für das Berliner Gesetz über Pflegeleistungen heute zur Entscheidung vor. Grundsätzlich könnte man diese Eile ja begrüßen, wenn hierbei nicht ein unsoziales, nicht abgestimmtes und von allen Betroffenen abgelehntes Gesetz verabschiedet werden sollte. Ob es sich um den ABSV als Interessenvertretung der blinden und sehbehinderten Menschen in unserer Stadt oder um die Arbeitsgemeinschaft der Behinderten, den Landesbeirat der Behinderten und, ganz wichtig, um den Landesbeauftragten der Behinderten handelt – alle, alle kommen zu dem Ergebnis, dass dieses Gesetz abgelehnt und nachverhandelt werden muss. Ihnen liegt der Gesetzentwurf vor, und Sie können erkennen, dass blinden Menschen 20 % und hochgradig sehbehinderten Menschen 50 % der bisherigen Leistungen gestrichen werden sollen. An dieser Stelle kommt die Argumentation der Koalition: Wir müssen alle sparen, die Haushaltssituation gibt nicht mehr her. – Bedenken Sie doch, dass es einem blinden Menschen nicht möglich ist, sich bei irgendeinem Kaffeeröster eine Schnäppchenarmbanduhr zu kaufen, da er das Ziffernblatt da nicht abtasten kann, und er kann sich eben nicht ein günstiges Taschenbuch besorgen, außer, er lässt es sich vorlesen. Ein vielfach teureres Buch bekommt man in Blindenschrift nur auf dem Markt, das wäre die Alternative. Von der Senatsverwaltung wird die nächste Möglichkeit genutzt, dieses unausgeglichene Gesetz zu vertreten: Der Ausstattungsvorsprung zu den übrigen Bundesländern müsse abgebaut werden, lautet das Argument. Wenn es den denn mal gäbe! Fünf weitere Bundesländer zahlen das Gleiche wie Berlin, vor der beabsichtigten Kürzung, darunter Hamburg, welches gerade bei der Kürzung der Eingliederungshilfe als Vergleichsobjekt herangezogen wurde.
Absenkungen werden für einige Betroffene zu spürbaren Einnahmeverlusten führen. Deshalb hätten wir es auch für vertretbarer gehalten, eine starke soziale Staffelung einzuführen. Leider war diese von Anfang an von den Vertretern strikt abgelehnt worden.
Einige hier werfen uns vor, dass wir nicht genügend mit den Betroffenenverbänden geredet hätten. Dies stimmt so nicht. Ich habe sehr frühzeitig, schon im Sommer, ein Gespräch mit dem Allgemeinen Blinden- und Sehbehindertenverein geführt. Auch zusammen mit dem Koalitionspartner haben wir Gespräche mit den Vertretern des Vereins geführt. Auf eine Anhörung im Ausschuss haben wir reagiert und beispielsweise die Kürzungen bei den Taubblinden abgewendet. Die Mitglieder der Koalition haben versucht, noch weitere Veränderungen umzusetzen. Insbesondere nach dem Urteil des Verfassungsgerichts ist uns das in größerem Umfang nicht gelungen. Dass die Spielräume enger geworden sind, haben wir der Opposition zu verdanken.