Nun spricht die Große Anfrage nicht nur Jugendgewalt und Kriminalität im Allgemeinen an, sondern sie fragt insbesondere nach dem Umgang und/oder nach Maßnahmen im Bereich der jugendlichen Intensivtäter. Die Definition hierfür hat Herr Körting bereits gebracht.
Aber Sie wollen auch ganz besonders auf die Bedeutung ausländischer Straftäter und deutscher Straftäter nichtdeutscher Herkunft gehen. Und das ist auch gut so, denn bei aller Liberalität und Toleranz können und dürfen wir nicht die Augen davor verschließen, dass ein großer und wachsender Anteil ausländischer bzw. deutscher Straftäter nichtdeutscher Herkunft dabei ist. Knapp die Hälfte aller Jugendgruppengewaltdelikte und ein Drittel aller augenblicklich in der täterorientierten Ermittlungsarbeit geführten Intensivtäter sind nichtdeutscher Staatsangehörigkeit. Und einige, Herr Steuer, haben auch schon in der Ursachenforschung eine Antwort für das Warum.
Sie sind nicht in der Lage, zu respektieren, dass man eine andere Sachauffassung haben kann. Sie sprechen uns permanent ab, dass wir Ahnung hätten. Sie seien die einzigen, die das Thema durchdringen, wir seien immer nur oberflächlich. Was für Probleme haben Sie denn eigentlich? – Vielleicht sollten wir das einmal in einer Großen Anfrage diskutieren. Es ist wirklich schwer zu ertragen.
Zu dem Thema der Großen Anfrage: Ich habe mich gefreut, dass die Große Anfrage in ihrem Tenor sehr sachlich ist, weil die CDU das Thema Anfang des Jahres eher in einer skandalisierenden Weise aufgegriffen hat. Es gab Besprechungen nach § 21 Absatz 5 Geschäftsordnung im Innenausschuss „Maßnahmen des Senats zur Bekämpfung der Eskalation der Jugendkriminalität in Berlin“. Jeder, der die Statistik gelesen hat, hat festgestellt, dass die Jugendkriminalität insgesamt rückläufig ist. Dennoch wird das Problem von der CDU beschrieben. Und es ist gut, dass wir uns damit befassen. Ob wir es so machen müssen wie jetzt, ist fraglich, aber ich stelle mich dieser Großen Anfrage.
Die mangelnde Integration, mangelnde Sprachkenntnisse der Eltern, daraus möglicherweise auch die der hier in Rede stehenden Jugendlichen, kulturelle und religiöse Unterschiede, eigentlich sogar Gegensätze, mangelnde Schulbildung und ergo mangelnde Berufsaussichten – das sind Umstände und Hintergründe, die einen Erklärungsansatz für den deutlich höheren Anteil genau dieser Jugendlichen geben. Diese Erklärung hat Charme. Die Begründung ist einfach und griffig. Und, was diese Begründung besonders apart macht, sie beschuldigt niemanden so richtig. Sie kann nicht wirklich auf irgendjemanden als Schuldigen zeigen. Und, was für uns Politiker besonders wichtig ist, sie gibt klare Handlungsanweisungen für künftiges politisches Handeln. Das mag begrüßt werden. Dieser allumfassenden Ursachenfindung in dieser Ausschließlichkeit kann ich allerdings nicht zustimmen. Ich glaube nicht, dass mehr Deutschkurse, Integrationsklassen, geförderte Ausbildungsplätze usw. die Lösung darstellen. Nun hoffe ich, dass insbesondere Herr Mutlu, der an der Stelle immer besonders aufmerksam wird, genau zuhört. Integrieren kann ich nur den, der sich integrieren will.
Hören Sie mir doch einfach bis zum Schluss zu, Herr Mutlu! – Integrieren will sich nur, wer sich hier zu Hause, wer sich hier wohlfühlt. Wohlfühlen wird sich nur, wer akzeptiert und in seiner individuellen Machart als dazugehörig angesehen und behandelt wird. Bis dahin werden alle mitgehen können. Zum Akzeptiertwerden und zum Dazugehören gehört aber, und zwar zwangsläufig und unabdingbar, dass ich die gesellschaftlichen, die kulturellreligiösen, die sozialen Lebensbedingungen des Gast- oder des künftigen Heimatlandes akzeptiere und toleriere, und zwar in Gänze. Das ist eine Aufgabe, die weder eine Partei noch eine Koalition, Institution oder Behörde allein stemmen kann. Was Politik bzw. auf Grund politischer Entscheidungen Polizei, Justiz, der Jugendbereich leisten können, hat der Innensenator dargestellt. Keine Abordnung eines Polizisten in irgendeine Berliner Schulklasse, keine Jugend- und Diversionsbeauftragten bei der Polizei, keine Waffenkontrollen an Schuleingängen, aber auch keine Clearingstelle und mit Sicherheit keine sofortige Unterbringung von erstmalig auffällig gewordenen Tätern in der Jugendhaftanstalt oder ein Kooperationskonzept zwischen Schulen und Polizei allein können eine Lösung bieten. Sie können uns nur auf dem langen Weg, der vor uns liegt, begleiten. Langfristig und nachhaltig werden wir die Ursachen von Kinder- und Jugendgewalt und -kriminalität – unabhängig von irgendeiner Staatsangehörigkeit – nur in den Griff bekommen, wenn alle Beteiligten bereit sind, sich offen und kritisch auch mit der eigenen bisherigen Sichtweise, Herangehensweise, Forderung, Anschauung auseinander zu setzen, und bereit sind, sich von dem einen oder anderen bisher als erforderlich empfundenen Biotop oder als selbstverständlich angesehenen Pfründen zu verabschieden. – Ich danke Ihnen!
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zwei Wörter in Ihrer Rede, Frau Hertel, haben mir gefallen.
„Offen“ und „kritisch“ haben Sie gesagt. Diese oberlehrerhafte Art insbesondere der Fraktionen der SPD und der PDS, die uns gegenüber permanent angebracht wird, ist für mich schon schwer zu ertragen.
Statistik – das ist ein besonders interessantes Thema. Berlin soll seit diesem Jahr die Hauptstadt des Verbrechens sein. Wir sind da angeblich die Nummer 1, haben Hamburg überholt, endlich einmal, leider ist das auch nicht richtig. Wer sich das genau angeschaut hat, in Hamburg gab es ein einziges Verfahren mit 17 000 Unterverfahren, wo es um Kapitalanlagebetrug ging. Die 17 000 Fälle wurden aufgelöst. So kam es zu einer dramatischen Reduzierung der Kriminalität von 2001 auf 2002. Die Kollegen in Hamburg haben außerdem noch mehrere Tausend Straftaten leider in der EDV vergessen, so dass wir, wenn wir das alles zusammenrechnen, vielleicht nicht mehr die Nummer 1 in der Reihenfolge sind, worüber ich mich ausnahmsweise freuen würde.
Bundesweit und in vielen europäischen Staaten ist ein Anstieg der Kinder- und Jugendkriminalität festzustellen. Die Täter werden leider immer jünger. Das Einstiegsalter sinkt. Insbesondere bei den Tatverdächtigen im Bereich der Gewaltkriminalität ist ein starkes Ansteigen zu verzeichnen. Die Straftaten bei auffälligen Kindern und Jugendlichen lassen sich grob in zwei Gruppen teilen. Bei ungefähr 90 Prozent der Kinder und Jugendlichen handelt es sich um ein vorübergehendes Entwicklungsphänomen.
Kindertagesstätten und Schulen: Hier halten sich die Kinder einen Großteil des Tages auf, hier lernen sie, welches Verhalten akzeptiert wird, mit welchem Verhalten sie gegen Regeln verstoßen. Deswegen ist es ganz besonders wichtig, dass in der Kita qualifizierte Kräfte zur Verfügung stehen. Auch die Schule darf sich nicht auf das reine Vermitteln von Wissen beschränken, sondern muss ihren Erziehungsauftrag im positiven Sinn wahrnehmen.
Jugendämter, Jugendarbeiter, Nachbarschaftsinitiativen: Hier gibt es in Berlin so genannte kriminalpräventive Räte in einzelnen Bezirken. Der Hintergrund ist, dass sich alle Beteiligten, die bei Jugendkriminalität ins Spiel kommen, zusammensetzen und im Vorfeld bereits versuchen, Konflikte zu vermeiden. Das ist sicherlich ein unterstützenswerter Ansatz.
Wir hätten gerne noch eine Regelung, wie es sie in Baden-Württemberg teilweise gibt, die so genannten Jugendrechtshäuser. Dort sind auch die staatlichen Institutionen, die mit Jugendkriminalität zu tun haben, mehr oder weniger unter einem Dach. Es gibt kurze Wege, es gibt schnelle Reaktionen, was eine ganz wichtige Vorgehensweise ist.
In der Regel fällt man ein Mal negativ auf, dann kommt die Sanktion und ist geeignet, zu einer Verhaltensänderung zu führen. Auf der anderen Seite haben wir aber ungefähr 10 Prozent Jugendtäter, die in eine Entwicklung hineingehen, die bis zum Serienstraftäter gehen kann. 10 Prozent der bekannten Täter verüben 40 Prozent der bekannt gewordenen Delikte. Das zeigt, worauf wir uns konzentrieren müssen.
Bei den Raub- und Körperverletzungsdelikten ist ein Anstieg zu verzeichnen. Das haben wir auch schon gehört. Auch dass bei Kindern und Jugendlichen mit nichtdeutscher Herkunft eine doppelt so große Häufigkeit bei den Straftaten besteht. Da müssen wir uns die Frage stellen – die ist von der CDU genauso berechtigt wie von jedem anderen: Was läuft hier falsch? Wo ist die Ursache der Probleme? Wo müssen wir ansetzen?
Der Innensenator hat es uns noch einmal berichtet, dass bei Eigentumsdelikten ab und zu ein Vorsprung bei deutschen Straftätern besteht, die dort proportional häufiger Straftäter sind. Wenn es aber um Gewaltdelikte geht, haben wir ein besonderes Problem mit Kindern und Jugendlichen ausländischer Herkunft. Dem müssen wir uns stellen. Das müssen wir angehen. Wir müssen unterscheiden zwischen Prävention und Repression, beides gehört dazu. Bei der Prävention muss der Ansatz sein, das Übel an der Wurzel zu bekämpfen. Es ist bereits gesagt worden, es sind zum Teil fast schon Allgemeinplätze: Wir wissen, dass das in den Schulen, in den Familien, in den Vereinen passieren muss.
Es gibt eine breite Landschaft von Initiativen, Projekten, die das versuchen. Aber auch hier gibt es noch großen Verbesserungsbedarf. Ich will nicht verschweigen, dass in Berlin einiges in die richtige Richtung läuft. Wir müssen also unsere Anstrengungen in der Prävention steigern. Das ist nicht nur durch finanzielle Zuschüsse machbar, insbesondere nicht bei dieser Haushaltslage, aber die Kollegen von der CDU haben darauf hingewiesen, es ist auf der anderen Seite auch schwer vermittelbar, wenn man dort im Groben streicht. Man muss sich anschauen, welche Projekte Erfolge bringen und welche nicht. Trommeln gegen den Rechtsextremismus – bringt das eigentlich etwas? – Die Mühe müssen wir uns schon machen, das ist keine Frage von links oder rechts, sondern eine Frage, wo das bisschen Geld, das wir noch haben, am besten investiert wird.
Die Familien sind insbesondere bei Tätern mit nichtdeutschem Hintergrund eine ganz gravierende Problemstellung. Oft sprechen die Eltern von jugendlichen Straftätern kein Deutsch, und dann wird die Kommunikation mit Behörden, wenn ihr Kind eine Straftat begangen hat, sehr problematisch. Hier müssen wir noch stärker als bisher auf die Eltern einwirken. Dass Eltern die deutsche Sprache lernen, ist ein wichtiger Punkt zur Bekämpfung der Jugendkriminalität. Das muss auch einmal gesagt werden.
In der Prävention erfolgreiche Projekte in Schöneberg sollen jetzt für die ganze Polizei als Vorbild dienen. Das läuft sicher in die richtige Richtung. – Was wir uns wünschen, sind mehr polizeiliche Präventionsprojekte in diesem Maß, weil wir sonst die Situation haben, dass Kinder und Jugendliche insbesondere aus Problemgruppen mit der Polizei nur in Kontakt kommen, wenn der Konflikt bereits eskaliert ist. Wir glauben auch, dass es Sinn macht, um Vorbehalte der Jugendlichen gegenüber der Polizei abzubauen, dass man versucht, von Polizeiseite aus noch mehr an Projekten in die Wege zu leiten. Das wäre ein wichtiger Punkt.
Relativ viele Gewaltstraftaten werden mit Waffen begangen. Wir hatten die Debatte bereits im Ausschuss. Wir haben eine eigene Kampagne entwickelt und schlagen vor, wie wir Anreize über die illegalen Waffen in Berlin reduzieren können. Wer z. B. seine illegale Waffe bei der Polizei oder einer anderen Stelle abgibt, soll eine Freikarte von einem Sportverein bekommen. Da haben wir mit Sportvereinen, die das unterstützen wollen, Gespräche geführt, und es gibt rechtliche Möglichkeiten, die wir nutzen möchten. Der Senat hat zugesagt, dass er das prüft. Wir harren der Dinge. Hier liegt ein immenser Handlungsbedarf, weil wir bis zu 500 000 illegale Waffen in Berlin haben und die Waffenrückrufaktion des Senats 106 Waffen zu Tage gefördert hat. Hier ist noch viel zu tun.
Auf Seiten der CDU wird die Herabsetzung der Strafmündigkeit gefordert. Davon halten wir nicht viel. Das immer frühzeitigere Kriminalisieren bzw. Reagieren
Mein Missbehagen richtet sich eher gegen diese Große Anfrage, weil es zwar zunächst hinter einem nüchternen Vorhang und nüchternen Anfragen verborgen war, aber dann aus den Reden doch klar wurde, was gemeint war: Man wollte wieder auf Ausländerkriminalität kommen. Man wollte feststellen, dass wir viel zu wenig finanzielle Mittel in den Jugendbereich hineingeben, und man wollte wieder einmal höhere Strafen zum Thema machen. – Dass Sie eigentlich nichts mit Ihren Fragen am Hut hatten, hat sich daran gezeigt, dass Sie den ausführlichen, nüchternen und erschöpfenden Ausführungen des Innensenators relativ wenig Aufmerksamkeit gewidmet haben. Ansonsten hätte in Ihrem zweiten Beitrag ja irgend eine Reaktion kommen müssen.
Ich will nicht bezweifeln, dass wir über ein ernstes Thema reden, aber an diesem Ort, zu dieser Zeit, lässt es sich wohl nicht besonders intensiv diskutieren. Es ist klar, dass der Umbau des Sozialstaates, wie wir ihn jetzt erleben, zu einer immer größeren Kluft in dieser Gesellschaft führt, und das kann nicht ohne tiefe Umbrüche in allen Bereichen der Gesellschaft vonstatten gehen. Auch die Berliner Landeskommission gegen Gewalt weist auf die seit Beginn der 90er Jahre zu beobachtenden Gründe für die Zunahme von Gewaltbereitschaft Jugendlicher hin: wachsender Funktionsverlust der Familien, Auflösung soziokultureller Milieus, Perspektiv- und Orientierungslosigkeit, Entwicklung einzelner Quartiere in Berlin, Veränderung der Sozialstruktur.
des Staates mit dem Strafrecht ist aus unserer Sicht überhaupt nicht notwendig. Es gibt genügend andere Möglichkeiten darauf einzugehen. Dazu komme ich gleich, insbesondere, wenn wir uns die sehr erfolgreichen Jugendheime oder Jugendhäuser in Brandenburg vom EJF, dem Evangelischen Jugend- und Fürsorgewerk anschauen. Dort gibt es eine Art geschlossenes Heim, aber es gibt keine Mauer darum herum. Man ist sozusagen in der brandenburgischen Steppe,
weit weg von jeglicher Zivilisation, mit einer engen persönlichen Betreuung. Die Menschen vor Ort sind dort die Mauern. Man hat den ganzen Tag etwas zu tun. Es sind Psychologen da, Sozialarbeiter. Und die Erfolgsquote ist dort viel höher als die eines jeden geschlossenen Heims in Berlin. Deswegen sehen wir auch keinen Handlungsbedarf – außer dem Ausbau dieses erfolgreichen Projekts. Eine Bagatellisierung von Delikten, wie das von den Grünen immer wieder eingefordert wird – bei Schwarzfahren oder Ladendiebstahl –, wäre genauso der falsche Schritt. An dieser Stelle dürfen wir nicht falsche Signale an Jugendliche aussenden, als würden kleinere Straftaten von uns als Gesellschaft und Staat nicht genauso missbilligt. Das wäre der falsche Weg.
Ich komme zum Schluss: Wir brauchen beschleunigte Verfahren. Die Strafe muss auf dem Fuße folgen. Wir brauchen mehr Täter-Opfer-Ausgleich. Wir sollten die Täter mit den Opfern konfrontieren, um dadurch Verhaltensänderungen zu erzielen. Wir müssen unser Personal weiter qualifizieren. Von dem Dreiklang aus Verwarnungsmitteln – dazu kann auch ein intensives polizeiliches Gespräch mit einem Delinquenten dienen –, aus Zwangsmitteln – z. B. mehr gemeinnützige Arbeit – und aus Arrest als letztem Mittel – z. B. in diesen Heimen in Brandenburg – versprechen wir uns Erfolg.