Danke schön, Frau Kollegin Ströver! – Der Abgeordnete Dr. Gysi von der Fraktion der PDS möchte jetzt eine Kurzintervention machen.
Okay! – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Was mich an dieser Debatte eigentlich stört, ist
das gestörte Verhältnis zur Geschichte und zu historischen Persönlichkeiten in Deutschland, und das beziehe ich wirklich nicht nur auf eine Seite.
Ich will ein Beispiel nennen: Wir haben in Deutschland ganz viele Bismarck-Denkmäler, und ich sage gleich: zu Recht. Obwohl Bismarck der erste war, der per Sozialistengesetz Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten verfolgt und in die Emigration getrieben hat. Obwohl es so war und obwohl man das zweifellos negativ beurteilen muss, ist er dennoch eine relativ einzigartige, große Persönlichkeit der deutschen Geschichte, die man deshalb noch lange nicht unkritisch sehen muss.
Eine auf ganz andere Art und Weise herausragende Figur der deutschen Geschichte ist zweifellos Rosa Luxemburg. Sie ist immerhin eine Frau, die für ihre Überzeugungen mit ihrem Leben bezahlt hat und ermordet worden ist. Und übrigens wegen des Patriarchats gibt es auch gar nicht so viel Frauen in der Geschichte, die eine so herausragende Stellung eingenommen haben wie Rosa Luxemburg, sodass ihr schon deshalb ein Denkmal gebührte, denn wir haben sonst nur Gedenktafeln.
Aber lassen Sie mich Folgendes sagen: Was ich überhaupt nicht erwarte, von niemandem, ist unbedingte Akzeptanz, aber Sie kennen die Geschichte offensichtlich etwas wenig, sonst wüssten Sie zum Beispiel, dass in der KPD der Luxemburgismus in den 20er und 30er Jahren geradezu verfolgt worden ist. Sonst
wüssten Sie, dass die DDR sich eben nie zu einem wirklichen Denkmal aufraffen konnte, wegen der Kritik an der leninschen Politik und an Demokratieverletzung.
Aber darum geht es mir jetzt gar nicht. Sie hatte auch andere Seiten. Das ist nicht der Kern meines Anliegens. Der Kern meines Anliegens ist, dass wir offensichtlich so große Schwierigkeiten auf allen Seiten des Hauses – oder sagen wir einmal in der Gesellschaft – haben, historische Persönlichkeiten aus ihrer Zeit heraus zu verstehen und dann auch auf das, was sie getan haben, sowohl kritisch als auch mit Stolz zu reagieren. Ich garantiere Ihnen, in einem Land wie Frankreich hätte Rosa Luxemburg – und zwar ohne jeden Einwand von Konservativen und Liberalen – mit absoluter Sicherheit ein Denkmal, und die ganze Nation wäre auf sie stolz bei aller Kritik, die ansonsten geübt werden würde. Sehen Sie, dass wir dieses Verhältnis nicht hinkriegen, und zwar zum Teil bei bestimmten Persönlichkeiten auf der linken Seite, zum Teil bei Konservativen wieder bei anderen Persönlichkeiten, das macht eine der Störungen in unserer Geschichte und in der Frage der Nation aus.
Deshalb bitte ich Sie einfach, gehen Sie doch einmal anders an die Sache heran. Seien wir doch einmal stolz auf eine Frau, die sich für Gerechtigkeit eingesetzt hat, die möglicherweise auch Irrtümer begangen hat, das ist gar nicht die Frage, und die für ihre Überzeugungen mit ihrem Leben bezahlt hat und ermordet worden ist. Ihr ein Denkmal zu setzen, und zwar nicht im Sinne von kritikloser Annahme von allem, was sie gesagt hat, gehört einfach zur Akzeptanz von deutscher Geschichte.
Deshalb sage ich: Ja, Bismarck-Denkmäler sind gerechtfertigt. Ich sage aber auch: Ja, ein Rosa Luxemburg-Denkmal ist gerechtfertigt. Und wenn wir uns darauf nicht verständigen können hinsichtlich unserer Geschichte, werden wir als Nation in einem sich integrierenden Europa niemals diese europäische Normalität bekommen und die Akzeptanz erreichen, die wir dringend benötigen. Als Liberale – mein letzter Satz, Herr Präsident – tun Sie sich überhaupt keinen Gefallen. Mit diesem Antrag beweisen Sie, dass Sie alles Mögliche sind, aber nicht liberal, sondern eher illiberal.
Danke schön, Herr Kollege Dr. Gysi! – Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung an den Ausschuss – – Herr Hahn! Sie möchten eine Kurzintervention machen? – Bitte!
Herr Präsident! Darauf kommt es mir an, wenn wir der Illiberalität gescholten werden, dann möchte ich den Abgeordneten Dr. Gysi fragen, ob er mit dieser Argumentation, die er uns eben hier vorgeführt hat, nicht in der Tat auch ein Gustav-Noske-Denkmal rechtfertigen kann. Schließlich hat der Mann auch im KZ gesessen und ist der Hinrichtung durch die Nazis nur entkommen, weil die Alliierten ihn am 25. April 1945 aus der Haft befreit haben. Mit dieser Argumentation können Sie in der Tat alles zukleistern und allem und jedem gedenken. – Schönen Dank! interjection: [Beifall bei der FDP]
Frau Kollegin Ströver! Wenn ich Sie bei einer Kurzintervention übersehen haben sollte, weil mein Blick nach rechts abgelenkt war, dann tut mir das Leid. Ich bitte um Entschuldigung! – Ich sehe keine weiteren Wortmeldungen. Wer? – Herr Apelt!
Es gibt aber eigentlich keine – ja, es stimmt. Herr Apelt, ich habe Ihre Wortmeldung sehr wohl gesehen, genauso wie die des Kollegen Wegner. Aber der Redner hatte seine Rede beendet, und nachdem mich eine Fraktionsvorsitzende bei einem anderen Redner, wo ich die Frage noch zulassen wollte, er aber schon vom Pult gegangen war, gerügt hat – und ich leider zugeben muss: zu Recht –, kann ich den Redner Dr. Gysi schon gar nicht festhalten und sagen, Herr Apelt möchte eine Frage stellen und er soll sie beantworten. – Ja, natürlich, ich unterbreche auch gern. Aber natürlich immer zwischen den Sätzen, nicht mitten im Satz. Wenn ich Redner wäre, würde ich es auch als ungebührlich empfinden. Ich gebe zu, manche Redner bilden lange Sätze, bei Dr. Gysi war das eben so, sonst wäre ich eher dazwischen gegangen.
Ich versuche, gerecht zu sein und allen Interessen gerecht zu werden. [Beifall bei der SPD und der PDS]
Der Ältestenrat empfiehlt jetzt die Überweisung an den Ausschuss für Kulturelle Angelegenheiten. Wer dem seine Zustimmung zu geben wünscht, den bitte ich um das Handzeichen! – Die Gegenprobe! – Enthaltungen? – Bei zwei Enthaltungen ist das so beschlossen.
Eine Beratung wird nicht gewünscht. Der Ältestenrat empfiehlt eine Überweisung an den Ausschuss für Jugend, Familie, Schule und Sport und an den Hauptausschuss. Wer dem seine Zustimmung zu geben wünscht, den bitte ich um das Hanszeichen! – Die Gegenprobe! – Enthaltungen? – Das war einstimmig.
Eine Beratung ist nicht vorgesehen. Die Fraktionsgeschäftsführer empfehlen die Überweisung an den Ausschuss für Wirtschaft, Betriebe und Technologie. Wer dem seine Zustimmung zu geben wünscht, den bitte ich um das Handzeichen! – Die Gegenprobe! – Enthaltungen? – Dann war auch das einstimmig.
Dazu liegen Wortmeldungen vor. Herr Ritzmann von der Fraktion der FDP möchte den Antrag begründen und hat hiermit das Wort. – Bitte schön, Herr Ritzmann!
Herr Präsident! Es wäre sicher schön, wenn Herr Körting, anwesend wäre. – Er betritt den Raum, danke schön. Ich habe es heute schon einmal versucht, ich hoffe, dass Frau Senatorin Schubert oder Herr Senator Körting Stellung nehmen. Wer den Antrag liest, wird sich womöglich denken: Komisch, dass klingt danach, dass die geltenden Gesetze angewandt werden sollen. Genau darum geht es.
Wir haben gegenwärtig die Situation, dass durch die Innenverwaltung die Rasterfahndung angewandt wird, die ja auch ihren Sinn und Zweck haben kann, wenn eine gegenwärtige Gefahr vorliegt. Darum geht es. Es gab eine Entscheidung des Landgerichts in der vergangenen Woche, die festgestellt hat,
dass der Polizeipräsident als antragstellende Behörde in keiner Weise darlegen konnte, dass es in Berlin eine gegenwärtige Gefahr für den Bestand des Landes, des Bundes oder eine Person gibt, das heißt, dass diese Kriterien nicht erfüllt sind. Als Anmerkung: Die Kriterien der Rasterfahndung sind vermutliche islamische Religionszugehörigkeit und vermutlicher legaler Aufenthalt. Wir können also davon ausgehen, dass in den letzten drei Monaten viele Tausend Datenbestände angehäuft wurden, was, wenn die Rechtsgrundlage fehlt, ein unrechtmäßiger Grundrechtseingriff ist. Das Landgericht hat in seinem Beschluss aus meiner Sicht dargelegt, dass es sozusagen fast irritiert über die mangelhafte Darstellung der antragstellenden Behörde ist, weil in keiner Weise eine aktuelle Gefahr vorliegt. Herr Senator Körting hat das in Presseveröffentlichungen auch immer unterstrichen. Eine gegenwärtige Gefahr muss vorliegen, das heißt, die Situation, dass nicht auszuschließen ist, dass sich möglicherweise in Berlin Schläfer aufhalten, reicht nicht aus, um diese Maßnahme anzuordnen und durchzusetzen.
Wer die Presse und die öffentliche Meinung verfolgt hat, konnte feststellen, dass die Position von Senator Körting interessant war vor allem für Verfechter des liberalen Rechtsstaats. Er hat aus unserer Sicht Gerichtsschelte betrieben, indem er gesagt hat, das Urteil sei falsch, er wolle erst einmal sehen und zunächst würde nichts geändert. Er führt aus unserer Kenntnis die Rasterfahndung weiter, aus Sicht des Landgerichts Berlin und auch aus unserer Sicht ohne rechtliche Grundlage, und er schädigt damit das Ansehen der Justiz als Kontrollorgan.
Herr Ritzmann, entschuldigen Sie bitte! Das ist hier – wie soll ich mich ausdrücken? – keine Wärmehalle. Diejenigen, die Gespräche führen, können nach hinten gehen. Die einzigen legitimen Gespräche sind die der Fraktionsgeschäftsführer über die Abkürzung der Tagesordnung, die sind in Ordnung, Herr Gaebler und die anderen. Bitte gehen Sie – auch für Regierende Bürgermeister gilt dies – in den hinteren Teil des Saals und stören Sie die Verhandlungen vorn nicht. – Bitte, Herr Ritzmann, fahren Sie fort!
Danke, Herr Präsident! – Uns treibt die Sorge um den liberalen Rechtsstaat um, das Ansehen der Justiz. Deswegen haben wir die Senatorin gefragt und fragen wieder, welche Konsequenzen sie aus den Handlungen des Innensenators zieht. Es entsteht der Eindruck, dass im Lauf der verschiedenen Maßnahmen, die in diesem Zusammenhang angedacht wurden, die Rasterfahndung als Aktionismus einzuordnen ist. Obwohl der Innensenator bisher auch dadurch positiv aufgefallen ist, dass er Fehler eingestanden hat, scheint er sich hier in eine Ecke zu verrennen, indem er diese Maßnahme zulässt, die laut Landgericht ohne rechtliche Grundlage stattfindet. Dies könnte er dadurch auflösen, dass er einen Fehler eingesteht und es einstellt. Unrechtmäßig erhobene Daten würden vernichtet und die Rasterfahndung wird dann durchgeführt, wenn eine gegenwärtige Bedrohung vorliegt. Dann ist sie adäquat und dann findet sie auch die Unterstützung der FDP-Fraktion.
Die FDP als liberale Rechtsstaatpartei wird sich nachdrücklich dafür einsetzen, dass die Justiz als wichtige Kontrollfunktion weiterhin angesehen wird, und wir werden uns dafür einsetzen, dass das Ansehen des Rechtsstaats bei der Berliner Bevölkerung nicht dadurch unterwandert wird, dass die Verwaltung sich über die Gerichtsentscheidung hinweg setzt und somit politisches Recht selber schafft.