Es wäre gerade an Ihnen gewesen, Herr Müller, sich eher an dem Ton zu orientieren, den Herr Liebich zumindest zu Beginn seiner Rede noch vorgetragen hat.
Das trifft Sie als Haushaltsgesetzgeber und trifft die Herren Wowereit und Sarrazin in besonderem Maß. Beide haben – der eine in bewusster Missachtung des Verfassungsrechts und der andere in gewollter Verschleierung des eigenen Unvermögens – diesen Zustand herbeigeführt.
Wenn sich Herr Wowereit jetzt hinstellt und besserwisserisch behauptet, er fühle sich durch das Urteil bestätigt, so wissen wir, dass das Vertrauensverhältnis zwischen Senat und Abgeordnetenhaus nachhaltig gestört ist. Genau deshalb haben wir heute hier diese Misstrauensanträge gestellt. Genau damit beschäftigen wir uns. Genau darüber hat dieses Haus zu befinden.
Wer meint, sich auf dem Boden der Verfassung mit der gleichen Leichtfüßigkeit bewegen zu können wie auf dem Tanzparkett, hat das Vertrauen des Parlaments verspielt. Das lassen wir Ihnen nicht durchgehen, Herr Wowereit.
Ihrer Haushaltspolitik ohne Plan und Konzept hat das Gericht einen Riegel vorgeschoben, und das ist zu Recht geschehen. Es ist beschämend zu sehen, welche Konsequenzen der Senat aus dem Urteil zieht: gar keine! Klaus Wowereit und seine Genossen von SPD und PDS wollten zunächst noch nicht einmal die laufenden Haushaltsberatungen aussetzen. Wir haben zur Kenntnis genommen,
Finanzsenator Sarrazin sieht sich in seiner Linie bestätigt. Klaus Wowereit meint, das Urteil unterstütze seinen Konsolidierungskurs. Da erklärt das Verfassungsgericht den Haushalt für nichtig, und die Verantwortlichen sehen sich in ihrem Kurs bestätigt. „Verantwortung übernehmen, aber nicht mit uns“, ist die Devise von Wowereit und Sarrazin.
Nachdem das Gericht ihnen das Gegenteil bescheinigt hat, glauben Sie, trotzdem Ihren Kurs fortsetzen zu können. Wer soll Ihnen denn da noch trauen hier in diesem Haus? Beim Schuldzuweisen sind Sie ganz groß. „Ich war nicht dabei“, sagt Herr Sarrazin mit „Blick auf die fiskalische Fahrt in den Wahnsinn“. Es ist richtig, das kann man auch nicht verschweigen, den Schuldenberg haben SPD und CDU und zwar gegen unseren Widerstand in diesem Haus in den Jahren der großen Koalition aufgehäuft. Es waren die Finanzsenatoren der CDU, die sich zu Beginn der 90er Jahre fröhlich Milliarde um Milliarde von den Banken liehen. Es war die CDU mit ihrem Fraktionsvorsitzenden Landowsky, die den Bankenskandal ausgelöst hat.
[Wowereit (SPD): Werden Sie nicht wieder so plump, Herr Ratzmann! Das ist nicht Ihr Niveau. Überlassen Sie das lieber Herrn Lindner!]
Ja, dieses Niveau werden wir versuchen herzustellen. Es ist endlich an der Zeit, genau dieses Niveau hier in diesem Haus auch für die Haushaltsberatung einzuführen. Unter diesen Bedingungen ist eine politische Debatte in diesem Haus ernsthaft gar nicht mehr möglich. Ihr hemdsärmeliger Politikstil verdirbt doch mittlerweile die Kultur der ganzen Regierung. Das ist kein Ausrutscher; dieser Umgang hat Methode!
Herr Sarrazin unterschlägt bei konkreter Nachfrage den Vertragsabschluss zum Metropol. Herr Flierl versüßt dem entlaufenen Staatssekretär die Flucht und verschweigt das laufende Ermittlungsverfahren gegen den designierten. Herr Wolf und Herr Strieder setzen sich locker über die Vorgaben des Parlaments bei der Ausschreibung der Abfallbeseitigung hinweg. Wen wundert es, dass sich der Staatssekretär Bielka mit Rückendeckung der Regierung sein Nest bei der DEGEWO baut? Diese Kultur ist nicht Ausdruck eines Mentalitätswechsels. Das ist Fortsetzung der Selbstbedienungsmentalität mit anderen Mitteln!
Die Äußerungen aus Regierungskreisen der letzten Tage haben deutlich gemacht, dass bei Ihnen noch gar nicht angekommen ist, welche Tragweite das Gericht Ihrem Verstoß beigemessen hat.
Hier wurde nicht irgendeine Rechtsvorschrift verletzt, sondern das zentrale Gebot der Finanzverfassung Berlins. Artikel 87 dient dem Schutz zukünftiger Generationen vor finanzieller Belastung, die nicht auch zukunftsgerichtet sind.
Wir reden hier über die Gefahr der Demokratie. Wir reden über die Einschränkung von Gestaltungsspielräumen des Gesetzgebers. Das erfahren wir hier gerade. Darunter leiden wir doch in diesem Parlament. Darüber kann man nicht einfach so achselzuckend hinweggehen, meine Damen und Herren von der PDS.
Sie können Sich gerade nicht hinstellen, gerade Sie, Herr Wowereit, können das nicht, und verkünden, das Urteil sei Rückenwind für Ihre Haushaltspolitik. Das Verfassungsgericht hat Ihre Haushaltspolitik nicht bestätigt, sondern hat sie für verfassungswidrig erklärt.
Es ist keine Frage, dass die CDU ein gerütteltes Maß an Verantwortung für diese Situation trifft. Das gilt aber auch gleichermaßen für die SPD. Das wollen wir hier in diesem Haus nicht vergessen!
Das Urteil, das wir erstritten haben, entlässt Sie nicht aus Ihrer Verantwortung. SPD und PDS haben diesen Haushalt gemeinsam beschlossen, von dem Thilo Sarrazin schon bei der Verabschiedung wusste, dass er verfassungswidrig sei. Im Hauptausschuss und gestern auch im Rechtsausschuss haben Sie sich hingestellt und den Luther gespielt und gesagt: „Hier stand ich. Ich konnte nicht anders.“ Aber das, Herr Sarrazin, hat Ihnen das Gericht nicht durchgehen lassen. Es gibt keine Gnade der späten Regierung. Jede Regierung ist nach den Maßstäben der Verfassung dafür verantwortlich, welchen Haushalt sie in dieses Haus einbringt. Die Regierungsfraktionen mit ihrer Mehrheit sind dafür verantwortlich, ob sie diesem Haushalt zustimmen oder nicht. Sie haben – so muss man jedenfalls annehmen – weder das Urteil des Verfassungsgerichts noch die Berliner Verfassung verstanden, wenn Sie meinen, an der Haushaltspolitik nichts ändern zu müssen.
Wir sind jetzt aufgefordert – und auch dieser Verantwortung werden wir uns stellen –, jeden Titel nach den Vorgaben des Gerichts zu prüfen. Das ist richtig, und wir haben bereits eingefordert und angekündigt, dass wir das machen werden. Aber weil Sie das negieren, weil Sie so flegelhaft mit der Berliner Verfassung umgehen, haben wir diese Misstrauensanträge gestellt und wollen, dass dieses Haus sich ernst nimmt und diesen Anträgen zustimmt.
Das Berliner Verfassungsgericht hat hier Rechtsgeschichte geschrieben, und es wird Auswirkungen über die Grenzen des Landes hinaus haben. Bei uns klingeln schon die Telefone aus anderen Bundesländern, und es wird gefragt, was denn dieses Urteil bedeuten und wie man es in die eigenen Überlegungen mit einbeziehen könne.
Auch hier verlangt das Gericht, dass der Landesgesetzgeber alle bundes- und landesverfassungsrechtlich gebotenen Konsolidierungsmaßnahmen benennen und haushaltsgesetzlich auch umsetzen muss, wenn er sich auf diesen ungeschriebenen Ausnahmetatbestand berufen will. Ich glaube, diesen Satz muss man sich sehr genau angucken, weil er nach der Verkündung des Urteils von Ihnen – jedenfalls in der ersten Reaktion – missbraucht worden ist, Verunsicherungen in der Stadt zu schaffen.
Da steht: Die „gebotenen“, nicht die „möglichen“ Konsolidierungsmaßnahmen sind von denjenigen zu ergreifen, die unter diesen Bedingungen einen Haushalt aufstellen wollen, und sie müssen sagen, in welche Richtung sie gehen wollen, um das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht und die Haushaltslage wieder so herzustellen, dass sie verfassungsgemäß und nicht extrem notleidend ist.
Um dies ganz klar zu stellen, Herr Müller und Herr Liebich: Der Haushalt, den Sie hier mitgetragen haben, ist nicht gekippt worden, weil ein paar Zeilen zu wenig aufgeschrieben worden sind oder – wie Herr Sarrazin sagte – man gar nicht ahnen konnte, dass man so viel schreiben musste, denn dies war klar. Das war seit der Entscheidung des Bundesverfassungsgericht im 79. Band klar, wie ein Haushalt in dieser Situation aufzustellen und zu begründen ist. Das war klar, dass man hier „Butter bei die Fische“ geben muss.
Sie haben sich pauschal auf die Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts berufen. Ich gebe Ihnen Recht, Herr Liebich und Herr Müller: Das Landesverfassungsgericht hat in seinem Urteil entgegen unseren Ausführungen in der Klageschrift konstatiert, dass es möglich gewesen sei, sich auf diesen Ausnahmetatbestand zu berufen. Ich würde mich an Ihrer Stelle nur nicht so darüber freuen. Denn das Gericht hat danach gesagt, dass man dann auch sagen müsse, was man mit der Überschreitung und mit den Mitteln, die aus dieser Überschreitung resultieren, anfangen will.
Dann muss man sagen, wie man das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht wieder herstellen will. Ich zitiere:
Die erhöhte Kreditaufnahme muss aber nach Verwendung und Umfang geeignet sein, die Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts abzuwehren. Sie muss darüber hinaus auch final auf die Abwehr dieser Störung bezogen sein.
Das Gericht hat damit gesagt, dass es gar nicht erkennen konnte, dass die beiden Fraktionen, die dem zugestimmt haben, überhaupt im Kopf hatten, dass genau diese Zielsetzung angegangen wird. Es hat gesagt, es konnte aus Ihren Äußerungen in diesem Parlament und in den Ausschüssen noch nicht einmal erahnen, was der gesetzgeberische Wille gewesen ist.
Ich glaube, Sie sollten sich sehr gut überlegen, ob Sie sich über diese Passage in dem Urteil freuen sollten, denn Sie hatten die konkrete Möglichkeit in der Hand, um einen verfassungsgemäßen Haushalt aufzustellen. Dem haben Sie sich verweigert – trotz aller Anmerkungen und Ausführungen, die von der Opposition gemacht worden sind. Ich glaube, das war in der Tat eine schallende Ohrfeige, die Sie sich hier eingefangen haben.
Es ist richtig, dass das Landesverfassungsgericht hier einen ungeschriebenen weiteren Ausnahmetatbestand konstatiert hat, und auch der hätte vorgelegen. Auf diesen hätten Sie sich berufen können, so sagt jedenfalls das Gericht. Es gibt gewichtige Anhaltspunkte dafür, dies anzunehmen.
Das Testat des Urteils über Ihr Handeln lautet: Es war kein gesetzgeberischer Wille zu erkennen, nicht einmal zu erahnen. Mit anderen Worten: Da war einfach nichts, was man hätte beurteilen können. Sie hatten kein Ziel, was Sie hätten vorlegen können, Sie hatten nicht nur zu wenig geschrieben. Das ist auch der Kern des Problems: Sie haben kein Konzept für die zukünftige Entwicklung Berlins. Sie stochern in den Haushaltslöchern herum, wie andere im Nebel, und fördern dabei willkürlich mal das eine oder das andere zu Tage.
Herr Gaebler, wir haben gestern im Rechtsausschuss gesehen, wie Ihre strukturpolitischen Instrumente und Maßnahmen halten werden: Sie haben es mit der Wohnungsbauförderung versucht und sind auf die Nase gefallen. Sie haben es versucht, indem Sie die VBLAngleichung bei den Beschäftigten des öffentlichen Dienstes Ost-West machen wollten, und sind damit auf die Nase gefallen. Sie haben uns gestern im Rechtsausschuss präsentiert, wie Sie mit dem Stellenpool umgehen wollen, und die rechtliche Beurteilung Ihres Vorhabens war vernichtend.
Ich kann Ihnen jetzt schon sagen: Wenn Sie versuchen, das so umzusetzen, ohne ein klares Konzept der Verwaltungsreform zu haben, ein klares Konzept, wie Sie dieses Instrument mit einer Verwaltungsreform verbinden wollen, werden Sie hier rechtlich Schiffbruch erleiden. Das ist gestern sehr klar zum Ausdruck gekommen.
Das hat auch Herr Wolf gemacht, und das hat auch Herr Sarrazin gemacht, wenn sie meinen, man müsse jetzt direkt in die Streichungsarie übergehen.
Wir wollen, dass in diesem Haus über die Zukunft Berlins wieder auf einem Niveau und in einem Rahmen diskutiert wird, der die Probleme der Stadt ins Auge nimmt. Wir wollen, dass wir uns hier um die Potentiale der Stadt kümmern, diese fördern und nicht einfach zuschütten. Wir wollen uns mit Wissenschaft, Bildung und Kultur auseinandersetzen. Wir wollen über Hauptstadt reden. Wir wollen über die Potentiale von Einwanderungen reden und wie das die Stadt nach vorne bringt. – Danke!
Danke schön, Herr Kollege Ratzmann! – Das Wort hat nun der Regierende Bürgermeister – bitte schön, Herr Wowereit!
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! – Es ist das Recht einer Opposition zu opponieren, es ist das Recht einer Opposition zu negieren, vielleicht meinen Sie auch das Recht zu haben, eine Showveranstaltung zu machen, es ist auch Ihr Recht, zu agitieren. Wer aber in die Regierung will, meine sehr verehrten Damen und Herrn von der Opposition, der darf nicht nur blockieren und nicht nur Nein sagen, sondern