Protocol of the Session on November 7, 2003

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich eröffne die 38. Sitzung des Abgeordnetenhauses von Berlin, und begrüße zu dieser frühen Stunde Sie alle, unsere Gäste, die Zuhörer sowie die Medienvertreter sehr herzlich.

Diese Sitzung findet auf Antrag der Fraktion der CDU, der Fraktion der FDP und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gemäß § 56 Abs. 1 Satz 2 unserer Geschäftsordnung statt. Die Einladung haben Sie über die Fraktionen am Mittwoch erhalten. Die in dieser Einladung ausgeführten Drucksachen sind gestern früh auch über die Fraktionen zugeteilt worden. Dazu gehören zwei dringliche Beschlussempfehlungen des Hauptausschusses vom 5. September, die unmittelbar zu zwei Anträgen gehören. Diese beiden Anträge, Drucksache 15/2184 der Fraktion der CDU sowie die Drucksache 15/2188 der Fraktionen SPD und PDS hatte ich vorab an den Hauptausschuss zur Beratung überwiesen. – Die nachträgliche Zustimmung hierzu stelle ich hiermit fest. Widerspruch höre ich nicht. – Uns liegen auch die entsprechenden dringlichen Beschlussempfehlungen dazu vor.

Die Fraktionen haben sich darauf verständigt, alle Tagesordnungspunkte der Einladung für die heutige Sitzung miteinander zu verbinden. Einvernehmlich empfohlen wurde eine Redezeit von bis zu 30 Minuten pro Fraktion in freier Aufteilung auf die Redebeiträge. – Auch der Senat möge sich an diese Vorgaben bitte halten. Gegebenenfalls müssten wir uns während der laufenden Sitzung erneut verständigen.

Dann habe ich zwei Entschuldigungen des Senats

wegen der Nichtteilnahme an der heutigen Sitzung bekannt zu geben. Frau Schubert fehlt von Anfang an, weil sie das Land im Bundesrat vertritt. – Herr Böger wird ab 10.30 Uhr nicht anwesend sein, weil er das Land dann auch im Bundesrat vertritt und Frau Schubert nach Westdeutschland eilt, um beim Deutschen Städtetag das Land zu vertreten.

Ich rufe auf

lfd. Nr. 1:

Folgen des Urteils des Berliner Verfassungsgerichtshofes vom 31. Oktober 2003

lfd. Nr. 2:

a) Antrag

Entzug des Vertrauens gegenüber dem Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit

Antrag der CDU, der FDP und der Grünen Drs 15/2189

b) Antrag

Entzug des Vertrauens gegenüber dem Senator für Finanzen Thilo Sarrazin

Antrag der CDU, der FDP und der Grünen Drs 15/2190

lfd. Nr. 3:

Fortgang der Haushaltsberatungen für den Doppelhaushalt 2004/2005

lfd. Nr. 4:

a) Antrag

Haushaltsentlastende Gesetzesvorlagen und -anträge

Antrag der FDP Drs 15/2271

b) Antrag und Dringliche Beschlussempfehlung

Berlin fordert vom Senat einen verfassungskonformen Haushaltsplanentwurf

Antrag der CDU Drs 15/2184 Beschlussempfehlung Haupt Drs 15/2192

c) Antrag

Einsetzung einer Enquete-Kommission „Eine Zukunft für Berlin“

Antrag der CDU Drs 15/2185

d) Antrag und Dringliche Beschlussempfehlung

Aussetzen der Haushaltsberatungen

Antrag der SPD und der PDS Drs 15/2188 Beschlussempfehlung Haupt Drs 15/2191

e) Dringlicher Antrag

Nach dem Urteil des Landesverfassungsgerichts: Verantwortung übernehmen statt Verunsicherung produzieren

Antrag der Grünen Drs 15/2198

Ich höre keinen Widerspruch zur Anerkennung der Dringlichkeiten. Dann sind sie so festgelegt.

An Wortmeldungen liegt mir vor der Vorsitzende der CDU, Herr Kollege Zimmer, der jetzt das Wort hat. – Bitte schön, Herr Zimmer!

Vielen Dank, Herr Präsident! – Meine Damen und Herren! Dieses Haus und seine Ausschüsse haben im Sommer des vergangenen Jahres über die Verfassungsgemäßheit des Haushaltes 2002/2003 diskutiert. Es gab bereits zum damaligen Zeitpunkt nur eine richtige Antwort: Der Haushalt ist verfassungswidrig und nichtig. – Das Verfassungsgericht des Landes Berlin hat dieses festgestellt. Es ist in seiner Argumentation weitestgehend den Argumenten gefolgt, die wir hier im Hause schon beraten haben.

Der Haushalt 2002/2003 ist verfassungswidrig und nichtig, weil die Schulden die Investitionen überschreiten, und zwar in einem ganz erheblichen Umfang. Die Verfassung zieht ganz bewusst eine Grenze bei der Verschuldung, weil nicht auf Kosten zukünftiger Generationen Geld für Konsum ausgegeben werden soll, sondern nur

Die einzig legitime Antwort eines Parlaments, das sich ernst nimmt, kann hierauf nur die Abwahl sein.

Herr Wowereit, Herr Sarrazin! Erinnern Sie sich an diesen Satz? – Ich erinnere mich sehr gut daran, wie Sie beide hier vorne diesen Schwur geleistet haben. Mit der Verabschiedung und dem Vollzug des Haushalts begingen Sie einen Verfassungsbruch. Dieser Verfassungsbruch ist vom höchsten Berliner Gericht festgestellt worden. Der Regierende Bürgermeister Wowereit und der Senator für Finanzen Sarrazin sind Verfassungsbrecher, und Klaus Wowereit entwickelt sich zu einem notorischen Verfassungsbrecher.

für Investitionen. – Es gibt eine Ausnahmevorschrift, auf die sich der Senat beruft. Er hat behauptet, dass eine Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts vorliegt. Ob das so ist, darüber kann man streiten. Es ist vermutlich später dann so gewesen. Damals hat der Senat in der Diskussion etwas ganz anderes behauptet. Er hat aber vor allem keine Maßnahmen ergriffen, um die von ihm behauptete Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichtes in den Griff zu bekommen. Das ist aber zwingend zu fordern. Wenn man behauptet, man tut etwas gegen eine Störung, dann muss man etwas machen. – Der dritte Punkt ist, das ist besonders peinlich für den Senat, er hat bei seinem Haushaltsgesetz ausgesprochen schlampig gearbeitet.

[Beifall bei der CDU, – Vereinzelter Beifall bei den Grünen]

Das geht auch an die Adresse der Regierungskoalition hier im Hause. Ich möchte nur diesen einen Satz aus dem Urteil vorlesen. Das kann ich Ihnen nicht ersparen.

Es ist nicht Aufgabe des zur Überprüfung berufenen Verfassungsgerichts, bruchstückhafte Begründungselemente einzelner Abgeordneter in Erahnung eines eventuellen gesetzgeberischen Willens zu einer Argumentationskette zusammenzusetzen.

Das ist, glaube ich, die Höchststrafe, die einem ein Gericht für eine Gesetzesbegründung geben kann.

[Beifall bei der CDU, der FDP und den Grünen]

Worüber wir heute beraten, das sind die Folgen aus dem Urteil des Verfassungsgerichts. – Da sind zwei Fragen zu stellen. Zum einen: Was geht noch? Was bedeutet das Urteil zum Haushaltsgesetz für den jetzt zu beratenden Doppelhaushalt 2004/2005? Was ist in dieser Stadt zukünftig noch möglich? Was ist zukünftig zu tun? Wo gibt es möglicherweise auch neue Chancen für Berlin? – Das werden wir dann in der 2. Runde beraten. Von meiner Seite hier an dieser Stelle nur so viel: Mit Sicherheit hat Ihnen das Verfassungsgericht jetzt keinen Freibrief gegeben, in der Stadt Berlin das Licht auszuknipsen und die Tür abzuschließen.

[Beifall bei der CDU, der FDP und den Grünen]

In unserer Gesellschaft gibt es Regeln und Gesetze, Normen, die eingehalten werden müssen, wenn nicht die Willkür herrschen soll. Darum bestrafen wir Menschen, die gegen Gesetze verstoßen. Wir bestrafen den Dieb, den Betrüger, weil er sich auf Kosten eines anderen bereichert. Wir machen damit deutlich, dass dieses Verhalten nicht geduldet werden kann. – Was ansonsten folgt, ist Chaos, Anarchie, Recht des Stärkeren – alles Dinge, über die wir längst hinweg sind. Dies gilt für den Gesetzesbruch. Ich denke, Sie werden mir an dieser Stelle zustimmen. Aber die Verfassung ist nicht irgendein Gesetz, sondern das höchste. Es ist Grundlage und Grenze unserer Demokratie. Niemand, vor allem aber kein Politiker, darf sich anmaßen, über der Verfassung zu stehen.

[Beifall bei der CDU, der FDP und den Grünen]

Die Demokratie verleiht Ämter nur auf Zeit und unterwirft sie der Kontrolle, vor allem durch die Parlamente – durch uns. Maßstab ihres Handelns ist die Verfassung. Sie unterscheidet zwischen einer Regierung und einem Regime, zwischen einer souveränen Gesellschaft und einem Volk von Beherrschten, zwischen einem selbstbewussten Parlament und einem Marionettentheater.

[Beifall bei der CDU]