Protocol of the Session on October 30, 2003

Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 37. Sitzung des Abgeordnetenhauses von Berlin und begrüße Sie alle, Kolleginnen und Kollegen, Staatsekretärinnen und Staatssekretäre, Senatorinnen und Senatoren sehr herzlich ebenso wie unsere Gäste und Zuhörer sowie die Medienvertreter.

Vor Beginn unserer Beratungen habe ich die traurige Pflicht, eines Mannes zu gedenken, der sich große Verdienste um die Kommunalpolitik in unserer Stadt erworben hat:

[Die Anwesenden erheben sich von ihren Plätzen.]

Nach langer Krankheit ist am 12. Oktober 2003 der Stadtälteste von Berlin Klaus Dieter Friedrich im Alter von 73 Jahren verstorben.

Klaus Dieter Friedrich gehörte jahrzehntelang zu den profilierten Kommunalpolitikern unserer Stadt. Sein Engagement galt dem Bezirk Steglitz: Er war von 1958 bis 1967 Mitglied der CDU-Fraktion in der Bezirksverordnetenversammlung, von 1967 bis 1984 Bezirksstadtrat für Jugend und Sport und von 1984 bis 1992 Bezirksbürgermeister von Steglitz; das sind insgesamt 34 Jahre Engagement in der Kommunalpolitik. Und dies in einer besonders bewegten und schwierigen Epoche, der Zeit der Mauer in Berlin.

1961, als die Mauer gebaut wurde, hat Klaus Dieter Friedrich als Bezirksverordneter in Steglitz Kommunalpolitik gemacht. Auch 28 Jahre später – 1989, als die Mauer geöffnet wurde – war er in der Kommunalpolitik engagiert, inzwischen jedoch als Bezirksbürgermeister von Steglitz. Er gehörte zu denen, die wussten, wie hoch in der Demokratie der Stellenwert einer erfolgreichen Kommunalpolitik ist. Er wusste, dass bürgernahe Politik im Bezirk ein wichtiges Fundament für die Glaubwürdigkeit von Politik auf jeder Ebene, nicht nur auf Bezirksebene, sondern auch auf Landes- und Bundesebene ist. Dabei spielt die Kommunalpolitik eine Schlüsselrolle, das soll man nicht vergessen. Die, die über lange Jahre dort die Kärrnerarbeit tragen, sind das Fundament, auf dem auch wir als Landesparlament aufbauen können und müssen.

Kontinuierliche, verlässliche und überzeugende Arbeit „vor Ort“, Politik für die Bürgerinnen und Bürger, Politik mit ihnen gemeinsam: Das war Klaus Dieter Friedrichs Wirken für den Bezirk Steglitz, und das war sein Verdienst um unsere Stadt Berlin. Mit seiner Arbeit hat er sich über Parteigrenzen hinweg ein ganz hohes Ansehen erworben. 1998 haben ihm Abgeordnetenhaus und Senat von Berlin die Würde eines Stadtältesten verliehen.

Wir trauern um Klaus Dieter Friedrich. Wir gedenken seiner mit Dank und Hochachtung.

Sie haben sich zu Ehren von Klaus Dieter Friedrich erhoben. Ich danke Ihnen.

Kollege Wansner hat heute Geburtstag. Herr Kollege Wansner, herzlichen Glückwunsch, wir wünschen Ihnen alles Gute und Gesundheit!

[Allgemeiner Beifall]

Am Montag sind vier Anträge auf Durchführung einer

Aktuellen Stunde eingegangen:

1. Antrag der Fraktion der SPD und der PDS zum Thema: „Berlins Zukunft planen – Wissenschaftsstandort sichern“,

2. Antrag der Fraktion der CDU zum Thema: „Der Regierende Bürgermeister lernt aus seinen Auslandsreisen nichts, was für die Lösung der Probleme Berlins und seiner Bürger von Nutzen wäre!“,

3. Antrag der Fraktion der FDP zum Thema: „Hochschulen sind keine rot-roten Sparschweine! Senatspolitik schadet dem Wissenschaftsstandort Berlin!“,

4. Antrag der Fraktion der Grünen zum Thema: „Rot-rot treibt Studierende aus der Stadt“.

Im Ältestenrat konnten wir uns auf ein gemeinsames Thema noch nicht verständigen. Nach interfraktioneller Vereinbarung begründet die Fraktion der CDU die Aktualität ihres Antrages. Zum Wissenschaftsstandort Berlin begründet begründet das die Fraktion der FDP. Für die Fraktion der CDU begründet der Kollege Henkel. – Bitte schön, dann haben Sie das Wort!

Herr Regierender Bürgermeister, zu Hause zu erklären, wir müssten sparen, bis es quietscht, und in der Höhenluft der Sierra Madre die Puppen tanzen zu lassen, das passt nicht zusammen.

Aber natürlich haben wir den Anspruch, wie übrigens auch die Berlinerinnen und Berliner, dass bei der Ausübung Ihres Amtes die Gewichtung stimmt. Wer viel arbeitet, kann viel feiern. Aber wer nur feiert, hat überhaupt keine Zeit zum Arbeiten, Herr Regierender Bürgermeister!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Volksmund sagt: Reisen bildet, und Kontakte erhalten die Freundschaft.

[Zuruf des Abg. Pewestorff (PDS)]

Beidem wird von uns nicht widersprochen. Um das gleich zu Beginn zu sagen: Meine Fraktion hat überhaupt nichts gegen Dienstreisen, weder gegen Dienstreisen des Regierenden Bürgermeisters noch gegen Dienstreisen der übrigen Senatsmitglieder, obgleich wir schon der Auffassung sind, dass nicht alle zur gleichen Zeit wegfahren sollten. Für uns ist unstreitig, dass die Kontaktpflege zu anderen Städten in anderen Ländern ein unverzichtbarer Teil der Senatsarbeit ist, zumal wenn es sich, wie im aktuellen Fall, um das Lebendighalten der Städtepartnerschaft zwischen Berlin und Mexico City handelt.

[Zuruf des Abg. Pewestorff (PDS)]

Unstreitig ist auch, dass das Repräsentieren der deutschen Hauptstadt durch den Regierenden Bürgermeister rund um den Globus eine lohnende Aufgabe sein kann. Insofern, Herr Wowereit, sind Ihre 20 resp. – seit Ihrem Frankreichtrip mit dem Kanzler – 21 Auslandsreisen eine stolze Bilanz angesichts Ihrer erst 28-monatigen Amtszeit. 21 Reisen in 28 Monaten – das ist schon Ausdruck eines überwältigenden Drangs nach Berlinrepräsentation.

Nun haben es nicht nur wir als CDU-Fraktion, sondern auch die Berlinerinnen und Berliner in der Vergangenheit stets schwer gehabt zu erkennen, warum der Regierende auf Reisen war und – wenn er schon weg war – was er aus der Ferne für seine Heimatstadt mitgebracht hat. Und, Herr Regierender Bürgermeister, meistens blieben Sie die Antwort schuldig, und allermeistens gab es auch kaum etwas zu berichten.

Das sollte diesmal offensichtlich anders werden. Und so entschlossen Sie sich, den daheim Gebliebenen über den Berliner Blätterwald Ihre Reiseerlebnisse via Tagebuch zu vermitteln. Jeder Berliner sollte oder konnte an Ihrem Mexikotrip teilhaben – so gut, so schön! Allerdings drängte sich bei der Lektüre dem zu Hause gebliebenen Wahlvolk sehr schnell der Verdacht auf: Hoppla, außer Spesen nichts gewesen! – Denn was musste der erstaunte Berliner lesen: tägliche Wohlfühlszenarien des Regierenden Bürgermeisters, anschauliche Beschreibungen über steppende Hengste, Ausführungen über Probleme beim Einpacken eines Totenkopfsouvenirs. Sogar die sportlichen Leistungen des obersten Berliners waren zu bestaunen, lagen sie doch nach eigener Schilderung lediglich im Bereich der Fingergymnastik beim täglichen Versenden von E-Mails an den Lebensgefährten.

[Zuruf des Abg. Brauer (PDS)]

Überdies schmeckten die Brezeln im Hotelzimmer, auch das Corona-Bier war vorzüglich, nicht zu vergessen die Aufklärung darüber, warum die Mexikaner Angst vor Eukalyptus haben. Peinlichster Höhepunkt allerdings war wohl Ihr TV-Auftritt bei Dauerclown Brozzo. Auf seine Frage, ob Berlin ein Problem mit Geld habe, antwortete

Klaus Wowereit in einer Pose der Lächerlichkeit: Geld, was ist Geld?

[Heiterkeit bei der CDU und der FDP]

[Beifall bei der CDU]

Nun sind wir als CDU-Fraktion weit davon entfernt, die Spaßbremse spielen zu wollen.

[Gelächter bei der SPD und der PDS]

Auch hat das Beantragen dieser Aktuellen Stunde überhaupt nichts mit Kleinkariertheit, Missgunst oder piefiger Provinzialität zu tun.

[Zurufe von der SPD und der PDS]

Auch finde ich es gut – und ich gönne es Ihnen sogar –, dass Sie Spaß an Ihrem und in Ihrem Amt haben.

[Pewestorff (PDS): Mit Ihnen kann man doch keinen Spaß haben!]

[Beifall bei der CDU – Zurufe von der PDS]

Am Ende sind Sie gewählt worden, um die Probleme in Berlin zu lösen. Sie sind gewählt worden, um dafür zu sorgen, dass hier der Bär steppt und nicht die Hengste in Mexico City.

[Gelächter und Oh! bei der PDS]

Fast 300 000 Arbeitslose und 270 000 Sozialhilfeempfänger warten darauf, dass ihr Senat etwas für sie tut. Die Berlinerinnen und Berliner, die jeden Tag ihrer Arbeit nachgehen, erwarten das Gleiche von ihrem Regierenden Bürgermeister.

[Beifall bei der CDU]

Dass wir mit unserer Kritik nicht allein stehen, zeigt deutlich die Kritik aus dem Kreis der Koalition und Ihrer eigenen Fraktion. Ich verstehe gar nicht, warum Sie sich die ganze Zeit aufregen, Herr Kollege! Da wird der parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion, Herr Gaebler, zu dem Reisetagebuch befragt und mit den Worten zitiert: „Schulaufsatzniveau dritte Klasse!“

[Zurufe von der PDS]

Der parlamentarische Geschäftsführer der PDS, Herr Doering, bemüht sogar, auf die Reise angesprochen, ein Gleichnis und sagt: „Das Sternzeichen von Herrn Wowereit ist die Waage. Sein Arbeits- und Freizeitpensum sei jedoch nicht ausgewogen, zu viel Spaß und zu wenig Ergebnisse.“ – Nie bestand so viel Einigkeit in der Bewertung eines Sachverhalts wie in diesem Fall.

Seit der rot-rote Senat in Berlin angetreten ist, sind zahlreiche Entwicklungen der Hochschul- und Wissenschaftspolitik angestoßen worden. Um nur drei zu nennen: die Umgestaltung der Hochschulmedizin, die Eingliederung der Berufsakademie und die jetzt anstehenden Hochschulergänzungsverträge für 2003 bis 2005 und die neuen Hochschulverträge für 2006 bis 2009. Dabei ist klar, dass die Fraktionen, die heute zum Thema Wissenschaft sprechen wollen, nicht immer die gleichen Positionen vertreten haben. Aber das ist auch ganz gut so. Aktuell werden in der Stadt – das bestätigt ein Blick in die Zeitung – die Hochschulverträge für die Humboldt-, Freie und Technische Universität diskutiert, einmal in den Uni-Gremien und dann auch in der Stadt insgesamt. Der fast flächendeckende Numerus clausus, den diese drei Universitäten für ihre Fächer nach Bekanntwerden der ersten Einsparvorgaben verhängt haben, hat zu ziemlichen Problemen, wie man jetzt sehen kann, bei der Einschreibung der Erstsemester geführt. Diese haben mit langen Wartezeiten zu kämpfen. Auch die Planungen der Universitäten, die diese für Studienplätze und den Stellenabbau gemacht haben, haben kontroverse Diskussionen ausgelöst. Deshalb ist

heute eine Diskussion im Abgeordnetenhaus erforderlich, wie in Zeiten leerer öffentlicher Kassen die Wissenschaft als Motor der wirtschaftlichen Entwicklung Berlins gesichert und gestärkt werden kann. Wir sind uns einig, dass Wissenschaft einer der wichtigsten Standortfaktoren für Berlin ist, wenn vielleicht nicht sogar der wichtigste.

Danke schön, Herr Kollege Schmidt!

(D