Protocol of the Session on August 28, 2003

[Dr. Lindner (FDP): Sie sind ja gar nicht mehr im Bund vertreten!]

Ich füge hinzu, es geht natürlich in der Auseinandersetzung im Bundesrat mit der Bundesregierung, mit den anderen Ländern, um sehr vitale Interessen des Landes Berlin. Da ist zu einem gerüttet Maß auch das Einnahmeproblem des Landes Berlin aufgerufen. Ich finde, es ist ein angemessener Maßstab an eine Landesregierung, dass mit harten Bandagen im Interesse Berlins darum gekämpft wird, wie Hartz ausgestaltet wird, wie eine Gemeindefinanzreform konkret aussieht und welche Kompensationen es für ein Bundesland wie Berlin im Rahmen des Vorziehens der Steuerreform gibt. Das ist die Anforderung, der wir uns aussetzen müssen. Ich hoffe, dass das auch die SPD-Fraktion und der Finanzsenator so sehen.

[Beifall bei der PDS – vereinzelter Beifall bei der SPD]

[Dr. Lindner (FDP): So ein Quatsch!]

[Heiterkeit bei den Grünen – Schruoffeneger (Grüne): Ihr macht ab und zu etwas, was uns gefällt!]

Ich mache es an einem Beispiel deutlich. Ich habe mich sehr darüber geärgert, Frau Kollegin Pop, dass Sie sich in der Presse zum Thema „Jugendhilfe“ dahin gehend erklären, dass es eine einzige Katastrophe für die Jugendlichen in dieser Stadt sei. Das ist richtig absurd. In der Jugendhilfe hat sich der Senat, der Kollege Böger, in einem wirklich wegweisenden Verfahren mit den Jugendstadträten und unter Einbeziehung von weiterem Sachverstand zusammengetan und ein neues Zumessungsmodell entwickelt. Unter Einbeziehung von Sachverstand ist ein neues Modell entwickelt worden, wie Jugendhilfe ausgestaltet werden kann, und zwar mit denjenigen, die dafür in den Bezirken die fachliche Verantwortung tragen. Es ist sogar nachgebessert worden, in dem Sinn, dass wir heute von den Trägern der Jugendhilfe weniger an Einsparungen verlangen als ursprünglich vorgesehen und die Bezirke um Einsparungsleistungen entlasten. Entlasten, meine Damen und Herren!

Früher waren die Haushaltsdebatten noch die Sternstunden des Parlaments, heute will jeder nur noch sparen.

schreibt Brigitte Grunert im heutigen „Tagesspiegel“ und vermisst klare Ziele, für die sich das Geldausgeben auch lohnt, anstatt nur noch von der Finanznot zu reden. Die Rede des Finanzsenators war dafür das beste Beispiel. Viel Horror, richtiger Horror, aber keine Perspektive, keine Antwort, wie die Probleme der Stadt wirklich gelöst werden können.

Wir legen Ihnen heute einen Entschließungsantrag vor, der die notwendigen politischen Prioritäten dieser Haushaltsdebatte vorzeigt. Dabei geht es nicht um Zahlen und Titel, sondern um die Mentalität, die hinter der Haushaltspolitik der Koalition von SPD und PDS steht. Einen Mentalitätswechsel sollte es geben, ja zumindest in Teilbereichen kann man das wohl bestätigen. Wichtige finanzpolitische Weichenstellungen sind eingeleitet, der Ausstieg aus der Wohnungsbauförderung, der Tarifabschluss, die angekündigte Klage vor dem Bundesverfassungsgericht. Das sind alles Entscheidungen, die langfristig zu einer deutlichen Entlastung des Berliner Haushalts führen.

[Beifall bei der PDS und der SPD – Beifall der Frau Abg. Seidel-Kalmutzki (SPD)]

Und da beklagen Sie, dass die armen Jugendlichen, denen nun wirklich in fachlicher Hinsicht kein Haar gekrümmt werden wird, dass die alle in den Ecken herumstehen. So wird es nichts mit der Konsolidierung und der Sanierung dieser Stadt.

Es gibt einen Stoff, der Rot-Rot verbindet und der allen Unkenrufen zum Trotz einfach hält, das ist die Entschossenheit zur Sanierung dieser Stadt, das ist eine Entschlossenheit, die sowohl sozialpolitische als auch kultur-, wissenschafts- und jugendpolitische Belange und die Zukunftsfähigkeit des Standorts Berlin mit einschließt. Deshalb machen wir konkrete Politik und setzen Ihrem Lamento einen Doppelhaushalt entgegen, der die Probleme dieser Stadt bewegt. – Ich danke Ihnen.

[Beifall bei der PDS und der SPD – Ritzmann (FDP): Zu allem entschlossen, zu nichts in der Lage!]

Danke, Herr Kollege Wechselberg! – Punkt genau zwanzig Minuten. Die Redeliste schließt mit Bündnis 90 Die Grünen, Herrn Schruoffeneger. – Bitte sehr, Sie haben das Wort!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Lindner, auch ich will mich am Anfang mit Ihnen auseinandersetzen, dann haben wir das wenigstens hinter uns. Sie sind hier mit Sicherheit einer der amüsanteren Redner. Das ist unbestritten. Leider ist die Qualität Ihrer Rhetorik manchmal weit der Qualität Ihrer Inhalte voraus. Das ist ein bisschen schade. Ich erläutere Ihnen das an zwei Beispielen.

Wenn Sie uns mit flammendem Herzen erzählen: „Dann muss man den Kreisel abreißen!“, dann erklären Sie mir, wie man das macht. Uns gehören nämlich vom Kreisel die untersten drei Stockwerke nicht, die müssen Sie stehen lassen. Dann hat der Besitzer der unteren drei, der Ihnen – glaube ich – relativ nahe steht, den Anspruch, das Ganze darüber für einen Euro zu erwerben. Das wird nichts mit dem Abriss.

[Over (PDS): Dann ist jedenfalls die Klimatisierung sicher!]

Wenn Sie 700 und noch etwas Millionen € einsparen, dabei aber lauter Ausgabetitel anfassen, wo auch die Einnahmen dann wegfallen, Europamittel, Bundesmittel, dann sind es keine 770 Millionen mehr, dann ist es viel weniger. Wenn Sie letztendlich 50 000 Stellen im öffentlichen Dienst streichen wollen, dann sehen Sie sich noch einmal an, wie der öffentliche Dienst zusammengesetzt ist: 30 000 Lehrer, 30 000 Polizei, 12 000 Erzieher, bleiben übrig 65 000 Verwaltungsmitarbeiterinnen und Verwaltungsmitarbeiter. Davon wolle Sie 50 000 streichen. Viel Spaß, so kann man die Stadt auch zugrunde richten.

[Beifall bei den Grünen, der SPD und der PDS]

[Gaebler (SPD): Da haben Sie nicht richtig zugehört!]

Es gibt jedoch auch die andere Seite. Die alten Berliner Filzstrukturen, die Vetternwirtschaft und Selbstbedienungsmentalität treiben neue, ungeahnte Blüten. Da werden die Vorschläge des Rechnungshofs zur Dotierung der Vorstände der Wohnungsbaugesellschaften schlichtweg ignoriert oder pervertiert, indem zwar in neuen Verträgen das Grundgehalt abgesenkt, dafür aber absurde Prämien ausgehandelt werden, die letztendlich zu einer weiteren Gehaltssteigerungen führen. Weil die so gut sind und mittlerweile 12 Milliarden Defizit haben!

[Frau Dr. Klotz (Grüne): Weil die so gut sind!]

Während seit über einem Jahr mit den Gewerkschaften die Absenkung der Löhne und Gehälter für die öffentlich Bediensteten verhandelt wird, stimmen gleichzeitig die Vertreter des Landes Berlin, die Senatsvertreter in den Aufsichtsräten, für diese Gehaltserhöhung der Vorstände der Wohnungsbaugesellschaften. Heute stellt sich Herr Strieder hin und sagt, auch die werden jetzt am Solidarpakt beteiligt. So ist das hier immer, die Krokodilstränen werden dann verloren, wenn man den Senat erwischt hat, wenn sie in der Öffentlichkeit stehen. Vorher werden die Schweinereien munter voran getrieben.

[Vereinzelter Beifall bei den Grünen]

Was für ein Unterschied zum Umgang mit den vielen freien Trägern in der Stadt! Diese sollen bluten. Sie sollen nach dem Rundschreiben des Finanzsenators Arbeitszeiten absenken und Gehälter reduzieren, obwohl sie teilweise seit 1995 keine Tariferhöhung mehr gezahlt haben.

Die Zuschüsse an die BVG, absurderweise als Investitionszuschüsse gebucht, steigen von 374 Millionen € auf 420 Millionen € im Jahr 2004. Was könnte mit 46 Millionen € alles aufgebaut werden, wenn endlich das Millionengrab BVG ordentlich saniert würde, der Personalüberhang reduziert und eine vernünftige Tarifstruktur geschaffen würde!

Es erstaunt einen schon, wenn niemand im Senat fordert, den Tarifvertrag mit seiner Arbeitszeitreduzierung auch auf die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der BVG zu übertragen, obwohl doch selbst die Geschäftsführung von deutlichen Unterschieden der Gehaltsstruktur gegenüber der entsprechenden Berufsgruppe im privaten Bus- und Bahnbereich spricht.

Die BVG ist einer der ganz großen Sprengsätze für die Haushalte der nächsten Jahre. Trotz der jährlichen Zuschüsse von insgesamt deutlich mehr als 400 Millionen € jährlich produziert dieses Unternehmen jedes Jahr dreistellige Millionenverluste. Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs schiebt einer hemmungslosen weiteren überdurchschnittlichen Subventionierung glücklicherweise einen Riegel vor. Der Sanierungszwang ist also enorm, wenn die BVG nicht zum Insolvenzfall – übrigens mal wieder mit Gewährträgerhaftung des Landes wie bei der Bank – werden soll. Spätestens 2007 wird das Land nicht umhin kommen, die BVG fit für den Wettbewerb zu machen. Das heißt dann: Entschuldung, entweder aus Landesmitteln in Milliardenhöhe oder durch das Hereinholen von Fremdkapital.

Anfänglich haben SPD und PDS dieses absurde Vorgehen unterstützt.

[Dr. Zotl (PDS): Quatsch!]

Gestern haben sie, nachdem sie erheblich unter öffentlichem Druck gestanden haben, eine gesichtswahrende Notbremse gezogen. Der Senat wurde aufgefordert, die Situation der Zuwendungsempfänger individuell zu überprüfen. Zu falscher Politik kommt nun auch noch Feigheit. Statt klar zu sagen: Das Rundschreiben des Finanzsenators wird ersatzlos aufgehoben, das ist Unsinn, werden jetzt Unmengen von Verwaltungsmitarbeitern beschäftigt, mehrere Tausend Beschäftigte individuell auf Arbeitszeit und Dotierung zu überprüfen. Auch so kann man Verwaltungsreform verstehen, Absurdistan lässt grüßen.

[Beifall bei den Grünen]

Sie können das heute noch alles ändern. Es liegt ein eindeutiger und klarer Antrag von uns vor, der den Senat auffordert, die entsprechenden Rundschreiben zurückzuziehen. Dann hätten wir hier klare Verhältnisse. Mit dem Wischwasch, den Sie gestern verabschiedet haben, ist nichts geklärt.

[Beifall bei den Grünen – Frau Breitenbach (PDS): Das ist jetzt aber Olivers Märchenstunde!]

Ihre eigenen finanzpolitischen Ziele haben sie meilenweit verfehlt. Das Ziel der Finanzplanung überschreiten Sie um sage und schreibe 689 Millionen €. Das mache ich Ihnen nicht zum Vorwurf, jeder fach- und zahlenkundige Mensch wusste, dass dieses Ziel nicht erreichbar war. Aber warum setzen Sie immer wieder nicht realisierbare Vorgaben? Warum machen Sie immer wieder absurde Zielplanungen und frustrieren damit die Menschen durch die Nichterreichbarkeit dieser Ziele? Herr Sarrazin hat heute wieder verkündet, im Jahr 2007 werde der Primärüberschuss erreicht werden. Dies ist ein solches absurdes Ziel. Die Bruchlandung ist vorprovoziert.

[Beifall bei den Grünen]

Die Rolle des finanzpolitischen Zuchtmeisters ist die Lieblingsrolle dieses Senats. Und außer „Sparen bis es quietscht“ gibt es immer noch keine andere Perspektive, also wird weiter mit diesen absurden Vorgaben gearbeitet. Die Sanierung des Haushalts wird aber nur gelingen, wenn man die Menschen in der Stadt mitnimmt, ihnen das Gefühl der Gerechtigkeit auch beim Sparen gibt. Bisher ist dies nicht der Fall. Sparen um des Sparens willen, das begeistert niemanden, aber ein anderes Ziel hat die SPDPDS-Koalition bisher nicht definiert. Auch der Haushalt erinnert mit seinen schwerpunktlosen Rasenmäherkürzungen fatal an die Haushalte der großen Koalition.

Die Investitionen sind auf einem historischen Tiefpunkt angekommen. Von 2003 auf 2004 sinken die Zuschüsse für Investitionen an Dritte von 818 Millionen € auf 629 Millionen €. Das ist ein Minus von 24 %. Innerhalb der Investitionen gibt es dramatische Verschiebungen: weg von der wirklich arbeitsplatzschaffenden und

zukunftssichernden Investition, hin zu faktischen Verlustzuschüssen an landeseigene Institutionen.

[Gaebler (SPD): Wollten Sie doch verkaufen, oder?]

Das Problem BVG ist aber, wie wir jetzt alle wissen, nicht nur ein finanzpolitisches. So lange die BVG sich nicht die Mühe gibt, in den Ruf eines freundlichen Serviceunternehmens zu gelangen, sondern sich als größtes Rollkommando der Stadt profiliert, ist der Wettbewerb um die Kunden sowieso schon verloren.

[Frau Matuschek (PDS): Da klatscht noch nicht mal die eigene Fraktion!]

Da gibt es auch nichts zu klatschen, wenn man sich das anguckt.

Zurück zu den Investitionen: Sie sind die Sparbüchse des Senats. Die Verfassungswidrigkeit des Haushalts hat Senator Sarrazin in dankenswerter Ehrlichkeit letztes Jahr hier ja selbst zu Protokoll gegeben. Doch Konsequenzen daraus wurden nicht gezogen. Die Investitionsausgaben sinken weiter, der Senat benutzt sie, wie Herr Sarrazin gestern im Ausschuss formulierte, als „Puffer zu Einhaltung der Konsolidierungszahlen“. So sind selbst die katastrophal niedrigen Investitionsansätze nur die halbe Wahrheit. Allein im Jahr 2003 sollen 160 Millionen € investiver Mittel nicht ausgenutzt werden, um das Haushaltsziel zu erreichen. Der Sprecher der Finanzverwaltung erklärt dazu in der „Berliner Zeitung“ vom 27. August,

Ich erspare mir jetzt, die lange Geschichte des Standorts Oberschöneweide und FHTW hier noch einmal vorzulesen, Sie alle kennen sie. Die Koalition hat jetzt angekündigt, sich zu bemühen, eine Veränderung der Entscheidung herbeizuführen. Dies ist erfreulich, aber dadurch kann der Schaden, den das ständige Hin und Her angerichtet hat, nur noch begrenzt, aber nicht rückgängig gemacht werden.

Auch die Einführung von Studiengebühren in der nun vorgesehenen Form schwächt den Wissenschaftsstandort Berlin. Bildung, Jugend und Kinder, das ist und das war der Steinbruch Ihrer Haushaltskürzungen, aus dem Sie sich immer wieder schamlos bedienen. Im Nachtragshaushalt haben sich PDS und SPD von der Lernmittelfreiheit verabschiedet, um die Erhöhung der Kitagebühren zu verhindern. Erinnern Sie sich noch? – Ich habe Ihnen damals hier vorausgesagt, dass diese Kitabeitragserhöhung spätestens im Sommer doch kommen wird.

Sie haben das für eine infame Unterstellung gehalten. Und nun steht sie im Haushalt.

Die Rede des Kollegen Wechselberg von der PDS, der diese Kitagebührenerhöhung gestern ausdrücklich für sinnvoll erklärte, muss den Betroffenen doch wie Hohn in den Ohren klingen.

dass die Nichtverausgabung von 162 Millionen € investiver Mittel