Es geht noch weiter. Nach der Entscheidung des Lehrers müssen die Fachkonferenzen über Bücher entscheiden, die angeschafft werden sollen, und anschließend muss sich dann die Gesamtkonferenz darüber verständigen,
welche Bücher seitens der Schule gekauft werden und welche die Schüler beschaffen sollen. Die Nachweise über die Förderbedürftigkeit eines Kindes müssen die Schulen noch zusätzlich leisten. Rot-Rot meint: Sollen es doch die Schulsekretärinnen machen, die zum Schuljahreswechsel ohnehin nicht wissen, wo ihnen der Kopf steht. – Über die mangelnde Ausstattung mit Schulsekretärinnenstunden will ich hier gar nicht weiter sprechen. – Das könnten natürlich nach Ihrer Ansicht auch die Lehrer leisten, denn die haben gerade mehr Arbeitszeit aufgeladen bekommen, dann wissen sie zumindest, was sie damit anfangen sollen.
Dass Kinder heute ein Armutsrisiko bedeuten, bringt RotRot auf die Idee, Berliner Familien noch mehr zu belasten.
Finden Sie es sozial, wenn Sie bestimmten Teilen der Bevölkerung eine Chipkarte für den Einkauf nicht zumuten können, die soziale Markierung der Schülerinnen und Schüler, die erkennbar ausgeliehene Bücher besitzen, aber einfach so hinnehmen und sogar noch kleinreden?
Denn dass man den ausgeliehenen Büchern den Durchlauf durch mehrere Schülerjahrgänge ansieht, ist wohl unstrittig.
Finden Sie es eigentlich sozial, wenn die Kinder finanziell besser gestellter Eltern einfach in einem Schulbuch von vor drei Jahren nachschlagen können, wie es mit den binomischen Formeln war, weil das Buch, möglicherweise mit Anmerkungen versehen, in ihrem Regal steht, während den finanziell schlechter Gestellten der Zugang nur über den viel unbequemeren Weg in die Bibliothek möglich wäre?
Finden Sie es eigentlich sozial, wenn Ihr Kind unerfreulicherweise just in dem Jahrgang ist, der jeweils am Beginn der vierjährigen Durchlauffrist eines Buches steht, und Sie das Buch also auf jeden Fall neu kaufen müssen? Wo bleibt eigentlich die von Ihnen im Wahlkampf so hehr versprochene Priorität für Bildung? – Alles, was Sie hier einsparen, tun Sie nicht zu Gunsten der Schüler. Es verschwindet im Moloch Schulden.
Und wir hätten einen Kinderbonus zusätzlich zu der Regelung der sozialen Befreiung vorgeschlagen. Aber Kom
promisse sind eben deshalb Kompromisse, weil sie von unterschiedlichen Ausgangspositionen erreicht werden, haben also positive wie negative Seiten, je nach dem Standpunkt des Betrachters. Ob die Prämissen, die geplante Einsparung zu erbringen und die Qualität der Lernmittelausstattung zu verbessern, Wirklichkeit werden, werden wir in einigen Monaten wissen, und dann wird es Fakten geben, an denen man das ermessen kann.
Das betrifft auch meinen ansonsten sehr geschätzten Kollegen Mutlu. Der findet, wochenlang sei Rot-Rot mit einem Vorschlag nicht aus der Hüfte gekommen. Nun haben auch die Grünen ausgeschlafen, denn seit heute liegt uns ein Änderungsvorschlag vor.
Lehrermehrarbeit, Lernmittelfreiheit wird aufgehoben. Was fällt Ihnen als Nächstes ein? – Die CDU fordert eine Beibehaltung der Lernmittelfreiheit und lehnt eine weitere Belastung der Berliner Familien ab. – Danke schön!
Vielen Dank, Frau Kollegin Schultze-Berndt! – Für die PDS erhält Frau Kollegin Schaub das Wort. – Bitte schön!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach dem sozialen Gewissen der Stadt will ich versuchen, ein bisschen zu sortieren, was Frau Schultze-Berndt in bemerkenswerter Unbedarftheit durcheinander gewirbelt hat.
Der Koalitionsausschuss hat einen Kompromissvorschlag entschieden. Damit niemand auf falsche Gedanken kommt: Dieser Vorschlag und dieser Gesetzentwurf stehen für die Koalition, da gibt es kein Wackeln.
Es gab zwei Prämissen, von denen wir ausgegangen sind: die geplante Einsparsumme zu erbringen und die Qualität der Lernmittelausstattung zu erhöhen. Den Inhalt des Kompromisses hat meine Kollegin Harant erläutert, den Inhalt des Gesetzesvorschlages, die Wiederholung kann ich mir hier sparen. Das wird dann auch für alle einigermaßen klar sein. Aber mir ist wichtig zu sagen – auch für die, die das hartnäckig behaupten –, dass es sich hier nicht um einen Ausstieg aus der Lernmittelfreiheit, sondern deutlich um eine Einschränkung der Lernmittelfreiheit handelt. Es ist auch kein Geheimnis – Herr Rabbach, Sie wissen das wahrscheinlich schon alles, ich wäre Ihnen dennoch dankbar, wenn Sie zuhörten –, dass die PDS einen eigenen Vorschlag hatte,
der aber ebenfalls die von mir genannten beiden Prämissen beinhaltete. Selbstverständlich waren wir davon ausgegangen, die geplante Einsparsumme zu erbringen und die Qualität der Lernmittelausstattung zu erhöhen. Diese Prämissen galten auch für unseren Vorschlag.
Wir hatten aber einen anderen Ansatz. Wir hätten gern Ausleihe für alle beibehalten, und wir hätten gern die Finanzmittel, die sich nach unserer Vorstellung aus zwei Teilen zusammengesetzt hätten, an der Schule gehabt, damit Schulen in eigener Verantwortung ihre Lernmittelausstattung gestalten können. Wir wollten ebenfalls den Elternbeitrag deckeln, also eine Obergrenze festschreiben.
Bei aller Kritik, die man am nun vorliegenden Gesetzentwurf haben kann, eines geht nun überhaupt nicht – und da wende ich mich an die CDU –: eine Entscheidung zu verhindern, weil einem der vorliegende Vorschlag nicht gefällt und Sie selber keinen eigenen haben.
Es geht auch nicht, immer zu beklagen, Rot-Rot bewege überhaupt nichts, und nun aber geht es uns zu schnell.
Schulen und Familien brauchen Klarheit. Es ist wichtig – und wir sind sehr spät mit dieser Entscheidung –, dass wir klar bekommen, welche Finanzierung geht. Es ist aber, Frau Schultze-Berndt, ein Irrtum, dass die Schulen in diesem Jahr ganz schnell entscheiden müssten. Das tun sie jedes Jahr. Das ist so Vorschrift. Diese Entscheidung, welche Lehrbücher gekauft werden, ist längst durch. Die Frage ist nur, wie die finanziert werden. Diese Entscheidung ist eine reguläre. Sie können das auch gern nachlesen. Das findet immer so statt.
Noch einmal zu meinem Kollegen Mutlu: Hier zu kritisieren, wir griffen den Eltern in die Taschen, und dann 60 € als Änderungsvorschlag einzubringen – die Kritik klappt irgendwie nicht.
Lassen Sie uns dem heute in anderem Zusammenhang erwähnten Wort unseres CDU-Kollegen Kaczmarek folgen. Wenn ich richtig mitgeschrieben habe, hat er uns heute aufgefordert: Besiegen wir die Berliner Krankheit, alles in Frage zu stellen, immer wieder von vorn anzufangen. – Kollege Kaczmarek und liebe Kolleginnen und Kollegen, dazu kann ich Sie nur auffordern: Lassen Sie uns diese Entscheidung heute treffen, und besiegen wir diese von Ihnen zu Recht kritisierte Berliner Krankheit. – Vielen Dank!
Dieses Gesetz sieht weiterhin vor, dass künftig die Kinder von Sozialhilfe- und Wohngeldempfängern mit Büchern des staatlichen Leih- und Restpostensystems vorlieb nehmen müssen, mit Büchern, verwahrlost, zerfleddert, denen man ansieht, dass sie etliche Jahre auf dem Buckel – besser gesagt: auf dem Rücken – haben. Das ist für mich völlig unverständlich, Frau Harant! Bei der Frage Kollektivgut oder Eigentum hat die FDP eine eindeutige Meinung: Wir sprechen uns immer für den unmittelbaren, individuellen und persönlichen Besitz aus. Und zwar auch bei dieser Klientel, liebe Frau Harant. Eigentum verpflichtet. Und nicht nur das: Wer Eigentum hat, übernimmt Verantwortung.
Herr Präsident! Meine Herren, meine Damen! Ich finde es schon ein bisschen seltsam, dass wir hier in Abwesenheit des Schulsenators über die Änderung eines Schulgesetzes debattieren.
Zum Verfahren kann man nur sagen: Das war im Schweinsgalopp. – Vor 14 Tagen ein Gesetz eingebracht, mal eben so zackig in den Ausschuss, und mit einem Kraftakt diskutieren wir heute erstmals öffentlich über dieses Thema „Aufhebung der Lernmittelfreiheit“.
Dieses Thema hat eine Menge Wirbel verursacht. Die Kakophonie war nun auch deutlich zu hören. Ich sage im Sinne der Schulleiterinnen und Schulleiter dieser Stadt: Es ist höchste Eisenbahn, dass wir dieses Gesetz heute verabschieden, Frau Harant, da bin ich bei Ihnen, denn diejenigen vor Ort müssen nun endlich wissen, wie das Ganze funktioniert und was an Aufgaben auf sie zukommt. Diese Aufgaben scheinen vielfältig zu sein,
denn langsam wissen sie nicht mehr, wie sie alles bewerkstelligen sollen. Da sind Sie wohl auch mit mir einer Meinung, dass dies etwas spät ist. Eines ist den Verantwortlichen an den Schulen allerdings jetzt schon klar: Es kostet wertvolle Arbeitszeit und ist nicht unbedingt Arbeitszeit, die eigentlich zur Verbesserung des Unterrichts beitragen sollte. Was müssen die Schulen jetzt machen? – Sie müssen eine Liste erstellen und fragen: Welche Eltern sind Sozialhilfeempfänger, welche beziehen Wohngeld? – Bisher hat das niemanden in dieser Stadt interessiert, und ich fand, das war auch gut so.