Protocol of the Session on May 8, 2003

Natürlich trag ich für die nicht ausreichende Schnelligkeit die politische Verantwortung als Senator für Inneres und stelle mich vor die Mitarbeiter der Polizei. Wir werden das nachzubereiten haben. Wir werden das aber nicht in dem Sinn, dass wir Schuldige suchen, sondern wir werden das nachzubereiten haben in dem Sinn, dass wir Mängel, die wir erkennen, abstellen, um nächstes Mal schneller reagieren zu können. Das ist meines Erachtens das, was die Bürger interessiert.

[Beifall bei der SPD und der PDS]

Wir haben das Konzept der Polizei sehr frühzeitig entwickelt. Die Polizeiführer haben es entwickelt und haben sich dann Rückendeckung durch mich geholt, dass ich zu dem Konzept stehe. Und ich stehe zu dem Konzept. Wir haben es den Fraktionen bereits im Dezember vorgestellt.

Ich erinnere daran, was vor diesem ersten Mai im politischen Raum an Alternativen genannt wurde. Die eine Alternative war, wir sollten die Demonstrationen von linken Gruppen verbieten. Das ist insbesondere aus dem Bereich der CDU gekommen. Nein, meine Damen und Herren, Demokratie lebt von der Freiheit der Andersdenkenden. Demokratie ist nicht nur etwas für die uns Bequemen. Sie schützt auch die Unbequemen und Unbequemsten, linksextreme Splittergruppen übrigens genauso wie rechtsextreme Gruppen. Der 1. Mai hat dieses Mal eine Legende zerstört. Eine Legende, die dahingehend lautete, dass die Gewalt am 1. Mai von linken Demonstrationen ausging, die dazu aufrufen, Gewalt auszuüben. Wir haben alle Demonstrationen ohne Krawall abgewickelt, auch die, die 20. 43 Uhr am Lausitzer Platz ankam. Wir haben sehr deutlich

[Henkel (CDU): Vergessen Sie nicht die ELF- Tankstelle!]

gemerkt, dass wir es mit entpolitisierter Jugendgewalt und in keiner Form mit irgendeiner politischen Äußerung zu tun haben.

[Zuruf von der CDU]

Der zweite Punkt, an dem es wieder eine neue Legende gegeben hat, die Herr Henkel gestrickt hat, der gesagt hat, warum nehmen Sie denn die Menschen nicht in Unterbindungsgewahrsam,

[Zuruf des Abg. Niedergesäß (CDU)]

[Zuruf des Abg. Niedergesäß (CDU)]

die irgendwann Straftaten in irgendeiner Form begangen haben. Deshalb bitte ich darum, nüchtern darüber nachzudenken. Wir haben dieselben Gesetze, was die Grundlagen für den Unterbindungsgewahrsam betrifft, wie Bayern, Baden-Württemberg und alle anderen Bundesländer. [Zuruf des Abg. Gram (CDU)]

Voraussetzung für Unterbindungsgewahrsam ist, dass ich jemand habe, von dem ich anzunehmen habe, dass er unmittelbar vor der Begehung einer Straftat steht. Dann kann ich ihn in Unterbindungsgewahrsam nehmen. Jemand, der mit einem Knüppel zu einer solchen Veranstaltung kommt, den könnte ich in Unterbindungsgewahrsam nehmen. Es hat auch Unterbindungsgewahrsam im Einzelfall von der Berliner Polizei gegeben.

Die Debatte, die Sie immer über Unterbindungsgewahrsam führen, betrifft nicht die Voraussetzungen dafür, sondern ausschließlich die Frage, wie lange man Unterbindungsgewahrsam haben kann, aber nicht die Voraussetzung. Auch in Bayern werden Sie jemand, der einen Kaufhausdiebstahl begeht, nicht im Vorfeld einer Demonstration in Unterbindungsgewahrsam nehmen können, bloß weil er einmal einen Kaufhausdiebstahl began

Ich halte es für zu leicht, bei der zu Tage getretenen Jugendgewalt von Mob oder ähnlichem zu sprechen. Die Klientel, die dort herumläuft, ist viel zu differenziert. Ich bin dafür, dass diese Klientel alle Folgen seiner Handlung zu spüren bekommt. Ich bin für eine energische Strafe. Ich bin für Bestrafung, ich würde mich aber auch davor hüten, diese Klientel sozusagen in den Fokus des Untermenschen hineinzumanövrieren. Das sind Kinder von Berliner Eltern, und wir müssen uns Gedanken machen, wie diese Kinder von Berliner Eltern so geworden sind, dass sie sich an diesem Abend so aufführen. Das ändert nichts daran, dass wir sie zu bestrafen haben und dass sie die Konsequenzen zu tragen haben, aber wir müssen uns Gedanken machen, wieso sie so geworden sind und wer von ihnen vielleicht noch zu kriegen ist.

Meine Damen und Herren! Ich glaube, die Bürgerinnen und Bürger draußen erwarten von uns nicht das übliche parteipolitische Hickhack, zu dem wir leider neigen. Sie erwarten von uns nicht Schuldzuweisungen, sondern sie erwarten von uns als den politisch Verantwortlichen – sicherlich in erster Linie vom Senat, aber auch von allen –, dass wir Lösungen bieten, um das Problem in den Griff zu bekommen. Ich biete Ihnen allen an, an solchen Lösungen mitzuwirken. – Danke schön!

gen hat. Das ist schlichtweg unredlich, was hier versucht wird.

[Beifall bei der PDS und den Grünen]

Das Konzept „ausgestreckte Hand“ im Sinn einer Doppelstrategie, so wie ich es Ihnen dargestellt habe, halte ich in der Tat für alternativlos. Aber noch wichtiger: Auch meine Mitarbeiter bei der Polizei und die führenden Mitarbeiter bei der Polizei halten es für die richtige Richtung und im Grunde für alternativlos. Wir halten es für verbesserungsfähig. Wir halten den Einsatz der Polizei für schneller machbar. Die von Ihnen genannten Beispiele liegen mir genauso auf der Seele wie Ihnen. Da ist irgendetwas schief gelaufen, das werden wir nachzubereiten haben. Aber den Grundsatz, dass man bis zu dem Zeitpunkt, an dem Straftaten passieren, nüchtern mit der Situation umgeht, ohne Drohgebärde, halten die Polizei und halte ich für richtig.

Herr Senator! – Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Henkel?

Ja!

Bitte schön! – Einen Moment, der Strom wird in Gang gesetzt. – Danke schön!

Vielen Dank, Herr Senator! – Wie beurteilen Sie im Zusammenhang mit dem eben von Ihnen Gesagten die Haltung der Gewerkschaft der Polizei und der Deutschen Polizeigewerkschaft, mit der ich mich in Übereinstimmung befinde, dass das von Ihnen favorisierte Konzept der Deeskalation, oder wie immer Sie es nennen, gescheitert ist?

Herr Kollege Henkel! – Ich habe mit den Gewerkschaftsführern nicht gesprochen. Ich habe die Presseerklärung zur Kenntnis genommen, die dazu herausgegeben wurde. Ich muss ehrlich sagen, dass ich Zweifel habe, dass sie das Konzept voll verinnerlicht und voll zur Kenntnis genommen haben, das die Polizeiführung dort getragen hat. Denn ich kann mir nicht so recht vorstellen, dass die Polizeigewerkschaften dieses Konzept, das ich Ihnen aus einer Mitteilung der Polizei vorgelesen habe, für falsch halten. Ich glaube, Sie haben nur daraufgeschlagen, weil man so nett da raufschlägt, wenn irgendetwas schief gelaufen ist, ohne sich wirklich Gedanken darüber zu machen. Aber wir werden gern mit den Gewerkschaften in die Diskussion darüber eintreten, was wir noch besser machen können.

[Niedergesäß (CDU): Finde ich komisch!]

Wir müssen uns, und das haben wir das letzte Jahr schon gesagt, ich wiederhole es dieses Jahr, mehr Gedanken um die wieder sichtbar gewordene Jugendgewalt machen. Ich stimme ausdrücklich mit Ihnen überein, Herr Henkel, dies kann nicht nur Aufgabe von Polizei sein.

[Niedergesäß (CDU): Das hätte noch gefehlt!]

[Beifall bei der SPD, der PDS und den Grünen]

[Beifall bei der SPD und der PDS – Vereinzelter Beifall bei den Grünen]

Vielen Dank, Herr Senator Dr. Körting! – Wir kommen jetzt zur zweiten Rederunde mit höchstens fünf Minuten pro Fraktion. – Es beginnt die PDS mit dem Herrn Kollegen Wolf, bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wer geglaubt hat, dass nach 15 Jahren einer sich aufschaukelnden Gewaltspirale, nach zwei Jahren des Einsetzens eines neuen Konzepts die Gewalt einfach verschwindet am 1. Mai und am 30. April im Mauerpark und in Kreuzberg, der glaubt an Wunderheilung. Sie trauen uns ja viel zu, aber die Wunderheilung haben Sie uns auch nicht zugetraut. Deswegen war es sinnvoll, dass frühzeitig, wie schon erwähnt wurde, an Gegenstrategien und Konzepten gearbeitet wurde. Wir gehen Schritt für Schritt auf einem Weg, für den man einen ziemlich langen Atem braucht.

Es erfordert aber auch den Ausbruch aus überkommenen Feindbildern. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU, ich befürchte, dass Sie auf der gleichen intellektuellen Ebene – nicht mit den gleichen Auswirkungen, aber auf der gleichen intellektuellen Ebene – nicht bereit sind, aus dem Ritual auszusteigen, Feindbilder zu produzieren, die real so nicht mehr existieren.

[Beifall bei der PDS – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Die politischen Demonstrationen waren friedlich, die politischen Veranstaltungen waren friedlich. Das ist ein riesengroßer Fortschritt. Wenn der Kollege Henkel im

Es ist auch ein Novum, dass zum ersten Mal, seit ich die Debatte zum 1. Mai seit 17 Jahren erlebe, dass ein Innensenator und eine Polizeiführung selbstkritisch und offen über Probleme reden, was die Einsatzgestaltung angeht, und offen einräumen, dass es polizeitaktische Fehler im Einzelfall gegeben hat, ohne gleich eine Debatte darüber loszutreten, dass alle Konzepte zum Scheitern verurteilt sind und man für das nächste Jahr schon wieder einen Konzeptwechsel vorbereiten muss. – Nein, es kommt darauf an – der Kollege Wieland hat darauf hingewiesen –, diesen langen Atem zu beweisen und Schritt für Schritt in dieser Richtung deutlich das Signal auszu

senden: Diejenigen, die Politik am 1. Mai auf die Straße bringen wollen, diejenigen, die auch ihre Kritik an der Senatspolitik artikulieren wollen, sind das Zentrum der Auseinandersetzung am 1. Mai. Das muss gewaltfrei geschehen. Dazu sind die Leute auch bereit. Die Leute sind auch bereit, gewaltfrei Feste zu feiern. Darauf muss angemessen reagiert werden.

In diesem Sinn muss ich noch auf etwas hinweisen, weil der Herr Kollege Ritzmann etwas gesagt hat zu der schlechten konzeptionellen Vorbereitung etc. pp. Wir haben über Ihre Vorschläge, Anträge im Innenausschuss schon vor längerer Zeit ausführlich geredet. Dass dies ein munteres Potpourri aus Selbstverständlichkeiten und Sachen, die einfach unsinnig sind, ist, das haben wir ihnen zu erklären versucht. Es kommt schon darauf an, dass man ein bisschen Kenntnis der Geschichte des 1. Mais in Kreuzberg mitbringt und auch der Personenkreise, um die es geht, um zu wissen, dass das Angebot, in Steglitz oder in Zehlendorf ein Popkonzert zu machen, die Randale in Kreuzberg nicht verhindern kann. Da muss man sich etwas Ernsthaftes überlegen, Herr Kollege Ritzmann.

In diesem Zusammenhang will ich Ihnen nur Eines noch sagen, weil Sie eine langfristige Vorbereitung gefordert haben: Die IG Oranienstraße, das Bezirksamt Kreuzberg, die Veranstalterinnen und Veranstalter verschiedener Feste treffen sich bereits heute, um den 1. Mai auszuwerten. Ich kann nur aufrufen und auffordern: Bitte lasst euch nicht kirre machen, auch von der Eskalationsstufe, die die CDU versucht, in die Konzeptdebatte hereinzubringen! – Bereiten wir zusammen den nächsten 1. Mai vor, die Bürgerinnen und Bürger Kreuzbergs, die politischen Veranstalter der Demonstrationen und die Polizei gemeinsam. – Danke schön!

vergangenen Innenausschuss sagte, es sei schon immer kein Problem gewesen mit den Demonstrationen,

[Henkel (CDU): In den letzten Jahren!]

im letzten Jahr?

[Henkel (CDU): Jahren!]

in den letzten Jahren: Herr Henkel, warum hat Herr Wertebach dann immer wieder versucht, sie zu verbieten, und hat damit immer wieder einen Eskalationsstil eingeführt im Vorfeld des 1. Mais? Damit ist man aus der Gewaltspirale nicht ausgetreten, sondern hat sie weiter nach oben getrieben. – Sie haben ja auch nichts anderes zu bieten, Sie haben skandalisierende Bilder im Innenausschuss angeboten. Darauf hat Herr Wieland schon hingewiesen, auf Ihren Vergleich mit Beirut und Belfast. Was ist denn die Konsequenz von einem solchen Unsinn, der da erzählt wird? – Dass wir demnächst mit Militär in Kreuzberg einmarschieren, oder was? – Das ist doch völlig hanebüchener Unsinn.

[Beifall bei der PDS und der SPD – Beifall der Abgn. Wieland (Grüne) und Ratzmann (Grüne)]

Was wir geschafft haben, ist schon erwähnt worden: Die politischen Veranstaltungen sind friedlich geblieben. Wir haben es geschafft, dass viele Kreuzbergerinnen und Kreuzberger nach der vernünftigen Initiative vom letzten Jahr von Grottian dieses Mal selbst im Kiez die Veranstaltung mit vorbereitet haben und dass sie massenweise auf der Straße waren. Was wir geschafft haben im Unterschied zu den letzten Jahren, ist, dass – obwohl dann auch wieder eine Personengruppe, an die gegenwärtig im Moment mit keinem Konzept heranzukommen ist, weder links noch rechts – dort, wo die Randale stattgefunden hat, die Polizei zugegriffen hat, auf der anderen Seite aber noch auf dem Oranienplatz und auf der Adalbertstraße, Ecke Oranienstraße friedliche Feste stattgefunden haben und der beschriebene Solidarisierungsprozess zwischen Zuschauern und Randalieren nicht stattgefunden hat.

Ich danke ausdrücklich der Polizeiführung und den Beamtinnen und Beamten, die vor Ort im Einsatz waren, sie sind aus den Feindbildern herausgetreten und haben versucht, Feindbilder abzubauen, waren kommunikationsbereit gegenüber friedlichen Leuten einerseits und haben versucht, anderen Orts Straftaten konsequent zu verfolgen.

[Beifall bei der PDS und der SPD – Beifall des Abg. Wieland (Grüne)]

[Beifall bei der PDS und der SPD – Beifall der Abgn. Wieland (Grüne) und Ratzmann (Grüne)]

Danke schön, Herr Kollege Wolf! – Als nächster erhält das Wort der Kollege Wansner für die CDU, bitte schön!

[Wieland (Grüne): Oh! – Pewestorff (PDS): Keiner warf den Pflasterstein so weit wie er! – Weitere Zurufe von der PDS und den Grünen]

Aufmerksamkeit ist ihm gewiss.

Ich verstehe Ihre Unruhe nicht!