Protocol of the Session on May 8, 2003

Gewalttaten aber, zumal am 1. Mai, lassen sich nicht durch eine zurückhaltende Strategie der Polizei verhindern. Im Gegenteil: Ihre der Polizei verordnete Deeskalation hat die Spirale der Gewalt erst heraufbeschworen, rechtsfreie Räume zugelassen und die Chaoten dazu animiert, Autos anzuzünden, Scheiben einzuschmeißen und Polizeibeamte mit Steinen zu bewerfen.

[Lederer (PDS): Das glauben Sie doch nicht mal selbst!]

Wenn die Linke in diesem Haus dennoch davon spricht, dass dieser 1. Mai ein Erfolg war, und sich damit im Übrigen einig ist mit dem Herrn Innensenator und dem Polizeipräsidenten, zeugt dies nicht nur von einer impertinenten Ignoranz, sondern verhöhnt zudem die Opfer dieser Gewaltexzesse.

[Beifall bei der CDU und der FDP]

Kollegin Seelig, was Sie hier gesagt haben, ist ein beredtes Beispiel für starke Bewusstseinstrübungen. Denn Ihre Erfolgsbilanz, meine Damen und Herren, besteht aus 180 Sachbeschädigungen, 18 ausgebrannten Pkws und 175 verletzten Polizeibeamten – jeder von ihnen übrigens einer zu viel. Angesichts dieser Zahlen, Herr Körting, kann man mit Fug und Recht davon sprechen, dass die Deeskalationsstrategie dieses rot-roten Senats im Steinhagel der oft professionell agierenden Gewalttäter gescheitert ist. Für diesen Ausbruch der Gewalt trägt jedoch nicht die Polizei, sondern tragen ausschließlich Sie, Herr Senator Körting, die volle politische Verantwortung.

Und dann, Herr Senator, muss man sich auch vorstellen, was in einem Polizeibeamten vorgegangen sein muss, der tatenlos einem solch kriminellen Treiben zusehen musste. Aber: Linke Ideologien aus dem Wolkenkuckucksheim sind eben schlechte Ratgeber für unsere Polizisten. Leider hat die Zahl der verletzten Beamten gezeigt, dass sie unverschuldet selbst Opfer dieser Ideologie geworden sind. Doch nicht nur die Polizeibeamten, sondern auch und in erster Linie die Bürgerinnen und Bürger erwarten zu Recht, dass bei Verstößen gegen das Gesetz, bei Angriffen auf Personen oder Zerstörung von Eigentum unverzüglich und konsequent eingegriffen wird. Deshalb ist es ein Stück weit unverständlich, warum potentielle Gewalttäter nicht im Vorfeld aus dem Verkehr gezogen wurden, wo der Polizei doch zwei Drittel von diesen – wie zu lesen war – bekannt waren.

[Beifall bei der CDU – Zurufe der Abgn. Lederer (PDS) und Klemm (PDS)]

Sie allein haben das Deeskalationskonzept bestimmt, welches die Polizeibeamten vor Ort umsetzen mussten, und Sie allein haben die Anwohner, Gewerbetreibenden und Polizeibeamten einem erheblichen Risiko ausgesetzt, ja geradezu im Stich gelassen. Die Ereignisse und die Eskalation der Gewalt am 1. Mai sind das Ergebnis der von Ihnen angeordneten Strategie für die Polizei. Das darf sich auf keinen Fall im nächsten Jahr wiederholen.

[Beifall bei der CDU]

Deshalb, und damit Sie das nicht vergessen, haben wir heute einen Missbilligungsantrag gegen Sie eingebracht.

[Lederer (PDS): Der keine Mehrheit findet!]

Wir haben uns diese Entscheidung nicht leicht gemacht,

[Doering (PDS): Ja, genau! – Lederer (PDS): Lächerlich!]

Herr Doering, Ihre Arroganz der Macht ist wirklich erbärmlich! – weil wir der Hoffnung waren, dass Sie nach diesen schwersten 1. Mai-Krawallen nach Jahren die Fehlerhaftigkeit Ihrer Strategie eingesehen haben. Darauf deuteten zumindest Ihre Äußerungen im ZDF Morgenmagazin am 2. Mai hin, wo Sie eine Überarbeitung des Konzepts in Aussicht gestellt hatten. Dann allerdings, Herr Senator, sind Sie ganz offensichtlich wieder einmal Opfer der Sie tragenden Fraktionen von SPD und PDS geworden, denn am Nachmittag desselben Tages wollten Sie von einer Überarbeitung Ihrer Deeskalationsstrategie nichts mehr wissen und setzten – im Gegenteil! – gemeinsam mit Ihrem Polizeipräsidenten eins drauf, indem Sie verkündeten, Ihre Deeskalationsstrategie sei alternativlos. Verehrter Herr Senator, man kann eben auch in der Milde maßlos sein. Besonders beschämend jedoch waren Ihre Äußerungen gegenüber Info-Radio, wo Sie betonten, dass die Polizei auf die Gewalttaten von Straftätern nicht vorbereitet gewesen sei. Dieses Verhalten, Herr Senator, ist nicht nur kläglich, es ist vor allem auch einmalig, dass Sie mit einer solchen Äußerung von Ihrem eigenen Fehlverhalten ablenken und somit die Polizei, die nur ihre Pflicht getan und dabei Leib und Leben riskiert hat, zum Sündenbock machen.

[Zuruf des Abg. Klemm (PDS)]

Ich hätte mir gewünscht, dass Sie in einer solchen Situation nicht die Polizei beschuldigen, sondern sich vor sie stellen. Die Polizeikräfte wurden durch die von Ihnen zu verantwortende Zurückhaltung gezwungen, die Eskalation der Gewalt zu dulden.

Besonders deutlich wurde dies bei der Schlacht vor einem Seat-Autohaus in der Mariannenstraße.

[Dr. Lindner (FDP): Richtig!]

Hier kam es zu einer Situation, Frau Seelig, hören Sie ruhig zu, wo der pöbelnde Mob zunächst einen dort parkenden Pkw umstieß, dann darauf wartete, ob die Polizei eingreift, und, nachdem dies nicht geschah, eine fast einstündige, vollkommen entfesselte Gewaltorgie feiern konnte.

[Beifall bei der CDU – Mutlu (Grünen): Wo waren Sie denn an dem Tag?]

Ich war im Übrigen in der Tat vor Ort, Kollege Mutlu! – Auf die Frage des Geschäftsführers dieses Autohauses an die vor Ort eingesetzte niedersächsische Polizeieinheit, warum sie nicht einschreite, wurde dem Polizeiführer gesagt, man hätte Befehl, sich zurückzuhalten. Wenn das Deeskalation bedeutet, dann darf man getrost davon sprechen, dass das eben keine erfolgsversprechende Strategie ist.

[Beifall bei der CDU und der FDP]

[Klemm (PDS): Ja so ein Quatsch! So etwas hatten wir schon mal, das nannte sich DDR! – Zuruf des Abg. Ratzmann (Grüne)]

Angesichts der furchtbaren Bilder, die wieder einmal rund um den Globus ausgestrahlt wurden, und dem damit einhergehenden Imageverlust für Berlin, der der Anziehungskraft und Attraktivität unserer Stadt als lebens- und liebenswerte Metropole massiv schadet, sollten wir uns nicht nur am 1. Mai Gedanken darüber machen, wie man diesem Gewaltphänomen begegnen ann. k Vizepräsident Dr. Stölzl: Herr Kollege Henkel! Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Zimmermann?

Nein! – Das ist natürlich nicht in erster Linie eine sicherheitspolitische Frage, sondern eine gesamtgesellschaftliche. Die Polizei ist ganz sicher nicht der Reparaturbetrieb der Gesellschaft, aber die Gesellschaft muss neben allen Überlegungen und Angeboten eben auch wehrhaft sein. Für meine Fraktion sind deshalb die notwendigen Konsequenzen aus diesem 1. Mai klar: Die Gewalttäter müssen zur Verantwortung gezogen werden und für die Schäden, die sie verursacht haben, in Regress genommen werden.

[Klemm (PDS): Wer bestreitet denn das?]

Außerdem fordern wir den rot-roten Senat auf, das Konzept der Deeskalation aufzugeben und zu einem entschlossenen Eingreifen der Polizei zur Unterbindung jeglicher Gewalt zurückzukehren.

Darum möchte ich versuchen, ganz kurz und auch für Sie verständlich – es wird nicht ganz einfach sein, aber ich gebe mir große Mühe – noch einmal Folgendes darstellen: Nach 15 Jahren, Herr Henkel, in denen sich – teilweise im Jahresrhythmus – die politische Bewertung, das polizeiliche Vorgehen und deren Strategie von Hü nach Hott änderten – in einem Jahr musste die Polizei in den Kasernen bleiben, da sie nicht provozieren sollte, und wurde erst gerufen, als die Kreuzberger Straßen brannten, und im nächsten Jahr geschah genau das Gegenteil, nämlich die Polizei sollte niedrige Eingriffschranken und den sofortigen Zugriff realisieren –, haben wir seit zwei Jahren erstmals eine Situation in Berlin und besonders in Kreuzberg als dem betroffensten Bezirk, in der sich völlig unbeteiligte Bürger, Zuschauer, Festbesucher, Anwohner, Laden- und Geschäftsinhaber ganz deutlich und verstärkt gegen dieses Gewaltritual wenden. Sie wehren sich dagegen, dass man ihre Straßen entglast, ihre Autos anzündet und dass man ihnen die mit viel Freude und Engagement vorbereiteten Feste einfach kaputtmacht.

Verbal haben sich alle immer grundsätzlich dagegen ausgesprochen, haben lautstark und wortgewaltig – wie Sie – festgestellt, dass man es so nicht will. Allerdings stand immer schon vorher fest, wer schuld ist, wenn es später nicht klappte: Polizei und Politik – je nach dem, wer gerade geredet hat, war es einmal stärker nach da oder dort gewichtet.

[Beifall bei der CDU – Zurufe der Abgn. Doering und Klemm (PDS) – Zurufe der Abgn. Mutlu und Frau Oesterheld (Grüne)]

Eine Kapitulation des Rechtsstaates ist nicht hinnehmbar und das Aufzeigen von Grenzen für Gewalttäter unerlässlich. – Herzlichen Dank!

[Beifall bei der CDU und der FDP]

Vielen Dank, Herr Kollege Henkel! – Das Wort hat jetzt für die Fraktion der SPD die Frau Kollegin Hertel. – Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Pünktlich zum ersten Plenum nach dem 1. Mai – und inzwischen schon zum 17. Mal in Folge – wiederholt sich hier, so sicher wie das Amen in der Kirche – same procedure as every year –, die sogenannte Aktuelle Stunde zum Thema 1. Mai. Das heißt, mit dem 1. Mai in seiner ursprünglichen Bedeutung – nämlich Tag der Arbeit – beschäftigen wir uns nur bedingt, obwohl ich glaube, dass sich die eingesetzten Polizeibeamten über mangelnde Arbeit am 1. Mai nicht beklagen können. Wir beschäftigen uns – zumindest vordergründig, wenn ich mir die Anträge der FDP so anschaue – mit den Ausschreitungen, den Krawallen, den Sachbeschädigungen und den verschiedenen Statistiken: Verletzte Polizisten, verletzte Demonstranten – das möchte ich bitte in Anführungszeichen gesetzt wissen –, verbrannte Autos und eingeworfene Scheiben. Aber auch das ist für meine Begriffe nur bedingt richtig. Denn eigentlich, meine Damen und Herren von der CDU, Herr Henkel, wenn Sie mir noch für ein paar Minuten zuhören würden, wäre ich Ihnen sehr dankbar, eigentlich, und hier möchte ich die Grünen im Übrigen unbedingt herausnehmen, wollen Sie sich, und damit uns, mit dem einzigen Thema, das Sie interessiert, beschäftigen, mit sich! Obwohl der diesjährige wortgewaltige Aufstand der Anständigen, wie wir eben wieder von Herrn Henkel lernen konnten, ja wohl eher als Ablenkungsmanöver von parteiinternen Personalquerelen dienen soll. Nun ist er gar nicht da, der Herr Steffel, aber er würde mir zustimmen müssen, wenn er ehrlich ist. Um das zu erreichen, soll sogar ein Missbilligungsantrag eingebracht werden – Gott, Herr Henkel, wie muss es in Ihrer Fraktion aussehen, dass Sie allen Ernstes zu einem derartigen Schritt greifen, dass ein derartig durchsichtiges Manöver herhalten muss?

[Henkel (CDU): Reden Sie doch zum Thema, und versuchen Sie, die Bürgerinnen und Bürger aufzuklären, warum Sie so ein Deeskalationskonzept machen!]

Aber das Thema, Herr Henkel, ist mir und meiner Fraktion – und, wie ich weiß, auch den beiden anderen Fraktionen – zu wichtig, um mich auf dieses Niveau herabzulassen, um mich, wie Herr Ritzmann es so schön formulierte im Innenausschuss, allein auf parteiideologischen Schlagabtausch einzulassen.

[Beifall bei der SPD und der PDS]

[Beifall bei der SPD und der PDS]

Nun haben, begleitet von Prof. Grottians Initiative „Denk Mai neu!“ im letzten Jahr, Politik, Polizei und Anwohner eine Strategie entwickelt, die missverständlich unter dem Begriff Deeskalation läuft.

[Henkel (CDU): Ach!]

Herr Henkel, seien Sie vorsichtig mit Zwischenrufen! Es könnte sein, dass Sie sich ins Knie schießen. – Missverständlich ist der Begriff deshalb, weil Deeskalationsstrategie als neu erfundenes Rad bedeuten würde, dass die Polizei vorher eskaliert hat. Ich weiß, dass es auch in diesem Haus Vertreter gibt, die der Meinung sind, allein das Anziehen eines sogenannten Einsatzanzugs sei provozierend.

[Henkel (CDU): Das ist doch Ihr Vokabular und nicht meins!]

Ich möchte in einer Situation, wie wir sie am 1. Mai noch haben, Polizei ungern im grünen Jogginganzug erscheinen lassen. Das ist wohl wahr. – Ich hoffe, Herr Ratzmann muss jetzt seine Rede nicht umschreiben. – Aber ich denke, dass der andere Begriff, unter dem diese Strategie in den Medien auch verbreitet ist, nämlich die Strategie der ausgestreckten Hand, besser geeignet ist und besser beschreibt, worauf wir und der Innensenator aus sind. Die ausgestreckte Hand ist nicht, wie Sie es bezeichnet haben, in Richtung Mob, Randalierern, Krawallmachern und ausgemachten Straftätern ausgestreckt. In deren Richtung brauche und will ich nicht die Hand ausstrecken. Das macht keinen Sinn. Die ausgestreckte Hand, Herr Henkel,

Vielen Dank, Herr Präsident! – Nach diesem Redebeitrag musste ich mich erst einmal am Wasserglas stärken und fühle mich jetzt durchaus der Debatte gewachsen.

Wir haben am 1. Mai in Berlin Licht und Schatten erlebt. Ich beginnen mit dem Positiven: Wir haben die Demonstrationen gesehen, die friedliche Ausübung von Grundrechten – von der NPD bis hin zu den revolutionären Linken, vom DGB bis hin zur FDP.

war an all die gerichtet, die politisch und friedlich demonstrierten, an die Festbesucher, Anwohner und an diejenigen, die die Schnauze von dem voll hatten, was am 1. Mai immer wieder passiert.

[Zuruf des Abg. Hoffmann (CDU)]

Sparen Sie sich Ihre Zwischenrufe, und hören Sie zu!

[Beifall bei der SPD und der PDS]