Nachtragshaushalt 2003 zukunftsorientiert gestalten XII – Senat soll Ausbildungsplatzmisere endlich ernst nehmen
Nachtragshaushalt 2003 zukunftsorientiert gestalten XIII – Den hohen Außenständen von Elternbeiträgen für die Kinderbetreuung begegnen
Nachtragshaushalt 2003 zukunftsorientiert gestalten XIV – Minderung der Erstattung von Betriebskosten der Tageseinrichtungen für Kinder nur ohne Qualitätsverlust
Nachtragshaushalt 2003 zukunftsorientiert gestalten XV – Ausgabenüberschreitung bei den Hilfen zur Erziehung analysieren und Einsatzkriterien vorlegen
Nachtragshaushalt 2003 zukunftsorientiert gestalten XVI – Wo bleiben die eingeplanten Millionen aus der Gemeinschaftsaufgabe zur Verbesserung der Regionalen Wirtschaftsstruktur?
Nachtragshaushalt 2003 zukunftsorientiert gestalten XVII – Erstattung der Kosten für die Wahrnehmung von Sicherheitsaufgaben im Bereich der BVG durch die Berliner Polizei
Nachtragshaushalt 2003 zukunftsorientiert gestalten XVIII – Erstattung der Ausbildungskosten für Polizeiauszubildende, die von anderen Bundesländern und dem Bund übernommen werden
Nachtragshaushalt 2003 zukunftsorientiert gestalten XIX – Unterstützung von durch Mieterhöhungen Betroffenen auch absichern
Nachtragshaushalt 2003 zukunftsorientiert gestalten XXI – Finanzierungsmittel für die One-StopAgency in den Haushalt einstellen
Das ist auf unserer Einladung als Tagesordnungspunkt 6 aufgeführt. Für die gemeinsame Beratung stehen den Fraktionen 20 Minuten Redezeit in je zwei Rederunden zur Verfügung. Zunächst gebe ich dem Finanzsenator das Wort. – Herr Dr. Sarrazin, Sie können die Vorlage begründen, wenn Sie wollen. Bitte schön!
Dies ist uns im Jahr 2002 – man soll sich nicht selbst loben, ich tue es aber an dieser Stelle doch einmal – gelungen. Wir lagen im letzten Jahr mit unseren IstAusgaben knapp unter dem Ausgabesoll, um 0,2 % darunter. Es gelang zum ersten Mal seit vielen Jahren, Personalausgaben exakt zu veranschlagen. Mehrausgaben hatten wir bei den Sozialausgaben in den Bezirken – 288 Millionen €. Wir konnten diese bedauerlichen Mehrausgaben allerdings woanders vollständig ausgleichen, teilweise bei den Zinsausgaben, weil Zinsen sich günsti
ger entwickelten, als wir zunächst annahmen, teilweise bedauerlicherweise bei den Investitionen und sonst bei den konsumtiven Sachausgaben.
Dieses unbeirrte Festhalten an der einmal entschiedenen Ausgabenlinie soll das Signal aussenden, dass dies jetzt und für die nächsten Jahre in dieser Form gilt. Denn – ich wiederhole es, weil man es nicht oft genug sagen kann – die gewaltigen Einnahmeneinbrüche, die uns große Sorgen machen, ändern nichts an der Notwendigkeit der ausgabeseitigen Konsolidierung; sie machen sie im Gegenteil noch schärfer, denn fallende Einnahmen bedeuten steigende Schulden und damit auch langfristig anwachsende Zinsen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Nachtragshaushalt 2003 setzt das an Veränderungen um, was sich seit dem letzten Sommer ergeben hat. Zwei Dinge sind dabei maßgebend. Einerseits halten wir auch mit diesem Haushalt an unserer Ausgabenlinie unverändert fest.
Daran ändert sich kein Deut. Andererseits verzichten wir ausdrücklich darauf, konjunkturbedingte gewaltige Mindereinnahmen hektisch nachzusparen. Beides gilt gleichzeitig. Die augenblickliche katastrophale Einnahmeentwicklung teilen wir mit dem Bund und mit allen Ländern. Hier gibt es für mich großen Anlass zu grundsätzlicher Sorge, was unsere weitere wirtschaftliche Entwicklung angeht. Ich sehe auch einen gewaltigen Bedarf zur bundesstaatlichen Einnahmeverbesserung.
Es gilt aber auch in dem gegenwärtigen Einnahmeloch, das wir mit dem Bund und mit den übrigen Ländern und Gemeinden teilen, dass wir unsere berlinspezifische Problematik unverändert weiter haben. Wir nehmen, relativ gesehen pro Kopf der Einwohner, 25 % mehr ein als der Rest der Republik. Das ist die gute Nachricht. Wir geben aber gleichzeitig pro Kopf der Einwohner 49 % mehr aus als der Rest der Republik. Das ist leider noch Fakt. Wir müssen gemeinsam mit dem Bund und mit den übrigen Ländern daran arbeiten, dass die Wirtschaft insgesamt wieder wächst und dass der Staat insgesamt wieder genügend Steuereinnahmen hat.
Das ist unsere gemeinsame Aufgabe. – Ich stelle immer fest, bei Einnahmen klatschen mehr Leute als bei Ausgaben. Das ist ganz interessant. Aber ich bin auch dieser Meinung. Aber wir allein in Berlin sind dafür verantwortlich, dass wir unseren gewaltigen Ausgabenvorsprung gegenüber den anderen auf ein vertretbares Maß begrenzen. Das vertretbare Maß ergibt sich aus dem, was wir gegenüber anderen nachhaltig mehr einnehmen. 25 % Mehrausgaben als andere können wir uns leisten, aber keine 49 % Mehrausgaben. Der Umfang des dadurch bedingten Einsparungsbedarfs steht fest. Unsere Ausgaben sind, daran gemessen, um 20 % oder 3,3 Milliarden € zu hoch. Das geht nicht in einem Jahr, auch nicht in drei Jahren abzubauen, aber es muss mittelfristig abgebaut werden. Deshalb halten wir an der Ausgabenlinie unverändert fest.
Entscheidend ist nicht die Zahl, sondern das Signal, dass der einmal beschlossene Ausgabenumfang verbindlich im Haushaltsvollzug umgesetzt wird.
Dies gilt auch für den Nachtrag 2003. Wir haben wegen der bedauerlichen Mehrausgaben bei den Transferausgaben der Bezirke den Ansatz um 180 Millionen € erhöht. Wir haben weiterhin gewisse Mehrausgaben wegen steigender Beitragssätze in der VBL. Aber wir haben diese Beträge von zusammen 219 Millionen € voll durch echte Einsparungen an anderer Stelle ausgeglichen.
Das Ausmaß der gigantischen Einbrüche bei den Steuereinnahmen wird deutlich, wenn man die aktuellen Einnahmen und Einnahmeschätzungen mit den Schätzungen von vor zwei Jahren vergleicht. Im Mai 2000 wurden die Einnahmen bundesweit für das Jahr 2003 um 62 Milliarden € höher geschätzt als in der aktuellen Steuerschätzung. Ähnlich war es in Berlin. Die Schätzung von Mai 2000 brachte für Berlin 2 Milliarden € mehr Einnahmen, als wir sie aktuell verzeichnen und im letzten Jahr verzeichnet haben. Selbst gegenüber dem Haushaltssoll des Jahres 2002 war das Ist bei Steuereinnahmen um 780 Millionen € niedriger.
Bei derartigen Schwankungen auf der Einnahmeseite leidet jedwede Planungssicherheit. Selbst wenn wir nicht in einer Haushaltsnotlage wären, was wir ausgabenbedingt sind, sind bei solchen Einnahmeänderungen Planungen Makulatur. Im Augenblick fehlen dem Bund, den Ländern und den Gemeinden gegenüber dem langfristigen Trend der 90er Jahre 40 Milliarden € an Steuereinnahmen. Das Gesamtdefizit der öffentlichen Haushalte betrug im letzten Jahr 77 Milliarden €; nach Maastricht gemessen 3,7 % des BIP. Der Bund hat der EU zugesagt, dass er bis zum Jahr 2006, also in drei Jahren, auf Null abbauen will. Dies wird, wenn es denn möglich ist, ohne nachhaltige Einnahmeverbesserungen nicht umzusetzen sein. Ich persönlich glaube nicht, dass es gelingen wird, derartige Einnahmeverbesserungen nur über Wirtschaftswachstum umzusetzen. Dazu müssten wir einige Jahre lang pro Jahr um 3 bis 4 % real wachsen, und das ist leider in keiner Weise in Sicht.
Ein anderes Einnahmerisiko stellen die Einnahmen aus Vermögensaktivierungen dar. Der Haushaltsansatz beträgt 604 Millionen €. Im Augenblick können wir 300 Millionen € davon als einigermaßen gesichert betrachten. Die Abdeckung der weiteren 300 Millionen € hängt davon ab, ob und zu welchen Konditionen die Bankgesellschaft Berlin verkauft werden kann. Ich will dazu keine Aussagen machen, aber hier besteht natürlich ein Einnahmerisiko.
Der Haushaltsansatz für die Transferausgaben der Bezirke ist zwar um 180 Millionen angehoben worden, er ist aber trotzdem um 7 % im Soll unter dem Ist des vergangenen Jahres. Wir haben natürlich das Potential, dieses durch Einsparungen auszugleichen, und dies ist auch mit konkreten Vorschlägen unterlegt. Aber nur bei wirklich strikter Missbrauchsbekämpfung und absolutem Vorrang der Wirtschaftlichkeit bei allen Leistungszulagen wird man dieses Potential erschließen können. Hieran hat es im letzten Jahr gehapert, und zwar – das sage ich ausdrücklich – sowohl bei den Bezirken wie bei den Vorgaben der Hauptverwaltungen. Es ist zu hoffen, dass die jetzt eingeleiteten Maßnahmen nun auch in diesem Jahr greifen. Sollte dies nicht geschehen, müssen wir die Ausgabenlinie für die Bezirke grundsätzlich überdenken. Das würde bedeuten, dass der Einspardruck auf die Sachausgaben der Hauptverwaltungen noch einmal deutlich anwächst – auch das muss in diesem Zusammenhang gesehen werden.
Ich halte es übrigens auch für eine Illusion, Beträge in diesem Umfang von 40 bis 60 Milliarden € bundesweit einzusparen, ohne dass wir die Art, wie wir unser Staatswesen auffassen und betreiben, grundlegend in Frage stellen. Das sind Fragen, die wir in Berlin zur Kenntnis nehmen müssen, wo wir bundesweit mitarbeiten müssen und zur Mitarbeit aufgerufen sind. Das darf uns aber nicht hindern, unsere Hausaufgaben selbst zu lösen und in Angriff zu nehmen.
Auch ist der Umstand, dass einnahmebedingt mittlerweile der Bund und alle Länder Not leiden, für uns keine moralische Entlastung, sondern im Gegenteil Anlass für zusätzliche Sorge. Wir brauchen die Hilfe des Bundes und der übrigen Länder irgendwann, damit sie uns Schulden abnehmen. Wenn man uns Schulden abnimmt, bedeutet das, dass andere in diesem Umfang zusätzliche Schulden und Zinsausgaben für uns auf sich nehmen, denn andere müssen dann zahlen. Deshalb stellt uns der wachsende Geldmangel beim Bund und bei den übrigen Ländern unter eine verstärkte Beobachtung, ob wir den Abbau unserer relativen Mehrausgaben von 49 % mit hinreichender Energie betreiben. Von dem gesamtstaatlichen Defizit im letzten Jahr entfielen auf den Berliner Landeshaushalt 6,3 %. Unser Anteil am Defizit aller Länder und Gemeinden betrug im letzten Jahr 13,7 %. Er war dreieinhalb Mal so hoch wie unser Anteil an der Bevölkerung. Unser Defizit im vergangenen Jahr von 4,85 Milliarden € Finanzierungssaldo stammt nur zu 20 % aus dem bundesweiten Einnahmeeinbruch des letzten Jahres, zu 80 % aus unseren Berliner Mehrausgaben. Diese Relation 20:80 kennzeichnet die Relevanz des Themas Einnahmen und Ausgaben für unsere besonderen Berliner Probleme. Es hat schon fast etwas Anekdotisches, dass Berlin mit seinen 3,36 Millionen Einwohnern im vergangenen Jahr mehr neue Schulden machte als das fünf Mal so große Nordrhein-Westfalen, das sich ebenfalls als am Rande einer Haushaltsnotlage befindlich wähnt. NordrheinWestfalen mit 18 Millionen Einwohnern machte im letzten Jahr weniger Schulden als Berlin mit 3,3 Millionen Einwohnern.