Dazu gehört natürlich auch – das ist klar –, die Probleme und Schwierigkeiten zu benennen. Herr Dr. Lindner, die Probleme des Standortes Berlin, die wirtschaftlichen Probleme in dieser Stadt werden nicht durch Ideologie gelöst, sondern dadurch, indem man sich die Probleme genau ansieht und versucht, Problemlösungen für konkrete Probleme zu entwickeln und nicht zu behaupten, dass das, was ich schon immer gesagt habe, auch die Probleme der Stadt löst.
Ich habe, seitdem ich dieses Amt innehabe, Herr Dr. Lindner, wahrscheinlich mit mehr Unternehmern, Betriebsräten und Gewerkschaften als Sie über die Standortprobleme und die konkreten Probleme von Unternehmen, bei denen Arbeitsplatzabbau stattfindet, gesprochen. Es gab kein einziges Unternehmen, es gab keinen Werksleiter in Berlin, es gab kein Vorstandsmitglied eines Unternehmens, es gab auch keinen Betriebsrat oder Gewerkschaftsvertreter, der mir erklärt hat, dass das Problem die hohe Gewerbesteuer in Berlin ist. Es war kein einziger, Herr Dr. Lindner. Ihr Lösungsvorschlag geht völlig an der Problemlage vorbei!
Nestlé leidet vor allem darunter, dass der Großabnehmer für das, was das Berliner Werk produziert, nämlich den allseits bekannten YES-Riegel drastisch zurückgegangen ist,
Aldi den Absatz gestoppt hat und auf eine Handelsmarke zurückgegangen ist. Es gibt einen Einbruch von 30 000 Tonnen Produktion von vor wenigen Jahren auf etwas über 3 000. Da ist das Problem nicht die Gewerbesteuer, Herr Dr. Lindner, oder die Abgabelast. Problem ist nicht die Abgabelast, sondern dass es den Absatz für dieses Produkt nicht mehr gibt und gleichzeitig ein Maschinenpark existiert, der offensichtlich nicht konversionsfähig für die Etablierung anderer Produktlinien ist. Darauf, Herr Dr. Lindner, müssen Sie eine Antwort geben! Damit muss man sich auseinandersetzen.
[Beifall bei der PDS und der SPD – Zuruf des Abg. Doering (PDS) – Dr. Lindner (FDP): Es hat nichts mit Standortüberlegungen zu tun, über den Absatz von Schokoriegeln zu sprechen!]
Abgeordnetenhauses untereinander stören. Es ist aber vielleicht von Interesse, wenn der Senat eine Stellungnahme abgibt.
Herr Steffel, Ihr Beitrag fing relativ sachlich an. Der Einstieg Ihrer Rede unterschied sich wohltuend von dem, was Herr Dr. Lindner gesagt hat. Sie sagten, es würden die Probleme und Schwierigkeiten benannt werden müssen; die Rahmenbedingungen seien schwierig. Sie haben aber dann im zweiten Teil Ihrer Rede hauptsächlich erklärt, was Sie alles nicht gehört haben.
Ich kann dazu nur sagen, dass sich der Senat nicht zuständig und nicht schuldig daran fühlt, dass Sie offensichtlich ein Verständnisproblem oder eine Hörschwäche haben, Herr Steffel!
Ich möchte dies konkret ausführen. Sie haben einen Punkt benannt, den ich fatal finde. Sie haben hier im Plenum die Behauptung aufgestellt, dass es keine Kofinanzierung von GA-Mitteln durch diesen Senat gibt.
Das ist schlicht wahrheitswidrig, Herr Steffel. Ein Fraktionsvorsitzender der stärksten Oppositionsfraktion im Abgeordnetenhaus sollte keine derartigen Behauptungen aufstellen. Wir sind im Moment seit Wochen und Monaten dabei, der Berliner Unternehmerschaft zu erklären, dass es Wirtschaftsfördermittel gibt, die bewilligt sind und abgerufen werden. Sie werden auch kofinanziert. Das ist die Wahrheit!
Hinsichtlich der Thematik der Messe Berlin kann ich berichten, dass ich heute Morgen von der Aufsichtsratssitzung der Messe Berlin gekommen bin. Wir haben die Liquidität der Messe Berlin für das Jahr 2003 gesichert, damit zum einen das Geschäft, die Baumaßnahmen und neues Geschäft akquiriert weitergeführt werden kann. Wir müssen die Chance haben, das Thema Privatisierung der Messe solide zu diskutieren und zu entscheiden und nicht eine Hau-ruck-Aktion vornehmen müssen. Wir müssen einen vernünftigen Abwägungsprozess vornehmen können. Im nächsten Jahr werden zu diesem Thema klare Entscheidungen getroffen. Das ist etwas anderes, als etwas nicht zu hören. Das ist Handeln, Herr Dr. Steffel, und zwar verantwortliches Handeln!
Jetzt komme ich zu den Problemen. Wir haben – es ist hier auch schon mehrfach gesagt worden – eine Vielzahl von Meldungen in den letzten Wochen über Unternehmen gehabt, die Arbeitsplätze abbauen oder die sogar gänzlich den Standort Berlin aufgeben wollen. Es ist auffällig, dass diese Meldungen fast durchgängig Meldungen aus Konzernunternehmen waren, die zurzeit nicht nur in Berlin, sondern deutschland- und europaweit, teilweise sogar weltweit Arbeitsplätze und damit auch am Standort Berlin
Das sind alles Unternehmen, die ihre Unternehmenszentralen nicht in Berlin haben, die aufgrund einer konzerninternen Konkurrenzsituation diese Entscheidung treffen. Bei all diesen Entscheidungen sind wir in Diskussionen und Gespräche mit Werksleitern, den Vorständen, den Betriebsräten und Gewerkschaften gegangen. Bei einigen der Unternehmen verhandeln wir noch über Lösungen und geben konkrete Angebote und Unterstützung, sei es auf der Ebene von Liegenschaften, Wirtschaftsförderungen oder anderen Formen von Unterstützung durch Änderung von Rahmenbedingungen. Wir sind gleichzeitig im Gespräch mit den Gewerkschaften und Betriebsräten, welche Angebote von ihrer Seite formuliert werden können. Das ist eine konkrete Arbeit daran, Unternehmen hier in Berlin zu halten beziehungsweise Arbeitsplätze zu sichern. Das werden wir bei all diesen Fragen auch weiter vorantreiben.
Es gehört aber ebenso zur Wahrheit, dass wir neben dem Arbeitsplatzabbau gleichzeitig auch positive Meldungen zu verzeichnen haben. Sie werden sowohl hier, in der politischen Diskussion, als auch in der öffentlichen Diskussion nicht so zur Kenntnis genommen. Ich will auch das eine nicht mit dem anderen aufwägen, denn der Arbeitsplatzabbau, der stattfindet, ist schlimm genug. Er kann nicht beschönigt werden. Aber wenn wir über den Wirtschaftsstandort reden, müssen wir auch über die positiven Entwicklungen sprechen. Da haben wir einmal die Entscheidung von KBE Profilsysteme, ihre Hauptverwaltung mit etwa 100 Mitarbeitern nach Berlin zu verlagern. Wir haben die Entscheidung von DB Cargo und des Logistikkonzerns Stinnes, mit entsprechend vielen Mitarbeitern nach Berlin zu kommen. Wir haben die Entscheidung des Bundesverbandes der AOK, mit 370 Mitarbeitern nach Berlin zu kommen, und wir haben auch die Entscheidung der Trendmesse „Bread & Butter“, nach Berlin zu kommen und sich hier zu etablieren. Und mit einer Vielzahl von weiteren Unternehmen stehen wir im Moment in konkreten Gesprächen, in Verhandlungen. Es wird also auch in nächster Zeit noch positive Meldungen geben. – Das heißt, beides gehört zur Realität des Wirtschaftsstandortes.
Was kann Wirtschaftspolitik auf Landesebene machen? – Das erste Thema ist die Verbesserung von Rahmenbedingungen für Unternehmen. Herr Lindner! Herr Steffel! Das Thema One-Stop-Agency ist keine never- ending story. Bezüglich der Vorlage zur Einführung der One-Stop-Agency lief am 3. Oktober das Mitzeichnungsverfahren aus. Der Senat wird im Dezember dieses Jahres darüber einen Beschluss fassen können. Dann wird nicht endlos diskutiert, sondern Sie bekommen die Vorlage im Abgeordnetenhaus zustellt und werden sich damit auseinander setzen können. Sie haben einen Berichtsauftrag erteilt. Den Bericht werden Sie erhalten. Was wir machen können, werden wir tun.
In meiner Verwaltung ist die Ausrichtung der Umstrukturierung auf die Aufgaben der einen Anlaufstelle. Dazu brauchen wir keine Beschlussfassung des Abgeordnetenhauses und keine Beschlussfassung des Senats. Deshalb wird sie am 1. Januar umgesetzt. Dann wird die neue Struktur der Wirtschaftsverwaltung existieren. Bei allen Unternehmern und Institutionen, mit denen ich bisher über dieses Thema diskutiert und denen ich die Grundkonzeption vorgestellt habe, gab es Zustimmung. Es wurde gesagt: Setzt das um! Macht das jetzt! – Genauso werden wir es tun. Wir werden nicht mehr über die One-Stop-Agency reden, sondern sie wird beschlossen und umgesetzt werden.
Das zweite Thema, das wir angehen – ganz richtig –, ist die Vereinfachung und Abschaffung von Verwaltungsvorschriften. Da gab es den dankenswerten Vorstoß des Innensenators Dr. Körting. Wir sind zur Zeit in der Wirtschaftsverwaltung dabei, selbst die Vorschläge von UVB, der Industrie- und Handelskammer, der Handwerkskammer und andere Vorschläge noch einmal durchzugehen. Wir werden einen Katalog erstellen, wo wir der Auffassung sind, dass Verwaltungsvorschriften vereinfacht oder geändert werden oder wegfallen sollen. Ich glaube, dass das sowohl materiell als auch psychologisch ein wichtiges Signal für den Wirtschaftstandort Berlin wäre.
Frau Paus, wenn mir eine Anmerkung gestattet ist zu Ihrer Bemerkung, der Wirtschaftssenator Wolf verwalte die Erblasten der großen Koalition und sonst nichts: Sicherlich werde ich diese auch verwalten müssen; man kommt nicht umhin. Als ich in die Wirtschaftsverwaltung kam, konnte ich jedoch nicht feststellen, dass in dem halben Jahr, in dem vor mir auf Vorschlag der Grünen Frau von Friesen dieses Amt innehatte, Spuren hinterlassen wurden, bei denen man sagen kann: Hier ist eine Reform angepackt oder vorbereitet worden.
Zu den Rahmenbedingungen gehört auch das Thema Flughafen. Da ist es klar: Dieser Senat hat sowohl im Privatisierungs- als auch im Planfeststellungsverfahren einen Zustand vorgefunden, den wir nicht auf Null zurückdrehen konnten. Wir konnten nur versuchen, in einem insgesamt dilettantisch gesteuerten Verfahren Nachbesserungen vorzunehmen. Es hat uns bisher auch noch niemand gefunden, der uns hat erklären können, was wir bei dem, was wir jetzt in die Wege geleitet haben, hätten besser machen können. So weit es möglich ist, befindet sich das Flughafenverfahren auf gutem Wege.
Ihr Vorschlag, Tempelhof geöffnet zu lassen, ist für das Problem der Interkontinentalflüge und der mangelnden Direktflüge überhaupt keine Lösung; Tempelhof ist dafür der ungeeignetste Standort.
Herr Lindner! Sie sind doch angeblich Marktwirtschaftler. Sie müssten doch wissen, dass für eine Airline entschei
dend ist, ob sie auch die entsprechenden Passagiere für ihre Direktflüge hat, ob genug Passagiere bereit sind, First Class und Business Class zu buchen. Das ist das Problem; in Berlin gibt es offensichtlich noch zu wenig Menschen, die diese Flüge, die gewünscht sind, entsprechend auslasten.
Wir sind im Gespräch mit den Airlines. Wir sind auch der Meinung, dass Vorleistungen getroffen werden müssen. Aber das Thema des Flughafens ist für die Frage der Direktflüge nicht entscheidend. Wir brauchen vorher Direktflüge. Darüber müssen wir mit den Airlines verhandeln, und das tun wir auch.
Was weiter ansteht, ist das Thema Intensivierung der Bestandspflege, ist der Versuch, im Dialog mit den Konzernzentralen, mit den Unternehmen hier im Berlin, aber auch im Dialog mit den Beschäftigten in diesen Unternehmen Wege zu entwickeln, wie man den Standort Berlin stärken kann. Bei Philip Morris ist das erfolgreich gelungen, obwohl man sagen kann, für Zigarettenindustrie ist Berlin nicht unbedingt der beste Standort. Philip Morris hat es geschafft, mit einer über lange Jahre systematisch aufgebauten Investitionspolitik und entsprechenden Produktivitätssteigerungen im Unternehmen einen Zustand zu erreichen, in dem dieser Standort gesichert ist. Dafür können Unternehmen in Berlin die Unterstützung des Senats haben, wenn sie eine langfristige und nachhaltige Strategie zur Sicherung des Standorts und ihres Werks hier in Berlin entwickeln wollen. Dafür wird es die entsprechende Unterstützung und politische Begleitung geben. Jeder kann gewiss sein, dass das so sein wird.
Wir müssen das tun, um die Wirtschaftstruktur insgesamt zu verbessern, Da gibt es eben nicht nur schlechte Nachrichten, sondern es gibt aus dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung auch positive Nachrichten – dass wir es nämlich bei allen Reduktionen, bei allem Arbeitsplatzabbau in der Industrie geschafft haben, strukturelle Veränderungen zu erreichen, die gesamte Industrie besser verflochten zu haben mit Dienstleistungen. Die Industrie ist wissensbasierter, die Produktionstiefe hat zugenommen. Damit sind bessere Voraussetzungen für künftige Wachstumsprozesse geschaffen – auch das ist eine Feststellung des DIW. Darauf müssen wir aufbauen. Das setzt auch weiter intensive Bemühungen der Politik gemeinsam mit den Unternehmen voraus.
Ein weiterer wichtiger Wachstumsbereich ist die Tourismusindustrie. Von Ihnen, Herr Ritzmann, gab es vorhin einen Zwischenruf: „Schon wieder ein Runder Tisch! Sie produzieren hier nur Möbel!“ – Das müssten gerade die Liberalen wissen. Es gibt in begrenzten Teilen der Bevölkerung ein hartnäckiges Vorurteil, dass Sie etwas von Wirtschaftspolitik verstünden. Sie sind zur Zeit gerade dabei, energisch gegen dieses Vorurteil vorzugehen.
Aber wenn Sie in der Wirtschaftspolitik erfolgreich sein wollen, reicht es nicht aus, dass Sie am Senatstisch etwas verfügen, sondern Sie müssen sich mit den Akteuren im Wirtschaftssystem, mit den Gastronomen, mit dem Hotellerieverband, mit den Tourismusunternehmen zusammensetzen und gemeinsame Strategien verabreden. Das geht nur im Dialog, und deshalb ist der Runde Tisch des Regierenden Bürgermeisters vernünftig und kein überflüssiges Gremium. Das verstehen Sie nur nicht.