Protocol of the Session on December 13, 2001

Aktuelle Stunde zum Thema „Olympia 2012 – Verzicht aus Verantwortung“

in Verbindung mit

lfd. Nr. 5:

a) Drucksache 15/51:

Große Anfrage der Fraktion der CDU über Chancen und Perspektiven der Olympiabewerbung Berlins

b) Drucksache 15/52:

Antrag der Fraktion der CDU über Berlin sagt Ja zu Olympia 2012

in Verbindung mit

Drucksache 15/57:

Antrag der Fraktion der FDP über Chance einer Olympiabewerbung Berlins wahren

sowie

Drucksache 15/62:

Antrag der Fraktion der Grünen über keine Luftbuchung für Olympia

Wird der Dringlichkeit der genannten Anträge widersprochen? – Das ist nicht der Fall.

Der Ältestenrat empfiehlt zur Aussprache eine Redezeit von bis zu 20 Minuten pro Fraktion in freier Aufteilung auf die Redebeiträge. – Auch dazu höre ich keinen Widerspruch. Wir verfahren dann so. Eine Wortmeldung liegt von dem Kollegen Müller der SPD-Fraktion vor. – Bitte, Sie haben das Wort!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe den Eindruck, in Berlin gibt es sehr viele Menschen, die sich für die olympische Idee und eine Bewerbung Berlins für die Olympischen Spiele 2012 begeistern können. Es gibt aber mit Sicherheit auch viele Menschen in der Stadt, die Olympische Spiele grundsätzlich nüchtern betrachten und von einer Bewerbung Berlins für 2012 überhaupt nichts halten. Ganz offen: Auch ich fand die Möglichkeit einer Bewerbung Berlins für die Olympischen Spiele 2012 zunächst sehr interessant und stand ihr sehr offen gegenüber. Sie hätte vielleicht ein Signal bis in das nächste Jahrzehnt sein können. Es hätte vielleicht auch wirtschaftspolitische Perspektiven und Impulse gegeben, und für viele Menschen wäre es wahrscheinlich ein großartiges Ereignis gewesen, in ihrer Stadt die Olympischen Spiele verfolgen zu können.

[Vereinzelter Beifall bei der SPD, der CDU und den Grünen – Niedergesäß (CDU): Bravo!]

Nur leider kann man diese Frage nicht einseitig betrachten und beurteilen. Man kann das Thema nicht losgelöst von der aktuellen Situation behandeln. Es ist keine Entscheidung, die man nur mit dem Herzen trifft, sondern sie muss auch mit dem Verstand getroffen werden. Man muss Vor- und Nachteile und sachliche Argumente kühl abwägen, und man muss immer sehen, vor welchem finanzpolitischen Hintergrund wir diese Entscheidung diskutieren.

[Beifall bei der SPD und der PDS]

In den letzten Jahren hat Berlin große finanzpolitische Anstrengungen unternommen. Wir haben viel gespart, gekürzt, Ausgaben reduziert und Einschnitte in praktisch allen Politikbereichen vorgenommen. Das haben viele Menschen in der Stadt gespürt. Deutlich gesagt: Wir sind damit noch nicht am Ende. Die Konsolidierung des Haushalts muss und wird in den nächsten Jahren weitergehen. Es wird weitere Einschnitte und Einsparungen geben. Berlin wird sich auch in den nächsten Jahren in einer dramatischen Haushaltslage befinden. Außer in den Schwerpunkten Bildung und – durch die aktuelle Situation – innere Sicherheit werden wir gezwungen sein, in allen Politikbereichen in den nächsten Jahren Einsparungen vorzunehmen.

Herr Eßer – er ist momentan nicht da – hatte uns vorhin angesprochen, ob wir vor dieser Diskussion Angst haben und deshalb das Thema seiner Aktuellen Stunde abgelehnt haben. Nein, ganz im Gegenteil: Gerade weil die Situation so ist, müssen wir in den nächsten Jahren oft und ausführlich über die Haushaltspolitik diskutieren. Wir werden das offen und schonungslos tun. Deshalb geht es heute in dieser Aktuellen Stunde darum, deutlich zu sagen – das gehört auch zur Haushaltswahrheit und -klarheit –, was nicht geht. Aus diesem Grund muss man an dieser Stelle auch einmal über ein Sachthema reden, denn genau das hat auch mit Finanzpolitik zu tun.

[Beifall bei der SPD und der PDS – Beifall der Frau Abg. Hämmerling (Grüne)]

Wenn wir selbst über Kürzungen im Sozial- und Arbeitsmarktbereich – Bereiche, die sehr sensibel sind und in denen es wirklich schmerzt – sprechen, dann muss die Frage erlaubt sein, ob wir dieses zusätzliche finanzielle Risiko einer Olympiabewerbung eingehen können, ob wir uns das leisten können.

Vor dem Hintergrund dessen, was in den letzten Jahren schon in Berlin geschehen ist, glaube ich nicht, dass wir von einer breiten Akzeptanz für eine Olympiabewerbung bei der Berliner Bevölkerung sprechen können. Das ist aber eine entscheidende Voraussetzung für eine erfolgreiche Bewerbung.

[Beifall bei der SPD – Vereinzelter Beifall bei der PDS und den Grünen]

Darauf muss man immer wieder aufmerksam machen: Wir reden hier zunächst nur über eine Bewerbung mit einem hohen finanziellen Risiko – trotz des möglichen Engagements der Berliner Wirtschaft. Allein die Bewerbung birgt ein großes finanzielles Risiko für Berlin. Das heißt noch lange nicht – manchmal hat man den Eindruck bei der Debatte, die in der Stadt geführt wird –, dass Berlin automatisch den Zuschlag erhält, wenn es sich bewirbt. Die Frage, wer den Zuschlag bekommt, wird mit Sicherheit nicht auf CDU-Landesparteitagen entschieden. Vielmehr befinden wir uns in einer starken, hochkarätigen Konkurrenz, die man auch aushalten muss. Man muss wissen, welches finanzielle Risiko allein die Bewerbungsphase in sich birgt.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage? – Nein!

Sollten wir den Zuschlag für die Ausrichtung der Olympischen Spiele bekommen, werden erneut Milliardenrisiken und -investitionen für Sportstätten auf uns zukommen.

[Niedergesäß (CDU): Bravo!]

Herr Niedergesäß, Sie müssen aber auch beantworten, wie das bezahlt werden soll. Klatschen kann jeder. Das ist einfach. Sie müssen in einer solchen Debatte aber auch eine solide Finanzpolitik vorschlagen. Das haben Sie aber noch nie gemacht und werden es heute wahrscheinlich auch nicht tun.

[Beifall bei der SPD und der PDS – Beifall der Frau Abg. Hämmerling (Grüne)]

Es werden Milliardeninvestitionen für Sportstätten, Verkehrsinfrastruktur und insbesondere für das olympische Dorf auf uns zukommen. Das sind alles Finanzierungsfragen – gerade bezüglich des olympischen Dorfs –, die nicht ansatzweise geklärt sind.

Ich bin der festen Überzeugung, dass die Perspektive Berlins sowohl als Sportstadt als auch als Wirtschaftsstandort wahrlich nicht allein von Olympia abhängt. Wir haben großartige Sportveranstaltungen in der Stadt: Berlin-Marathon, ISTAF, Pokalendspiele – um nur einige zu nennen. Zudem laufen Bewerbungen um weitere internationale Meisterschaften. Nicht zuletzt das Werben um attraktive Spiele im Rahmen der Fußball-WM 2006 zeigt, dass Berlin auch künftig Spitzen- und Breitensport hervorragend vertreten wird, dass sich alle Sportler und Sportbegeisterten mit attraktiven Veranstaltungen in der Stadt wieder finden.

Für den Wirtschaftsstandort Berlin werden – sicherlich mehr als Olympia, wo die heiße Phase auf das Olympiajahr begrenzt ist – strukturelle Maßnahmen entscheidend sein, die langfristig wirken. Bei allen Problemen, die es geben mag, nenne ich zunächst den Großflughafen. Das werden Maßnahmen sein, die entscheidend für die Entwicklung des Wirtschaftsstandorts sein werden. Damit wir den Großflughafen Schönefeld hinbekommen, werden wir nicht lockerlassen.

In der Wirtschaftspolitik geht es nach wie vor um die Reform der Förderlandschaft – insbesondere bezüglich einer Landesstrukturbank. Es geht um die Modernisierung der Verwaltung und um das zielgerichtete Werben um Ansiedlungen. Wir wolle neue Arbeitsplätze bekommen. Es geht um die Attraktivität des Messestandorts, die erhöht werden muss – beispielsweise durch den Bau des Medienzentrums für die Fußball-WM 2006. All das ist für die Wirtschaft wichtig, nämlich dass wir zu diesen strukturellen Maßnahmen kommen. Aber, Herr Niedergesäß, all diese strukturellen Maßnahmen, die uns für die Wirtschaft insbesondere wichtig sind, kosten auch Geld. All diese Maßnahmen müssen auch finanziert werden.

Zu dem notwendigen Mentalitätswechsel und zur politischen Glaubwürdigkeit gehört auch, ehrlich zu sagen: Nicht alles Wünschenswerte ist machbar. Jetzt müssen wir uns auf das konzentrieren, was notwendig und finanzierbar ist. Olympische Spiele oder auch die Bewerbung um die olympischen Spiele, so sympathisch es für viele auch sein mag, ist im Moment eben nicht machbar und nicht finanzierbar. Das muss nicht für alle Zeiten so sein, man muss nicht jede Tür jetzt zuschlagen, aber aus Verantwortung für die Stadt und aus Verantwortung für die Vorhaben, die politisch sehr wichtig sind, die wir gemeinsam umsetzen und finanzieren wollen – ich nenne ausdrücklich den Bildungsbereich, Ausgaben im Sozialbereich –, aus Verantwortung für diese Bereiche muss man heute deutlich und ehrlich sagen: Wir können uns die Bewerbung nicht leisten. Aus diesem Grund werden wir gegen eine Olympiabewerbung stimmen.

[Beifall bei der SPD, der PDS und den Grünen]

Danke schön, Herr Müller! – Das Wort hat nunmehr der Fraktionsvorsitzende der CDU, Herr Dr. Steffel. – Bitte schön, Herr Dr. Steffel!

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir alle erinnern uns noch an die Begeisterung der Australier, als die Olympischen Spiele 2000 nach Sydney vergeben wurden. Das hat uns eindrucksvoll gezeigt, was dieses größte aller Sportfeste für ein Land, einen Kontinent, eine Region, aber insbesondere auch für eine Bewerberstadt bedeu

tet. Wer sich dann noch an die knallenden Sektkorken erinnert, die bei den Nolympics in Berlin explodierten, als die Olympiabewerbung Berlins schief ging, weiß ebenso, was miefige und piefige Kleingeisterei für ein Land, eine Region, aber eben auch für eine Stadt wie unser Berlin bedeutet.

[Beifall bei der CDU und der FDP]

Das ist die Crux der politisch Linken in dieser Stadt. Herr Müller hat eben auf das Wort verzichtet, es ist oft genug gesagt worden: Alles, was Ihren geistigen Horizont übersteigt, bezeichnen Sie gleich als Größenwahn. Das sehen Sozialdemokraten außerhalb von Berlin ganz anders. Herr Runde, der abgewählte rotgrüne Bürgermeister aus Hamburg, sieht in einer Olympiabewerbung seiner Hansestadt Hamburg eine Chance für den ganzen deutschen Norden.

[Cramer (Grüne): Ist ja auch Geberland! – Gaebler (SPD): Die haben auch keinen Landowsky und keine Landesbank!]

Und der SPD-Bürgermeister aus Leipzig, Herr Tiefensee, sagt: „Wir sind nicht wie Größenwahnsinnige, sondern selbstbewusst, ehrgeizig und weltoffen.“ Das genau fehlt dem amtierenden, aber offenbar auch dem zukünftigen Senat: Selbstbewusstsein, Ehrgeiz und Weltoffenheit.

[Beifall bei der CDU und der FDP]

Was Ihnen fehlt, meine Damen und Herren von SPD und PDS, ist ein klares Ziel, eine Stadtidee, ein großer Entwurf, eine Zukunftsvision für unsere so chancenreiche deutsche Hauptstadt. Aber so ist das bei den Linken. Wenn die ganze Stadt über die Ablehnung einer Olympiabewerbung trauert, dann knallen bei Ihnen die Sektkorken. Das war nun wirklich der Triumph Posemuckels über die Metropole.

[Beifall bei der CDU]

Bei einer neuen Umfrage, Herr Müller, hat sich nicht nur die Mehrheit der Deutschen für Berlin als künftigen Olympiastandort ausgesprochen, von Flensburg bis Garmisch. Nein, auch zwei Drittel der Berlinerinnen und Berliner sind dieser Meinung. Nur SPD, PDS und Grüne sind gegen eine Olympiabewerbung Berlins.

Als seinerzeit Erich Honecker seinen Olympiatraum träumte – viele werden sich erinnern –, wurde in Ihrer Partei, Herr Wolf, noch der Jubel von oben durchgestellt. Was das Durchstellen anbelangt, hat sich vielleicht, wenn ich mir die Koalitionsverhandlungen anschaue, nicht allzu viel geändert. Allerdings muss man feststellen, dass in Sachen Zukunft selbst die visionäre Kraft eines Erich Honeckers Sie noch überholt.