Herr Abgeordneter Mutlu! Ich bin Ihnen sehr dankbar für die Frage, ich habe sie nachgerade erwartet.
Die Einführung der Differenzierung, auch der Möglichkeit, drei Stunden von Fünfstundenfächern eine äußere Differenzierung zu machen, vereinbart sich vollkommen mit dem Ziel einer gemeinsamen Grundschule. Ich habe doch nicht gesagt, alles müsse immer gleich sein, sondern es gibt individuelle Förderung – die ist absolut notwendig –, die darin bestehen kann, dass man sich stärker um die Schwächeren kümmert, und zwar systematisch, und auch den Stärkeren Gelegenheit gibt, noch stärker zu werden. Das, finde ich, ist ein vernünftiger Weg in der gemeinsamen Form der Grundschule. Ich sehe darin überhaupt keinen Widerspruch, im Gegenteil, ich möchte auch davor warnen, bei aller Bedeutsamkeit und Wichtigkeit der sechsjährigen Grundschule, an der ich festhalte, zu sagen, es bleibe alles wie es ist. Es gibt einen wichtigen Punkt: Wir müssen sicherlich in Berlin auch noch dazu kommen, etwas exakter zu wissen – und nicht nur zu vermuten und zu behaupten –, was wir am Ende der sechsjährigen Grundschule erreichen.
Auch das werden wir in Berlin messen und dann bestimmte Positionen für die Grundschule etwas akzentuieren müssen.
Nein, Frau Kollegin, das ist nicht gestrichen. Darüber werden wir uns aber an anderer Stelle unterhalten. Wir reden über Priorität trotz knapper Kassen.
Der dritte Punkt, zu dem ich etwas sagen möchte, ist die systematische Förderung von Bildungsbenachteiligten. Herr Kollege Mutlu hat den Sachverhalt bereits kritisiert, und den kann ich nicht schön reden. Ich sage noch einmal: Wir verschenken gegenwärtig in Berlin Begabungsreserven, weil Kinder und junge Leute mit Migrationshintergrund durch unser Bildungssystem nicht integriert werden und damit keinen Erfolg haben. Das müssen wir ändern, und zwar in unserem eigenen Interesse.
Es gibt bei diesem Vorgang sicherlich auch Eines, das ich an dieser Stelle sehr schroff benennen möchte: Die Integration gelingt nur dann, wenn die Kinder v o r der Schule und in der Schule zu einem sehr frühen Zeitpunkt Deutsch lernen. Nur dann kann die Integration gelingen.
Dies bedeutet dann aber auch, dass wir in der Bundesrepublik auf der linken, der rechten und allen Seiten des politischen Spektrums endlich von Folgendem wegkommen müssen: So sehen einige in der Pflicht zum Deutschlernen sozusagen die „Zwangsgermanisierung“ und verflüchtigen sich in ein wunderschönes Multikulti-Projekt. Das ist der eine Fehler. Ein andere Fehler ist es, wenn man wegguckt und so tut, als sei die Zuwanderung nur ein zeitliches Problem und die Bundesrepublik Deutschland kein Einwanderungsland, so dass man sich um diejenigen, die hierher gekommen sind, nicht zu kümmern bräuchte. – Beide Positionen sind falsch. Wir müssen die Herausforderung annehmen, können aber auch zu Recht einfordern und fördern, dass Deutsch gelernt wird. [Beifall bei der SPD]
Das setzt im Übrigen dann auch voraus, dass man eine entsprechende Verwendung der knappen Ressourcen – und darüber reden wir – vornimmt. Wenn ich entscheiden muss, wo ich die – nicht nur in Berlin, sondern generell begrenzten – Ressourcen einsetze, komme ich zu folgendem Schluss: Ich setze die Ressourcen ein, damit die Kinder mit Migrationshintergrund und benachteiligte Kinder Deutsch lernen können. Die nächste Priorität – vielleicht eine Möglichkeit in einigen Fällen, aber nicht als durchgängiges Projekt – hat das Erlernen ihrer Muttersprache. Das wäre sonst nicht zu finanzieren, und insofern werden wir diese Priorität setzen.
Der nächste Punkt ist die Qualitätsentwicklung in den Gymnasien. Hier ist, wie ich fand, in völlig unzulässiger Weise ein Zeitungsartikel zitiert worden. Der Umbau der gymnasialen Oberstufe verläuft unter aktiver Beteiligung der Betroffenen. Die Lehrerinnen und Lehrer und Schulleiter werden auch rechtzeitig informiert. Es trifft nicht zu, dass es hierbei ein System mit stiller Post gibt. Das ist wirklicher Unfug. Dies wird in den Gremien vorbereitet und vorgestellt, und die Lehrerinnen und Lehrer und die einzelnen Schulleitungen erhalten rechtzeitig und komplett die genaueren Informationen, die in der Tat auch notwendig sind. Im Übrigen wird das Ganze nur möglich sein, wenn dieses Haus eine rechtliche Änderung vornimmt. Auch das werden wir demnächst dem Haus zuleiten.
Ein weiterer wichtiger Punkt ist der Aufbau eines neuen Leitbildes für die Schule. Man kann das generell so sagen: Was wir getan haben – ich sage „wir“, alle politischen Parteien –, ist Folgendes: Wir haben die Schulen mit einem bürokratischen Korsett umlegt und in einem Maße verrechtlicht, dass es kaum noch Bewegungsmöglichkeiten gibt. Wir haben die Schule gewissermaßen so administriert, dass kaum Freiräume für pädagogische Initiativen da sind. Auf der anderen Seite haben die Schulen gegenwärtig die grenzenlose Freiheit, was ihre Ergebnisse betrifft. Ich meine, das muss man gewissermaßen umkehren: Man muss den Schulen pädagogische Freiheiten geben. Die Schulen brauchen ein Budget und die Möglichkeit, dieses Budget selbständig und eigenverantwortlich zu verwalten. Sie brauchen auch in hohem Maße Personalhoheit, aber wir brauchen auf der anderen Seite sehr klare und präzis definierte Qualitätsstandards, die die Schulen leisten müssen. Das ist keine zusätzliche Überprüfung von Schülerinnen und Schülern, sondern das ist eine Überprüfung der Standards der einzelnen Schule.
Ich bin dafür, solche Standards zu entwickeln, und werde im Bereich der Kultusministerkonferenz dafür eintreten, dass diese Standards auch bundesweit definiert werden. Das sollte bundesweit einheitlich geschehen, denn es ist ein selbstverständlicher Anspruch von Menschen, die aufgrund der Mobilität an andere Orte kommen, dass gleichgültig, ob man in Flensburg oder in Füssen, in Düsseldorf oder in Berlin zur Schule geht, bestimmte Standards in bestimmten Schulstufen und Schulfächern eingehalten werden. Die Kultusministerkonferenz sollte sich dazu aufschwingen, das zu ermöglichen. Es ist keine Schwächung, sondern eine Stärkung des Föderalismus, wenn man so verfährt.
In Bezug auf die Lehrerausbildung kann ich betonen, dass Berlin – das ist auch hervorgehoben worden – die entscheidenden Schritte gehen wird. Die Veränderung der Lehrerbildung – Frau Kollegin Tesch, Sie haben darauf hingewiesen – setzt ein energisches Arbeiten in den Universitäten voraus. Denn Modularisierung ist wunderbar, und die Abstimmung zwischen Fachwissenschaft, Fachdidaktik und der Bezugswissenschaft ist sehr bedeutsam, aber das kann wirklich nur gelingen, wenn die Damen und Herren Professoren dann auch tatsächlich ihren Stoff, den sie vermitteln, und ihre Projekte damit abstimmen und das nicht gewissermaßen im Hinterkopf des Lehramtstudenten geschehen muss. Das ist die Hauptaufgabe der Universitäten. Ich bin aber sehr dankbar, dass die zu diesen Schritten bereit sind.
Ein allerletzter Hinweis: Wenn man über Bildungspolitik spricht, kann man sich über vieles streiten – mal mit mehr, mal mit weniger Niveau. Bei den Anforderungen an die staatliche Bildungspolitik dürfen wir aber Eines nicht außer Acht lassen – auch das hat PISA gezeigt: Bildungspolitik und deren Erfolg hängen in einem hohen Maße vom Engagement der Eltern ab. Eltern haben auch eine Verantwortung und diese müssen sie wahrnehmen,
sonst kann staatliche Bildungspolitik kaum erfolgreich sein. Ich weiß, dass wir helfen wollen und helfen müssen, aber ohne Engagement der Eltern oder auch der Großeltern – generell von Bezugspersonen – wird es nach meiner Überzeugung nicht gehen.
Zum Schluss: Wir reden viel von Zukunft in diesem Land und viel von positiver Veränderung. Ich bleibe dabei: Die Zukunft in diesem Land beginnt jeden Morgen um 8 Uhr bei Schulbeginn. – Vielen Dank!
Gestatten Sie mir von dieser Stelle aus – da jetzt doch einige Regierungsmitglieder mehr anwesend sind – noch einmal einen Hinweis: Ihre Interpretation der Geschäftsordnung ist sehr weit gehend, Herr Senator! Unsere Geschäftsordnung sieht nicht die freie Redezeit für den Senat vor, sondern bestimmt sie in Anlehnung an die Redezeit der Fraktionen. Ich bitte alle Senatorinnen und Senatoren herzlich, sich gemeinsam an die im Ältestenrat – und im Ältestenrat ist der Senat auch immer vertreten – vereinbarten Redezeiten zu halten. Das war von unserer Seite aus eine, wie ich hoffe, angemessene und doch auch sehr großzügige Behandlung. Aber ich bitte gleichzeitig, das jetzt nicht zu überstrapazieren und es in den nächsten Sitzungen und bei den nächsten Redezeiten des Senats höflichst zu beachten. – Danke schön!
Wir kommen jetzt in die zweite Rederunde. Für diese Rederunde haben wir eine Redezeit von fünf Minuten pro Fraktion vereinbart. Das Wort hat zunächst Frau Abgeordnete Harant. – Bitte schön!
Frau Präsidentin! Sehr verehrte Damen und Herren! Die Vorstellung, die die Opposition bei einem solch wichtigen Thema gegeben hat, finde ich schon erstaunlich.
Herr Goetze findet Bildung nicht aktuell, redet über Klopapier und zeichnet ansonsten ein Bild des Elends.
Frau Senftleben hat Angst, dass die Einführung von Bildungsstandards das Niveau in Berlin senken könnte, und konterkariert damit jeden Ansatz zu Qualitätskontrollen.
Und Herr Mutlu, Sie regen sich künstlich auf, dass die Koalition Ideen aufgreift, die die Grünen auch schon mal hatten. Das wäre doch eigentlich ein Grund zur Freude. – Noch ein Zitat von Ihnen, wenn Sie erlauben: Eine Stunde Deutsch mehr heißt bei Herrn Mutlu eine Stunde mehr vom Schlechten. Herr Mutlu, Sie sehen mich etwas ratlos bei Ihrer Interpretation.
Ich denke, die entscheidende Herausforderung für die Bildungspolitik, sowohl in Deutschland als auch in Berlin, ist die Verbesserung der Qualität. Und darum geht es heute. Und darum haben wir dieses Thema nochmals auf die Tagesordnung gesetzt. Die Ausführungen des Bildungssenators stimmen mich da durchaus hoffnungsvoll. Denn wir haben gesehen, es bewegt sich wirklich eine ganze Menge in Berlin, und zwar in die richtige Richtung. Dies belegen die Maßnahmen, die geplant sind. Es ist eine ganze Fülle, ein dickes Papier, das Ihnen auch vorliegt; Maßnahmen zur Entwicklung der Qualität, zur Sicherung der Qualität. Sie sind in Angriff genommen, sie sind in ersten Schritten bereits umgesetzt.
Ein bisschen schade ist es, wenn – wie es heute auch wieder geschehen ist – immer wieder der Versuch gemacht wird, bei diesem Thema die alte, verstaubte Strukturdebatte neu zu beleben. Ich denke nicht, dass die Lehrkräfte oder die Eltern Interesse daran haben, noch mal diese Schaukämpfe zu beobachten zwischen den Gegnern des Gesamtschulsystems und den Gegnern des gegliederten Systems.
Der Erfolg und die Leistungsfähigkeit eines Schulsystems ist nämlich nur sehr vage von seinen äußeren Strukturen abhängig. Also, ich bitte Sie alle, sparen wir uns doch diese Debatte. Konzentrieren wir unsere Kräfte auf die ganz konkreten Verbesserungen. Das sind kleine Schritte, das dauert. Das ist mühsam. Aber das müssen wir in Angriff nehmen.