Protocol of the Session on May 30, 2002

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich eröffne die 12. Sitzung des Abgeordnetenhauses von Berlin. Ich begrüße Sie, unsere Gäste und Zuhörer sowie die Medienvertreter recht herzlich. Möglicherweise kann das Fernsehen noch nicht ganz von Anfang an live übertragen, weil es durch den Blitzschlag im Hause bleibende Schäden gegeben hat, die an allen Ecken und Enden erst überwunden werden müssen, und die Geheimnisse der Technik machen es so, dass manches geht und manches nicht geht.

Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, möchte ich Ihnen Grüße überbringen und zwar G r ü ß e d e s A l t o b e r b ü r g e r m e i s t e r s u n d d e s A l t v i z e p r ä s i d e n t e n T i n o S c h w i e r z i n a , der heute 75 Jahre alt geworden ist. Ich habe ihm im Namen des Hauses gratuliert, und er lässt Sie grüßen.

[Beifall]

Das gibt mir auch Anlass, daran zu erinnern, dass Tino Schwierzina altersgemäß nicht nur in gutem gesundheitlichen Zustand ist, sondern auch daran zu erinnern, dass heute vor zwölf Jahren die erste frei gewählte Stadtverordnetenversammlung in Berlin zusammengetreten ist und Tino Schwierzina zum Oberbürgermeister gewählt hat. Zwölf Jahre auf den gleichen Tag, da sollte man schon innehalten und daran denken, was in zwölf Jahren verändert worden ist, was trotz allem immer noch geblieben ist und was erst langsam zusammenwächst, weil es zusammengehört. Also, heute vor zwölf Jahren – die, die dabei waren, werden sich mit Freuden daran erinnern, es sind nicht mehr so viele, aber doch einige, und die haben vor allen Dingen das bessere Gedächtnis – nicht wahr, Herr Flemming? Im Gedenken an die Historie sollten wir in unsere Arbeit eintreten.

Bevor ich das allerdings mache, habe ich einem jüngeren Mitglied zum G e b u r t s t a g z u g r a t u l i e r e n , nämlich dem K o l l e g e n S c h r u o f f e n e g e r, der heute 40 Jahre alt wird. H e r z l i c h e n G l ü c k w u n s c h , alles Gute!

[Beifall]

Herr S t a a t s s e k r e t ä r H ä r t e l hat heute auch G e b u r t s t a g dann g r a t u l i e r e n w i r ihm auch und freuen uns und wünschen ihm alles Gute

[Beifall]

vor allen Dingen Gesundheit, gute Arbeit im Sinne Berlins und freuen uns darauf, dass er diesen Tag heute mit uns in Freuden bis ganz spät verbringt. Das ist immer das Netteste, im Kreis von Freunden und Gleichgesinnten den Tag verbringen zu können.

[Heiterkeit]

Damit meinte ich das ganze Haus, wohlgemerkt.

Dann habe ich Geschäftliches mitzuteilen:

Die F r a k t i o n d e r F D P hat mit Schreiben vom 22. Mai erklärt, dass ihr A n t r a g über Internationales Medienzentrum für die Fußballweltmeisterschaft 2006 in Berlin ansiedeln – D r u c k s a c h e 15/186 – auf Grund der veränderten Sachlage für e r l e d i g t anzusehen ist.

Dann habe ich Ihnen noch zur Entscheidung v e r ä n d e r t e A u s s c h u s s ü b e r w e i s u n g e n b z w e i n e Ä n d e r u n g d e r F e d e r f ü h r u n g vorzuschlagen. In unserer 7. Sitzung am 21. März hatten wir den A n t r a g d e r F r a k t i o n B ü n d n i s 9 0 / D i e G r ü n e n über Haushaltskonsolidierung durch Beschäftigungsangebote für Sozialhilffeempfänger – D r u c k s a c h e 15/300 – zur Beratung an den Ausschuss für Arbeit, Berufliche Bildung und Frauen sowie an den Hauptausschuss überwiesen. Den A n t r a g d e r F r a k t i o n Bündnis 90/Die Grünen über Beschäftigung von Sozialhilfeempfängern verbessern – D r u c k s a c h e 15/301 – an den Ausschuss für Arbeit, Berufliche Bildung und Frauen federführend und mitberatend an den Ausschuss für Gesundheit, Soziales, Migration und Verbraucherschutz. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bittet nun darum und beantragt, den Antrag Drucksache 15/300 noch zusätzlich an den Ausschuss für Gesundheit, Soziales, Migration und

Verbraucherschutz zu überweisen und diesem Ausschuss auch die Federführung zuzuordnen und beim Antrag Drucksache 15/301 die Federführung zu ändern. Das heißt, die Federführung hat nunmehr der Ausschuss für Gesundheit, Soziales, Migration und Verbraucherschutz. Also sozusagen eine Harmonisierung. – Widerspruch höre ich nicht. Dann ist das so beschlossen.

Dann kommt der nächste Punkt. Die F r a k t i o n d e r C D U hat darum gebeten, dass ihr Antrag über Mittel für die Freien Träger sichern – D r u c k s a c h e 15/185 –, der in unserer 5. Sitzung am 21. Februar an den Ausschuss für Jugend, Familie, Schule und Sport sowie an den Hauptausschuss überwiesen wurde, n u n m e h r a u c h m i t b e r a t e n d an den Ausschuss für Gesundheit, Soziales, Migration und Verbrauerschutz überwiesen werden soll. – Da höre ich keinen Widerspruch, dann ist auch das so beschlossen.

Der weitere Wunsch der CDU, auch die Anträge über Trägervielfalt im Lande Berlin sicherstellen – Drucksache 15/284 – sowie über bessere Steuerung zur Erfüllung gesetzlicher Leistungen durch das Land Berlin und Sicherung des sozialen Netzes – Drs. 15/430 – an den für Sozialfragen zuständigen Ausschuss zu überweisen, ist bereits erfüllt, da wir dies in unserer 7. bzw. 11. Sitzung bereits vorgenommen hatten.

Am Montag sind drei A n t r ä g e a u f D u r c h f ü h r u n g e i n e r A k t u e l l e n S t u n d e eingegangen, und zwar

1. Antrag der Fraktion der SPD und der Fraktion der PDS zum Thema: „Licht in den Behördendschungel bringen – Bürgerservice verbessern durch Verwaltungsreform“,

2. Antrag der Fraktion der CDU zum Thema: „Kostentreiber Euro, Geldfalle Internet, verseuchte Bioprodukte – wie schützt der Senat die Berliner Verbraucher?“,

3. Antrag der Fraktion der Grünen zum Thema: „Nach der Bankgesellschaft jetzt die Wasserbetriebe, Holdingkonstruktion bringt Verluste von einer halben Milliarde“.

Die Koalitionsfraktionen haben ihren Antrag am Dienstag im Ältestenrat zurückgezogen. Ich vermute, es besteht der Wunsch nach Begründung der Aktualität. – Hierzu rufe ich Herrn Brinsa von der Fraktion der CDU auf. – Bitte schön, Herr Brinsa! Sie haben das Wort zur Begründung der Aktualität.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte unseren Antrag damit begründen, dass jetzt in der Öffentlichkeit insbesondere die Verbraucherschutzaktivitäten eine große Aktualität erlangt haben und seit Tagen öffentlich diskutiert werden. Wir sind der Meinung, dass die Bevölkerung in Berlin einen Anspruch darauf hat, zu erfahren, was der Berliner Senat für die Bevölkerung, für den Verbraucher unternehmen wird, um dieses Unheil, nämlich vergiftete Ökoprodukte, von Berlin fernzuhalten bzw. die Bevölkerung zu warnen. Wir schlagen deshalb vor, wie bereits im Ältestenrat besprochen, und legen Wert darauf, dass wir zunächst über die Verbraucherschutzthemen, die wir angemeldet haben, die Aktuelle Stunde durchführen.

[Beifall bei der CDU]

Danke schön, Herr Kollege Brinsa!

Sodann hat sich der Kollege Eßer von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Begründung der Aktuellen Stunde zu Wort gemeldet. Bitte schön, Herr Eßer!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Werte Kollegen von der CDU! Sie wollen heute mit uns über die kriminelle Verseuchung von Futtermitteln mit einem seit über zehn Jahren verbotenen Pflanzenschutzmittel diskutieren. Was das Berliner Abgeordnetenhaus dazu beitragen kann, solche Machenschaften – in Niedersachsen vermutlich – zu verhindern, bleibt mir unerfindlich. Und was das Berliner Abgeordnetenhaus dazu beitragen kann, die Schuldigen zu ermitteln und der verdienten Bestrafung zuzuführen, ist mir auch nicht klar.

[Zuruf des Abg. Rabbach (CDU)]

(A) (C)

(B) (D)

Das Einzige, das Sie dafür tun können, die Bevölkerung in Zukunft besser vor Lebensmittelskandalen dieser Art zu schützen, ist, Ihre Parteifreunde bundesweit dazu zu veranlassen, dem neuen Verbraucherschutzgesetz der Bundesregierung zuzustimmen, anstatt es im Bundesrat zu blockieren.

[Beifall bei den Grünen, der SPD und der PDS]

SPD und PDS wollen offenbar gar nicht diskutieren; jedenfalls haben sie keinen Vorschlag gemacht. Sie wollen offenbar nur ungestört regieren und scheinen dabei die parlamentarische Demokratie misszuverstehen.

[Unruhe]

Das Parlament ist dazu da, lieber Herr Liebich, die Regierungstätigkeit hartnäckig und konsequent zu kontrollieren und dem Senat, wenn es sein muss, auch unbequeme Diskussionen aufzuzwingen.

[Zuruf des Abg. Pewestorff (PDS)]

Die Krise der Berliner Wasserversorgung ist so ein Fall! Auf den Verzehr von Hühnern kann ich zur Not verzichten, auf Wasser nicht. Und da stehen die Zeichen auf Sturm. Denn wenn Sie so weitermachen, werden die Berliner in Zukunft mehr Geld für schlechteres Wasser bezahlen müssen. Die Weichen dafür werden jetzt gestellt, und deswegen ist unser Themenvorschlag: „Nach der Bankgesellschaft jetzt die Wasserbetriebe“ brandaktuell.

[Beifall bei den Grünen – Unruhe]

Ja, in einigen Wochen könnte der Zug schon abgefahren sein und zwar in die falsche Richtung!

Fünf Punkte, mit denen Sie sich auseinandersetzen sollten, nenne ich Ihnen im Folgenden:

Erstens: Sie haben uns einen Haushaltsentwurf vorgelegt, der ab 2003 eine Konzessionsabgabe auf Wasser in Höhe von 68 Millionen $ jährlich vorsieht. Und heute bringen Sie eine Gesetzesänderung ins Parlament ein, die es den Wasserbetrieben erlauben soll, diese Konzessionsabgabe umgehend auf die Kunden überzuwälzen.

Zweitens: Im gleichen Gesetzentwurf wollen Sie die Abschreibungsregelung so verändern, dass die Wasserbetriebe zusätzliche Rücklagen bilden können, wobei diese Rücklagenbildung ebenfalls spätestens ab 2004 auf den Wasserpreis abgewälzt werden darf.

Drittens: Zusätzlich haben Sie uns ein Haushaltsgesetz vorgelegt, nach dem das Land Berlin eine Bürgschaft in Höhe von 198 Millionen $ für die hochverschuldete und defizitäre Telekommunikationstochter Berlikomm übernehmen soll. Diese Bürgschaft löst kein einziges betriebswirtschaftliches Problem und beseitigt die Defizite nicht. Ich bin auch nicht sicher, ob wir wirklich juristisch dazu verpflichtet sind. Deshalb gilt auch hier: Wenn sich die Bürgschaft nicht in einen verlorenen Zuschuss verwandeln soll, wird sich ihre Refinanzierung ebenfalls im Wasserpreis wiederfinden, spätestens ab 2004.

Viertens: Die Wasserbetriebe haben mindestens in zwei Fällen Einnahmen verbucht, die im vergangenen Jahr nicht geflossen sind. Das ist schlicht skandalös.

[Beifall bei den Grünen und der SPD]

Sie werden aber die Verluste der Wasserbetriebe nicht dauerhaft verschleiern können. Deshalb wird uns die Rechnung für die Pleitesituation des Tochterunternehmens SVZ ebenso präsentiert werden wie für die Überkapazitäten der Wasserbetriebe selbst. Was wollen Sie denn dann tun? Weitere Bürgschaften geben? Wollen Sie dann weitere Preiserhöhungen genehmigen? Oder wollen Sie alternativ Absenkungen der Wasserqualität zulassen, um die betriebswirtschaftlichen Defizite der BWB zu kaschieren?

Fünftens: Der Finanzsenator, Herr Sarrazin, spekuliert bereits öffentlich über die komplette Privatisierung der Berliner Wasserbetriebe, um die Krise zu beheben und frisches Geld in die Landeskasse zu bekommen. Herr Sarrazin, wollen Sie ernsthaft

die Trinkwasserversorgung von 3,4 Millionen Menschen in ein privates Monopol verwandeln, das uns bei diesem durch nichts zu ersetzenden Stoff die Preise und die Qualität in Zukunft diktieren kann?

Über all diese Fragen würden wir gerne gesammelt mit Ihnen diskutieren; nicht verstreut über mehrere Gesetzestexte und nicht scheibchenweise in den nächsten Wochen und Monaten, sondern heute, ehe es zu spät ist, die Weichen richtig zu stellen. Deshalb bitte ich Sie noch einmal eindringlich: Stimmen Sie unserem Themenvorschlag für die heutige Aktuelle Stunde zu!

[Beifall bei den Grünen]

Eine Bemerkung noch an die Damen und Herren von der SPD. Aus Ihren Reihen habe ich das Argument gehört, wir würden uns ja am Samstag im Vermögensausschuss über dieses Thema unterhalten. Ich sage Ihnen: Nicht nur die Mitglieder des Vermögensausschusses trinken Wasser hier in Berlin, sondern die gesamte Bevölkerung. Deswegen ist dies eine Diskussion, die an die Öffentlichkeit gehört und nicht nur in vertrauliche Ausschüsse.