Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 9. Sitzung des Abgeordnetenhauses von Berlin und begrüße Sie, unsere Gäste, unsere Zuhörer und auch die Zuschauer draußen herzlich zu unseren heutigen Haushaltsberatungen.
Bevor wir mit unseren Beratungen beginnen, möchte ich Sie bitten, sich von Ihren Plätzen zu erheben.
Wir gedenken heute eines Mannes, der fast vier Jahrzehnte lang politische Verantwortung in und für Berlin getragen und sich um unsere Stadt verdient gemacht hat.
Im Alter von 77 Jahren ist am 22. März der S t a d t ä l t e s t e von Berlin H a n s - G ü n t e r H o p p e v e r s t o r b e n. Er gehörte seit 1952 zu den profiliertesten und einflussreichsten Politikern unserer Stadt. Mit ihm verliert Berlin eine Persönlichkeit, die über Parteigrenzen hinweg Vertrauen und hohes Ansehen genoss.
Hans-Günter Hoppe gehörte von 1952 bis 1959 und wieder von 1963 bis 1973 der damaligen FDP-Fraktion des Abgeordnetenhauses von Berlin an. Von 1955 bis 1959 und von 1971 bis 1973 war er Stellvertretender Präsident des Abgeordnetenhauses von Berlin. Von 1963 bis 1967 war Hans-Günter Hoppe Senator für Finanzen, dann bis 1971 Senator für Justiz. Anschließend hat er von 1972 bis 1990 – also 18 Jahre lang – Berlin im Deutschen Bundestag vertreten.
Hans-Günter Hoppe war Parlamentarier aus Leidenschaft, aber er hat 1963 ohne Zögern Verantwortung in der Exekutive, im Senat von Berlin, übernommen. Für ihn war Berlin die Stadt des deutschen Schicksals, das auch sein Schicksal war, denn er war als Jura-Student der Universität Rostock 1949 nach Westberlin geflüchtet, weil er mit der sowjetischen Besatzungsmacht in politischen Konflikt geraten war.
Sein jahrzehntelanges politischen Wirken war durch die Überzeugung geprägt, dass Deutschland seine Einheit wiedererlangen werde. Im Gegensatz zu manchen anderen Politikern hat er diese Hoffnung nie aufgegeben.
Er hat immer versucht, die Folgen der deutschen Teilung zu lindern und die Grenzen zu überwinden. Im Deutschen Bundestag erwarb er sich als Vorsitzender des Ausschusses für innerdeutsche Beziehungen bei allen Fraktionen großes Ansehen.
Seine größte Freude war es, am 9. November 1989 – seinem 67. Geburtstag – die Öffnung der Mauer miterleben zu können, – eines der Ziele, für die er seit Jahrzehnten gearbeitet hatte.
Abgeordnetenhaus und Senat haben Hans-Günter Hoppe 1993 mit der Würde eines Stadtältesten von Berlin geehrt. Diese Auszeichnung konnte nur ein kleiner Dank für seine Verdienste um unsere Stadt sein.
Hans-Günter Hoppe war – wie eine Zeitung zu Recht schrieb – ein „Grandseigneur der Politik“. Seine Kompetenz und Überzeugungstreue, aber auch seine Menschlichkeit und sein Humor werden in Erinnerung bleiben. Berlin sagt ihm Dank für sein jahrzehntelanges politisches Wirken.
Wahl eines Senators für die Senatsverwaltung für Wissenschaft, Forschung und Kultur und eines Bürgermeisters von Berlin
unter Bezugnahme auf meine Schreiben vom 24. März 2000 und vom 5. April 2000 teile ich Ihnen mit, dass ich gemäß Artikel 56 Absatz 2 der Verfassung von Berlin Herrn
Prof. Dr. Christoph Stölzl zur Wahl zum Senator für die Senatsverwaltung für Wissenschaft, Forschung und Kultur vorschlage.
Darüber hinaus schlage ich gemäß Artikel 56 Absatz 2 der Verfassung von Berlin den Senator für Inneres, Herrn Dr. Eckart Werthebach, zur Wahl für das Amt eines Bürgermeisters vor.
Ich möchte Sie bitten, über beide Vorschläge eine Entscheidung des Abgeordnetenhauses von Berlin herbeiführen zu lassen.
Im Ältestenrat hat die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen um Aussprache zu den Kandidaten gebeten. Hierzu empfiehlt der Ältestenrat eine Redezeit von bis zu fünf Minuten pro Fraktion, wobei wir diese Redezeit großzügig auslegen werden. Gibt es Wortmeldungen? – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat das Wort der Abgeordnete Wieland – bitte sehr!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Flucht von Frau Thoben aus der Verantwortung und vor der Verantwortungslosigkeit von Eberhard Diepgen erzwingt heute eine Senatsneubildung in geradezu italienischem Tempo. Die Chance allerdings, hier zu einem tatsächlichen Nachbessern zu kommen, diese Chance wird vertan. Man tut so, als müsse man den Kübeln von Hohn und Spott, die gerade diese Woche über den Senat und über die große Koalition ausgegossen wurden, vom „Spiegel“ bis zur „Süddeutschen Zeitung“, Verifizierung angedeihen lassen, als müsse man sie unter Beweis stellen.
Hier wird von einer tief eingefressenen Mediokrität der Berliner Politik gesprochen. Ich zitiere aus der „Süddeutschen Zeitung“, was dort der frühere Redenschreiber von Willy Brandt, Klaus Harpprecht, ausführt:
Dem einzigen politischen Talent, das den Namen verdiente, der unkorrumpierbaren Finanzsenatorin Annette FugmannHeesing, stellt die SPD den Stuhl vor die Tür, um für einen Karrieristen Platz zu schaffen, dessen Namen sich keiner merken kann. Vorstädtisches Kleinbürgerkaro durchsetzt von schleimiger Schlauheit, einem heimlichen Hang zu Hochstapelei und einem Stich ins Unseriöse – das ist die Grundmentalität, die in den Jahrzehnten der subventionierten Existenz Westberlins und in volkseigener Variante auch in Ostberlin vor sich hin wuchern durfte.
So kritisch, so böse wird das, was in dieser Stadt auf der politischen Ebene vor sich geht, von außen gesehen. Man hätte heute diese Kritiker Lügen strafen können. Man hätte uns ja zum Beispiel die längst fällige Justizsenatorin präsentieren können in der Tradition einer Jutta Limbach und in der Tradition einer LoreMarie Peschel-Gutzeit. Nichts davon geschieht. Man schlägt uns hier geradezu vor, den Frauenanteil im Senat auf eine einzige Person zu reduzieren, so dass wir innerhalb von zehn Jahren vom damaligen Feminat unter Walter Momper in Etappen heute auf dem Stand der Adenauerzeit landen werden – eine Alibiministerin, Frau Schwarzhaupt, in einem Männerkabinett. Da sagen wir: Gute Nacht! und da sagen wir: Das ist eine Schande!
Nun schlägt man uns Herrn Stölzl als neuen Senator für Kultur und Wissenschaften vor. Herr Landowsky sagt: Der richtige Mann zum richtigen Zeitpunkt. Da fragt man natürlich: War er das vor vier Monaten noch nicht? Musste er noch nachreifen, oder wie ist zu verstehen, dass er erst heute uns hier präsentiert wird? Dass er bei Ihnen offenbar zweite Wahl war, Herr Landowsky, spricht für ihn, spricht nicht gegen ihn.
Sie sagen auch, Sie wollen heute dem Nachwuchs die Chance geben. Ich hoffe, dass Sie nicht als Ihr eigener Nachwuchs hier gleich reden werden.
Der Besuch von Herrn Stölzl in unserer Fraktion war intellektuell anregend, das sagen wir frei. Er möchte gern, wenn auch mit zittriger Hand, von uns Grünen gewählt werden, sagte er. Das ehrt uns und macht ihn sypathisch, das sage ich auch frank und frei. Man muss auch sagen, in einer Zeit, wo ein gewisser Zlatko, der Shakespeare nicht kennt, zum Volkshelden avanciert, ist er der richtige Antityp, wie die Presse sagt,
dieser barock-elegante Paradiesvogel. Nun kommt ein großes Aber. Wir wählen hier nicht die neue Besetzung der RTLBaracke. Wir wählen hier nicht den Guru für die Berliner Salons. Wir können auch nicht den Nachfolger von Marcel Reich-Ranicki im „Literarischen Quartett“ hier bestellen, sondern gesucht wird ein Kultur- und Wissenschaftsmanager, der oberste Kultur- und Wissenschaftsmanager dieser Stadt. Wenn dann Herr Stölzl sagt, nachdem seine Vorgängerin geradezu verzweifelt und gescheitert ist an der fehlenden Finanzdecke: Kassensturz ist am Freitag, dann werden wir mal sehen, und den Idealisten herauskehrt und sagt, wenn die geistigen Koordinaten nur stimmen, dann kommt auch das Geld, dann müssen wir leider sagen: Das, Herr Stölzl, ist uns zu wenig. Zu so viel Abenteurertum sagen wir Nein. Und wir trösten Sie, weil Sie es sind, mit einem Zitat von Schiller, Sie, den Herold der Fröhlichkeit – ich zitiere:
Die Gabe unserer Stimmen bekommen Sie heute nicht, Herr Stölzl! [Beifall bei den Grünen – Oh! bei der CDU]
Keinerlei Überlegungen, keinerlei Abwägungsprozess bedarf es, zu sagen: Herrn Werthebach nun als Prämie für anderhalbjähriges Versagen als Innensenator zum Bürgermeister zu wählen, das lehnen wir rundheraus ab.
Es ist doch ein Treppenwitz, dass wir erstmals nach der Verfassung zwei Bürgermeisterstellen haben, und nun seit Jahrzehnten das erste Mal diese beiden Bürgermeisterstellen männlich besetzen werden. „Wir um 60“, und zwar „wir Männer um 60“, da haben nicht nur das Beispiel der Präsidenten und Vizepräsidenten, wir werden jetzt auch noch das Beispiel des Regierenden Bürgermeisters und der Bürgermeister haben. Das alles darf doch wohl nicht wahr sein. Warum sich jemand qualifiziert haben soll, dessen Aktivitäten bei dem Kurdensturm auf die Konsulate unterhalb der Nachweisschwelle waren, warum sich jemand qualifiziert haben soll, der selber sein Landesamt für Verfassungsschutz nach einer beispiellosen Serie von Pannen und Affären auflösen muss, der politisch eine Feuerwehr verantwortet, die sich in der Silvesternacht eine Auszeit gönnte, während nebenan die Dachstühle brannten,
wer hier derart agiert hat als Senator, der, Herr Werthebach, verdient eines: einen Eintrag in das Guinessbuch der Rekorde als Senator für Pleiten, Pech und Pannen, aber wahrlich nicht die Wahl zum Bürgermeister dieser Stadt.
Vielen Dank! – Meine Damen und Herren! Also Herr Stölzl soll es sein, der die Karre wieder flott machen soll. interjection: [Zuruf von der CDU: Sie sicher nicht!]