Protocol of the Session on February 24, 2000

Vor einem halben Jahr sprachen Sie noch von 700 Millionen DM. Eine halbe Milliarde DM mehr – „na und“!

Weitere Beispiele unnützer Großprojekte – man könnte sie endlos fortführen – sind die Messebauten und der Tiergartentunnel. Hätten Sie allein diese unsinnigen Entscheidungen nicht gefällt, es ginge Berlin finanziell erheblich besser.

[Beifall bei den GRÜNEN – Kaczmarek (CDU): Und 1 000 Arbeitsplätze weniger!]

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Die Grünen haben vor diesen und anderen Verschwendungen immer gewarnt. Das hat die große Koalition aber nie interessiert. Für die üppige Finanzierung einiger weniger Vorzeigeprojekte hat sie einen Großteil der Infrastruktur dieser Stadt kaputt gehen lassen bzw. gar nicht erst entstehen lassen. Die sozio-kulturelle Arbeit im Ostteil der Stadt wird nach wie vor zum großen Teil nicht regelfinanziert, sondern es steht mit den mal mehr und mal weniger fließenden Geldern der Bundesanstalt für Arbeit auf tönernden Füßen. Wir kritisieren, dass Sie es seit 10 Jahren nicht schaffen, für Kontinuität zu sorgen, auf Kosten von Jugendlichen und Kindern, zu Lasten der sozialen Situation.

In den Schulen hat die technische Ausrüstung längst keinen Anschluss mehr an den europäischen Standard. Die Schultoiletten stinken zum Himmel, die Sportplätze vergammeln. Die Ausstattung der Stadtbibliotheken gleicht einem modernen Antiquariat. Straßen-, Rad- und Fußwege sind löchrig. Das sind die Folgen Ihrer Haushaltspolitik!

[Beifall bei den GRÜNEN]

Da antwortet der Staatssekretär der Senatsschulverwaltung, Herr Härtel, in einem Zeitungsinterview auf die Frage, wie der Senat die oft mit hohem persönlichen Engagement durchgeführten Selbsthilfeprogramme der Eltern, Schüler und Lehrer unterstütze:

Wir können da nur ideelle Unterstützung leisten. Das ist in erster Linie Sache der Bezirke.

Wir wissen doch alle, dass der Senat die Bezirke finanziell unzureichend ausstattet. Also werden Eltern, Schülerinnen und Schüler die Klassenräume auch weiterhin selbst renovieren.

[Braun (CDU): Na und?]

Der Senat unterstützt sie aber „ideell“ – da werden sie sich „freuen“.

In derselben Zeitung liest man dann, dass der Senat die Gehälter der Staatssekretäre und anderer Spitzenbeamter erheblich anheben will. Das ist nur scheinbar eine Kleinigkeit. An diesem Beispiel offenbart sich die Blindheit gegenüber der Lage und gegenüber der Stimmung in dieser Stadt. In welchem Raumschiff leben Sie eigentlich?

[Beifall bei den GRÜNEN]

Wie können Sie ernsthaft an eine solche Entscheidung in dieser Situation denken? In der Bundesrepublik ist das Thema Geld und Politik so anrüchig wie noch nie. In Berlin sind die Kassen so leer wie noch nie. Und da kommen Sie mit einem solchen Ansinnen.

Bleiben wir noch einen Moment bei den schon erwähnten Bezirken. Was der Senat gegenüber den Bezirken betreibt ist eine Doppelstrategie. Er macht genau das, was er beim Bund bezogen auf die Länder immer beklagt. Der Senat beschließt die Aufgabenverlagerung auf die Bezirke und vergisst die Mittelumverteilung. Verkündet werden die „Stärkung der Bezirke, die Verlagerung von Kompetenzen weg vom Senat hin zu den Bezirken“. Den schönen Worten lässt der Senat aber kein Geld und kein Personal folgen. Dies werden die Bürgerinnen und Bürger vor Ort spüren, wenn sie in das Rathaus ihres Bezirks gehen, denn der Service kann mit einer solchen Politik nur schlechter werden. Es fehlt dann eigentlich nur noch, dass eines Tages die Senatsverwaltungen hergehen und sagen: „Seht, die Bezirke können es nicht – lasst uns die Aufgabenverlagerung rückgängig machen!“

Nehmen wir das Thema Bürgerämter, das heute schon angesprochen wurde. Sowohl den Bürgerinnen und Bürgern als auch den Bezirken wurde die Bezirksfusion genau damit schmackhaft gemacht: Auf keinen Fall ginge Bürgernähe verloren, denn man plane schließlich die Einrichtung von 60 Bürgerämtern. Großspurig hat der Senat 1998 in einer Broschüre für die Bürgerinnen und Bürger angekündigt:

In Zukunft müssen Sie sich nicht mehr in unübersichtlich vielen Ämtern durchfragen. Das Bürgeramt wird sich als zentrale Anlaufstelle um Ihre verschiedenen Anfragen und Anträge kümmern. Bis in das Jahr 2001 wird auch das Bürgeramt in Ihrer Nähe sein.

So weit die schöne Rhetorik – nur zur Realität: Die zugesagte Anschubfinanzierung ist völlig entfallen, und damit droht das einzige Element der Bezirksfusion, das auch den Bürgerinnen und Bürgern direkte Vorteile bringen könnte, verloren zu gehen. Sie haben die Menschen wieder einmal verschaukelt!

Sie werden jetzt wahrscheinlich gleich kommen und fragen: Wo bleiben denn Ihre Sparvorschläge? – Sie haben Recht, die Opposition hat nicht nur die Aufgabe, zu kritisieren, sie soll auch Alternativvorschläge machen. Erlauben Sie bitte aber mir als neuer Abgeordneter die Anmerkung, dass ich die Rolle, die uns da zugewiesen wird, geradezu als absurd empfinde. Die Grünen versuchen seit 10 Jahren die Menschen in dieser Stadt vor den Torheiten, vor dem Größenwahn und der Verschwendungssucht der großen Koalition zu bewahren. Wir haben vor vielen teueren und unsinnigen Projekten gewarnt. Ich habe vorhin einige genannt. Sie haben sie trotzdem durchgezogen. Jetzt stehen wir alle gemeinsam vor den finanziellen Folgen, und Sie sagen: Bringen Sie doch einmal Einsparvorschläge! – Das nennt man Zynismus! [Beifall bei den GRÜNEN]

Nicht wir, sondern Sie sind es, die den Menschen in dieser Stadt erklären müssen, warum für Schulen, Turnhallen und Jugendarbeit kein Geld mehr da ist. Aber uns Grünen gehen die Ideen selbst in ausweglosen Situationen nicht aus. Wir werden deshalb zahlreiche Vorschläge in die Haushaltsberatungen einbringen, wie wir es bereits gestern im Hauptausschuss gemacht haben.

Verhindern wollen wir natürlich auch das nächste unsinnige Großprojekt, von dem Sie sich wider besseres Wissen immer noch nicht trennen wollen.

[Niedergesäß (CDU): Westtangente!]

Das ist die U-Bahnlinie 5. Sie ist so überflüssig wie der Transrapid, und sie wird sein Schicksal teilen.

[Beifall bei den GRÜNEN und der PDS]

Damit bleiben Berlin dann auch Ausgaben in Höhe von 1,2 Milliarden DM erspart.

Wir wissen aber andererseits auch, dass allein mit Umschichtungen und mit dem Kurieren an Symptomen keine zufriedenstellenden Lösungen mehr möglich sind. Wir müssen auch zu strukturellen Veränderungen kommen. Wir sind überzeugt, dass wir in die Fähigkeiten der Menschen in dieser Stadt investieren müssen. Ein Schwerpunkt sind für uns dabei die Berliner Schulen. Berlin liegt hier im Ländervergleich keineswegs an der Spitze, wie das vorhin behauptet wurde, sondern bei diesem Vergleich liegen andere vor uns. Das kann man Ihrer eigenen Finanzplanung entnehmen. Im Schulbereich liegen wir nicht an der Spitze. Schülerinnen und Schüler, die in vernachlässigten Schulbauten und Schulhallen ohne Computer, aber mit alten Lehrbüchern in überfüllten Klassen mit ausgepowerten Lehrern lernen sollen, können kein positives Gefühl gegenüber ihrer Schule entwickeln. In den Schulbereich gehören dann auch einmal zusätzliche Mittel. Wir werden – wie bereits mit unserem Antrag zur Finanzierung von Computern und zur Bausanierung in den Schulen – im Laufe der Haushaltsberatungen weitere Vorschläge verbunden mit Finanzierungsmöglichkeiten vorlegen. Die von Ihnen beschlossene Erhöhung der Arbeitszeit der Lehrerinnen und Lehrer halten wir hingegen für Augenwischerei und kontraproduktiv. Sie werden damit den Unterrichtsausfall nicht verhindern.

[Beifall bei den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei der PDS]

Notwendig ist es, endlich die schon vorhandenen Lehrerstellen ordentlich auszufinanzieren.

Ein weiterer Schwerpunkt unserer Anstrengungen ist die Sozial- und Beschäftigungspolitik. Bisher bleiben die Chancen, die sich aus einer Koppelung von Wirtschafts- und Arbeitsförderung und sozialer Stadtentwicklung ergeben könnten, ungenutzt. Bis auf wenige Ausnahmen ist die Bekämpfung der Armut in der Stadt und die Wiederherstellung der Lebensqualität in den Quartieren immer noch kein ressortübergreifendes Thema. Zu dieser Frage wollen wir in den Haushaltsberatungen Vorschläge vorlegen.

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Sie haben also die Chance, mit uns noch vernünftige Akzente in diesen Haushaltsplan aufzunehmen. Sie brauchen dazu nur unseren Anträgen zuzustimmen.

[Beifall bei den GRÜNEN]

Nach der gestrigen Sitzung, der ersten Sitzung des Hauptausschusses zum Haushaltsplanentwurf, bin ich allerdings nicht sicher, ob diese Koalition überhaupt konsolidieren will. Denn deutlich wurde schon gestern: Selbst da, wo die Verwaltungen nachweisbar und ohne Not ihren Haushalt aufgebläht und sich immer noch „Millionenpölsterchen“ angelegt haben, sind Sie nicht bereit, dem ein Ende zu machen. Bezeichnend für das Verharren in alten Bahnen war die Antwort des Chefs der Senatskanzlei auf die Frage, warum das Land Berlin den Preis für das Reit- und Springturnier finanziere: „Aus Tradition!“ – Na dann, Augen zu und weiter so!

Abschließend kann ich nur sagen: Angesichts dieses Haushaltsentwurfs und der Finanzsituation Berlins ist es mir ein Rätsel, wieso der CDU in der Vergangenheit häufig eine wirtschaftsund finanzpolitische Kompetenz zugeschrieben wurde. Aber vielleicht war die Frage der Demoskopen, welche der Parteien geschickter mit Geld umgehen könne, einfach schon immer anders gemeint.

[Beifall und Heiterkeit bei den GRÜNEN und der PDS]

Das Wort hat nun Frau DungerLöper – bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zum heutigen formellen Einstieg in die Beratungen zum Haushaltsplanentwurf für das Jahr 2000 möchte ich darlegen, mit welcher Position die SPD-Fraktion in diese Beratungen geht und welche Erwartungen wir an den zu verabschiedenden Haushalt haben.

[Müller-Schoenau (GRÜNE): Das ist ja interessant, das möchte ich auch mal hören!]

Für uns stehen zwei Kriterien für diesen Haushalt im Vordergrund: Erstens wollen wir die Fortsetzung der Konsolidierungspolitik.

[Liebich (PDS): Dann hätten Sie eine andere Koalitionsvereinbarung abschließen sollen!]

Sie kommen schon noch dran! –

[Liebich (PDS): Ich war schon dran!]

Und das schließt ein: Wir wollen Wahrheit und Klarheit in diesem Haushaltsplan verwirklicht sehen, d. h. ein Zahlenwerk, das dann im Verlauf des restlichen Jahres auch realistisch abgearbeitet werden kann. [Beifall bei der SPD]

Zweitens wollen wir nicht nur sparen, sondern auch gestalten, und zwar im Sinne unserer politischen Schwerpunkte.

Ich komme zunächst zu Punkt 1 zurück: Für uns steht dieser Haushalt – auch wenn dies von der Opposition wortreich bezweifelt wurde – in der Kontinuität der Konsolidierungspolitik der letzten Jahre. Ziel dieser Politik ist es, im Jahr 2009 einen Haushalt vorzulegen, in dem es keine strukturellen Defizite mehr gibt. Zu dieser Perspektive gibt es in mehrfacher Hinsicht keine Alternative. Eine verantwortungsvolle Politik muss heute mehr denn je darauf achten, dass die nachfolgenden Generationen nicht nur die von uns jetzt aufgehäuften Schulden abtragen müssen. [Beifall bei der SPD]

Das klingt relativ theoretisch, noch weit weg vom Hier und Heute, nichtsdestoweniger ist es die Notwendigkeit einer nachhaltigen Politik.

Aber auch zeitlich näher liegende Ereignisse – sie sind heute schon erwähnt worden – fordern die Fortsetzung der Konsolidierungspolitik. Im Jahr 2002 kommt das Maßstäbegesetz, das den

Länderfinanzausgleich neu regeln wird. Sie alle wissen genau, welche Diskussionen – man kann es auch deutlicher formulieren: welche Drohungen – aus den Ländern im Süden Deutschlands auf Berlin zukommen. Es wird bis in jedes Detail durchleuchtet werden, welche Ausstattungsvorsprünge Berlin sich leistet – so hat man es bereits formuliert – und in welchem Maße andere Bundesländer zur Mitfinanzierung von sog. Berliner Sondertatbeständen herangezogen werden.