Wir müssen auch genauer hinsehen, wer mit welchen Motiven und Absichten zu uns kommt, um in Berlin seinen Aufenthalt zu nehmen. Das heißt Erkenntnisse und Hinweise in den Ausländerakten über radikale und terroristische Bestrebungen müssen zukünftig Staats- und Verfassungsschutz unaufgefordert übermittelt werden.
Wir müssen unsere Flughäfen, unsere Wasser- und Energieversorgung, die gesamte Infrastruktur noch besser schützen. Mit einem Wort: Wir müssen uns auf die neuen Gefahren mit neuen Konzepten vorbereiten, wenn wir die Sorgen der Menschen wirklich Ernst nehmen wollen.
Deshalb habe ich heute unser 21 Punkte umfassendes Sicherheitskonzept vorgestellt. Wir erwarten, dass auch Sie sich ernsthaft mit unseren, gemeinsam mit vielen Experten entwickelten Vorschlägen beschäftigen und diesen 21 Punkten für die Sicherheit und gegen den Terrorismus zustimmen.
Aber dem Terror können wir nicht nur allein mit repressiven Mitteln begegnen. Sie müssen dringend durch präventive Mittel ergänzt werden. Diese sind vermutlich sogar noch wichtiger. Die wirksamste Maßnahme gegen den Hass und gegen die Menschenverachtung ist ein solides Wertefundament. Toleranz allein, Herr Körting, reicht bedauerlicherweise nicht aus. Wie ich aus meinen Gesprächen mit der Ausländerbeauftragten und den islamischen Religionsgemeinschaften weiß, ist der Islam sehr wohl eine friedliche und friedfertige Religion.
Deshalb begrüße ich die klare Distanzierung von den Anschlägen, denn eines ist klar: Kein Attentäter kann und darf sich auf den Koran berufen.
Und zu dem weltoffenen und toleranten Berlin gehört auch das friedliche Zusammenleben – ich betone das sehr bewusst – mit den über 200 000 Muslimen, die genauso rechtstreu und genauso friedfertig sind wie ihre christlichen, jüdischen oder buddhistischen Nachbarn. Diese Muslime haben ein Recht darauf, sich in unserer Stadt unbehelligt zu bewegen. Sie müssen sich bei uns wohl und geborgen fühlen, und Berlin hat, was religiöse Toleranz betrifft, Gott sei Dank! eine jahrhundertealte Tradition zu wahren. Deshalb sage ich sehr deutlich: Wir führen keinen Kampf gegen den Islam, sondern einen Kampf gegen den
Terror. Und in diesem Kampf ist die überwältigende Mehrheit unserer muslimischen Mitbürgerinnen und Mitbürger fest an unserer Seite. [Beifall bei der CDU]
Aber unsere tolerante Gesellschaft hat auch eine Verantwortung dafür, welche Werte an unseren Schulen vermittelt werden. wir dürfen nicht zulassen, dass Kinder in Berlin – an den Koranschulen oder an öffentlichen Schulen – extremistisches Gedankengut lernen. [Beifall bei der CDU]
Deshalb hat es absolute Priorität, dass in Berlin endlich ein Wahlpflichtfach Religion oder Ethik eingeführt wird.
Daran ist Herr Schulsenator Böger bisher immer gescheitert. Sie sollten ihn stärker unterstützen, Herr Regierender Bürgermeister, denn die Berliner Schulen sollten Stätten der Friedlichkeit, und nicht der Gewalt sein.
Für unsere Kinder und alle Berlinerinnen und Berliner bieten wir Ihnen deshalb ein solches Sicherheitsbündnis für die Stadt, für Berlin, an. Wir sind bereit, wenn nötig, auch unpopuläre Entscheidungen mitzutragen. Dies hatte ich Ihnen, Herr Regierender Bürgermeister, bereits unmittelbar nach diesem schrecklichen Attentat angeboten. Dennoch, Herr Wowereit, ein solches Sicherheitsbündnis macht man nicht mit Links, mit überhaupt keinen Radikalen und Extremisten. In Zeiten wie diesen müssen die demokratischen Parteien der Mitte zusammenstehen.
Das hat nichts mit großer Koalition zu tun, aber es hat etwas mit der gemeinsamen geschichtlichen Verantwortung von SPD und CDU für diese Stadt, für Berlin, zu tun.
Die Diskussion der letzten Tage auf Bundesebene hat uns gezeigt: Ein solches Sicherheitsbündnis geht eben nicht mit Parteien, deren antiamerikanische Ressentiments so tief sitzen, und deren Skepsis gegen Gesetz und Ordnung Teil ihres politischen Selbstverständnisses ist. Mit einem Wort: Nicht mit diesen Grünen und schon gar nicht mit dieser PDS.
Sie sollten vor dem Hintergrund der aktuellen Sicherheitslage, Herr Regierender Bürgermeister, Ihre Wahlaussagen zu Gunsten der PDS noch einmal gründlich überdenken.
Die nächsten Wochen und Monate, wahrscheinlich sogar Jahre, werden sehr schwierige, sehr folgenschwere Entscheidungen, auch hier in Berlin, erzwingen. Berlin kann sich in solchen Zeiten unsichere Bündnispartner nicht leisten. Da muss man sorgfältig prüfen, mit wem man sich einlässt.
Man kann den Berlinerinnen und Berlinern nicht zumuten, sich auf Parteien zu verlassen, die Zeit ihres Bestehens weder Vertrauen zu den Vereinigten Staaten noch Vertrauen zu unserer wehrhaften Demokratie, unserem Rechts- und Sicherheitssystem, entwickelt haben.
Ein Bündnis mit solchen Parteien ist ein Unsicherheitsbündnis. Es ist keineswegs geeignet, die Berliner aus ihren Sorgen und Ängsten heraus in eine sichere Zukunft zu führen.
Vor den Schreckensbildern aus Washington und New York nehmen sich Wahlkampfscharmützel beinahe lächerlich aus.
Auf dem Spiel stehen jetzt unsere westliche Wertegemeinschaft, die Menschenrechte, stehen Freiheit, Demokratie und Frieden. Deshalb möchte ich, dass wir zusammenstehen und über jedes machtpolitische Kalkül hinweg dieser Herausforderung gemeinsam begegnen: Durch ein demokratisches Sicherheitsbündnis und durch ein Bündnis der Vernunft. Hier muss Staatsinteresse eindeutig vor Parteiinteresse gehen. Das muss uns die Sicherheit der Berlinerinnen und Berliner wert sein.
Niemand hat das besser ausgedrückt als der sozialdemokratische Innenminister Schily bei der gestrigen Bundestagsdebatte. Er hat gesagt: „Wir brauchen die Solidarität aller, die die Freiheit lieben.“ Wir lieben die Freiheit und unsere wehrhafte Demokratie. Deshalb bieten wir Ihnen ausdrücklich unsere Zusammenarbeit an.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vor einer Woche sind wir an dieser Stelle zusammengekommen, geprägt von Schock, von Entsetzen, von dem Gefühl der Hilflosigkeit angesichts des Terrors, der über die Vereinigten Staaten gebracht wurde.
Geeint hat uns vor einer Woche der Wille, unsere Solidarität und unsere Bereitschaft zu Hilfe jeder Art kundzutun und uns auch öffentlich neben die USA zu stellen – auch und gerade jenen verwirrten Geistern gegenüber, die in geradezu perverser Art hierin einen Sieg zu sehen meinen. Ihnen gilt unser aller Verachtung. [Allgemeiner Beifall]
Nur langsam haben wir alle in dieser Stadt begriffen, welchen Maßstab das Geschehene hat. Ein Massaker an Tausenden von Menschen, die sich zu Beginn eines normalen Arbeitstages keiner Bedrohung bewusst waren, hat stattgefunden. Unschuldige Menschen wurden in abartiger Weise als Waffen gegen andere Unschuldige missbraucht – eiskalt geplant und mit menschenverachtendem Zynismus durchgeführt. Es fällt schwer, dieses Grauen in Worte zu fassen, und das ist vielleicht eines der deutlichsten Zeichen für die Tiefe unserer Betroffenheit. So oft wir die Bilder auch sehen, so oft wir die Meldung vom Geschehen des letzten Dienstags auch lesen, sie berühren uns stets aufs Neue.
Warum hört die Schrecklichkeit der Ereignisse nicht auf, uns zu beeindrucken? – Es ist wohl mehr als die bloße Vorstellung des Horrors, der über Tausende von Opfern und deren Angehörige in den USA und in 61 anderen Staaten der Welt gekommen ist. Nach dem Überwinden der Phase des ersten Schocks ergreift viele in dieser Stadt mehr als ein Unbehagen. Langsam erst dringt in unser Bewusstsein die Erkenntnis, dass sich etwas am Fundament unserer Wahrnehmung geändert hat. Neben Mitgefühl, Solidarität und Wut beschleicht viele Berliner Angst vor dem, was da noch kommen mag.
Zu sehr ist Berlin auch Symbol für die Lebensart und die Werte, denen der Angriff galt, als dass man diese Angst einfach abtun könnte. Auch wenn wir das Bestmögliche tun werden, um Schutz vor dem Terror zu erreichen, gebietet es auch in dieser Situation die Ehrlichkeit, einzugestehen, dass es absolute Sicherheit vor solchem skrupellosen Vorgehen wie dem der vergangenen Woche nicht geben wird. Die Gefahr wird auch nicht zu einem bestimmten Zeitpunkt enden. Es wird keine abschließende Verhaftung oder Kapitulation geben. In dieser Lage kann wohl keiner behaupten, von Furcht völlig frei zu sein.
Lassen Sie mich auch ein paar persönliche Worte sagen: Ich bin 36 Jahre alt, bin in Freiheit aufgewachsen und habe in diesen 36 Jahren in Freiheit gelebt. Freiheit, Demokratie, Liberalität, offene Grenzen – alles das war für mich in diesen 36 Jahren eine Selbstverständlichkeit. Ich habe in den letzten Tagen Sorge, ob meine Kinder, die erst 3 und 6 Jahre alt sind, genauso unbeschwert aufwachsen werden, wie ich es konnte. Mir wird erst jetzt in den letzten Tagen richtig bewusst – ich muss das zuge
ben –, dass diese Werte, mit denen ich aufgewachsen bin, nicht selbstverständlich sind, sondern dass es Werte sind, für die man sich tagtäglich engagieren muss, für die man eintreten muss, damit zukünftige Generationen auch mit diesen Werten aufwachsen können. [Allgemeiner Beifall]
Ich gehe davon aus, dass diese Gedanken viele Berlinerinnen und Berliner, viele Familien haben und dass es natürlich vor diesem Hintergrund auch Befürchtungen gibt. Aber diese Furcht ermahnt uns auch zu Vorsicht, zu konsequentem, aber besonnenem Handeln. Wir dürfen uns von dieser Furcht nicht beherrschen lassen. In dem Moment, in dem die Furcht unser Handeln bestimmt, genau in diesem Moment haben die Terroristen ihr Ziel erreicht. Wir berauben uns selbst der offenen Gesellschaft.
Dazu aber wird es nicht kommen. Es gilt zwar frei nach Nietzsche: „Nur der Dumme hat keine Angst“, wir werden uns aber von ihr nicht bezwingen lassen. Selbstverständlich gibt es in unserer Demokratie jetzt Angst, aber sie wählt nicht mit. Natürlich gibt es auch im Parlament Angst, aber sie stimmt nicht mit. Und mit Sicherheit gibt es auch in der Regierung Angst, aber sie regiert nicht mit. Bundeskanzler Schröder hat gestern in seiner Regierungserklärung alle Verantwortungsträger und alle Bürger aufgerufen, es nicht zuzulassen, dass uns die Angst lähmt. Ich bin überzeugt, seine Worte fallen gerade in Berlin nicht auf taube Ohren. Berlin hat sich in der Vergangenheit der Furcht nie ergeben, und Berlin wird es auch diesmal nicht tun.
Wir haben den ersten Schock überwunden, und wir müssen uns nun mit den Auswirkungen für Berlin nach dem verheerenden Angriff auf die Städte befassen, die uns in Lebensgefühl und Werteordnung doch so nah sind. Berlin nach dem 11. September 2001 ist eine Stadt der beeindruckenden Solidarität. Hunderttausende von Berlinerinnen und Berlinern haben in überfüllten Kirchen an Trauergottesdiensten teilgenommen, Blumen vor den Einrichtungen der USA niedergelegt, sich in Kondolenzlisten eingetragen und an der Kundgebung am Brandenburger Tor teilgenommen. Man darf wohl zu Recht behaupten: Die Stadt, die dem amerikanischen Volk zu großem Dank verpflichtet ist, ist als Ganzes von echter Anteilnahme erfasst, und unsere Freunde haben diese erkannt. – Die USA werden uns diesen Beistand nicht vergessen, sagte der amerikanische Botschafter vor 200 000 Berlinern am Brandenburger Tor. Dabei – und davon bin ich fest überzeugt – stehen wir nicht am Ende unserer Solidarität, sondern mit Sicherheit erst am Anfang.