Protocol of the Session on June 28, 2001

[Beifall bei der PDS]

Vielen Dank, Frau Seelig! – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat Frau Hämmerling das Wort. – Bitte schön, Frau Abgeordnete!

Schönen Dank, Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Hillenberg hat es schon gesagt: Herr Apelt, Sie haben in Ihrem Redebeitrag leider das Thema verfehlt. Wir reden jetzt zu Punkt 3, zur Aufarbeitung der StasiUnterlagen,

[Apelt (CDU): Das gehört dazu!]

und nicht zu Punkt 16; dazu reden wir später.

[Zurufe von der PDS: Nein! Darüber wollten Sie doch nicht reden!]

Ich stelle ebenso wie Frau Seelig fest, dass die CDU in der Opposition angekommen ist: 35 Anträge am heutigen Tag, und viele alte bündnisgrüne Forderungen sind dabei, Forderungen der PDS sind auch dabei, wie ich gerade gehört habe. Aber keine Sorge, wir werden keinen Anspruch auf unser Copyright erheben. Ich habe in Richtung CDU nur eine Frage: Warum haben Sie eigentlich diesen Anträgen von uns damals nicht zugestimmt, als Sie noch die Macht dazu hatten?

[Beifall bei den Grünen und der PDS]

Deshalb glaube ich, dass diese Anträge, die Sie heute einbringen, der pure Populismus sind. Sie sind unglaubwürdig.

Genauso wie der vorliegende Antrag: Bisher, wie Frau Seelig eben angeführt hat, gab es immer einen fraktionsübergreifenden Konsens, was die Stasi-Behörde betraf. Alle Fraktionen sind sich einig, dass die Aufarbeitung des Stasi-Unrechts unverzichtbar ist und dass sie erhalten werden muss. Das wurde und wird nicht in Frage gestellt.

Was soll also der Antrag? Ich habe das Gefühl, Sie wollen sich in der Öffentlichkeit zum Kämpfer, zum Vorreiter im Kampf für Gerechtigkeit und Aufklärung über die Stasi-Diktatur machen. Gut, das können Sie. Aber wenn Sie das wirklich glaubhaft machen wollen, müssen Sie sich erst einmal mit Ihrem eigenen Laden auseinandersetzen, vor allem mit der Rolle der Ost-CDU. Sie haben diesen Teil der DDR-Diktatur, die Nationale Front, nämlich personell und materiell assimiliert, ohne sich inhaltlich auseinanderzusetzen. Genau dazu fordere ich Sie auf, bevor Sie solche Anträge stellen.

[Beifall bei den Grünen und der SPD]

Die Diskussion heute ist ziemlich überflüssig. Sie ist vor sechs Wochen geführt worden. Ich kann Ihnen mit Zitaten aus meiner Rede vom vergangenen Jahr erklären oder erläutern, dass das ein Schaufensternantrag ist und wie stark wir uns in Übereinstimmung befanden. Zitat 1:

Heute, 10 Jahre nach der Wende, steht für mich fest: Die Stasi-Opfer sind die eigentlichen Verlierer der deutschen Einheit. Staatsfunktionäre haben die Aufstockung ihrer Rente und ihren sozialen Status höchstrichterlich durchgesetzt. Viele Opfer konnten noch immer nicht ihre berufliche und verwaltungsrechtliche Rehabilitation erreichen. Und es ist ein Hohn: Die Opfer müssen sich erneut der Willkür von Behörden aussetzen, zum Beispiel dann, wenn sie ihre gesetzlichen Ansprüche durchsetzen wollen.

Das zweite Zitat bezieht sich auf den allseits gut bekannten Spruch: Es war ja nicht alles schlecht in der DDR:

Und es war ja tatsächlich nicht alles schlecht. Das Problem ist, dass dieser Satz den Wunsch vieler Ossis ausdrückt, einen Schlussstrich unter die inhaltliche Auseinandersetzung mit der DDR-Diktatur zu ziehen. Es ist lästig und unerfreulich, sich an Willkür, Wehrlosigkeit, Wut und Angst, aber auch an Duckmäusertum, Selbstgerechtigkeit und Ignoranz zu erinnern. Aber genau das ist notwendig. Es darf nicht sein, dass die DDR-Vergangenheit ebenso wenig aufgearbeitet wird wie die Hitler-Diktatur. Wohl gemerkt, ich will damit nicht die Systeme vergleichen. Ich vergleiche lediglich die Verdrängungsmechanismen, die auf den Absturz

dieser Systeme gefolgt sind. Diese Mechanismen sind gleich. Eben weil wir das erkannt haben, müssen wir das Verdrängen und Vergessen verhindern.

Deshalb sage ich heute: Die Aufgaben der Zukunft sind, aufzuklären, Mechanismen zu erkennen und der sentimental-ostalgischen Verklärung vorzubeugen. Deshalb wird die Aufarbeitung der Stasi-Unterlagen fortgesetzt, ob mit oder ohne Ihren Antrag.

[Beifall bei den Grünen und der SPD – Vereinzelter Beifall bei der PDS]

Vielen Dank, Frau Hämmerling.

Weitere Wortmeldungen liegen uns nicht vor. Die Empfehlung des Ältestensrates lautet Überweisung an den Rechtsausschuss – federführend – sowie an den Ausschuss für Inneres, Sicherheit und Ordnung und an den Hauptausschuss. Wer so beschließen möchte, den bitte ich jetzt um das Handzeichen. – Gibt es Gegenstimmen? – Stimmenthaltungen? – Beides sehe ich nicht. Damit ist einstimmig so beschlossen.

Wir sind bei

lfd. Nr. 4, Drucksache 14/1336:

I. Lesung des Antrags der Fraktion der CDU über Siebenundzwanzigstes Gesetz zur Änderung des Schulgesetzes für Berlin (27. ÄndSchulG)

in Verbindung mit

lfd. Nr. 5, Drucksache 14/1337:

I. Lesung des Antrags der Fraktion der CDU über Achtundzwanzigstes Gesetz zur Änderung des Schulgesetzes für Berlin (28. ÄndSchulG)

Der Ältestenrat empfiehlt für die gemeinsame Beratung eine Redezeit von bis zu 5 Minuten pro Fraktion. Ich eröffne die I. Lesung. Es beginnt die CDU-Fraktion. Der Abgeordnete Schlede hat das Wort. – Bitte schön, Herr Schlede!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Diese Tagesordnung, Punkt 4 und 5 zusammenzufassen, kann offensichtlich nur von jemandem gemacht worden sein, der nichts von Schule versteht; nur unter dem Oberbegriff Schule läuft das, aber ansonsten sind das zwei ganz unterschiedliche Themen.

[Doering (PDS): Das war doch Ihr Vorschlag! Sagen Sie das Ihrer Geschäftsführerin!]

Punkt 1 ist der Übergang in die Oberschule. Auf Befragen hat der Staatssekretär in der letzten Schulausschusssitzung bekannt, dass es derzeit in den Bezirken zwischen 80 und 120 Widerspruchsverfahren betreffs Aufnahme in die Oberschule gebe. Bei diesen Verfahren spielt unter anderem das, was in § 29 Schulgesetz – Übergang in die Oberschule – festgelegt worden ist – die Kriterien –, eine entscheidende Rolle. Vier sind genannt: Sprachenfolge, Fortsetzung einer bereits in der Grundschule begonnenen Ausbildung, das Grundschulgutachten sowie die Erreichbarkeit der Schule. Beim Grundschulgutachten ist im letzten Jahr von den Verwaltungsgerichten bereits festgestellt worden, dass es eine Rechtsunsicherheit gibt, die eine Präzisierung des Gutachtens erfordert. Diese fordern wir ein. Nach unserer Auffassung ist unabdingbar, dass man einen Notenschnitt beispielsweise der Fächer Deutsch, Mathematik und Erste Fremdsprache mit zu einem Kriterium für das Grundschulgutachten macht. Diese Präzisierung steht an. Dazu fordern wir den Senat seit etwa einem Jahr auf. Bisher ist nichts geschehen. Dies ist dringlich. Wir können die Eltern nicht „im Regen stehen“ lassen.

Nun zum zweiten Punkt. Das ist die Frage der Einführung von Religion beziehungsweise Ethik/Philosophie als Wahlpflichtfach in der Berliner Schule. Der Senat hat in Bezug auf das, was

gerade in Karlsruhe stattfindet, nämlich die Erörterung, ob es legitim ist, im Land Brandenburg nur LER als Werte vermittelndes Fach anzubieten, gleich zu Beginn ein sehr unrühmliches Zeichen gesetzt, indem er die Mittel für den Religionsunterricht um 3 Millionen DM gekürzt hat.

[Mutlu (Grüne): Stimmt ja gar nicht!]

Doch, das stimmt, Herr Mutlu! Das hat er nämlich in der Nachschiebeliste für den Nachtragshaushalt zur Kenntnis gegeben. Er hat zwar behauptet, dass damit der Religionsunterricht nicht eingeschränkt werden würde, bloß das ist bisher nicht erkennbar; denn die Teilnehmerzahlen am Religionsunterricht beziehungsweise an der Humanistischen Lebenskunde sind nicht so gefallen, dass bereits eine derartige Kürzung ohne Einschränkung erkennbar wäre. – Es ist auf jeden Fall das falsche Zeichen zu dieser Zeit. Unser Zeichen wäre gewesen – und damit wären wir hochaktuell –, Wertevermittlung in der Berliner Schule endlich verbindlich zu machen, anstatt Sonderprogramme einzuführen. Wir brauchen keine Sonderprogramme und keine Aufmärsche; wir brauchen reguläre, verbindliche wöchentliche Wertevermittlung in der Schule. Unser Programm gegen Orientierungslosigkeit in der Gesellschaft, gegen Links- und Rechtsextremismus beginnt in der Schule, und dort ist es am besten angesiedelt.

Sie lassen im Vergleich dazu alles beim Alten. Die jetzige Situation sieht so aus, dass etwa 60 % der Berliner Schülerinnen und Schüler an nichts teilnehmen. Statt an Wertevermittlung teilzunehmen, gestalten sie Freizeit in der Eisdiele, oder vielleicht machen sie stattdessen auch einmal eine Stippvisite im Schwimmbad. Das ist einzigartig in Deutschland und nach meinem Dafürhalten längst überholt. Die Verbindlichkeit gehört eingeführt, und dann selbstverständlich in einem Wahlpflichtfach. Denn es ist vollkommen richtig, dass Kirche und Staat getrennt sind, also hat der Staat auch keinesfalls zu bestimmen, was an seinen Schulen religiös gelehrt wird. Es gilt aber auch, dass diese religiöse Freiheit vom Staat bedeutet, dass der Staat umgekehrt kein religiöses Bildungsverbot an öffentlichen Schulen verhängen darf und etwa bestimmen könnte, dass und was an seinen Schulen religiös gelehrt wird. Es gilt drittens natürlich auch: Wer religiöse Bildung wünscht, hat einen Anspruch darauf, sie als Teil seines Schullebens zu erfahren. Deswegen plädieren wir dafür, diesen Gesetzesvorschlag verbindlich einzuführen, Religion als Vermittlung von authentischen Vertretern – nicht irgendwer redet über Religion, sondern authentisch die Kirchen – und bekenntnisfrei daneben Ethik und Philosophie anzubieten.

Wir wollen keinen Schüler zu einer bestimmten Überzeugung zwingen, aber wir wollen ihn verpflichten, sich fundiert eine Meinung zu bilden. Dabei unterscheiden wir ganz bewusst zwischen bekenntnisgetragenem und konfessionslosem Angebot. Der Schüler hat die Wahl, muss sie aber treffen. Wir wollen, dass die Schüler sich in Begegnungsphasen von beiden Fächern treffen, um ihre Wertvorstellungen auszutauschen. Dieses Modell hat Zukunftscharakter, nicht nur für Berlin, sondern für Deutschland. Sie sollten ihm zustimmen. Das Zeichen, das der Senat setzen sollte – und da sollte die SPD sich bewusst sein: Selbst Herr Schröder fordert ordentlichen Religionsunterricht von den Schulen, auch in Berlin –, wäre, nicht nur 60 Stellen in die Behindertenintegration zu investieren, sondern 60 Stellen darin zu investieren, dass man mit einem Modellversuch in den 7. Klassen Wahlpflichtunterricht Religion/Ethik/Philosophie einführen kann. Das wäre zukunftsweisend. – Schönen Dank!

[Beifall bei der CDU]

Danke schön, Herr Kollege! – Für die Fraktion der SPD hat nunmehr die Frau Abgeordnete Neumann das Wort! – Bitte schön!

Vielen Dank! – Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Schlede! Nein, es bleibt nicht alles beim Alten! Sie wissen, dass bereits das Schul

reformgesetz in der Vorlage sehr weit gediehen ist, und Sie haben es auch gelobt. Dass es nicht weitergehen konnte, liegt daran, dass die Landowsky-Krise die Welt in Berlin verändert hat.

[Niedergesäß (CDU): Die haben Sie doch angezettelt! Das ist eine Wowereit-Strieder-Krise!]

Die Themen, die Sie hier angesprochen haben, werden in einem Schulreformgesetz gemeinsam zu verändern sein; denn in einem Schulreformgesetz wird es um Bildung gehen. Bildung umfasst den gesamten Bereich von Kita, Vorschule, allgemeinbildender Schule, ergänzt durch die Jugendarbeit, und Bildung in diesem Sinne, das werden wir voranbringen.

[Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Was aber machen Sie jetzt – Sie versuchen, in einer Tagesordnung möglichst oft das Wort „Schule“ unterzubringen und damit den Eindruck zu erwecken, Sie verändern die Welt. Niemand verändert die Welt dadurch, dass er auf Tagesordnungen Punkte unterbringt. Wir wollen die Welt wirklich verändern. Deswegen kämpft Herr Schulsenator Böger vorrangig für seinen Etat, und zwar erfolgreich. Wir haben das in der Aktuellen Viertelstunde zur Kenntnis nehmen müssen; selbst Sie waren beeindruckt.

[Rabbach (CDU): Von Herrn Böger beeindruckt?]

Herr Böger kämpft erfolgreich. Die Lehrer erkennen es an. Er soll und wird in dieser Funktion den Schwerpunkt Bildung ausbauen.