Protocol of the Session on January 20, 2000

Es geht hier nicht um irgend etwas, Herr Diepgen. Es geht um das Mahnmal für die ermordeten Juden Europas – zehn Jahre diskutiert, vom Bundestag beschlossen. Natürlich gibt es noch zu klärende Fragen. Statt dass Berlin seine Verantwortung als einer der drei Auslober und als Mitglied in der Stiftung zur Errichtung des Mahnmals für die ermordeten Juden Europas wahrnimmt – ich erinnere beispielsweise nur an die Bereitstellung des Grundstücks –, nehmen Sie gerade diese noch zu klärenden Fragen als Grund und als willkommenen Anlass Ihrer Politik der Nadelstiche gegen dieses Mahnmal – was Sie auch schon in der vergangenen Legislaturperiode gemacht haben – und ersparen uns nicht viele Peinlichkeiten. Ich erinnere nur an die Bundestagsdebatte, wo Frau Fugmann-Heesing als Bürgermeisterin die Mehrheitsmeinung des Parlaments vertreten musste, Sie aber Ihre persönliche Meinung vertraten.

Der Bundestag unterbricht am 27. Januar seine Sitzung, und der Regierende Bürgermeister bleibt dieser Veranstaltung, wofür der Bundestag seine Sitzung unterbricht, fern, nicht weil er andere Termine hat, wie aus der Senatskanzlei im Vorfeld wahrheitswidrig zu hören war, sondern aus prinzipiell politischen Gründen. Seine persönliche Befindlichkeit ist ihm wichtiger als das Ansehen der Stadt, das – machen wir uns an dem Punkt nichts vor – weiter Schaden nehmen wird. Dieses Verhalten ist nicht akzeptabel.

[Beifall bei der PDS und den GRÜNEN]

Wenn ich das Plenarprotokoll von heute Mittag noch einmal nachlese:

Sie können von mir nicht erwarten, dass ich zu einem symbolischen Akt gehe und eine Entscheidung lobe, die ich so nicht getroffen hätte.

dann komme ich doch zu der Auffassung, dass es sich hier um eine kühl kalkulierte Provokation handelt,

[Niedergesäß (CDU): Jetzt ist aber genug!]

die, wie ich finde, das Parlament zu beurteilen hat.

[Beifall bei der PDS und den GRÜNEN]

An dieser Stelle, liebe Kolleginnen und Kollegen der SPDFraktion, sei es mir gestattet, darauf hinzuweisen, dass Sie zwar außerparlamentarisch Ihr Unverständnis öffentlich zu Protokoll gegeben haben. Da es aber ein Gegenstand dieser Plenardebatte ist, kann ich Sie nur auffordern, das bisschen Zivilcourage aufzubringen, Ihrer Haltung einen parlamentarischen Ausdruck zu verleihen und unserem Antrag zuzustimmen, der nichts weiter verlangt, als höflich aber bestimmt den Regierenden Bürgermeister aufzufordern, seinen Pflichten nachzukommen.

[Beifall bei der PDS und den GRÜNEN]

Vielen Dank, Frau Freundl! – Für die CDU- Fraktion hat jetzt Herr Dr. Uwe Lehmann- Brauns das Wort! interjection: [Wolf (PDS): Ein schwerer Gang!]

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bedauere, dass dieses Thema zum Gegenstand einer Heuchelei der PDS gemacht wird.

[Liebich (PDS): Unglaublich! – Cramer (GRÜNE): Vorsichtig sein!]

Ich will das kurz begründen. Worum geht es denn am 27. Januar? – Es geht weder um die Grundsteinlegung noch um den Baubeginn, sondern es geht um eine – wie Sie sagen – symbolische, man könnte auch sagen, virtuelle Form der Erinnerung daran, dass der Bundestag diese Entscheidung getroffen hat. Dieser Anlass ist meiner Ansicht nach so oder so zu sehen. Ich habe nichts dagegen, dass Sie ihn überhöhen, wehre mich aber dagegen, dass Sie der Auffassung sind, dass wir diesen Anlass zu einem subalternen Gegenstand machen. Dass das nicht der Fall ist, sehen Sie darin, dass der Senat durch den Bürgermeister – in diesem Fall der Bürgermeisterin, Frau Thoben – und Senator Strieder vertreten ist. Der Senat ist also durch zwei Repräsentanten vertreten, und das ist angemessen.

Die von Ihnen hier produzierte Aufgeregtheit, ist auch deshalb ungerechtfertigt, weil zum Beispiel Lea Rosh, die ich gestern im „Info-Radio“ gehört habe, ganz sachlich und gelassen damit umgegangen ist und dafür Verständnis geäußert hat, dass der Regierende Bürgermeister an der Sache nicht teilnimmt.

[Gelächter des Abg. Over (PDS) – Doering (PDS): Sie müssen wohl ein anderes Interview gehört haben als ich!]

Herr Dr. Lehmann-Brauns, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Freundl?

Gleich, sofort, doch jetzt noch nicht.

Ich billige es jedenfalls dem Regierenden Bürgermeister zu, dass er statt an dieser Veranstaltung teilzunehmen eher an einer Veranstaltung teilnimmt, die dem 55jährigen Gedenken an die Befreiung von Auschwitz gewidmet ist. Ich halte das für wichtiger, meine Damen und Herren!

[Beifall bei der CDU und der SPD – Zurufe der Abgn. Doering (PDS) und Wieland (GRÜNE)]

Lassen Sie mich zum Schluss noch sagen: Es ist wahr – ich beantworte auch gleich Ihre Zwischenfrage –, dass die CDUFraktion einhellig wie der Regierende Bürgermeister gegen den Entwurf von Eisenman, ob 1, ob 2, ob 3, ob 4, eingetreten ist. Wir hielten diesen Entwurf für zu groß, zu leer und zu beliebig. Und diese Auffassung vertreten zu dürfen, ist meiner Ansicht nach durchaus legitim und hat ja nicht nur Beifall bei der CDUFraktion gefunden, sondern in ganz Deutschland. Wir waren in der Tat dafür, dass der Vorschlag von Richard Schröder der angemessene war. Wir sind in der Abstimmung mit dieser Auffassung unterlegen, und ich kann Ihnen namens der CDU-Fraktion versichern: Wir sind keine schlechten Verlierer.

[Wolf (PDS): Doch!]

Wir gehen selbstverständlich davon aus, dass der Senat seiner Pflicht bei der Umsetzung dieses Konzepts nachkommen wird. Und deshalb noch einmal: Die von Ihnen produzierte Aufgeregtheit geht an der Sache vorbei. – Ich danke Ihnen!

[Beifall bei der CDU]

Vielen Dank Herr Dr. LehmannBrauns! – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt Frau Ströver das Wort!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Lehmann-Brauns! Lea Rosh ist nach zehn Jahren Diskussion eine große Realistin geworden und erwartet deswegen nichts mehr vom Regierenden Bürgermeister, weil sie ihn seit zehn Jahren in dieser Blockadehaltung erlebt hat und weil sie ernüchtert ist und gar nicht mehr denkt, dass aus dieser Ecke Unterstützung für das Projekt kommt.

[Beifall bei den GRÜNEN und der PDS]

Herr Regierender Bürgermeister, durch Ihr Fernbleiben am symbolischen Baubeginn am diesem Tag, nämlich dem 55. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz, brüskieren Sie diejenigen, die an den Holocaust erinnern, ja, sie brüskieren die Opfer selbst. Sie setzen sonst immer auf Staatstragendes, auf große die Geste,

[Dr. Steffel (CDU): Oh, hör doch auf!]

hier kommt es auf eine kleine Geste an, auf ein Zeichen zur Versöhnung und auf ein Zeichen der Anerkennung von Mehrheitsentscheidungen. Sie jedoch verweigern sich auf ganzer Linie. Sie müssen nicht der Meinung sein, dass der Entwurf von Herrn Eisenman der gelungene ist. Das erwartet niemand von Ihnen. Sie können auch kritische Auffassungen von der Dimension und der Art des Ortes des Erinnerns, der geplant ist, artikulieren. Niemand hätte etwas dagegen. Niemand hätte etwas dagegen, wenn Sie sich konstruktiv in die Diskussion einmischen würden. Aber was Sie machen, ist eine Blockadehaltung auf ganzer Linie. Ich muss sagen: Für mich ist es eine peinliche Form, sich diesem Thema gegenüber so zu verhalten. Ich finde es persönlich eine Schande, dass Sie als Vertreter des Landes Berlin für mich und für alle anderen, die hier eine andere Entscheidung gefällt haben, auftreten bzw. sich davonmachen und sich nicht konstruktiv und in einer würdigen Form des Erinnerns an der Diskussion und an der Opfererinnerung beteiligen.

[Beifall bei den GRÜNEN und der PDS – Beifall der Frau Abg. Thieme-Duske (SPD)]

Es geht hier wirklich darum, dass der Regierende Bürgermeister dem Wunsch des Berliner Abgeordnetenhauses nach einem Denkmal für die ermordeten Juden respektiert, dem folgt und die Entscheidung des Deutschen Bundestages mitträgt. Ich muss Ihnen sagen, ich bin nicht mehr bereit, mich in dieser Weise, wie Sie es uns heute Mittag gezeigt haben, von Ihnen brüskieren zu lassen. Ich bin ehrlich gesagt nicht mehr gewillt zu sagen, dass Sie Vertreter sind der Mehrheit dieses Parlamentes, denn Sie sind es nicht! [Hey! von der CDU]

Wir haben eine andere Entscheidung gefällt, und diese Entscheidung haben Sie zu respektieren.

[Beifall bei den GRÜNEN und der PDS – Beifall des Abg. Gaebler (SPD) – Niedergesäß (CDU): Sie sind auch nicht die Mehrheit!]

Wir erwarten von Ihnen ein konstruktives Mitwirken bei den Fragen des Bebauungsplanes, bei der Grundstücksbereitstellung, bei der Einbeziehung auch der anderen Gedenkstätten in die konkrete Ausgestaltung des Denkmals und des Ortes des Erinnerns. Stattdessen gebärden Sie sich – Frau Freundl hat bereits darauf hingewiesen – wie ein trotziges Kind und tun alles, um zu verhindern, daß wir hier zu einer guten Lösung kommen. Ich finde Ihr Verhalten peinlich, ja schändlich und eines Regierenden Bürgermeisters dieser Stadt unwürdig!

[Starker Beifall bei den GRÜNEN und der PDS – Niedergesäß (CDU): Sie reden wirr!]

Der symbolische Baubeginn ist tatsächlich wenig, da haben Sie Recht, Herr Lehmann-Brauns. Ich kann mich noch gut an ein Gespräch mit dem ehemaligen Kultursenator Radunski erinnern, der es sich zu einem Ziel gemacht hatte, im Rahmen seiner Amtszeit ein Denkmal für die ermordeten Juden in Berlin realisiert zu wissen. Es ist ihm nicht gelungen. Es wird deswegen hohe Zeit, dass Sie jetzt endlich konstruktiv mitarbeiten. Ich hoffe sehr, dass wir in dieser Legislaturperiode ein Stück weiterkommen und dass es auch der Deutsche Bundestag mit der jetzt gegründeten Stiftung schafft, weiterzukommen.

Meiner Ansicht nach stehen wir bei der konkreten Umsetzung noch vor einem großen Problem. Ich habe mir auch gewünscht, dass sich Berlin zahlenmäßig stärker im Kuratorium einbringt und dort vertritt, welche Vorstellungen wir bezüglich der Gestaltung des Denkmals haben.

Ich möchte Sie als Letztes persönlich noch einmal und ganz eindringlich auffordern, am 27. Januar an der kleinen Gedenkfeier auf dem Bauplatz für das Denkmal für die ermordeten Juden gemeinsam mit dem Bundespräsidenten, gemeinsam mit dem Bundeskanzler, gemeinsam mit den Abgeordneten des Deutschen Bundestages und mit uns, hoffentlich zahlreich vertreten, dort der Opfer zu gedenken und ein positives Signal zu setzen. Ich denke, es ist vielleicht ein kleines Zeichen, wenn ich Ihnen jetzt noch einmal die Einladungskarte überreiche, die Herr Thierse auch an Sie geschickt hat.

[Zurufe von der CDU: Alles Show!]

Frau Abgeordnete! Bitte denken Sie an Ihre Redezeit!

Wenn Sie diese Einladung in der Hand haben, die Sie vielleicht schon weggeworfen haben, können Sie vielleicht noch einmal Ihr bisheriges Verhalten überdenken und über Ihren Schatten springen und mit uns gemeinsam am 27. Januar an dieser halbstündigen Gedenkveranstaltung teilnehmen. – Wir werden dem Antrag der PDS-Fraktion selbstverständlich zustimmen. – Ich danke Ihnen!

[Beifall bei den GRÜNEN und der PDS – Beifall des Abg. Benneter (SPD)]

Vielen Dank Frau Ströver! – Für die Fraktion der SPD hat jetzt Herr Wowereit das Wort!

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es gibt in diesem Haus immer wieder Gelegenheiten zu denen sich Fraktionen, Parteien kräftig streiten sollten und wo man die Unterschiede auch besonders hervorheben sollte. Es gibt aber auch wiederum andere Themen, bei denen ich von allen Fraktionen, von allen Rednerinnen und Rednern eine besondere Sensibilität erwarte. Das Thema, über das wir heute debattieren, erfordert eine besondere Sensibilität.

Dieses Haus hat in den vergangenen Jahren zu der Frage der Errichtung eines Denkmals für die ermordeten Juden Europas und über die Art und Weise des Gedenkens lange debattiert. Es ist auch unterschiedlich innerhalb der einzelnen Fraktionen argumentiert worden. Es hat Befürworter und Gegner der jetzt ausgewählten Form gegeben. Diese Diskussion ist zum größten Teil mit einer großen Sachlichkeit, aber auch mit einer persönlichen Emotion und Betroffenheit geführt worden, die aber meistens dazu geführt hat, dass man bestimmte Ebenen der Diskussion nicht verlassen hat. Nun sind die Entscheidungen im letzten Jahr im Bundestag getroffen worden, und das Land Berlin und dieses Abgeordnetenhaus haben deutlich gemacht, dass wir eine klare Position dazu haben, dass wir aber die letztendliche Entscheidung dem Deutschen Bundestag überlassen. Es ist im Deutschen Bundestag ebenfalls unter Mühen gelungen, übergreifend in den Fraktionen Meinungsbilder herbeizuführen. Manchmal konnte man bei bei den Diskussionen nicht mehr erkennen, wer eigentlich zu welchem politischen Spektrum gehört. Das ist meiner Ansicht nach auch gut bei solch einem Thema. Dann gab es einen Konsens, der Deutsche Bundestag hat einen Be