Protocol of the Session on March 15, 2001

Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 24. Sitzung des Abgeordnetenhauses von Berlin und begrüße Sie, unsere Gäste, unsere Zuhörer und die Zuschauer sehr herzlich.

Vor Eintritt in die Tagesordnung darf ich dem A b g e o r d n e t e n F r e d e r i k O v e r G l ü c k w ü n s c h e übermitteln. Er hat g e h e i r a t e t und ist vor wenigen Tagen Va t e r e i n e r To c h t e r namens Anna geworden. Herzlichen Glückwunsch!

[Beifall]

Das kann natürlich für alle eine große Stubenlage werden. Die Kolleginnen und Kollegen freuen sich schon darauf.

Wir sind damit beim Geschäftlichen. Es sind am Montag zum gleichen Zeitpunkt drei A n t r ä g e a u f d i e D u r c h f ü h r u n g e i n e r A k t u e l l e n S t u n d e eingegangen. Die hatten folgende Themen:

1. Antrag der Fraktion der SPD und der Fraktion der CDU zum Thema: „Haushaltssperre – soziale Schieflage für die Stadt?“

2. Antrag der Fraktion der PDS zum Thema; „Defizite, Bankenkrise, virtuelle Einnahmen – Haushalt 2001 nur noch Makulatur?“

3. Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zum Thema: „Jetzt auch noch Bauskandal – Berlin versinkt im Sumpf!“

hier kein Fragezeichen, sondern ein Ausrufezeichen.

[Beifall bei den Grünen]

Im Ältestenrat am Dienstag konnten wir uns auf ein gemeinsames Thema noch nicht verständigen, insbesondere deshalb, weil die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen die Aktualität ihres Themas mündlich begründen will. Die Fraktion der PDS hat allerdings signalisiert, dass sie dem Antrag der Fraktion der SPD und der Fraktion der CDU zustimmen möchte.

Zur Begründung der Aktualität hat das Wort der Herr Abgeordnete Seitz von der Fraktion der SPD, bitte sehr!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Welches ist heute das drängendste und damit auch aktuellste Thema in der Stadt?

[Cramer (Grüne): Gucken Sie einmal in die Zeitung: Landowsky!]

Ist es ein vermuteter Bauskandal und versinkt deshalb die gesamte Stadt im Sumpf, Ausrufezeichen?

[Cramer (Grüne): Jawohl!]

Ohne Zweifel ein ernstes Thema, Herr Kollege Wieland, welches einen Blick auf die – vorsichtig ausgedrückt – „Beziehungsstrukturen“ in dieser Stadt lenkt. Ich bin mit Ihnen der Meinung, dass der Ruf Berlins selbstverständlich nicht durch Skandale beschädigt werden darf, aber Berlin und seine Menschen, sind deshalb noch nicht der „Sumpf“, den die Grünen mit dem Vorschlag ihrer Themas dramatisch überhöht postulieren.

Dieses Thema beschreibt meiner Auffassung nach auch nicht das wirklich drängendste Problem der Stadt. Das wirklich aktuelle Thema ist die finanzielle Situation, die ihren dramatischen Ausdruck in der bereits am Beginn des Jahres verhängten Haushaltssperre findet.

[Cramer (Grüne): Gibt es da vielleicht einen Zusammenhang?]

Das hat, ebenso wie wir, auch die PDS erkannt und zum Gegenstand ihres Vorschlags für die Aktuelle Stunde gemacht. Die Aktualität teilen wir, wollen aber mit unserem Vorschlag den Schwerpunkt auf die Auswirkungen der Haushaltssperre auf die soziale Situation der Stadt lenken. Es ist unbestritten, dass der Haushalt 2001 durch ernste Risiken bei Einnahmen und Ausga

ben in einer kritischen Situation ist. Die Bankgesellschaft ist leider nur ein Teil dieses Problems. Der Finanzsenator hat deshalb in Verantwortung für den Haushalt darauf mit der Verhängung der Haushaltssperre reagiert. Wir halten das für den konsequenten und auch unausweichlichen Schritt in dieser Situation. Ebenso sind wir aber der Meinung, dass diese Haushaltssperre nicht die Lösung für den Rest des Jahres sein darf. Unser besonderes Interesse ist deshalb darauf gerichtet, die Stadt durch die Haushaltssperre nicht in eine soziale Schieflage geraten zu lassen. Deshalb wollen wir das auch zum Thema der Aktuellen Stunde machen. Ich glaube, das ist ein Thema, dem sich alle Fraktionen anschließen können.

Denn trotz unveränderter Konsolidierungszwänge und trotz Haushaltssperre darf Berlin nicht in einer sozialen Schieflage versinken. Deshalb müssen von der Haushaltssperre wichtige Bereiche ausgenommen werden, die unerlässliche Zukunftsinvestitionen für die Stadt bedeuten. Dazu gehören zum Beispiel das Schulsanierungsprogramm, ebenso wie „Computer in die Schulen“, Programme der beruflichen Bildung, Maßnahmen der sozialen Stadtentwicklung, das Quartiersmanagement, auch die Anschubfinanzierung der Bürgerämter nach der erfolgten Bezirksreform, ebenso wie Qualifizierungs- und Mobilisierungsmaßnahmen für Personal im Überhang. Schließlich darf auch die Arbeits- und Handlungsfähigkeit der Bezirke nicht beeinträchtigt werden, leisten die Bezirke doch gemeinsam mit den freien Trägern einen wesentlichen Beitrag zum sozialen Frieden in der Stadt.

[Beifall bei der SPD – Zuruf des Abg. Weinschütz (Grüne)]

Schon allein deshalb kann die Haushaltssperre nicht die Lösung für dieses Jahr sein. Ganz im Gegenteil ist sie nach seriöser und belastbarer Ermittlung aller Risiken durch gezielte Eingriffe in den beschlossenen Haushalt so schnell wie möglich zu ersetzen.

[Müller-Schoenau (Grüne): Nachtragshaushalt!]

Wir haben, Herr Müller-Schoenau, die Diskussion gestern im Hauptausschuss geführt. Ich fand sie sehr angenehm und konstruktiv.

Da es bei diesen Eingriffen aber um wesentliche Einsparungen gehen muss, halten wir eine Beteiligung des Parlaments an diesen gezielten Maßnahmen für unerlässlich.

[Beifall bei der SPD]

In diesem Sinn haben wir gestern im Hauptausschuss – Herr Müller-Schoenau, Sie werden sich erinnern – in einer sehr offenen und konstruktiven Diskussion über Fraktionsgrenzen hinweg einen Beschluss gefasst, von dem heute noch die Rede sein wird.

In diesem Sinne bitte ich Sie, für das Thema der heutigen Aktuellen Stunde nicht Skandale zu wählen und sich auch nicht auf die Beschreibung der finanziellen Misere zu beschränken, sondern sich mit uns darüber zu verständigen, wie das Nötige geleistet werden kann, ohne das soziale Gleichgewicht in der Stadt zu gefährden. Ich bitte Sie um die Zustimmung zu dem von uns vorgeschlagenen Thema. – Danke schön!

[Beifall bei der SPD]

Zur Begründung der Aktualität des Themas der Grünen hat Herr Wieland das Wort! Ich bitte um eine kleine Erinnerung zur Aktualität!

Herr Präsident! Herr Kollege Seitz! Dieser Erinnerung hätte es nicht bedurft. Wer heute die Tageszeitungen aufgeschlagen hat, der hat allein fünf Parteispenden zur Kenntnis nehmen können, die mit Baugeschehen und Immobilien in Zusammenhang gebracht wurden. Und Sie, Herr Seitz, sagen: Lasst uns nicht über Skandale reden! – Berlin versinkt im Sumpf, und man soll dazu keine Ausrufezeichen setzen? Diese Stadt droht, im Sumpf zu versinken. Der Sumpf sind nicht die Bürgerinnen und Bürger, Herr Kollege Seitz, sondern die, die seit Jahr

(A) (C)

(B) (D)

Wieland, Wolfgang

und Tag dieses unappetitliche Geflecht von Baulobby, Begünstigern, Verwaltungsangestellten und Politikern darstellen. Dieses Geflecht, von dem wir alle hofften, es sei mit der Antes-Affäre ein für alle Mal untergegangen, hat wieder sein Haupt erhoben und sitzt hier im Saal. Darüber muss geredet werden, und zwar mit dreifachem Ausrufezeichen.

[Beifall bei den Grünen und der PDS]

Es gab heute auch etwas Erfreuliches über die fünf Parteispenden zu lesen. Zum einen war „Jürgen Schneider – Unter den Linden – Französische Botschaft“ weniger erfreulich. Dazu sagte Herr Landowsky – wie immer –: Keinerlei Zusammenhang zu den Krediten meiner Bank. – Unerfreulich war auch Klaus Groth, der Spender Nummer 1 der CDU, und Placebo. Aber dass die CDU-Zehlendorf oder ein Teil davon, nämlich der Ortsverband Dahlem, im letzten Jahr eine Spende an Trigon zurückgezahlt hat, fällt positiv auf. Unsere Fraktion hat sich hier schon oft gefragt, ob wir Gespenster sehen, wenn man uns immer sagt, die Auskehrung eines Kredits und das Bakschisch stünden in keinem Zusammenhang; das seien getrennte Vorgänge, die man von einander losgelöst sehen müsse; Parteispenden seien das eine, und einen Zuschlag zu bekommen beziehungsweise Bauen sei das andere; wer dabei Verbindungen sehe, der habe eine schmutzige Phantasie – so hat es Herr Steffel vor 14 Tagen gesagt. Und nun kommt die ehrenwerte CDU Dahlem und sagt: Wir überweisen eine Spende zurück, weil der Eindruck entstehen könnte, mit dieser Spende solle ein bestimmtes Baugeschehen in unserem Bezirk gefördert werden. – Dazu sage ich: Bravo, Herr Braun! Das war richtig analysiert. Da hätten Sie wenigstens den bösen Schein gesetzt. – Im Jahr 2000 war man auf der Seite der CDU in diesen Fragen sensibler. Ich sage aber auch: Beurteilen Sie die Geschäfte, über die wir hier die ganze Zeit reden und die Ihr Noch-Fraktionsvorsitzender Jahr und Tag gemacht hat, ähnlich scharf! Darum bitte ich!

[Beifall bei den Grünen – Vereinzelter Beifall bei der PDS]

Wir bedauern ausdrücklich, dass Senator Strieder heute nicht hier ist, denn was in seinem Verantwortungsbereich geschehen ist – Vergabeentscheidung TU-Bibliothek –, wirft etliche Fragen auf. Die Frage ist, ob er als oberster Immobilienverkäufer in Cannes besser am Platz ist, als er es heute hier wäre, wo er Stellung nehmen und sich verantworten könnte. Man muss fragen, warum bei dieser zum Himmel schreienden Vergabe, die auch Experten aus der Bauindustrie kommentieren: So etwas haben wir noch nie erlebt! – – Es sprengt unser Fassungsvermögen, dass der zweitteuerste Kandidat den Zuschlag erhält und einem Parlament nicht gesagt wird, wie viele Bewerber es gab und dass die Vorausscheidung ein Planungsbüro macht, das mit dem dann Begünstigten seit Jahr und Tag zusammenarbeitet. Sie sind als Brüder im Wein- und Weihnachtspräsentversenden an die Bauverwaltung und andere bekannt geworden. Ausgerechnet dieses Duo infernale bekommt unter Täuschung des Parlaments den Zuschlag. Diese Tatsache muss hier erörtert werden. Dazu müsste auch Herr Senator Strieder sagen, warum er gegen eben diese Entscheidung, die das gestoppt hat, nun den Klageweg beschreiten will, warum er diese Entscheidung nicht lauthals begrüßt, sondern dagegen vor Gericht ziehen will. Diese Antwort ist Peter Strieder uns schuldig. Ich wiederhole: Es ist schade, dass er heute nicht anwesend ist.

[Beifall bei den Grünen]

Der Eindruck, der sich festsetzt, schadet dem Land Berlin. Es ist der Eindruck, dass ganz Berlin eine Schmiere ist, wie es schon in den 80er Jahren einmal formuliert wurde.

Sie müssen zum Schluss kommen!

Wir fragen uns, wo der Aufklärungsbeitrag des Regierenden Bürgermeisters bleibt. Er hat sich hingestellt und den denkwürdigen Satz gesagt: Hosen runter und alles auf den Tisch! –

[Heiterkeit bei den Grünen]

Ich mache mir diesen Satz nicht zu Eigen, aber er hat es so gesagt. – Was legt er denn auf den Tisch? Was hat er zur Aufklärung beigetragen? Was hat er in der Affäre in die Hand genommen, außer dass er laviert, Spuren verwischt, den toten Mann spielt und über dem Ganzen schwebt? Diese Frage muss gestellt werden. Welche Rolle spielt der Regierende Bürgermeister? Was ist von seinen Worten und seinem Aufklärungswillen übrig geblieben? Was setzt er in der Praxis um? Da ist nichts, das ist der Tote-Mann-Effekt. – Vielen Dank!

[Beifall bei den Grünen]

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich lasse über das Thema der Aktuellen Stunde abstimmen, und zwar zuerst über den Antrag der Fraktionen der CDU und der SPD. Wer diesem Antrag seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen! – Gibt es Gegenstimmen? – Stimmenthaltungen? – Damit ist das Thema der Fraktionen der CDU und der SPD auf der Tagesordnung. Diese Aktuelle Stunde wird unter dem Tagesordnungspunkt 1A aufgerufen. Wir verbinden die Aktuelle Stunde mit der Beratung der beiden Anträge der Fraktion der Grünen zur Haushaltssperre unter den Tagesordnungspunkten 24 und 25.

Nach der Aktuellen Stunde ziehen wir den Tagesordnungspunkt 18 vor. Das sind die Anträge zur Einsetzung eines Untersuchungsausschusses.

Für die Nichtteilnahme beziehungsweise teilweisen N i c h t t e i l n a h m e a n d e r h e u t i g e n S i t z u n g haben sich entschuldigt: Herr Senator Strieder, der ganztägig abwesend ist. Er nimmt an der Immobilienmesse in Cannes teil.