Protocol of the Session on January 18, 2001

[Beifall bei den Grünen, der CDU und der SPD]

Das ist eine Zumutung! Es wird unverhohlen damit fortgefahren, die letzten Spuren der unmenschlichen Teilung der Stadt zu eliminieren. Bei allem Interesse an Neukonstruktionen und Hochglanz in dieser Stadt gehören die Spuren der Teilung zu der ganz komplizierten Vergangenheit Berlins dazu. Diese kann man eben nicht durch Glasbausteine tilgen. Es ist unsere Pflicht und Schuldigkeit, diese wirklich letzten verbleibenden Reste der Teilung hier auch kenntlich zu halten.

Ich habe gerade im Deutsche-Welle-Fernsehen einen Bericht gesehen, in dem noch einmal der Besuch von 130 000 amerikanischen Touristen in Berlin im vergangenen Jahr gelobt wurde.

Es ist eine enorme Steigerung gegenüber den Vorjahren. Diese Menschen haben zu 100 % als Berlinbesucher artikuliert, dass sie in erster Linie herkommen, um die Spuren der Teilung und die Entwicklung der Stadt als wiedervereinigte Stadt zu sehen. Das ist ihr ursprüngliches und originäres Interesse. Vielleicht sollte das als Argument Herrn Strieder und seine Verwaltung überzeugen, diesen Wachturm als wirklich letztes Rudiment in dieser Stadtmitte zu erhalten.

[Beifall bei den Grünen und der CDU]

Wir haben unserem Antrag – deswegen ist es leider so kompliziert – noch einmal diese Skizze, die wir aus der Bauverwaltung bekommen haben, angehängt. Aus dieser wird deutlich, dass das, was bei der letzten Sitzung noch galt: eine Tiefgarageneinfahrt braucht eine schräge Zufahrt, nun nicht mehr gilt. Das ist merkwürdig! Investoren haben damals gesagt, dass eine Tiefgarageneinfahrt schräg sein müsse, damit auch Lastwagen hineinfahren könnten. Komischerweise ist die Bauplanung – das sieht man jetzt – zwischenzeitlich geändert worden. Die Einfahrt ist nun nicht mehr schräg. Die Variante 2 aus der Bauverwaltung sieht nun plötzlich eine gerade Einfahrt zur Tiefgarage vor. Just diese gerade Einfahrt ist aber nun nach genauen Vermessungen diejenige, die – weil das eine entsprechende Straßenpflasterung erfordert – auf Grund der Straßenpflasterung dem Wachturm im Wege wäre.

Man wird den Verdacht nicht los, dass dieser Verwaltung als Argument nichts dämlich genug ist, um diesen Wachturm dort wegzubekommen. Deswegen werde ich auch etwas zickig, weil es auch den Investoren gut anstünde, offensiv mit ihrer Baumaßnahme an diesem Standort zu werben und diesen Wachturm als eine Dokumentation des historischen Erbes dieser Stadt bewusst und prägend vor ihr Gebäude zu stellen.

Würden Sie bitte zum Schluss kommen!

Ich finde es ausgesprochen schade, dass dieser Änderungsantrag der Koalition, der offensichtlich auf Initiative der SPD entstanden ist, wieder nur einen Prüfauftrag enthält und wieder die Möglichkeit des Umsetzens oder Abtragens beinhaltet. Vielleicht können Sie doch unserem Antrag folgen, damit wir uns nicht erneut auf einen solch weichen Änderungsantrag verständigen müssen. Das hielte die Stadtentwicklungsverwaltung doch nicht in ihrem Verfahren auf. – Vielen Dank!

[Beifall bei den Grünen – Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Danke, Frau Ströver! – Herr Dr. Lehmann-Brauns hat nunmehr das Wort für die Fraktion der CDU.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe mich etwas gewundert, dass bei den bisherigen Wortmeldungen eine Sache keine Rolle gespielt hat, die ich aber doch noch einmal – ohne sie zu dramatisieren – erwähnen möchte. Wir haben hier am 7. Dezember 2000 getagt. 14 Tage vorher war der Wachturm Gegenstand unserer Erörterung. Als wir hier am 7. Dezember tagten, wurde hinter dem Rücken des Parlaments ein Wahrzeichen Berlins am Checkpoint Charlie abgerissen. Weder die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung noch das zuständige Bauamt in Mitte waren in irgendeiner Weise sensibilisiert, haben uns gewarnt oder uns informiert. Ich betrachte dies als eine Provokation dieses Parlaments. Diese Provokation unterstützt die Bitte und Forderung, die wir alle haben, diesen Wachturm an der Stelle zu erhalten!

[Beifall bei der CDU und den Grünen – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Ich finde es wirklich grotesk, dass wir einerseits am Checkpoint Charlie die kleine Alliiertenbaracke wieder aufstellen – ein Remake –, andererseits das Original, den Wachturm, abreißen. Das ist keine Stadtentwicklungspolitik, sondern eine Disneypolitik, die auch flüchtig ist, weil dahinter keine Maßstäbe stehen.

[Vereinzelter Beifall bei der CDU, der PDS und bei den Grünen]

Wenn man sich vergegenwärtigt, dass an der Mauergedenkstätte geplant ist, eine Art Disneywachturm zu errichten, wird der Abriss des Wachturms am Checkpoint Charlie, des Wahrzeichens der Stadt, besonders grotesk und ist nicht mehr und weniger als eine Schandtat!

[Beifall bei der CDU, der PDS – Vereinzelter Beifall bei den Grünen]

Wir unterstützen diesen Antrag, den wir aus Höflichkeit gegenüber einem Senator, mit dessen Partei wir uns in einer Koalition befinden, nur etwas anders formuliert haben. Dieser Antrag ist ausreichend, um eines geltend zu machen: Wir sind fast in jeder Sitzung in vielfältiger Hinsicht verschiedener Meinung. Hier haben wir einen Fall, bei dem das Berliner Parlament im Bewusstsein seiner Geschichte eindeutig einer Meinung ist. Deshalb kann es nicht sein, dass der Senator für Stadtentwicklung und irgendein Investor diese Meinung des Parlaments konterkariert.

Wir konnten uns nicht dagegen wehren, dass dieser Abriss am Checkpoint geschah. Das ist das hässliche Gesicht der Marktwirtschaft.

[Beifall des Abg. Over (PDS)]

Wir können uns aber gegen anderes wehren – ich hoffe nicht, dass es sich bei der Abwesenheit des Senators um einen weiteren Affront handelt – und können den Stadtentwicklungssenator verpflichten, mit dem gemeinsamen einstimmigen Votum des Parlaments, sich hinter den Beschluss zu stellen und gegenüber Investoren oder wem auch immer – diese wenigen Zentimeter, um die es geht, zuzugeben, damit dieses Wahrzeichen der Stadt erhalten bleibt. Aus diesem Grund stimmen wir dem Antrag zu. Im Herzen stimme ich dem Antrag der Grünen zu, aber der Koalitionsantrag sagt dasselbe. Stimmen wir beiden zu! Bestehen wir darauf, dass wir nicht wieder an der Nase herumgeführt werden! – Ich danke Ihnen!

[Beifall bei der CDU – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Der Herr Kollege Gaebler hat das Wort zur Kurzintervention!

Herr Kollege Lehmann-Brauns! Ich möchte nur Eines richtigstellen: Sie haben so getan, als habe Herr Strieder den Wachturm am Checkpoint Charlie abreißen lassen. Für die Bauplanung in diesem Zusammenhang waren Senator Klemann und das Bezirksamt Mitte zuständig. Ich bitte, das hier auch so zur Kenntnis zu nehmen.

[Beifall bei der SPD – Zurufe von der CDU]

Die antragstellende Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bittet um die sofortige Abstimmung. Zuerst lasse ich aber über den Änderungsantrag von SPD- und CDUFraktion abstimmen. Wer diesem Antrag seine Zustimmung zu geben wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. – Danke schön! Die Gegenprobe! – Das sind drei Gegenstimmen. Enthaltungen? – Das sind überwiegend die Fraktionen von PDS und Bündnis 90/Die Grünen. Dann ist dieser Antrag aber so angenommen. Das ist so beschlossen, und damit erledigt sich auch die Abstimmung über den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 14/926.

Ich rufe nun auf

lfd. Nr. 27 C, Drucksache 14/931:

Antrag der Fraktion der PDS über Verantwortung Berlins im Rahmen der Städtepartnerschaft BerlinIstanbul wahrnehmen – Haftbedingungen in türkischen Gefängnissen verbessern

Wird der Dringlichkeit widersprochen? – Das ist nicht der Fall.

Eine Beratung ist heute nicht vorgesehen. Die Fraktion der PDS bittet um Überweisung des Antrags an den Ausschuss für Europa- und Bundesangelegenheiten und Berlin-Brandenburg. – Dem wird auch nicht widersprochen. Dann ist das so beschlossen.

Wir kommen zu

lfd. Nr. 27 D, Drucksache 14/932:

Antrag der Fraktion der Grünen über Missbilligung der Senatorin für Arbeit, Soziales und Frauen

Wird der Dringlichkeit widersprochen? – Das ist nicht der Fall.

Die Beratung wird gewünscht, und Wortmeldungen gibt es auch. – Zweckmäßig wäre natürlich die Anwesenheit der Senatorin. – Bitte, Herr Dr. Köppl! Sie können ja schon einmal anfangen.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe heute mit einigen Kollegen aus der SPD-Fraktion, zu denen ich auch ein gutes Verhältnis habe, über den Antrag gesprochen, den wir vorgelegt haben. Sie haben mit einer spontanen Wut und Empörung auf diesen Antrag reagiert. Deswegen richte ich meine Rede jetzt vor allem an die SPDFraktion.

[Wowereit (SPD): Das können Sie bleiben lassen!]

Meine erste Bitte: Betrachten Sie dieses Vorgehen und diesen Antrag nur für die Zeit, in der ich hier rede, einmal nicht unter der parteitaktischen Brille!

[Ah! von der SPD]

Sehen Sie einfach einmal vor Ihrem inneren ungetrübten Auge die Situation so, wie sie ist!

[Zuruf des Abg. Gaebler (SPD)]

Ich möchte Ihnen zunächst einmal erklären, wie diese Situation entstanden ist. Übrigens werfen wir in unserem Antrag Frau Schöttler nicht vor, dass ein Gefangener oder ein Patient entwichen ist. Das ist nicht der Vorwurf. Ich bitte auch darum, diesen nicht in Ihren Argumentationen zu erheben. Vielmehr sagen wir: So, wie das Management dieses Falls gelaufen ist, wie die Öffentlichkeit informiert worden ist und wie sich die Senatorin in der Öffentlichkeit selbst dazu verhalten hat, das ist nicht akzeptabel und ein schwerer Fehler. Das kann ich Ihnen sehr gut begründen.

Am Sonntag Abend ist besagter Patient in der forensischen Klinik – also im Krankenhaus des Maßregelvollzuges – entwichen. Die Senatorin ist am Montag früh benachrichtigt worden. Da stellt sich schon einmal die erste Frage: Wie ist die Senatsverwaltung organisiert, dass bei einem solch krisenhaften Phänomen – wenn nämlich ein wegen eines schweren Sexualdeliktes verurteilter und in diese Klinik eingewiesener Patient, der immerhin vor den Augen von Kindern eine Frau brutal vergewaltigt hat, aus dieser Anstalt entweicht – nicht sofort und stante pede die zuständige Senatsverwaltung informiert wird? Wieso ist das anders organisiert? Wieso beginnt die Information erst mit dem Dienstantritt am nächsten Morgen? – Das ist die erste Frage.

Die zweite Frage: Natürlich ist dann von der Senatsverwaltung in diesem Punkt erst einmal ordentlich reagiert worden, aber dann ist ein folgenschwerer Irrtum eingetreten. Die Senatsver

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waltung bzw. Frau Schöttler war der Meinung, sie müsse die Öffentlichkeit nicht über diesen Fall informieren. Ich frage Sie: Gibt es jemand in diesem Hause, der der Meinung ist, dass man, wenn solch ein verurteilter Straftäter aus einer Institution entweicht, wo die Gesundheitsverwaltung direkte Verantwortung trägt – vor dem gesamten Hintergrund und der Diskussion, die wir in der letzten Zeit in der Bundesrepublik hatten –, das verschweigen kann und die Öffentlichkeit nicht zu informieren braucht? Meint jemand hier in diesem Saal, dass das die Öffentlichkeit nichts angeht und man noch nicht einmal – darüber muss ich Sie auch aufklären – das auf dem gleichen Grundstück befindliche öffentliche Krankenhaus informieren muss? – Dieses Krankenhaus hat öffentliche Zugänge und wird sozusagen als normales Krankenhaus geführt, wo Krankenschwestern arbeiten wie in jedem anderen öffentlichen Krankenhaus auch und das Besucherverkehr hat.

[Gaebler (SPD): Panikmache!]