Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich begründe unsere Große Anfrage, aber auch, wie Sie vorgelesen haben, den Antrag über Sofortentlastung des Regierenden Bürgermeisters. Ich muss sagen, wir stellen hier einige Anträge,
viele sogar, aber selten hatte ein Antrag eine so prompte präventive Wirkung. Wir haben ihn Mitte Oktober gestellt, haben gerügt, dass der Regierende Bürgermeister bis dato ein einziges Mal an einer Sitzung des Rechtsausschusses teilgenommen hat, und mussten geradezu gerührt zur Kenntnis nehmen, dass er seitdem quasi wie ein beim Schulschwänzen ertappter Pennäler jedes Mal da war:
Aber, lieber Kollege Benneter, da müssen wir in der Sprache der Werbung sagen: Mühe alleine langt hier nicht. Wir wollen ein eigenständiges Justizressort, wir wollen jemanden, der dieses Justizressort mit Leib und Seele und ganzer Arbeitskraft ausfüllen kann, wie wir es in Berlin schließlich mit Jutta Limbach und Lore Maria Peschel-Gutzeit an hervorragender Stelle erlebt haben. [Beifall bei den Grünen und der SPD – Zuruf des Abg. Wansner (CDU)]
Der Kollege Braun hat sich im Sommer zum Fenster herausgehängt und hat gesagt, das ist ein schönes Wort, deshalb habe ich es mir gemerkt, er möchte eine Zeitoase für die Senatsmitglieder, auch für den Regierenden Bürgermeister haben. Nun weiß ich nicht, ob Herr Diepgen sie braucht oder nützen würde. Wie man ihn kennt, wird er auch im Liegestuhl noch Akten bearbeiten. [Heiterkeit]
Aber dennoch ist es ein richtiger Gesichtspunkt, dass dieser Senat ohne jede Notwendigkeit nur der Koalitionsarithmetik wegen weniger Mitglieder hat, als er nach der Verfassung haben könnte.
Die Justizorganisationen, die das kommen sahen, haben schon im Vorfeld der Senatswahl seinerzeit Alarm geschlagen. Ich zitiere, was der Vorsitzende des Berliner Anwaltsvereins vorher sagte:
Das Amt des Justizsenators soll Opfer der Parteienarithmetik in der Koalition werden. Das darf nicht sein. Um es einmal scharf zu formulieren: Hier verletzen Parteien wegen Ämtergeschachers rechtsstaatliche Prinzipien. Ein Justizsenator ist unverzichtbar.
Als es dann geschehen war, hat Heribert Prantl in der „Süddeutschen Zeitung“ in unnachahmlicher Art und Weise das Ganze kommentiert. Ich lese es noch einmal vor.
Die Abschaffung des Justizsenators ist ein Sündenfall, eine Todsünde wider den Geist der Demokratie und der Gewaltenteilung. Eberhard Diepgen und seine willfährigen Helfer aus der Sozialdemokratie
haben der Dritten Gewalt Gewalt angetan. Sie haben sich aus niedrigen Beweggründen, nämlich aus Gründen der Koalitionsarithmetik, von einem Prinzip verabschiedet, das in Deutschland seit 1808 Gültigkeit hat. Damals haben unter dem Einfluss der Französischen Revolution die Reformer in Deutschland ihren Königen die Einrichtung der klassischen Ministerien abgetrotzt: Inneres, Auswärtiges, Finanzen, Justiz und Krieg. Mit dieser Verantwortlichkeit der einzelnen Minister für ihre Ressorts wurde der monarchistische Absolutismus gebrochen.
Und dieses Prinzip, so Heribert Prantl, wird ad absurdum geführt, wenn man es vereinigt in den Händen des Regierungschefs.
Ich erinnere daran, wie die CDU in Nordrhein-Westfalen erfolgreich bis hin zum Landesverfassungsgericht Sturm gelaufen ist
gegen die Zusammenfassung der Ressorts Justiz und Inneres. Ich weise darauf hin, dass ausgerechnet Mecklenburg-Vorpommern, das viel gescholtene Volksfrontland, nunmehr wieder einen Justizminister hat, einen gewissen Erwin Sellering, der Name darf hier auch einmal genannt werden. Sie alle tun das, was die Hauptstadt Berlin offenbar nicht nötig hat. Sie alle haben erkannt, dass es hier auch darum geht, welchen Stellenwert die Justiz in unserem Gemeinwesen hat, wie ernst wir tatsächlich richterliche Unabhängigkeit nehmen, wenn wir das Ressort hier irgendwo unterordnen. Es ist eine Schande, dass Berlin hier immer noch ein Negativbeispiel ist.
Der Zähler tut es nicht, wir rechnen zwei Minuten ab, aber vielleicht bekommen Sie einen kleinen Bonus, wenn es interessant wird.
Danke, wenn es interessant b l e i b t , Herr Präsident! interjection: [Heiterkeit bei den Grünen – Gram (CDU): Sind wir mal gespannt!]
Es bleibt interessant, denn ich werde weiter Heribert Prantl zitieren, der geradezu hellseherische Fähigkeiten hatte, denn er sagte:
Wenn künftig der Senat, die Senatsverwaltungen, wenn Regierungspolitiker oder die Polizei in Zivil- oder Strafverfahren verwickelt sind, wenn interessierte Minister oder ein Regierungschef lauthals fordern, dass man da doch eingreifen und etwas tun müsse, ist kein Justizressortchef mehr da, der darauf sofort antwortet, dass man da nicht eingreifen könne und dürfe, keiner also, der die Unabhängigkeit der Justiz betont und verteidigt.
Diese Situation hatten wir gleich einen Monat nach der Regierungsbildung. Ende Januar hat die Öffentlichkeit, haben die Medien unisono eingeprügelt auf die Richter des Berliner Verwaltungsgerichts. Innenstaatssekretär Jakesch sagte, man werde mit diesen Richtern reden müssen, damit sie zur richtigen Ansicht kämen. Der CDU-Fraktionsvorsitzende Landowsky hat mit der ihm eigenen Direktheit den Satz geprägt, sie müssten einsehen, dass hier das Ansehen der Hauptstadt über formaljuristische Regelungen gestellt werden muss – in unverbrämter Weise eine Aufforderung zu Rechtsbeugung, für die er sich, anders als bei Barenboim, nie zu entschuldigen hatte. So etwas nimmt man offenbar heutzutage hin: „formaljuristische Regelungen“ weg, wenn es um das Ansehen der Hauptstadt geht. Dies alles war eine Situation, wo der Regierungschef sich hätte vor die Richter stellen müssen. Intern hat er gesagt, das konnte er nicht, weil dann im Ausland der Eindruck entstanden wäre, er als Regierender Bürgermeister unterstütze diese Naziumzüge.
Gebellt wurde dann erst, als nicht CDU-Parteifreunde, sondern Monate später Guido Westerwelle das Gleiche tat und in eine massive Richterschelte ausbrach. Da endlich hatte Herr Diepgen, der uns vorhin gesagt hat, er werde durch dieses Amt für die richterliche Unabhängigkeit sensibilisiert, offenbar diese Sensibilität entwickelt. Es hat zu lange gedauert, Herr Diepgen.
Wenn denn justizpolitische Aktivitäten einmal kommen, dann sind sie deutlich mit Vorsicht zu genießen. Ich sage das zu der Wiedereinrichtung der P-Abteilung. Da war eine alte Revanche von vor 10 Jahren fällig. Die SPD erklärte, ein solches Rollback zur Verfolgung von Gesinnung mache sie nicht mit; so der Sprecher der Linken, Lorenz, an vorderster Stelle. Sie haben es dann doch mitgemacht. Der Umfall kam.
Diepgen fordert Eindämmung von Bewährungsstrafen bei menschenverachtender Gewaltkriminalität; Justiz muss Signal gegen extremistische Gewalttaten setzen.
Da bin ich ganz entschieden anderer Meinung, Herr Gram! Wir haben kein Sonderrecht für Linke und kein Sonderrecht für Rechte. Wir haben eine einheitliche Rechtsordnung, und die Justiz muss jeden Straftäter differenziert danach betrachten, was er getan hat, und es auch im Kopf haben – das hat der Vorsitzende des Richterbundes, Herr Jünnemann, ganz deutlich gesagt –, wie die Haft beispielsweise auf junge Straftäter wirkt. Davon bei Diepgen kein Wort! „Eindämmung von Bewährungsstrafen“ – man beachte mal den Wortlaut, als sei eine Bewährungsstrafe per se etwas von Übel. Das war eine Leitlinie, die sich kein Justizsenator, auch kein Regierender Bürgermeister, so hätte leisten dürfen.
Wir sagen auch – und das ist unsere Große Anfrage –: Die Justiz hat einen derartigen Modernisierungsbedarf; sie ist im Vergleich zu anderen Organen in diesem Staat derart minderausgestattet, dass hier ein Justizsenator nötig wäre, der mit aller Kraft für die Belange der Justiz kämpft und sich einsetzt. Wir machen Eberhard Diepgen nicht für das verantwortlich, was er als Fachsenator in der Vergangenheit so nicht zu vertreten hatte. Aber er war immerhin Regierungschef in den letzten zehn Jahren. Wenn man dann liest, was beispielsweise der Deutsche Richterbund aktuell zur Situation der Justiz schreibt, muss man sich das einmal auf der Zunge zergehen lassen. Ich zitiere aus der letzten Mitteilung des Deutschen Richterbundes:
Die Raumsituation hat sich nicht oder nur unwesentlich gebessert. Allzu viele Kollegen müssen sich zu zwei oder gar zu dritt einen Raum teilen. Insbesondere auch bei der Staatsanwaltschaft führt dies zu unerträglichen Arbeitsbedingungen, die von den Kollegen schon seit Jahren beklagt werden. Nicht unerwähnt soll insoweit die schäbige Ausstattung der Diensträume bleiben. Sie ist nicht nur ein ästhetisches Problem und man geniert sich schlicht bei gerichtsunerfahrenen Besuchern, sondern sie beeinträchtigt auch die Freude an der Arbeit und damit die Motivation aller Bediensteten. Die Ausstattung mit modernen Kommunikationsmitteln ist nur geringfügig verbessert. Angesichts der mittlerweile überschaubaren Kosten ist kaum zu erklären, warum nicht zumindest in jeder Geschäftsstelle ein Faxgerät stehen kann. Die Rechtsanwaltschaft hält Laufzeiten von zwei bis drei Tagen zwischen Eingang eines Fax und dessen Eintreffen auf dem Richterschreibtisch zu Recht für abenteuerlich.
Wir wären zum Teil schon froh, wenn es nur drei Tage wären. Wir haben Dokumente und Zeugnisse von Staatsanwälten, die sagen, wenn sie in einer Haftsache einen Antrag unter „Eilt“ in ihre Ablage legen, dauert es im gleichen Haus bis zu 10 Tagen, bis dieser Antrag bei dem zuständigen Haftrichter ist, und das im Zeitalter der Telekommunikation.
Das habe ich alles hier dokumentiert, meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Es hat sich bis heute nicht geändert. Es wäre auch Ihre Aufgabe gewesen, hier einmal etwas zu tun. Wenn ich heute in Moabit in Geschäftsstellen gehe, erlebe ich es, dass die Frauen dort wie der Storch im Spinat über Aktenstapel auf dem Boden steigen und irgendwo auf dem Boden herumsuchen, als sei es eine Wohngemeinschaft von Chaoten, wo denn wohl die Akte ist, die ich heraushaben will. Auf die Frage: „Machen Sie das immer so?“ kommt ein hysterisches Gelächter: „Was bleibt uns denn übrig?“ Das ist die Situation. Fragen Sie einmal einen Zeugen, der seiner staatsbürgerlichen Pflicht nachkommt, was
wir ja immer wollen, und als Zeuge zu einem Strafverfahren geht, wenn er in Moabit einmal die Toilette aufsucht: Dort ist es unter Dritte-Welt-Niveau. Man beleidigt fast die Dritte Welt, wenn man das so sagt. Das sind die beklagenswerten Zustände. Wir meinen, dagegen müsste ein Justizsenator mit ganzer Kraft angehen. Zu den weiteren Einzelheiten wird mein Kollege Weinschütz noch etwas sagen, wo es überall schlecht mit der Modernisierung der dritten Gewalt aussieht.