Protocol of the Session on November 16, 2000

Die lfd. Nr. 16 ist durch die Konsensliste erledigt.

Damit sind wir bei der

lfd. Nr. 17, Drucksache 14/777:

Antrag der Fraktion der Grünen über Maßnahmen gegen illegale Deponien

Hier ist eine Beratungszeit von bis zu 5 Minuten vorgesehen. Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat Frau Abgeordnete Hämmerling das Wort – bitte sehr!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist schon spät, fast zu spät, um über die Abfallleidkultur zu reden, wir teilen dieses Abfallleid mit Brandenburg. In Brandenburg gibt es inzwischen ungefähr 300 illegale Deponien, in Berlin sind es ca. 50 Deponien, die es im wahrsten Sinn des Wortes „in sich“ haben. Denn von diesen illegalen Deponien gehen erhebliche Umweltrisiken aus, weil dort neben Bauabfällen auch giftige Sonderabfälle aller Art gelagert werden. Der Senat, sprich: der Steuerzahler, wird immer dann die Entsorgung dieser Abfallmassen bezahlen müssen, wenn Recyclingbetriebe in Konkurs gehen bzw. die Grundstückseigentümer nicht zahlungskräftig sind.

Das jüngste Paradebeispiel dieser kollektiven Verantwortungslosigkeit von Bezirks- und Senatsbehörden wurde in der vergangenen Woche bekannt. Unter den Augen der Ordnungsbehörden wurden 2 000 Tonnen giftige Hinterlassenschaften –

[Anhaltende Unruhe]

Darf ich kurz unterbrechen? – Meine Damen und Herren! So viel haben wir nicht mehr auf der Tagesordnung, dass Sie sich nicht noch so lange konzentrieren und zuhören könnten. Ich bitte auch auf den Senatsbänken um etwas mehr Ruhe! – Bitte Frau Hämmerling, Sie haben das Wort!

Ja, schönen Dank, Herr Präsident! Es wäre auch sehr schön, wenn sich Herr Senator Branoner für dieses Thema interessieren würde. Es geht hier auch um Wirtschaft, nicht um die kleinen Häufchen, sondern um die großen in dieser Stadt. Es sind ja mehr die kleinen, die den Umweltsenator interessieren. Es wäre daher sehr schön, wenn sich noch jemand anders im Senat dieses Problems annähme.

Unter den Augen der Ordnungsbehörden wurden 2 000 Tonnen giftiger Hinterlassenschaften einer Autoverwertungsfirma aus Spandau in ein Brandenburger Biotop verschoben. Statt Anzeige wegen illegaler Abfallbeseitigung bei der Umweltkripo zu erstatten, legte die Verwaltung den Vorgang zu den Akten. Schließlich war der Abfall ja weg. Wohin die giftigen Sonderabfälle verschwunden waren, interessierte die Behörden nicht. Das ist ein Skandal!

Das Muster, nach dem die kriminellen Entsorger verfahren, ist immer dasselbe. Zuerst wird eine Kapitalgesellschaft gegründet, dann werden die Abfälle zu Dumpingpreisen entgegen genommen. Wenn die Behörden später gegen dieses Deponieren vorgehen wollen, liquidieren kriminelle Entsorger ihre Firmen und lassen den Abfall liegen. Das illegale Abfallgeschäft in Berlin ist mittlerweile in festen Händen. Es sind immer wieder dieselben Personen, die jeweils neue Kapitalgesellschaften gründen, Bauabfälle, manchmal sogar auf demselben Gelände, deponieren und sich am Ende mit einem „sauberen“ Konkurs aus der Verantwortung ziehen.

Vergleiche mit mafiösen Strukturen drängen sich auf, auch deshalb, weil, statt die Straftäter anzuzeigen, diese als angebliche Investoren oft mit rührender Fürsorge durch die Ordnungsbehörden im Bezirk und im Senat betreut werden. Die Kehrseite dieser Medaille ist, dass die seriös arbeitenden Firmen in dem Geschäft in den Konkurs getrieben werden, weil die Müllmafia Dumpingpreise aufgerufen hat. Entweder sie gehen in den Konkurs, oder sie gehen auch in die Kriminalität. Es gibt in Berlin kaum noch Entsorger, die ordentlich ihrem Geschäft nachgehen können, jedenfalls nicht, wenn sie die Gesetze einhalten.

Man braucht nicht sehr viel Phantasie, um sich vorzustellen, wie der volkswirtschaftliche Schaden aussieht: Steuerausfälle, Arbeitsplatz- und Lehrstellenabbau, Arbeitslosengeldzahlungen; dazu kommen noch die Umweltschäden und Entsorgungskosten für den Steuerzahler in dreistelliger Millionenhöhe. So schätze ich es in Berlin ein.

Meine Damen und Herren von der großen Koalition! Ihre Senatoren haben hier 10 Jahre lang hilflos zugesehen, wie ein Wirtschaftszweig in die Knie gezwungen wurde, und Sie bieten hier, um mit den Worten des Regierenden Bürgermeisters zu sprechen – er ist leider nicht hier –, eine Veranstaltung, die abgetanzt und abgelatscht ist. Wir meinen, damit muss Schluss sein.

[Beifall bei den Grünen – Vereinzelter Beifall bei der PDS]

Schluss sein muss auch mit der Schlamperei in den Ordnungsbehörden. Gegen dieses verantwortungslose Handeln muss vorgegangen werden.

Konkret stellen wir im heute eingebrachten Antrag folgende Forderungen: Führen Sie eine Bestandsaufnahme und die sofortige Sicherung aller illegalen Deponien und Maßnahmen zur Gefahrenabwehr durch! Erstellen Sie Finanzierungs- und Entsorgungskonzepte für diese Deponien! Veranlassen Sie die Beseitigung der illegalen Deponien! Stimmen Sie vor allem funktionsfähige Konzepte und Kooperationsmodelle zwischen den Ordnungsbehörden in Bezirken und Senat ab! Kooperieren Sie enger mit Brandenburg! Vor allem setzen Sie die Anzeigepflicht der Behörden gegenüber der Umweltkripo durch!

Abschließend eine Bitte an das eigene Haus: Bitte befassen Sie sich mit dem Antrag, den wir im Sommer eingebracht haben. Wir hatten vorgeschlagen, dass jeder, der ein Recyclingunternehmen beginnen will, eine Sicherheitsbürgschaft hinterlegt. Diese Sicherheitsbürgschaft wird bestimmt vom Volumen des beabsichtigten Lagerplatzes. Wenn wir dies durchführen, wird es in Zukunft keine neuen Deponien mehr geben. Wir müssen also nicht auf die Bundesregierung und die anderen Bundesländer warten, bis sie das Bundes-Immissionsschutzgesetz ändern, sondern wir haben es selbst in der Hand, noch in der nächsten Plenarsitzung eine rechtliche Regelung zu finden. – Schönen Dank! [Beifall bei den Grünen – Vereinzelter Beifall bei der PDS]

Für die Fraktion der CDU hat der Abgeordnete Goetze das Wort. – Bitte sehr!

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben eben einen Redebeitrag erlebt, der mich ausgesprochen enttäuscht hat. Die Kollegin Hämmerling habe ich bisher immer als eine Frau gekannt, die fachlich versiert ist, die Details kennt und sie fachgerecht vorträgt. Heute haben wir

davon absolut nichts gehört, denn sie hat hier wider besseres Wissen geredet, in einer Art und Weise, dass man sagen muss: Offenbar haben Sie alles vergessen, was Sie jemals über die Berliner Verfassung und die Verwaltungsreform gelesen haben, sie haben unsere Ausschusssitzungen vergessen und auch, wo die Probleme bei diesem Sachverhalt liegen.

Frau Hämmerling, Sie beantragen in fünf Punkten Dinge, bei denen heute die Zuständigkeiten geregelt sind, und zwar so, dass sie eindeutig im Bezirk liegen. Sie haben selbst dazu im Umweltausschuss gesprochen, denn wir haben uns öfter schon miteinander darüber auseinandergesetzt. Sie haben auch dort die Hinweise bekommen, wer die Zuständigkeit hat. Bei den Zwölfmonatsdeponien besteht eindeutig Bezirkszuständigkeit in der Genehmigung und in der Überwachung.

Das Kataster, das Sie angesprochen haben, lag uns bereits im Umweltausschuss vor. Wir haben eine Liste bekommen, bei der – zugegebenermaßen mit der Ausnahme von drei Bezirken – alle gemeldet haben.

[Frau Abg. Hämmerling (Grüne) meldet sich zu einer Zwischenfrage.]

Ich habe nur fünf Minuten und kann leider keine Zwischenfrage zulassen. – Neun Bezirke haben Fehlanzeige signalisiert; die anderen illegalen Deponien sind mit den Maßnahmen der Bezirke aufgeführt worden, und wir konnten das bewerten. Daher brauchen wir dieses Kataster nicht.

Das Entsorgungs- und Finanzierungskonzept liegt, da die Bezirke ursächlich in der Verantwortung stehen, auch dann, wenn etwas schief läuft, bei den Bezirken. Natürlich sind wir gern bereit, mit Ihnen gemeinsam eine Änderung des Bundesimmissionsschutzgesetzes vorzunehmen, um Zwölfmonatsdeponien außerhalb von Baumaßnahmen auszuschließen. Das könnte einen Teil dieser Probleme reduzieren. Aber das ist etwas, was wir nicht als Landesgesetzgeber machen können, sondern das kann nur der Bund durchführen. Also: Entsorgungs- und Finanzierungskonzept liegt bei den Bezirken.

Dann fordern Sie, dass die Ersatzvornahme durch das Land Berlin zu veranlassen ist, und Sie garnieren das ganze in Ihrem Vortrag immer mit der Formulierung „kollektive Verantwortungslosigkeit von Bezirk und Senat“. Letzteres ist eben nicht zutreffend. Schauen Sie in alles hinein, was wir uns mit der Berliner Verfassung gemeinsam angesehen haben. Schauen Sie in die Gesetze für die Verwaltungsreform – Sie werden nachvollziehen können, dass diese Aufgabe teilweise beim Bezirk lag, teilweise in den Bezirk abgeschichtet worden ist; daher geht Ihre Zielsetzung an der Realität vorbei.

Sie fordern, dem Abgeordnetenhaus halbjährlich zu berichten. Der Kollege Rogall hat dies – nachzulesen im Protokoll der letzten Ausschusssitzung – auch gefordert. Ich gehe davon aus, dass der Senat dies durchführen wird. Wir haben einen Bericht zum 31. März 2001 vorgemerkt. Auch das ist also bereits erfüllt.

Es ist festzuhalten, dass, seitdem wir uns mit diesem Thema beschäftigt haben, die von Ihnen teilweise auch geführten Bezirksverwaltungen – es sind auch grüne Stadträte betroffen –

[Frau Hämmerling (Grüne): SPD!]

sich in den Bezirken, in denen solche Deponien vorhanden sind, entweder nicht ausreichend darum gekümmert haben oder die Probleme im Griff sind. In beiden Fällen geht Ihr Antrag an dem, was schon längst Stand dessen ist, was die Verwaltung tut und was wir an Kontrolle im Ausschuss vorgenommen haben, vorbei.

Lassen Sie mich noch ein Wort zu dem sagen, was Not tut. Wir müssen uns dazu durchringen, zum Beispiel die Abfallentsorgung in der Vorbildfunktion des Landes Berlin nur noch durch Entsorgungsfachbetriebe vornehmen zu lassen und an den Stellen, wo die öffentliche Hand mit Subventionen agiert, zu fordern, dass nur Entsorgungsfachbetriebe eingeschaltet werden. Das kommt auch der Wirtschaft entgegen, denn da gibt es sehr viele Betriebe, die in den vergangenen Jahren mächtig investiert haben, sich haben zertifizieren lassen und nun auf Aufträge warten. Natürlich kostet Qualität einige Mark mehr, als wenn man es irgendeinem Krauter von der grünen Wiese überlässt.

(A) (C)

(B) (D)

Sie müssen zum Schluss kommen!

Ich habe die Änderung der 4. Bundesimmissionsschutzverordnung für die Zwölfmonatsanlagen schon angesprochen. Vielleicht können wir uns darauf verständigen, dass im Zuge von Baumaßnahmen auch Nachweise über die Bauabfallverbringung gefordert werden können. Diese drei Punkte werden wir im Rahmen des Verfahrens vorschlagen. Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass die bestehenden illegalen Deponien eindeutig im Verantwortungsbereich der Bezirke liegen und von dort administriert werden müssen. Wir sind nicht bereit, diese Verantwortung zu übernehmen. Ihre Fraktion war Verfechterin einer solch weitestgehenden Abschichtung. Jetzt können Sie sich nicht darüber beklagen, wenn etwas schief läuft. – Vielen Dank! interjection: [Beifall bei der CDU – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Zu einer Kurzintervention hat das Wort Frau Abgeordnete Hämmerling. – Bitte sehr!

Schönen Dank, Herr Präsident! – Schade, Herr Goetze, dass Sie mir nicht zugehört haben! Erstens habe ich nicht verlangt, dass wir das BundesImmissionsschutzgesetz ändern. Bis die Länder und der Bund sich geeinigt hätten, müssten wir noch eine ganze Weile warten. Unser Vorschlag – er liegt seit dem Sommer vor – lautete, die Bauordnung zu verändern. Das können wir in Berlin und das können wir in der nächsten Sitzung tun – wenn wir wollen.

Zweitens gibt es keine grünen Stadträte, die solche Umweltsauereien zu verantworten haben.

[Zuruf des Abg. Dr. Steffel (CDU)]

Sagen Sie mir bitte einen!

Drittens wird dann die ministerielle Ebene gefordert sein – das ist der Senat. Wenn fünfzigmal im Bezirk das gleiche Problem auftritt, wenn fünfzigmal die Ergebnisse bzw. die Hinterlassenschaften dieser sogenannten Zwölfmonatsanlagen als Deponien in den Bezirken auftauchen, dann gibt es offensichtlich eine Koordinierungslücke und eine Lücke in der Zusammenarbeit. Wozu haben wir denn die ministerielle Ebene? – Wir können sie doch auflösen, wenn die Bezirke alles so toll lösen können! Im Übrigen, Herr Goetze, haben Sie Unrecht, wenn Sie glauben, dass es nur die Hinterlassenschaften dieser Zwölfmonatsanlagen sind. Ich kann Ihnen mehrere Beispiele nennen, in denen die Hinterlassenschaften von genehmigten Anlagen ausgehen. In denen war der Senat die Aufsichtsbehörde. Wir haben also die Situation, dass in Bezirks- und Senatsverantwortung die Dinge nicht koordiniert, nicht gelöst werden können. Folglich ist jemand dafür verantwortlich, das Ganze zu lösen.

[Zuruf von Sen Strieder]

Dieses Problem wird wohl nicht auf Bezirksebene zu koordinieren sein. Der Bezirk Weißensee, der in dieser Angelegenheit genug „Dreck am Stecken“ hat – dort ist der zuständige Stadtrat auch nicht grün –, wird nicht die Aufgabe haben können, den Senat, der dort auch genügend „Dreck am Stecken“ hat mit genehmigungsbedürftigen Anlagen in Weißensee, zu koordinieren. [Zuruf des Abg. Goetze (CDU)]

Herr Goetze, an dieser Stelle bitte ich Sie um Sachlichkeit. Wir haben ein Problem, das wir nicht lösen können, wenn wir einfach so weitermachen wie bisher. Wir müssen neue Wege gehen, und an der Stelle ist eindeutig der Senat gefordert.

[Beifall bei den Grünen – Zuruf von Sen Strieder – Goetze (CDU): Das ist scheinheilig! Frau Hämmerling redet Müll!]

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Diese illegalen Mülldeponien machen schon seit Jahren Schlagzeilen, und immer wieder – wie auch kürzlich – ist in der Presse zu lesen: „Die Müllmafia breitet sich aus!“ Das ist in Berlin so; das ist in Brandenburg und in anderen Bundesländern so. Aber wir müssen uns um die Dinge hier in Berlin kümmern. Hier in Berlin haben gewissenlose Kriminelle die Möglichkeit, mit den illegalen Deponien „das schnelle Geld“ zu machen. Den Schaden haben die Anwohner, die Mühe haben, sich Gehör zu verschaffen. Nach den Schäden für die Umwelt fragt niemand.

Die Behörden des Landes Berlin stehen dieser Tatsache offensichtlich weitgehend hilflos gegenüber. Schuld daran ist nach unserer Ansicht die Unflexibilität und die fehlende Durchsetzungsfähigkeit der Behörden. Die Durchsetzung von Ordnungsmaßnahmen dauert zu lange, und oft sind zu viele Institutionen beteiligt. Herr Goetze, es ist meistens nicht nur ein Stadtrat, sondern es sind meistens mehrere daran beteiligt.